Einleitung
Über Jahrtausende blieb, abgesehen vom Schlaf, mangels Relevanz unbeachtet, dass biologische Prozesse zyklisch ablaufen – und der regelmäßige Nachtschlaf war integra-ler Bestandteil eines im Wesentlichen vom Tageslicht abhängigen Tagesablaufs, der auch nie hinterfragt werden musste, bis moderne Wirtschaftsformen und Reisen mit hoher Ge-schwindigkeit über mehrere Zeitzonen mas-siv in diesen althergebrachten, „naturgegebenen“ Rhythmus einbrachen. Eine (vermut-lich) erste interessante Entdeckung zum Thema „innere Uhr“ machte ein französi-scher Astronom an Pflanzen: 1729 beschrieb Jean Jacques d‘Ortous de Mairan, dass die nach der Sonne ausgerichteten täglichen Bewegungen von Pflanzen auch dann andauern, wenn die Pflanze abgedunkelt wird. Im Jahre 1814 reichte J.J. Virey an der Universität von Paris (Sorbonne) seine medizi-nische Dissertation mit dem damals revolu-tionären Thema ein, dass sich Pulsfrequenz und Blutdruck tageszeitabhängig verändern (Reinberg et al. 2001). Später publizierte er auch seine Beobachtungen, dass die Wirkung von Medikamenten abhängig davon ist, zu welcher Tageszeit sie eingenommen werden – die Geburtsstunde der Chronopharmakologie (Reinberg et al. 2001). Interessanterweise hielten diese Beobachtungen viel frü-her Eingang in die Literatur als in die Wissen-schaft. So „sparte“ die Romanfigur in Jules Vernes „In 80 Tagen um die Erde“, der Exzentriker in Sachen Pünktlichkeit Phileas Fogg, einen Tag und gewann damit die Wette, indem er „richtig herum“, also östlich, um die Erde reiste (Verne 1873). Von Jet Lag war aufgrund der damaligen Reisegeschwindigkeiten noch keine Spur. Und so stritt die Wissenschaft noch über 150 Jahre, ob es so etwas wie eine „innere Uhr“ oder „Chrono-biologie“ überhaupt gebe, obwohl seit den 1950er Jahren Zeitzonenflüge über nennens-werte Entfernungen möglich waren und die Piloten über Schlafstörungen berichteten. Auch waren seit der industriellen Revolution Probleme bei Schichtarbeitern bekannt, wenn auch nie wirklich ernst genommen bzw. wissenschaftlich untersucht worden.
Heute ist u. a. bekannt, dass der Nucleus supraopticus, der in enger Beziehung zum Sehnerv stehend die Zirbeldrüse über seine Melanopsin produzierenden Ganglienzel-len kontrolliert, einer der wesentlichen „Takt-geber“ des zirkadianen Rhythmus ist (Brown 1994). Melanopsin regt in der Hypophyse die Umwandlung von Tryptophan über Sero-tonin in das Indolamin Melatonin als das maßgebliche Hormon an (Kral 1994). Da Melatonin aber leicht alle biologischen Bar-rieren überwinden kann, überträgt es die Information über die aktuelle Tagesphase an alle Zellen (Kral 1994) und steuert hier phy-siologische (Hormonsekretion, Serumspie-gel von Elektrolyten/Metaboliten/Enzymen, Körpertemperatur, Puls, Blutdruck, Atem-minutenvolumen, Schlaf-/Essverhalten, psy-chische und körperliche Leistungsfähigkeit u. v. a.) sowie pathophysiologische chrono-biologische Vorgänge (Prinzmetal-Angina, Myokardinfarkt, Angina pectoris und stum-me Ischämien, Asthmaanfälle u. v. a). Wurde noch in den 1980er Jahren davon ausgegangen, dass derartige Rhythmen nur einige Körperfunktionen betreffen, so besteht heute Klarheit, dass praktisch alle biologischen Prozesse periodischen Rhythmen mit unterschiedlicher Phasenlänge unterliegen. Dabei sind die Biorhythmen individuell über einen Zeitraum von wenigen Jahren relativ konstant, sie können jedoch interindividuell erhebliche Unterschiede aufweisen. So liegt die interindividuelle Variabilität des Zeitpunkts der höchsten Körpertemperatur im Bereich von +/– einer Stunde, wenn man ein größeres Kollektiv untersucht. Auch sind Verschiebungen im Laufe des Lebens feststellbar.
