Return to work after a mental crisis: the four-phase model of reintegration – A detailed discussion of findings from two studies
Background: Mental illnesses are the second most common diagnostic cause of sick leave in Germany. They increase the risk of unemployment and early disability pension. At the same time, reintegration into the workplace after a mental crisis is experienced as a challenge and is accompanied by uncertainty.
Methods: The four-phase model is based on the results of a qualitative study. In this study 20 return-to-work experts were interviewed. The interviews were analysed using the documentary method. This was supplemented by a qualitative longitudinal study in which 32 returned employees were interviewed. The employees‘ perspectives on the RTW process were reconstructed, which served to further differentiate the model.
Results: The model provides concrete suggestions for how individual, social and workplace conditions can be created in the return to work process in order to sustainably support reintegration after a mental health crisis. The key aspects are systematized into four phases. The model focuses on professional support that assists the self-efficacy of the returnees and keeps an eye on working conditions and relationships.
Conclusions: Sustainable reintegration is a systemic, open-ended and cooperative search process. It is flexible, oriented to the needs of the returnees and combines individual and company interests and resources. Good operational integration management not only depends on the motivation and behaviour of those returning or on the medical and therapeutic results, but is also shaped substantially by the working conditions and social interaction in the company and how the occupational integration management is organised.
Keywords: return to work – mental health crisis – occupational reintegration – qualitative study – four-phase model
ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2022; 58: 589–596
doi:10.17147/asu-1-301897
Return to Work nach psychischen Krisen: Das Vier-Phasen-Modell der Wiedereingliederung – Eine vertiefende Erörterung von Erkenntnissen aus zwei Studien
Hintergrund: Psychische Erkrankungen sind die zweithäufigste Diagnosegruppe bei Krankschreibungen in Deutschland. Sie erhöhen das Risiko, arbeitslos und frühberentet zu werden. Gleichzeitig wird die Wiedereingliederung nach einer psychischen Erkrankung betrieblich als herausfordernd erlebt und geht mit Handlungsunsicherheit einher.
Methodik: Das hier vorgestellte Vier-Phasen-Modell wurde anhand einer qualitativen Studie entwickelt, bei der zwanzig Interviews mit Return-to-Work-Expertinnen und -Experten geführt und mit der dokumentarischen Methode ausgewertet wurden. Ergänzend dazu wurden in einer qualitativen Längsschnittstudie 32 zurückgekehrte Beschäftigte befragt und die Perspektive der Beschäftigten auf den RTW-Prozess rekonstruiert, was der weiteren Differenzierung diente.
Ergebnisse: Das Modell gibt konkrete Anregungen, wie im Prozess der Rückkehr die individuellen, sozialen und betrieblichen Bedingungen gestaltet werden können, um eine Wiedereingliederung nach einer psychischen Krise
nachhaltig zu unterstützen. Die Schlüsselaspekte wurden in vier Phasen systematisiert. Im Mittelpunkt des Modells steht eine professionelle Begleitung, die die Selbstwirksamkeit der Zurückkehrenden unterstützt sowie die Arbeitsbedingungen und -beziehungen im Blick hat.
Schlussfolgerungen: Eine nachhaltige Wiedereingliederung ist ein systemischer, ergebnisoffener und kooperativer Suchprozess. Er ist flexibel, am Bedarf der Zurückkehrenden orientiert und verbindet individuelle mit betrieblichen Interessen und Ressourcen. Eine gute Wiedereingliederung ist nicht nur von den Zurückkehrenden, von ihrem Verhalten, Handeln, ihrem Engagement und dem medizinischen Verlauf der Erkrankung abhängig, sondern ganz wesentlich von den betrieblich sozialen Kontextbedingungen und von der Ausgestaltung des betrieblichen Eingliederungsmanagements.
