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Umfrage: Telemedizin in der Arbeitsmedizin1

Umfrage: Telemedizin in der Arbeitsmedizin

Jeder Unternehmer in Deutschland ist gesetzlich verpflichtet, seinen Beschäftigten eine betriebsärztliche Betreuung zu ermöglichen. Mit ausschließlich konventionellen arbeitsmedizinischen Betreuungskonzepten ist eine ressourcenadäquate betriebsärztliche Versorgung, insbesondere von Klein- und Kleinstunternehmen (KKU) in ländlichen Regionen und von Beschäftigten an speziellen Arbeitsplätzen (z. B. Offshore-Arbeitsplätze), nicht zu gewährleisten. Die Anwendung telemedizinischer Verfahren stellt eine Möglichkeit dar, konventionelle arbeitsmedizinische Betreuungsformen zu ergänzen und die arbeitsmedizinische Versorgung im Allgemeinen und v. a. für KKU in ländlichen Regionen bzw. Beschäftigte an speziellen Arbeitsplätzen zu verbessern.

Die Ergebnisse der im Februar 2017 online durchgeführten Umfrage zeigen, dass zwar einige der befragten Ärztinnen und Ärzte aus dem arbeitsmedizinischen Bereich Unsicherheit, Unwissenheit und Skepsis gegenüber der Telemedizin äußern, dass aber für einen Großteil der Umfrageteilnehmer die positiven Aspekte und Chancen überwiegen, die telemedizinische Anwendungen im Bereich der Arbeitsmedizin bieten können. Etwa die Hälfte der Befragten plant, zukünftig telemedizinische Verfahren im Rahmen der arbeitsmedizinischen Betreuung von Betrieben einzusetzen.

Telemedizin ist im Bereich der Arbeitsmedizin im Vergleich zu anderen medizinischen Fachgebieten noch relativ neu. Um bei der Entwicklung und Einführung telemedizinischer Verfahren in der Arbeitsmedizin eine hohe Qualität und Praktikabilität zu gewährleisten, sollte eine kontinuierliche wissenschaftliche Begleitung erfolgen. Weiterhin müssen spezielle Qualitätssicherungsmaßnahmen entwickelt werden. Mit Blick auf die Rechtssicherheit (v. a. Datenschutz und Haftungsrecht) und Akzeptanz müssen auch die rechtlichen Voraussetzungen noch weiter entwickelt und für die Anwender klarer und besser überschaubar werden.

Schlüsselwörter: Telemedizin – E-Health – Betriebsmedizin – Klein- und Kleinstunternehmen

Survey: Telemedicine in occupational health

German law requires every employer to provide occupational health care for its employees. Effective, cost-efficient care cannot be ensured by conventional occupational health care concepts only, in particular with regard to employees of small and microenterprises in rural areas or employees in special workplaces (e.g. offshore jobs). The implementation of telemedicine procedures provides an opportunity to improve occupational health care for these employees in particular, but also in general by complementing conventional health care concepts.

According to the results of the online survey (n= 190 participants) conducted in February 2017, some of the responding occupational health physicians express a lack of knowledge, uncertainty and scepticism regarding telemedicine. For most of the participants, however, this is outweighed by the positive aspects and opportunities that may be offered by telemedicine procedures in occupational health and safety. Approximately half of the respondents are planning to implement telemedicine procedures in their daily work routine in future.

Telemedicine is still relatively new in the field of occupational health care compared to other medical disciplines. Therefore, the development and introduction of telemedicine procedures in occupational health care should be continuously scientifically monitored to achieve a high quality and practicability. Furthermore, adequate quality assurance measures have to be developed. The legal framework needs to be refined and made more transparent to the users to improve legal certainty (above all in terms of data protection and liability law) and thereby general acceptance of telemedicine in occupational health care.

Keywords: telemedicine – e-health – occupational health – small and micro-enterprises

S. Sedlaczek

K. Schöne

D.-M. Rose

S. Letzel

(eingegangen am 28.03.2017, angenommen am 26.04.2017)

ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2017; 52: 439–445

doi: 10.17147/ASU.2017-06-02-02

 

Einleitung

Der Begriff „Telematik“ setzt sich zusammen aus Telekommunikation und Informatik. Ein Anwendungsbereich der Telematik ist die Telemedizin. „Telemedizin ist ein Sammelbegriff für verschiedenartige ärztliche Versorgungskonzepte, die als Gemeinsamkeit den prinzipiellen Ansatz aufweisen, dass medizinische Leistungen der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung in den Bereichen Diagnostik, Therapie und Rehabilitation sowie bei der ärztlichen Entscheidungsberatung über räumliche Entfernungen (oder zeitlichen Versatz) hinweg erbracht werden. Hierbei werden Informations- und Kommunikationstechnologien eingesetzt“ (Bundesärztekammer 2015).