Was die Thematik erheblich erschwert ist, dass die verschiedenen Prozesse offen-sichtlich ihre ureigene spezifische Phasenlänge aufweisen: In Bunkerversuchen, bei denen die Versuchspersonen völlig von externen Zeitgebern abgeschnitten waren, stellte sich ein Schlaf-Wach-Rhythmus von 26 Stunden, in anderen (längeren) Versuchen sogar von 33,4 Stunden ein. Die Temperaturregulation unterliegt einer Phasenlänge zwischen 23 und 27 Stunden, während die motorische Aktivität eine noch größere Streu-ung von 20–32 Stunden aufweist. Alle diese Abläufe sind individuell genetisch determiniert, auch wenn man die Gene bislang nur für einzelne Prozesse kennt.
Bei ausgeschlafenen Personen besteht eine hohe Leistungsfähigkeit für ca. 5 Stunden, die dann über die Folgezeit abfällt, um nach etwa 16 Stunden ein inakzeptables Tief zu erreichen. Durch die Divergenz aus bio-logischem Rhythmus, Tageszeit und vorgegebenen Arbeitszeiten kann immer nur ein Kompromiss erreicht werden. Hier wäre es nun wichtig, mit einem selten hinterfragten, unkritisch abgeschriebenen Dogma der Arbeitsmedizin einmal aufzuräumen, nämlich der doppelgipfligen Vigilanzkurve nach Graf (1934, 1961). Aus den bisherigen Ausführungen geht hervor, dass die indivi-duelle Tagesrhythmik genetisch determiniert ist und zyklisch verläuft. Allein schon dies müsste bei der Betrachtung einer doppelgipfligen Kurve auffallen: Zyklische Verläufe sind typischerweise nicht doppelgipflig. Die genaue Betrachtung der Graf’schen Publikationen zeigt vielmehr einen systematischen Fehler in der Datenauswertung und -interpretation: Zunächst einmal hat er keine eigenen Daten ausgewertet, sondern das Zahlenmaterial, das Bjerner et al. (1948) in ihrer Publikation korrekterweise außerordentlich vorsichtig interpretiert hatten. Diese Daten rechnete Graf ein geglättetes Polynom 5. Grades um, das fortan unkritisch und weltweit übernommen wurde. Wenn nun – wie bei Graf geschehen – ein Kollektiv aus „Spättypen“ mit längerem biologischen Tageszyklus zusammen mit einem Kollektiv aus „Frühtypen“ mit kurzem biologischen Tageszyklus ausgewertet wird, ist die Doppel-gipfligkeit der Kurve leicht erklärt (Ulmer 1985). Es wäre jedoch illusorisch zu erwarten, dass ein Frühmensch als einer der Verursacher des Vormittagsgipfels am Nachmit-tag noch einmal ein weiteres „Hoch“ seiner Vigilanz erreichen würde! Trotzdem hat diese Fehlinterpretation ihren Weg in internatio-nale Handbücher gefunden. Weitere ekla-tante handwerkliche Schwächen der Graf’-schen Arbeiten zu diesem Thema wären ein eigenes Publikationsthema. Zur Risikobe-urteilung, Gefährdungsanalyse oder Erstel-lung von Schichtplänen sind derartig fragwürdige Ergebnisse jedenfalls völlig unbrauchbar.