Schlüsselwörter: psychische Erkrankung – Return to Work – betriebliche Wiedereingliederung – qualitative Studie – Vier-Phasen-Modell
Einleitung und Fragestellung
Etwa 28 % der erwachsenen Bevölkerung sind jedes Jahr in Deutschland von einer psychischen Erkrankung betroffen. Das entspricht fast 18 Millionen Personen (DGPPN 2023). Die häufigsten psychischen Erkrankungen in Deutschland sind Angststörungen (15,4 %), affektive Störungen (9,8 % insgesamt, davon 8,2 % unipolare Depression) sowie Störungen durch Alkohol- oder Medikamentenkonsum (5,7 %). Vor der Corona-Pandemie betrugen die krankheitsbedingten Abwesenheitszeiten von der Arbeit aufgrund dieser Erkrankungen durchschnittlich 35 Tage (Bundespsychotherapeutenkammer 2019), während der Pandemie, im Jahr 2021, durchschnittlich 39,2 Tage im Jahr pro Person (DAK-Psychreport 2022). Psychische und Verhaltensstörungen sind für 16,8 % der Arbeitsunfähigkeitstage verantwortlich (BAuA 2020). Auch sind fast 42 % der krankheitsbedingten Frühverrentungen auf psychische Erkrankungen zurückzuführen (Deutsche Rentenversicherung 2021). Die Beschäftigungsquote nach einer psychischen Krise beziehungsweise Erkrankung liegt bei 50–70 % (OECD 2012). Vor diesem Hintergrund sollten Konzepte der betrieblichen Wiedereingliederung weiterentwickelt werden, um die psychische Gesundheit und die Arbeitsfähigkeit der Beschäftigten nach einer psychischen Krise zu unterstützen. Eine Maßnahme ist das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM). Beschäftigten, die innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig waren, muss nach § 167 Abs. 2 SGB IX ein betriebliches Eingliederungsmanagement angeboten werden. Dadurch soll die aktuelle Arbeitsunfähigkeit (AU) überwunden und einer erneuten AU vorgebeugt werden, mit dem Ziel, den Arbeitsplatz zu erhalten. Die Datenlage zur Umsetzung des BEM in Deutschland ergibt eine Umsetzungshäufigkeit von BEM-Angeboten zwischen 30 und 95 % (Niehaus et al. 2008; Loerbroks et al. 2021). Auswertungen der repräsentativen Erwerbstätigenbefragung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) gemeinsam mit dem Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) von 2018 zeigen, dass weniger als die Hälfte der langzeiterkrankten Beschäftigten ein BEM-Angebot erhalten haben, das jedoch fast 70 % der betroffenen Beschäftigten annehmen (Wrage et al. 2022). Qualitative Studien der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA, Stegmann u. Schröder 2019) machen deutlich, dass es große Qualitätsunterschiede bei der Durchführung eines BEM gibt. Die Entwicklung wissenschaftsbasierter und verbindlicher Qualitätskriterien steht noch aus. Vor diesem Hintergrund stellten wir uns in zwei wissenschaftlichen Studien folgende Fragen: Was macht ein gutes BEM aus und wie kann die Umsetzung nachhaltig gelingen? Im Ergebnis entwickelten wir ein Vier-Phasen-Modell für die betriebliche Wiedereingliederung, das im Folgenden vorgestellt wird. Dabei nahmen wir den Return-to-Work-Prozess (RTW-Prozess) insgesamt in den Blick und verstehen darunter alle Handlungen, Maßnahmen und strukturellen Bedingungen, die auf eine nachhaltige Rückkehr zur Arbeit nach einer psychischen Krise beziehungsweise Erkrankung abzielen.
Methoden
Das hier vorgestellte Vier-Phasen-Modell der betrieblichen Wiedereingliederung basiert auf den Ergebnissen zweier qualitativer Studien der BAuA:
In der ersten Studie mit dem Titel „Kommunikatives Handeln als ein Faktor im betrieblichen Eingliederungsmanagement aus der Perspektive von Koordinatoren des Return to Work-Prozesses“ wurden zwanzig RTW-Expertinnen und -Experten interviewt (Stegmann u. Schröder 2016, 2018). Die Stichprobe umfasste Personen, die entweder als betriebliche oder als externe Expertinnen und Experten die Wiedereingliederung der zurückkehrenden Beschäftigten begleiteten. Interviewt wurden Psychologinnen und Psychologen, Betriebsärztinnen und -ärzte, Schwerbehindertenvertretungen und sonstige Akteure. Im Rahmen dieser Studie wurden ein- bis zweistündige Interviews durchgeführt, die im ersten Teil narrativ angelegt, im zweiten Teil leitfadengestützt waren. Ziel war es, den Interviewten die Möglichkeit zu geben, ihr Erfahrungs- und Handlungswissen in Bezug auf die Wiedereingliederung von Menschen mit psychischen Erkrankungen zu entfalten und darzustellen (Stegmann u. Schröder 2016, 2018). Die Auswertung der transkribierten Interviews erfolgte entlang der Unterscheidung von explizitem und implizitem Wissen mit der dokumentarischen Methode (Bohnsack 2014). Der Schwerpunkt der Analyse lag auf der Rekonstruktion des impliziten Wissens, um das Erfahrungs- und Handlungswissen der Expertinnen und
Experten beschreiben zu können. Auf einer generalisierenden Ebene wurden über kontinuierliche Fallvergleiche Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausgearbeitet.