Telemedizin ist nichts völlig Neues. Erste telemedizinische Konsultationen fanden bereits Ende des 19. Jahrhunderts statt. So berichtet Spencer (zitiert nach Rahimian 2009) von einer erstmaligen mündlichen Diagnoseabklärung per Telefon im Jahr 1897 (Spencer u. Daugird 1990). Mit zunehmendem technischen Fortschritt erweiterten sich die Möglichkeiten, ärztliche Gespräche über weite Distanzen zu führen und medizinische Befunde untereinander auszutauschen.

Die „Telemedizin“ existiert nicht als eigenständiges medizinisches Fachgebiet. Vielmehr unterstützen und ergänzen telemedizinische Verfahren die bisher üblichen medizinischen Methoden. In der heutigen Zeit gewinnen telemedizinische Verfahren zunehmend an Bedeutung und sind in einigen medizinischen Bereichen inzwischen fest verankert (z. B. Teleradiologie, Teleneurologie, Teledermatologie). Anwendungsgebiete sind u.a. die Übermittlung von Patientendaten und Informationen im Zusammenhang mit Prävention, Diagnostik, Behandlung und Weiterbetreuung von Patienten sowie Telekonsultationen per Videokonferenz (von Arzt zu Arzt im Rahmen eines ärztlichen Konsils oder zwischen Arzt und Patient im Rahmen eines ärztlichen Gesprächs).

Welche Rolle spielen telemedizinische Methoden in der Arbeitsmedizin?

Im Jahr 1973 wurde das Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG) erlassen, das eine verpflichtende arbeitsmedizinische Betreuung von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen gesetzlich vorschreibt. Weiterhin verpflichtet das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) in § 11 den Arbeitgeber, seinen Beschäftigten regelmäßig eine arbeitsmedizinische Untersuchung zu ermöglichen. Im Jahr 2008 wurde die arbeitsmedizinische Vorsorge als wesentlicher Bestandteil der betriebsärztlichen Betreuung durch die Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV, überarbeitet 2013) weiter präzisiert. Durch die ArbMedVV wurde die Rechtsverbindlichkeit der arbeitsmedizinischen Vorsorge gestärkt und ein konkreter Handlungsrahmen für Arbeitgeber und Betriebsärzte vorgegeben. Unabhängig von der Betriebsgröße ist jeder Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet, seinen Beschäftigten eine arbeitsmedizinische Betreuung zu ermöglichen.

In vielen mittleren und großen Unternehmen ist die Durchführung der arbeitsmedizinischen Betreuung inzwischen wesentlicher Bestandteil eines ganzheitlichen Gesundheitsmanagements, das auf die Förderung und Erhaltung der Gesundheit ihrer Mitarbeiter und damit deren Beschäftigungs- und Leistungsfähigkeit abzielt. Im Bereich der Klein- und Kleinstunternehmen (weniger als 50 bzw. weniger als 10 Beschäftigte, KKU) sind entsprechende Strukturen bisher jedoch zu einem großen Teil noch nicht ausreichend vorhanden. Vorliegende Untersuchungen zur Betreuungssituation weisen darauf hin, dass bislang nur etwa ein Drittel der Arbeitnehmer in KKU Zugang zu einer angemessenen arbeitsmedizinischen Betreuung hat (Sczesny et al. 2014). Neben fehlendem Wissen und Verständnis bezüglich des Nutzens von Seiten der Arbeitgeber wird auch ein Mangel an geeigneten Konzepten für eine qualitativ hochwertige und effiziente Betreuung seitens der Leistungserbringer als ursächlich angesehen (Schulte et al. 2005; Sczesny et al. 2014; Barth et al. 2014). Insbesondere kleine Betriebe in ländlichen Regionen sind zu einem erheblichen Teil arbeitsmedizinisch „unterversorgt“. Durch lange Fahrtzeiten zu KKU mit geringen Einsatzzeiten ist eine konventionelle arbeitsmedizinische Betreuung und Vorsorge unter ökonomischen Gesichtspunkten oftmals nur schwer realisierbar und daher „für betriebsärztliche Dienstleister wenig attraktiv“ (Schulte et al. 2005). Die demografische Entwicklung, längere Lebensarbeitszeiten und der Wandel der Arbeitswelt mit neuen Belastungen für die Arbeitnehmer (u. a. Industrie 4.0, Arbeit 4.0) wird diese Situation künftig weiter verschärfen. Gleichzeitig ist zu erwarten, dass der Bedarf an betriebsärztlicher Betreuung und Beratung zunimmt. Weiterhin werden spezielle Arbeitsplätze (z. B. im Offshore-Bereich) sowie auch neue Arbeitsformen (z. B. mobile Arbeitsplätze) den Zugang zu einer qualitätsgesicherten arbeitsmedizinischen Betreuung erschweren. Die arbeitsmedizinische Vorsorge und Betreuung muss somit dringend weiter entwickelt werden, um Beschäftigte in KKU, an speziellen Arbeitsplätzen und in neuen Arbeitsformen angemessen und mit adäquatem finanziellen Aufwand betreuen zu können.