Es stellt sich die Frage der Relevanz für die arbeitsmedizinische Praxis: In der Ein-leitung zur angemeldeten Leitlinie „Schicht-arbeit“ der Deutschen Gesellschaft für Ar-beits- und Umweltmedizin wird davon aus-gegangen, dass allein in Deutschland derzeit etwa 17 Mio. Menschen in Schichtarbeit und davon 3,5 Mio. in Schichtsystemen mit regel-mäßiger Nachtarbeit tätig sind (DGAUM, eingereicht). Diese Zahlen basieren auf dem Mikrozensus von 2011. Rechnet man sie auf die deutsche Arbeitnehmerschaft um (laut dem Bundesamt für Statistik 43,07 Mio. im September 2015), so waren 39,5 % aller Arbeitnehmer in irgendeinem Schichtsystem und 8,1 % in einem vollkontinuierlichen Schichtsystem tätig. Diese Zahlen zeigen die Relevanz der Thematik, vor dem Hintergrund der Alterspyramide der Belegschaften insbesondere auch für alternde Arbeitnehmer.
Jet Lag als Beispiel einer patho-logischen Phasenverschiebung
Beim Jet Lag wird wie auch beim Schichtwechsel die Synchronisation der „inneren Uhr“ durcheinandergebracht in dem Sinne, dass Betroffene sich müde oder erschöpft fühlen, motivationslos sind und über Schlaf-störungen berichten. Objektivieren lassen sich Leistungseinbuße (Sport, Arbeit, Konzentration; Übersicht in Leatherwood u. Dragoo 2013), Gereiztheit oder auch Depression. Auch dynamische Leistungsparameter wie Kraftleistungen und Maximalkraft werden reduziert (Hill et al. 1993).
Überträgt man die Ergebnisse der Flugmedizin auf die Arbeitsmedizin und auf Schichtsysteme, so ist naheliegend, dass eine Leistungsabnahme und steigende Fehlerhäufigkeit eine sinkende Produktivität und potenziell steigende Unfallgefahr zur Folge haben. Die mögliche Exazerbation psychi-scher Konflikte beinhaltet potenziell ein er-hebliches innerbetriebliches Konfliktpoten-zial. Grundsätzlich muss davon ausgegangen werden, dass eine optimale und risikoarme Leistungserbringung nur von einer ausge-schlafenen Person zum optimalen Zeitpunkt ihres biologischen Tagesrhythmus erbracht werden kann. Vom Kleinbetrieb bis hin zum „großen“ internationalen Sport wird hiergegen regelmäßig verstoßen. So war eigent-lich schon im Vorfeld klar, dass die deutschen Rennradfahrer bei der Olympiade in Peking 2008 untergehen mussten! Gleiches galt für viele deutsche Sportler bei der Olym-piade in Sydney 2000 – es ist also leider nicht so, als hätte man aus den Problemen des Jahres 2000 irgendetwas für 2008 gelernt.
Schichtbedingte Schlafstörungen am Beispiel des Luftverkehrs
Im Gegensatz zu anderen Tätigkeiten liegen im Luftverkehr zum Thema „Risiko“ und „Müdigkeit als Unfallursache“ Daten vor. So wird geschätzt, dass Müdigkeit eine wesent-liche (Teil-)Ursache bei 4–8 % der schweren Luftfahrtunfälle ist (Caldwell 2005). Kritisch ist dies vor dem Hintergrund, dass Müdigkeit sowohl in der zivilen als auch in der militärischen Fliegerei ein verbreitetes Problem ist (Caldwell u. Gilreath 2002; Chidester 1990), insbesondere bei Abend- und Nachtflügen (Eriksen u. Akerstedt 2006; Gander et al. 1998), aber auch im Luftrettungsdienst (Frakes u. Kelly 2004). Die Einschlafphase ist oft wenig beeinträchtigt, aber schon in den ersten Stunden ist der REM-Schlaf, der offensichtlich besonders störanfällig ist, re-duziert. Schlaf während biologischer Nachtphasen, aber zu Tageszeit wird durch Tageslicht, Wärme und höhere Lärmpegel gestört und damit wenig effektiv sein. Der Schläfer mag zwar schnell einschlafen, aber bereits nach wenigen Stunden wird er wieder aufwachen. In gewissen Grenzen kann der Organismus sich an derartige nichtnatürliche Rhythmen anpassen. So wurde bei Piloten auf Kurzstrecke eine erhöhte Variabilität der Anzahl der Schlafstunden im Vergleich zur Normalbevölkerung beobachtet (Nichol-son 1994). Eine zu kurze Taktung der Schicht-zeiten erlaubt es dagegen nicht, das akkumulierte Schlafdefizit auszugleichen (Lamond et al. 2006).
