Die Parteien CDU, CSU und SPD haben lange im Rahmen ihrer Koalitionsverhandlungen mitein-ander gerungen. Nur wenig des Vertragsinhalts gelangte vorzeitig an die Öffentlichkeit. Das war im Rahmen von Koalitionsverhandlungen nicht immer so. Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD für die 18. Legislaturperiode liegt nunmehr seit dem 27. 11. 2013 der Öffentlichkeit vor. Uns interessieren insbesondere die gesundheits- und arbeitsschutzpolitischen Perspektiven der neuen Regierung, wie die Aussagen, die in den Kapiteln 2.2 „Gute Arbeit“ mit dem Unterkapitel „ganzheitlicher Arbeitsschutz“ (S. 70–71), in Kapitel 2.3 „Soziale Sicherung“ mit dem Unter-kapitel „Reha-Budget demografiefest machen“ (S. 72), und in dem Kapitel 2.4 „Gesundheit und Pflege“ mit dem Unterkapitel „Prävention und Gesundheitsförderung in den Vordergrund stellen“ (S. 82) des Koalitionsvertrages festgeschrieben sind.
Im Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD wird nunmehr dem Thema „umfassender Gesundheitsschutz“ bei der Arbeit ein großer Stellenwert zugeordnet. Grundsätzlich ist der ganzheitliche Ansatz, d. h. physische und psychische Belastung in der Arbeitswelt gleichermaßen zu betrachten, begrüßenswert.
Die alleinige Nennung der Arbeitsplatzbedingungen als Grund für die drastische Zunahme von psychischen Erkrankungen reicht als Erklärung nicht aus. Aktuelle Er-kenntnisse zeigen, dass eine psychische Belastung durch mehrere Faktoren – wie es auch bei vielen körperlichen Erkrankungen der Fall ist – entsteht. Dazu können auch die Arbeitsbedingungen gehören. Zwei der möglichen weiteren Faktoren sind z. B. die persönliche und genetische Disposition oder besonders belastende Lebensereignisse. Hier ist es notwendig in Bezug auf die psychi-schen Belastungen im Betrieb, Werkzeuge zur Gefährdungsbeurteilung am Arbeitsplatz zu entwickeln. Unternehmen sollen be-fähigt werden, psychische Belastungsfakto-ren am Arbeitsplatz zu bewerten und geeignete Maßnahmen zur Gestaltung der Arbeit abzuleiten. Hier haben auch Betriebsärzte, als diejenigen, die Gefährdungsanalysen durchführen und oft als erste den Beschäftigten mit einer psychischen Belastung sehen, die wichtige Rolle, den Beschäftigen durch Kooperation mit Hausärzten und Fachärzten ohne unnötige Verzögerung durch das Gesundheitssystem zu führen. Sie können passgenaue Maßnahmen zur Behebung von Gefährdungen dem Arbeitgeber empfehlen.
Aus diesem Grund ist die Intention der Koalitionsvereinbarung, die wissenschaftliche Erforschung zu intensivieren, sehr positiv. Im Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse wird von den Koalitionären auch eine verbindliche Regelung in Form einer Verordnung gegen psychische Erkrankungen nicht ausgeschlossen. Ein erster Versuch der Arbeitsnehmervertreter im Januar 2013 ist aufgrund des Widerstands der Arbeitgebervertreter gescheitert. Möglicherweise kann so eine Regelung hilfreich sein, den Erhalt der psychischen Gesundheit im Betrieb stärker durchzusetzen.
Betriebliche Gesundheitsförderung und Arbeitsschutz sollen enger verknüpft werden. Damit wird sicherlich zum Ausdruck gebracht, dass der Arbeitsschutz im Rahmen eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements im Unternehmen weiter vorangetrieben werden soll. Mit diesem Instrument sollen Aktivitäten aller Akteure im Betrieb koordiniert werden und so Synergieeffekte für die Beschäftigten entstehen. Die überwiegende Mehrheit der Unternehmen, ins-besondere diejenigen aus der Industrie räumt dem betrieblichen Gesundheitsmanagement einen hohen Stellenwert ein. Stetiger Wandel in der Arbeitswelt, hervorgerufen durch u. a. Fachkräftemangel und demographischen Veränderungen, macht es unabdingbar, Mitarbeiter zu fördern und leistungsfähig zu erhalten. Deshalb sehen auch die Unternehmen in dem Betrieblichen Gesundheitsmanagement eine gute und effektive Möglichkeit, die Mitarbeiter gesund zu halten.
Der Koalitionsvertrag postuliert zudem, dass die Zusammenarbeit mit der allgemeinen Gesundheitspolitik ausgebaut werden soll. Mit diesem Vorhaben ist „Funkstille“ zwischen den Ressorts Bundesministerium für Arbeit und Soziales und dem Bundes-ministerium für Gesundheit endgültig ges-trig. Es soll also konstruktiv ressortüber-greifend zusammengearbeitet werden und zudem die betriebliche Gesundheitsförderung und der Arbeitsschutz enger miteinander verknüpft werden. Dies ist ein erfreu-licher Schritt in die richtige Richtung.