Verbunden mit der Bestrebung, Versorgungsleistungen qualitätsgesichert und wirtschaftlich zu gestalten, gewinnt der Einsatz telemedizinischer Verfahren im gesamten Bereich der Gesundheitsversorgung zunehmend an Bedeutung. Auch die Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (DGAUM 2015) weist unter dem Schlagwort „Arbeitsmedizin 4.0“ in ihren 14 Thesen zum Stand und zum Entwicklungsbedarf der betrieblichen Prävention und Gesundheitsförderung in Deutschland in These 2 darauf hin: „Es bedarf einer Präventionsstrategie und Präventionskultur, die auch Klein- und Mittelunternehmen (KMU) erreicht. Um diesen Herausforderungen gerecht zu werden, benötigen wir […] ein in den Unternehmen beginnendes, eng mit den Krankenkassen, Rentenversicherungen und Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung verbundenes Modell einer evidenzbasierten und sektorenübergreifenden Versorgung. In diese Richtung zielt auch das Präventionsgesetz. Im Bereich der Klein- und Mittelunternehmen (KMU) ist zu prüfen, inwiefern der Einsatz moderner und innovativer Betreuungsansätze (z. B. Kombination des Unternehmermodells mit telemedizinischen Präventions- und Versorgungsansätzen) die Adressierung des Themas Gesundheit im Betrieb sowie die arbeitsmedizinische Betreuung und Vorsorge nachhaltiger unterstützen und gestalten können“ (DGAUM 2015).

Während telemedizinische Verfahren in vielen Bereichen der Gesundheitsversorgung bereits etabliert sind, befinden sich diese Verfahren im Versorgungsbereich der Arbeitsmedizin noch in der Erprobung oder haben den Sprung in die „Regelversorgung“ noch nicht geschafft. Vor diesem Hintergrund führten wir eine Online-Befragung durch, um die subjektive Einschätzung von Ärztinnen und Ärzten aus dem Bereich der Arbeitsmedizin zu folgenden Aspekten zu erfragen:

  • Welche Erfahrungen im Bereich Telematik (E-Health bzw. Telemedizin) liegen bei den Befragungsteilnehmer/innen vor und welche Verfahren sind derzeit im Einsatz?
  • Wie wird die zukünftige Bedeutung der Telematik (E-Health bzw. Telemedizin) im Bereich der Arbeitsmedizin eingeschätzt?
  • Für welche Bereiche ist die Telemedizin in der Arbeitsmedizin geeignet?
  • Welche Chancen bietet und welche Risiken birgt Telemedizin in der Arbeitsmedizin?

Methode

Die Daten der vorliegenden Querschnittsuntersuchung wurden zwischen dem 02.02. und dem 02.03.2017 mit dem Online-Umfrage-Tool „LimeSurvey“ erhoben. Über den Email-Verteiler „ArbMedNet“ und weitere Verteiler wurden Arbeitsmediziner und arbeitsmedizinisch Interessierte überwiegend aus Deutschland per E-Mail auf die Befragung hingewiesen. Zwei Wochen nach der initialen Information zur Befragung erfolgte eine Erinnerung über „ArbMedNet“. Der eingesetzte Fragebogen wurde durch das Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz auf der Grundlage des aktuellen Forschungsstandes und eigener Projekterfahrung im Bereich Telemedizin entwickelt. Inhaltlich lässt sich der Fragebogen in 5 Module mit insgesamt 48 geschlossenen Fragen untergliedern; bei 5 Fragen waren zusätzlich Freitextantworten möglich ( Tabelle 1).