Langfristige Folgen einer chronischen Desynchronisation
Als langfristige Konsequenzen einer regelmäßig (chronisch) gestörten Chonobiologie wird v. a. aus der Schichtarbeit heraus die Risikoerhöhung für zahlreiche Erkrankungen diskutiert (Übersicht in Winget et al. 1984). Dass kognitive Defizite gefunden werden, ist über chronische Ermüdung leicht nachvollziehbar (Cho et al. 2000). Schwieriger wird schon die Erklärung morphologischer Hirn-veränderungen wie Atrophie des Temporallappens (Cho 2001). Das Risiko ischämischer und struktureller Herzerkrankungen erscheint ebenso erhöht wie das für Nierenerkrankungen (Martino et al. 2008). Ein erhöhtes Krebsrisiko bzw. eine gemin-derte Krebsüberlebensrate wurde für verschiedene Tumoren immer wieder berichtet, z. B. für Karzinome von Mamma, Prostata, Endometrium und Rektum/Kolon (Filipski et al. 2004; Greene 2012; Reiter et al. 2007). Die Mechanismen sind allerdings weitgehend unklar. Bei nahezu allen Arbeiten ist letztlich unklar, ob die Schichtarbeit per se oder die möglicherweise auch damit verbundenen Lebensfaktoren wie Ernährungsweise, geringere Teilnahme an sportlichen Aktivi-täten u. v. a. die eigentlichen Ursachen der gefundenen Risikoerhöhungen waren. Sicher ist nämlich, dass auch bei chronisch gestörter Tagesrhythmik diesem Zustand im Vergleich zu bekannten Lifestyle-Risiken ein äußerst geringer Beitrag beispielsweise zum Tumorgesamtrisiko zukommt. So konnte in einer sehr sorgfältig angelegten finnischen Studie an Cabin Crews auch unter Berücksichtigung der Strahlenexposition als unabhängiger Risikofaktor ein allenfalls minimales Risiko durch chronische Desynchronisation ermit-telt werden (Kojo et al. 2005). Zieht man für die anderen erwähnten Studien die Vielzahl an Confoundern ins Kalkül, dürften die meisten eine viel zu geringe Power aufweisen, um aus den Ergebnissen seriöse Schlüsse ziehen zu können. Zusammenfassend kann also aus den vorliegenden Ergebnissen geschlossen werden, dass nach derzeitigem Wissen die aufgeführten langfristigen Folgen keine nennenswerte Erhöhung des Lebensrisikos bedeuten.
Copingmechanismen gegen den Schlafmangel
Ähnlich wie im Flugverkehr wären vorwärts rotierende Schichtwechsel über nur 4–5 Stun-den relativ unproblematisch, sie sind jedoch im Gegensatz zur Luftfahrt mit den Anforderungen der Industrie und des Gewerbes nur selten vereinbar. Ermüdungserscheinungen halten sich bei derartigen Systemen in Grenzen, vermutlich weil die Personen unter diesen Bedingungen schnell und tief einschlafen. Allerdings werden im Verlauf weniger Tiefschlafphasen beobachtet, vermutlich weil man sich dann der normalen Aufwachphase nähert. Eine bewährte Mög-lichkeit nach langen Nachtschichten wäre dagegen, anstatt einmalig lang zu schlafen besser zwei kürzere Schlafphasen einzu-schieben. Das bedeutet, dass die erste Phase nach 3–4 Stunden abgebrochen wird.