Das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) soll mehr Bedeutung und Verbindlichkeit bekommen. Auch hier ist es notwendig, die Arbeitsmediziner, als die Kompetenz für Gesundheit, deutlicher und nachhaltiger einzubeziehen. Betriebsärzte führen im Betrieb umfassende Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention durch. Betriebliches Eingliederungsmanagement ist eine tertiärpräventive Maßnahme. Nach den von Betriebsärzten festgestellten vorhandenen Fähigkeiten (ability) werden die Mitarbeiter wieder eingegliedert.
Im Unterkapitel „Reha-Budget demografiefest ausgestalten“ wird erfreulicherweise ebenfalls das betriebliche Gesundheitsmanagement als eine gute Möglichkeit der Zusammenarbeit aller Entscheider im Betrieb zugunsten der Beschäftigten präsentiert, um den Herausforderungen des demografischen Wandels begegnen zu können. Dies ist der richtige Ansatz und wird begrüßt. Hier ist wichtig, dass die Betriebsärzte, als die Kompetenz für Gesundheit im Betrieb, die Aktivitäten der Steuerungsgruppe koordinieren. Ein Arbeitskreis des Ausschusses Arbeitsmedizin des BMAS beschäftigt sich derzeit mit dieser Thematik. Es soll eine Arbeitsmedizinische Empfehlung für Betriebsärzte „Betriebliches Gesundheitsmanagement“ in einigen Monaten veröffentlicht werden.
Es wird im Vertrag in Aussicht gestellt, dass in der neuen Legislaturperiode ein Präven-tionsgesetz verabschiedet werden soll, von dem insbesondere die betriebliche Gesundheitsförderung als Primärprävention in mehrfacher Hinsicht profitieren wird. Das bedeutet, dass zwar das abgeschmetterte Präventionsgesetz, das im Dezember letzten Jahres endgültig im parlamentarischen Verfahren gestoppt wurde, wieder in 2014 den nächsten Anlauf machen wird. Dies wird mit Nachdruck begrüßt.
Das nicht in Kraft getretene Präven-tionsgesetz der letzten Legislaturperiode hat die Betriebsärzte – als die Kompetenz für Gesundheit und Prävention im Betrieb – deutlich berücksichtig. Es bleibt zu hoffen, dass diese „Errungenschaft“ im neuen Präventionsgesetz 2014 verankert bleibt. Mit diesen Regelungen wäre dann der Auftrag des Gesetzgebers an Betriebsärzte, als die Ärzte, die in dem Betrieb Vorsorge betreiben und impfen, festgeschrieben. Die Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) wären damit in die Lage versetzt, Verträge mit den Betriebsärzten abzuschließen, so dass die betriebsärztliche Prävention von der GKV letztendlich auch vergütet werden kann. Aufgrund des § 20 SGB V dürfen Krankenkassen betriebliche Gesundheitsförderung durchführen und arbeitsbedingte Erkrankungen in Zusammenarbeit mit der DGUV vorbeugen.
Beispielsweise wird im Präventionsbericht 2013 der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ausgeführt, dass 8000 Betriebe mit den Krankenkassen Maßnahmen zur Betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) durchgeführt haben und damit rund 1,3 Mio. Beschäftigte erreicht wurden. Rund 238 Mio. Euro haben die Krankenkassen im Berichtsjahr 2012 für Primärprävention und Gesundheitsförderung ausgegeben. Die Zusammenarbeit der Gesetzlichen Krankenkassen mit den Betriebsärzten im Betrieb weitet sich aus und verstärkt sich. Diese Tendenzen zeigen eine erfreuliche Zukunftsperspektive.
Zusammenfassung
Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD für die 18. Legislaturperiode liegt nunmehr seit dem 27.11.2013 der Öffentlichkeit vor. Die Gesundheits- und arbeitsschutzpolitischen Perspektiven der neuen Regierung, wie die Aussagen der Unterkapitel „ganzheitlicher Arbeitsschutz“, „Reha-Budget demografiefest machen“, „Prävention und Gesundheitsförderung in den Vordergrund stellen“ werden im Artikel angesprochen.
Auf einen Nenner gebracht, ist der Tenor des Koaliationsvertrages in den oben beschriebenen Kapiteln konstruktiv und lösungsorientiert. Das Arbeitsschutzressort soll mit dem Gesundheitsressort der Bun-desregierung zukünftig noch besser zusam-menarbeiten. Das betriebliche Gesundheits-management, als Koordinierungsinstrument in den Betrieben wird favorisiert. Bei dem Vorhaben der Bundesregierung können Fachärzte für Arbeitsmedizin und Fachärzte mit der Zusatz-Weiterbildung Betriebsmedi-zin eine wichtige Rolle spielen.