Die Auswertung der Befragungsergebnisse erfolgte deskriptiv mit Microsoft Excel 2013.

Ergebnisse

Im Beobachtungszeitraum vom 02.02. bis zum 02.03.2017 wurde die Online-Umfrage von insgesamt 281 Personen aufgerufen. Davon füllten 190 Personen den Fragebogen vollständig aus. Die folgenden Ausführungen beziehen sich ausschließlich auf die vollständig beantworteten Fragebögen (n = 190) und stellen erste Ergebnisse aus der Umfrage „Telemedizin in der Arbeitsmedizin“ dar.

Mehr als zwei Drittel der Teilnehmer sind Fachärzte/Fachärztinnen für Arbeitsmedizin (69 %, n = 131). Unter den übrigen Teilnehmern sind vorwiegend Ärzte/Ärztinnen in Weiterbildung (15 %, n = 29) vertreten, die verbleibenden Teilnehmer haben die Zusatzbezeichnung Betriebsmedizin oder sind Fachärzte anderer Fachrichtungen. Mehr als ein Drittel der Teilnehmer (39 %, n = 75) arbeitet als Werksärzte, je ein Fünftel sind niedergelassene Ärzte/Freiberufler (18 %, n = 35) bzw. bei einem überbetrieblichen Dienst beschäftigt (19 %, n = 36). Mehr als die Hälfte der Teilnehmer (59 %, n = 112) gibt an, vorwiegend große Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern zu betreuen, 22 % (n = 42) betreuen vorwiegend mittlere Unternehmen und 7 % (n = 14) kleine Unternehmen mit weniger als 50 Mitarbeitern. Aus allen deutschen Bundesländern mit Ausnahme von Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und dem Saarland sind Teilnehmer vertreten. Die meisten Teilnehmer geben ihr Alter zwischen 51 und 60 Jahren (39 %, n = 69) bzw. 41 und 50 Jahren an (49 %, n = 56). 17 % (n = 32) sind höchstens 40 Jahre alt und 16 % (n = 31) älter als 60 Jahre. Die Geschlechtsverteilung ist ausgewogen (47 %, n = 90 weiblich; 51 %, n = 97 männlich).

Welche Erfahrungen im Bereich Telematik (E-Health bzw. Telemedizin) liegen bei den Befragungsteilnehmer/innen vor und welche Verfahren sind derzeit im Einsatz?

Etwa ein Viertel der Befragten (23 %, n = 43) gibt an, bereits Verfahren der Telematik (E-Health bzw. Telemedizin) im Rahmen der arbeitsmedizinischen Betreuung einzusetzen. Dazu gehören vorrangig Anwendungen zur elektronischen Terminvereinbarung (15 %, n = 29). Weiterhin berichten die Teilnehmer über Erfahrungen im Bereich videounterstützter Beratungen für Arbeitgeber (4 %, n = 8), der Nutzung eines qualitätsgesicherten Portals, auf dem Fragen an Spezialisten gestellt werden können (4 %, n = 8) sowie der Durchführung von Videosprechstunden mit Arbeitnehmern (3 %, n = 6). Jeweils 3 % der Befragten geben an, dass sie bereits an einem telemedizinischen Konsil mit anderen Ärzten teilgenommen hätten und spezielle arbeitsmedizinische Apps zur Gesundheitsüberwachung am Arbeitsplatz (Telemonitoring) nutzten. Als konkrete Anwendungsbereiche werden darüber hinaus genannt: Einsatz elektronischer Anamnesebögen, Videoberatungen zu Gesundheitsschwerpunktthemen, wie z. B. zur Diabetesprävention und zum Grippeschutz, telemedizinische Übermittlung von Untersuchungsdaten, Online-Beratung für Mitarbeiter auf Reisen bzw. im Ausland sowie Videokonferenzen (z. B. Teilnahme an ASA-Sitzungen).