„Vorausschauendes Schlafen“ vor einem Wechsel in die Nachtschicht kann die Umstellung deutlich erleichtern. Leistungsfähig-keit und Aufmerksamkeit fallen besonders dramatisch, wenn die Endphase einer langen Schicht mit dem biologischen Tagestief zur Deckung kommt. Hier erhält der „vorausschauende Schlaf“ eine besondere Bedeutung, insbesondere weil hier gezeigt werden konnte, dass das Leistungsminimum bei mehreren Teammitgliedern gleichzeitig auftreten kann, das „Fail-safe-Prinzip“ also versagen kann (Cabon et al. 1993).
Einen ganz wesentlichen Einfluss auf die Akzeptanz eines Schichtsystems haben die soziale Faktoren. Diese überwiegen teilweise sogar Argumente wie Schichtlänge, Dauernachtschicht u. v. a. So ermöglichen z. B. 12-Stunden-Schichten (früher „Flieger-schichten“ genannt) den Betroffenen im Mittel eine sozial erwünschte 3- bis 4-Tage-Woche (Gillo 2005). Ganz wesentlich ist für die Belegschaften, dass Freizeit – und hier ins-besondere Wochenenden – planbar bleibt, damit soziale Kontakte gepflegt und erhalten werden können.
Immer wieder wird von Betroffenen auf Hypnotika als Coping-Mechanismus zurück-gegriffen. Diese Substanzen sollten allenfalls als Einzelindikation in möglichst niedriger Dosierung und möglichst kurz angewendet werden. Ihre Anwendung wurde in den 80er Jahren intensiv diskutiert, als beispielsweise mit Temazepam eine Substanz mit kürzerer Halbwertszeit (HWZ) zur Verfügung stand (HWZ: 5–13 h) (Baird et al. 1983; Nicholson et al. 1985). Temazeam wird heute aus verschiedenen Gründen als hochgradig problematisch eingeschätzt. Für den Fall einer (befristeten!) individuellen Indikation von Hypnotika sollten heute allenfalls reine Einschlafmittel mit sehr kurzer Halbwertszeit eingesetzt werden, beispielsweise Zalpelon (HWZ: 1 h) oder Zolpidem (HWZ: 1,5–2,5 h). Zwischen der Einnahme und dem nächsten Schichtbeginn sollten trotz der kurzen HWZ in jedem Fall mindestens 12 Stunden liegen, vor allem dann, wenn potenziell risikobehaftete Aufgaben anstehen. Melatonin kann aus arbeitsmedizinischer Sicht nach wie vor nicht generell empfohlen werden, auch wenn ein positiver Effekt auf Müdigkeit und schichtplanbedingte Symptome ähnlich des Jet Lags seit langem belegt ist (Petrie et al. 1993), die aus Tierversuchen gefürchtete Gonadenatresie bei therapeutischen Dosen offensichtlich keine Rolle spielt und es inzwischen auch als Medikament anstatt als wenig kontrol-liertes Nahrungsergänzungsmittel zur Verfügung steht (Circadin®, 2 mg ret.; Zulassung nur für kurzfristige Schlafstörungen bei Patienten > 55 Jahre).
Schichtwechsel bei älteren Menschen – zu beachtende Spezifika
Ältere Menschen haben im Vergleich zu jün-geren einen verkürzten Tagesrhythmus mit geringerer Amplitude (Monk 1989, 2005; Bu-ysse et al. 2005). Auch schwankt ihre psychomotorische Performance im Tagesverlauf mehr als bei Jüngeren (Buysse et al. 2005). Daher tolerieren sie abrupte Phasenverschiebungen weniger als Jüngere (Monk 2005). Vor diesem Hintergrund wirkt die Empfehlung einiger „offizieller“ Stellen, dass die Nachtschichten im „Idealfall“ drei bis vier Nächte hintereinander seien (Beermann 2005) – was vielerorts als amtliche bindende Regelung angesehen wird – geradezu absurd: Mit zwei bis drei Stunden physiologischer „Zeitverschiebbarkeit“ pro Tag hat sich der Arbeitnehmer gerade umgestellt, dann steht der nächste Wechsel an. Physiologischer wären entweder extrem kurze Rhythmen von ein bis maximal zwei Nächten, was kaum eine Umstellung bedeuten würde, oder solche mit längerer Phase, beispielsweise einer Woche. Gerade ältere Mitarbeiter würden von diesen physiologischeren Rhythmen profitieren. Bei noch längeren Schichtzyklen kommt es dagegen zu einer ungünstigen Summation von Schlaf-defiziten (Gander et al. 1998).