Auszug aus dem Koalitionsvertrag
„Deutschlands Zukunft gestalten“ zwischen CDU, CSU und SPD vom 27. 11. 2013)
„Ganzheitlicher Arbeitsschutz“
Der Schutz der Beschäftigten vor Gefahren am Arbeitsplatz und die Stärkung der Gesundheit bei der Arbeit ist ein wichtiges Gebot sozialer Verantwortung. Ein deutlicher Hinweis auf die Herausforderungen, die eine sich wandelnde Arbeitswelt für den deutschen Arbeitsschutz bedeutet, ist die drastische Zunahme psychischer Erkrankungen. Unser Leitbild ist ein ganzheitlicher, physische und psychische Be-lastungen umfassender Gesundheitsschutz bei der Arbeit. Die Zusammenarbeit mit der allgemeinen Gesundheitspolitik wird ausgebaut. Betriebliche Gesundheitsförderung und Arbeitsschutz werden enger verknüpft. Das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) wollen wir stärken und damit mehr Verbindlichkeit erreichen.
Gesundheitszirkel in den Betrieben haben sich in der Praxis als erfolgreicher Ansatz erwiesen. Wir wollen erreichen, dass in Unternehmen in Kooperation mit den gesetzlichen Krankenkassen solche Zirkel vermehrt eingerichtet werden. Wir werden die Entwicklung neuer Präven-tionskonzepte und betrieblicher Gestaltungslösungen bei psychischer Belastung in enger Zusammenarbeit mit den Trägern der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie vor-antreiben, den Instrumenteneinsatz besser ausrichten, auf eine verbesserte Kontrolle des Arbeitsschutzes hinwirken und in bestehenden Arbeitsschutzverordnungen, die noch keine Klarstellung zum Schutz der psychischen Gesundheit enthalten, dieses Ziel aufnehmen. Es erfolgt eine wissenschaftliche Standortbestimmung, die gleichzeitig eine fundierte Übersicht über psychische Belastungsfaktoren in der Arbeitswelt gibt und Handlungsoptionen für notwendige Regelungen aufzeigt. Im Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse schlie-ßen wir insoweit auch verbindliche Regelungen in der Form einer Verordnung gegen psychische Erkrankungen nicht aus.
Der Schutz und die Stärkung der physischen Ge-sundheit in besonders belastenden Tätigkeiten werden weiter verbessert, die entsprechende Forschung unter Begleitung der Tarifpartner intensiviert und Lösungsvorschläge zur Vermeidung arbeitsbedingter Verschleißerkrankungen und Frühverrentungen erarbeitet.
Auszug aus dem Koalitionsvertrag
„Deutschlands Zukunft gestalten“ zwischen CDU, CSU und SPD vom 27. 11. 2013)
„Reha-Budget demografiefest ausgestalten“
Durch ein besseres präventives betriebliches Gesundheitsmanagement wollen wir erreichen, dass ältere Menschen gesund und leistungs-fähig ihren Beruf ausüben. Menschen mit akuten Krankheiten müssen eine schnelle, wirkungsvolle Behandlung erhalten, um chronische Beschwerden möglichst zu vermeiden.
Das Reha-Budget wird bedarfsgerecht unter Berücksichtigung des demografischen Wandels angepasst, damit die gesetzliche Rentenversicherung auch in Zukunft die notwendigen Re-habilitations- und Präventionsleistungen an ihre Versicherten erbringen kann.
Auszug aus dem Koalitionsvertrag
„Deutschlands Zukunft gestalten“ zwischen CDU, CSU und SPD vom 27. 11. 2013)
„Prävention und Gesundheitsförderung in den Vordergrund stellen“
Wir werden noch 2014 ein Präventionsgesetz verabschieden, das insbesondere die Prävention und Gesundheitsförderung in Lebenswelten wie Kita, Schule, Betrieb und Pflegeheim und die betriebliche Gesundheitsförderung stärkt und alle Sozialversicherungsträger einbezieht.
Die Kooperation und Koordination aller Sozialversicherungsträger sowie der Länder und Kom-munen werden über verpflichtende Rahmenvereinbarungen analog der Regelungen zur Förderung der Zahngesundheit (§ 21 SGB V) und von Schutzimpfungen (§ 20d Abs. 3 SGB V) auf Landesebene verbessert. Dabei sind bundesweit einheitliche Gesundheitsziele und Vorgaben zur Qualität und Evaluation zu berücksichtigen. Länderpräventionsansätze werden einbezogen.
Darüber hinaus werden wir die Früherkennungs-untersuchungen bei Kindern und die ärztlichen Vorsorgeuntersuchungen bei Erwachsenen stärken. Zudem wollen wir durch geeignete Maßnah-men die Impfquoten in Deutschland erhöhen.
Wir wollen die jeweiligen Besonderheiten berücksichtigen, die sich aus der Frauen- und Männergesundheitsforschung insbesondere für die gesundheitliche Versorgung und die Erarbeitung von medizinischen Behandlungsleitlinien ergeben.
Weitere Infos
Autorin
Dr. med. A. E. Schoeller
Fachärztin für Arbeits-/Umwelt-medizin, Bereichsleiterin im Dezernat 5 – Versorgung und Kooperation mit Gesundheitsfachberufen
Bundesärztekammer, Berlin