Dem gegenüber stehen drei Viertel der Befragten (77 %, n = 146), die bis zum Umfragezeitpunkt noch keine Erfahrungen mit telemedizinischen Anwendungen gemacht hatten. Als Hauptgründe werden u. a. das Fehlen einer geeigneten IT-Ausstattung (42 %, n = 79) sowie fehlende IT-Kenntnisse (9 %, n = 18) angegeben.

Wie wird die zukünftige Bedeutung der Telematik (E-Health bzw. Telemedizin) im Bereich der Arbeitsmedizin eingeschätzt?

Die große Mehrheit der Befragten (80 %, n = 152) geht davon aus, dass der Einsatz telemedizinischer Verfahren im Versorgungsbereich der Arbeitsmedizin generell an Bedeutung gewinnen wird. Etwa ein Drittel (35 %, n = 66) rechnet sogar mit einem starken Bedeutungszuwachs ( Abb. 1).

Für den eigenen Arbeitsbereich sind die Einschätzungen zur künftigen Bedeutung von Telemedizin (E-Health bzw. Telemedizin) konservativer. Aktuell können sich 43 % (n = 82) der Befragten vorstellen, selbst zukünftig telemedizinische Verfahren im Rahmen der arbeitsmedizinischen Betreuung anzubieten. Als Hindernisse bzw. Gründe, die aus Sicht der Befragten gegen den künftigen Einsatz telemedizinischer Verfahren sprechen, werden u.a. nicht geeignete IT-Infrastrukturen (24 %, n = 45), fehlende IT-Kenntnisse (11 %, n = 20) und eigene Vorbehalte wie „Ich halte nichts von Telemedizin“ genannt (7 %, n = 14). Weitere im Freitext angegebene Gründe sind u. a.: „fehlende Nachfrage bzw. Akzeptanz von Seiten der Kunden“, „zu hoher Aufwand“, „unklare Rechtslage“, „unzureichender Datenschutz“ und „Bevorzugung von persönlichen Kontakten“.

Für welche Bereiche ist die Telemedizin in der Arbeitsmedizin geeignet?

Als perspektivisch sinnvolle Einsatzmöglichkeiten telemedizinischer Verfahren und Telematik-Angebote in der Arbeitsmedizin erachten die Teilnehmer ein qualitätsgesichertes Portal, auf dem spezielle Fragen an Spezialisten gestellt werden können (62 %, n = 117), gefolgt von telemedizinischen Konsilen zwischen Ärzten (61 %, n = 115), videounterstützte Beratungen für Arbeitgeber (52 %, n = 98) und Videosprechstunden für Arbeitnehmer (48 %, n = 92). Die Verwendung von speziellen arbeitsmedizinischen webbasierten Anwendungen (Apps) zur Gesundheitsüberwachung am Arbeitsplatz im Sinne eines Telemonitoring sehen 45 % (n = 85) als Möglichkeit an.

Weitere (Freitext-)Vorschläge zum Einsatz der Telematik sind u.a. der Einsatz elektronischer Fragebögen z. B. im Rahmen der Anamnese und der psychischen Gefährdungsbeurteilung, die Übermittlung von Befunden an weiterbehandelnde Fachärzte, Videosprechstunden im Notfall oder wenn der Mitarbeiter nicht vor Ort sein kann.

Welche Chancen bietet und welche Risiken birgt Telemedizin in der Arbeitsmedizin?

Über die Hälfte der Teilnehmer (58 %, n = 111) beurteilt die Telematik als Möglichkeit, die arbeitsmedizinische Betreuung zu verbessern und ist der Ansicht, dass die Telematik in der Arbeitsmedizin mehr Chancen als Risiken für die betriebsärztliche Betreuung bietet (53 %, n = 100).

Der überwiegende Anteil der Befragten ist überzeugt, dass Telemedizin den Zugang zu arbeitsmedizinischen Beratungsleistungen insbesondere für kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU) verbessern kann (66 %, n = 125) und dass telemedizinische Verfahren bei der Betreuung von KMU die Versorgungsqualität verbessern können (58 %, n = 110). Auch die Betreuung von Betrieben in ländlichen Regionen könnte nach Ansicht von mehr als der Hälfte der Teilnehmer (59 %, n = 113) von telemedizinischen Verfahren deutlich profitieren.