Bei älteren Personen findet sich außerdem eine zunehmende Fragmentierung des Schlafs (Gander u. Signal 2008). Im Laufe des Schichtblocks findet nur eine Teilumstellung der Tagesrhythmik statt, so dass die Mitarbeiter regelmäßig während des Tagesminimums ihrer Leistungsfähigkeit arbeiten (Gander et al. 1998; Akerstedt 1991; Monk 1989). Allerdings ist unbekannt, inwieweit Berufserfahrung diese Probleme kompensieren kann.
Ein sehr früher Beginn der Schicht ist ein wesentlicher Faktor zur Verminderung der Schlafzeit (Gander et al. 1998). Typischerweise geht bei frühem Arbeitsbeginn (oder rückwärts rollierenden Systemen) morgens mindestens eine Stunde Schlaf verloren, was abendlich nicht durch Vorverlegen der Einschlafzeit kompensiert wird, u. a. weil frühabendlich eine ungewöhnliche Schlafenszeit ist und tiefe Schlafstadien kaum erreicht werden (Strogatz 1986). Die Schlafdauer gilt aber als unabhängiger Prädiktor für die Performance (Gander u. Signal 2008). Die Situation wird dadurch weiter erschwert, dass die meisten Menschen dadurch, dass der biologische Tagesrhythmus für die meisten Menschen länger als der astronomische Tag ist, kaum den Schlaf „vorverlegen“ können (Strogatz 1986; Wever 1979). Dies gilt umso mehr für den älteren Mitarbeiter mit seiner kürzeren Phasenlänge.
Bereits in jüngeren Jahren wird die „Verlängerung“ des Tages beispielsweise auf Westflügen von den meisten Personen besser toleriert als Ostflüge. Dies liegt wiederum daran, dass der Tageszyklus im Mittel etwas länger ist als der astronomische Tag. So beträgt die mittlere Tageslänge bei Kaukasiern 24,8 Stunden, wenn auch mit großer Spannweite von 23 bis 27 Stunden. Abgesehen von den 23-Stunden-Menschen („Frühauf-steher“!) bedeutet dies, dass vorwärts rollierende Schichtsysteme bereits von Jüngeren besser toleriert werden (Gander et al. 1998). Für ältere Personen mit altersbedingt limitierter Toleranz gegenüber Phasenverschiebungen gilt dies möglicherweise umso mehr, wobei der erwähnte Effekt des verkürzten Tagesrhythmus unklar ist. Hier sind möglicherweise differenzierte Betrachtungen in einem gemischten Kollektiv von Arbeitnehmern notwendig: Ähnlich wie ältere Mitarbeiter haben Schwarzafrikaner im Ver-gleich zu den Kaukasiern einen deutlich ver-kürzten biologischen Tag (Eastman et al. 2012; Smith et al. 2009). Hier könnten sogar rückwärts rollierende Schichtsysteme von Vorteil sein. Allerdings liegen auch dazu keinerlei arbeitsmedizinische Daten vor.
Nachdenkenswert sind für ältere Mitarbeiter im Schichtdienst veränderte Pausenzeiten. Es wurde beobachtet, dass Piloten, die aus Kulturen stammen, in denen eine Siesta üblich ist, durch kurze Schlafphasen („Naps“) ihre Performance besser erhalten konnten als andere (Holmes et al. 2012). Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass Naps selbst bei extremer Langzeitbelastung die Leistungsfähigkeit erhalten können (Gindulis et al., eingereicht). Übertragen auf die Wirtschaft könnte dies bedeuten, dass insbesondere in der Nachtschicht mehr, aber kürzere Pausen für den älteren Arbeitnehmer vorteilhaft wären, denn natürlich verbietet sich ein Nap während der Tätigkeit in vielen Fällen allein schon aus Sicherheitsgründen.