Hinsichtlich wesentlicher rechtlicher Grundvoraussetzungen zeigt sich die überwiegende Mehrheit der Teilnehmer besorgt: Nur 16 % (n = 30) sehen den Datenschutz für die Durchführung telemedizinischer Verfahren als ausreichend gewährleistet an und lediglich 6 % (n = 12) halten das Haftungsrecht bei der Anwendung telemedizinischer Verfahren für ausreichend geklärt. Die meisten Teilnehmer (81 %, n = 153) sind sich einig, dass für die Anwendung telemedizinischer Verfahren spezielle Qualitätssicherungsmaßnahmen entwickelt werden müssen, dass die Einführung telemedizinischer Verfahren in der Arbeitsmedizin wissenschaftlich begleitet werden sollte (86 %, n = 165) und dass telemedizinische Verfahren verstärkt in die arbeitsmedizinische Fort- und Weiterbildung integriert werden müssen (63 %, n = 121). Ebenfalls sind die Teilnehmer für eine explizite Regelung der Anwendung telemedizinischer Verfahren in einschlägigen arbeitsmedizinischen Gesetzen (ASiG) und Verordnungen (ArbMedVV) (63 % (n = 121; s.  Abb. 2).

Diskussion

Ziel dieser Umfrage war, herauszufinden, inwieweit Arbeitsmediziner in Deutschland bereits Erfahrung mit der Anwendung von telemedizinischen Verfahren haben, wie sie die zukünftige Bedeutung der Telemedizin in der Arbeitsmedizin einschätzen, für welche Bereiche der Arbeitsmedizin sie telemedizinische Verfahren als sinnvoll erachten und welche Chancen und Risiken sie telemedizinischen Verfahren in der Arbeitsmedizin zuschreiben.

Die Ergebnisse zeigen, dass zwar einige der Befragten Unsicherheit, Unwissenheit und Skepsis gegenüber der Telemedizin äußern, dass aber für einen Großteil der Umfrageteilnehmer die positiven Aspekte und Chancen überwiegen, die telemedizinische Anwendungen im Bereich der Arbeitsmedizin bieten können. Die überwiegende Mehrheit schreibt der Telemedizin eine in Zukunft weiter zunehmende Bedeutung zu und weit mehr als die Hälfte der Befragten sehen in der Anwendung telemedizinischer Verfahren eine Möglichkeit, die arbeitsmedizinische Versorgung im Allgemeinen und insbesondere für KMU und Betriebe in ländlichen Regionen zu verbessern. Knapp die Hälfte der Befragten plant, zukünftig telemedizinische Verfahren im Rahmen der arbeitsmedizinischen Betreuung von Betrieben selbst einzusetzen.

Telemedizin ist im Versorgungsbereich der Arbeitsmedizin noch relativ neu und verschiedene Aspekte bzw. Voraussetzungen müssen entwickelt und optimiert werden. Insbesondere rechtliche Rahmenbedingungen, Haftungsrecht und Datenschutz erscheinen derzeit vielschichtig und komplex und werden von den meisten Befragten als unsicher und nicht ausreichend gewährleistet angesehen. Zum Datenschutz ist anzumerken, dass für telemedizinische Anwendungen dieselben datenschutzrechtlichen Grundsätze gelten wie auch sonst in der Medizin (Raptis 2015). Inzwischen existieren hierzu zwar umfangreiche Empfehlungen durch die Bundesärztekammer, darüber hinaus muss jedoch geklärt werden, ob bei der Anwendung telemedizinischer Methoden in der Arbeitsmedizin zusätzliche Anforderungen an den Datenschutz und die ärztliche Schweigepflicht bestehen. Insbesondere sollte geprüft werden, ob und in wieweit entsprechende Regelungen des Datenschutzes bei der Anwendung telemedizinischer Verfahren (z. B. Datenaustausch) im Sozialgesetzbuch VII getroffen werden müssen. Das Haftungsrecht bei der Anwendung telemedizinischer Methoden muss neben Fehlern durch den unmittelbar zuständigen Arzt auch Hard- und Softwarefehler bzw. Qualitätseinbußen bei der digitalen Datenübermittlung sowie die Verantwortlichkeit konsiliarisch hinzugezogener Ärzte berücksichtigen. Wenn sich Arzt und Patient/Proband in verschiedenen Ländern befinden, sind zudem länderspezifische Vorgaben zu beachten. Für eine sichere Anwendung telemedizinischer Verfahren müssen die rechtlichen Voraussetzungen noch weiter entwickelt sowie für die Anwender klarer und besser überschaubar werden.

Es ist zu erwarten, dass eine qualitativ hochwertige und effiziente Anwendung der Telemedizin insbesondere bei der Betreuung von Beschäftigten in Kleinunternehmen sowie an speziellen Arbeitsplätzen und bei neuen Arbeitsformen eine wesentliche Ergänzung zu konventionellen Betreuungsformen darstellen und die arbeitsmedizinische Versorgung verbessern kann. Selbstverständlich kann die telemedizinische Betreuung die direkte Beratung durch einen Arbeitsmediziner im Unternehmen vor Ort nicht ersetzten, diese jedoch ergänzen. Hierfür muss geprüft werden, inwiefern moderne Informations- und Kommunikationstechniken künftig in bestehende Arbeitsprozesse unterstützend integriert werden können. Dabei müssen die von der deutschen Ärzteschaft beschlossenen Vorgaben für eine gute Telemedizin ohne Abstriche auch auf die Arbeitsmedizin angewandt werden. Weiterhin setzt Telemedizin selbstverständlich auch in der Arbeitsmedizin fundierte fachmedizinische Kenntnisse und darüber hinaus relevante Kenntnisse zu den speziellen Arbeitsplatzverhältnissen voraus.

Um bei der Entwicklung und Einführung telemedizinischer Verfahren in der Arbeitsmedizin eine hohe Qualität und Sinnhaftigkeit zu gewährleisten, sollte eine kontinuierliche wissenschaftliche Begleitung erfolgen und es müssen spezielle Qualitätssicherungsmaßnahmen entwickelt werden. Zudem sollten telemedizinische Aspekte in die arbeitsmedizinische Fort- und Weiterbildung integriert werden.

Ausblick

Es ist davon auszugehen, dass eine gute Telemedizin bzw. die Anwendung telemedizinischer Methoden insbesondere die arbeitsmedizinische Versorgung in KKU deutlich verbessern kann. Wesentliche Voraussetzung der Anwendung sind arbeitsmedizinisches Facharztwissen und dezidierte Kenntnisse zu den jeweiligen Arbeitsplatzverhältnissen. Prinzipiell können telemedizinische Verfahren den Arbeitsmediziner vor Ort nicht ersetzen, sondern eine entsprechende Betreuung nur ergänzen.

Derzeit ist die Telemedizin noch nicht ausreichend in die arbeitsmedizinische Versorgung der Beschäftigten in Deutschland integriert, entsprechende Strukturen sind noch nicht implementiert. Um eine optimierte und anlassbezogene Telemedizin im Bereich der Arbeitsmedizin aufzubauen, sind wissenschaftliche Forschungsprojekte mit begleitender vergleichender Evaluation (Telemedizin versus direkte Betreuung vor Ort) unbedingt erforderlich. Entsprechende Vorhaben müssen sowohl bei der Planung als auch bei der Durchführung und der Evaluation engmaschig durch die Arbeitsmedizin begleitet werden. Die entsprechenden arbeitsmedizinischen Fachgesellschaften, insbesondere die Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (DGAUM) als Vertreterin der wissenschaftlichen Arbeitsmedizin in Deutschland, sollten entsprechend beteiligt werden. Eine Ausweitung der Datenschutzregelungen auf die Arbeitsmedizin (u. a. SGB VII) ist zu prüfen, haftungsrechtliche Aspekte müssen ausreichend geregelt und für den Anwender überschaubarer werden. Entscheidend ist zudem bei einer Einführung der Telemedizin in die Arbeitsmedizin und dem Aufbau entsprechender Versorgungsstrukturen, dass die Qualität der Betreuung im Vordergrund steht und die arbeitsmedizinische Versorgung der Beschäftigten nicht aufgrund wirtschaftlicher Interessen reduziert und/oder substituiert wird.

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Interessenskonflikt

Die Autoren erklären, dass keine Interessenskonflikte bestehen.

 

Für die Verfasser

Dr. med. Sabine Sedlaczek

Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der

Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Obere Zahlbacher Str. 67

55131 Mainz

ssedlacz@uni-mainz.de

Fußnoten

Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (Direktor: Prof. Dr. med. Dipl.-Ing. Stephan Letzel)

1 Dieser Artikel baut auf dem in der Zeitschrift ASU – Zeitschrift für medizinische Prävention (Ausgabe 04/2016) veröffentlichten Artikel „Telemedizin – eine zukunftsorientierte Methode für die Arbeitsmedizin“ von S. Letzel et al. auf.