Leider gibt es keinen „idealen“ Schichtplan, denn neben technischen Gegebenhei-ten spielen auch soziale und kulturelle Fak-toren eine – oft unterschätzte – Rolle. Es wird unvermeidlich sein, dass ältere Mitarbeiter im Schichtdienst über Schlafstörungen kla-gen – eher mehr noch als jüngere. Hier muss ärztlicherseits sorgfältig differenziert werden, ob geklagte Schlafstörungen aufgrund der gestörten Schlafrhythmen durch den Schichtdienst verursacht werden oder ob sie Zeichen anderer zugrunde liegender Störungen oder Erkrankungen sind. Länger-fristige Störungen (Monate) können ein Hin-weis auf chronische Insomnie, Schlafapnoesyndrom, Depressionen, Alkohol- oder Dro-genmissbrauch sein. Immer wieder auftre-tende Arousalphänomene oder auffallende Tagesmüdigkeit können ebenfalls auf Schlaf-apnoesyndrom, aber auch auf Restless-Legs-Syndrom hinweisen. Kürzlich aufgetretene Schlafstörungen stehen dagegen oft mit aktuellem beruflichem oder familiärem Stress in Verbindung. Hinsichtlich der arbeitsmedi-zinischen Betreuung, Gefährdungsbeurteil-ung und weiterer Einsetzbarkeit ist klar zu differenzieren, wie gefahrenträchtig die Tätig-keit des jeweiligen Mitarbeiters ist. In jedem Falle sollte die Stabilisation einer möglicher-weise zugrunde liegenden Grunderkrankung angestrebt werden.
Schlussfolgerungen
Durch die Berücksichtigung weniger spezifischer Erfordernisse dürfte es in den meis-ten Fällen möglich sein, ältere Mitarbeiter in rollierenden Schichtsystemen bei voller Leistungsfähigkeit zu integrieren. Wichtigste Voraussetzungen sind: Berücksichtigung sozialer Faktoren (insbesondere plan-bare Freizeit, Wochenenden), vorwärts rollierende Systeme, nicht zu früher Beginn der Frühschicht und eher längere Schichtzyklen, um unnötig häufige Umstellungen zu vermeiden. Häufigere kürzere Pausen in Verbindung mit Naps dürften insbesondere in Nachtschichten vorteilhaft sein. Allerdings wären hier noch Untersuchungen nötig.
Literatur
Gander P, Signal L: Who is too old for shift work? Developing better criteria. Chronobiol Int 2008; 25: 199–213.
Gander PH, Rosekind MR, Gregory KB: Flight crew fatigue VI: a synthesis. Aviat Space Environ Med 1998; 69 (Suppl): B49–60.
Holmes A, Al-Bayat S, Hilditch C, Bourgeois-Bougrine S: Sleep and sleepiness during an ultra longrange flight operation between the Middle East and United States. Accid Anal Prev 2012; 45 (Suppl): 27–31.
Monk T: Aging human circadian rhythms: con-ventional wisdom may not always be right. J Biol Rhythms 2005; 20: 366–374.
Strogatz SH: The mathematical structure of sleep-wake cycle. Heidelberg: Springer, 1986.
Die vollständige Literaturliste kann bei den Autoren oder beim ASU-Redaktionsbüro angefordert werden (asu@hvs-heidelberg.de).
Weitere Infos
Buysse DJ, Monk TH, Carrier J, Begley A: Circadian patterns of sleep, sleepiness, and performance in older and younger adults. Sleep 2005; 28: 1365–1376.
Autor
Prof. Dr. med. Thomas Küpper
Institut für Arbeitsmedizin und Sozialmedizin
Universitätsklinikum Aachen
Pauwelsstraße 30 – 52074 Aachen