Im Anschluss daran wurde eine Mixed-Methods-Studie mit dem Titel „Mixed-Methods-Follow-up-Studie zu Determinanten einer erfolgreichen Wiedereingliederung aus der Perspektive der Betroffenen“ durchgeführt. Die integrierte qualitative Teilstudie umfasste die Befragung von 32 zurückkehrenden Beschäftigten zu ihrem Erleben, Verhalten und Handeln in der psychischen Krise und im RTW-Prozess (Stegmann et al. 2021a). Dabei wurden Interviews zu drei Zeitpunkten geführt: nach einem Klinikaufenthalt aufgrund einer psychischen Krise, ein halbes und ein Jahr später. Auch diese Interviews gliederten sich in einen narrativen Teil, der den Beschäftigten die Möglichkeit bot, ihre Schwerpunktthemen im RTW-Prozess zu formulieren und einen leitfragengestützten Teil, indem unter anderem förderliche und hemmende Faktoren im RTW-Prozess erfragt wurden. Die Interviews wurden mit der dokumentarischen Methode analysiert und über Fallvergleiche zentrale Handlungsorientierungen und Themen rekonstruiert.
Die Basisversion des Vier-Phasen-Modells der Wiedereingliederung wurde auf der Grundlage der Befragung der RTW-Expertinnen und -Experten erarbeitet. Mit der Befragung der zurückkehrenden Beschäftigten wurde das Modell weiter ausdifferenziert. Die Ergebnisse der Studien wurden in einem ersten Schritt für die betriebliche Praxis aufbereitet und sind in die Broschüre mit dem Titel „Die Rückkehr gemeinsam gestalten. Wiedereingliederung nach psychischen Krisen“ (Stegmann et al. 2021b) eingeflossen. Im Folgenden werden die zentralen Ergebnisse beider Studien anhand der grundlegenden Faktoren des Wiedereingliederungsprozesses und des entwickelten Vier-Phasen-Modells dargestellt.
Ergebnisse
Das Vier-Phasen-Modell der betrieblichen Wiedereingliederung wurde als ein von den Einzelfallschilderungen der Interviewten abstrahiertes idealtypisches und damit verallgemeinerbares Modell der Wiedereingliederung nach psychischen Krisen entwickelt. Eine gute betriebliche Wiedereingliederung gelingt jedoch nur dann, wenn grundlegende Faktoren für den Wiedereingliederungsprozess gegeben sind, zeigt die Analyse der Interviews mit den Expertinnen und Experten und den zurückkehrenden Beschäftigten. Im Folgenden werden zuerst diese Faktoren kurz ausgeführt, danach das Vorgehen im Vier-Phasen-Modell beschrieben.
Die Basis für einen gelingenden RTW-Prozess
Zentrale Themen bezogen auf einen nachhaltigen RTW-Prozess in den Interviews mit den Expertinnen und Experten sowie den zurückkehrenden Beschäftigten waren:
Vertrauen beziehungsweise Vertrauensbeziehungen wurden von Expertinnen und Experten und zurückkehrenden Beschäftigten gleichermaßen thematisiert. Selbstwirksamkeit war vor allem ein Thema in den Interviews mit den zurückkehrenden Beschäftigten. Teamwirksamkeit im Sinne einer gemeinsamen, kollegialen Bewältigung der Wiedereingliederung war wiederum Thema bei allen Interviewten. Die professionelle Begleitung und Gesprächsführung war zentraler Gegenstand der Experteninterviews, wurde aber auch in den Interviews mit den Beschäftigten thematisiert – insbesondere als Wunsch an die BEM-Beauftragten. Sie sollten empathisch sein, die Zurückkehrenden nicht auf ihre Erkrankung reduzieren und wissen, wie Menschen mit einer psychischen Erkrankung empfinden und was sie brauchen. Der präventiven Gestaltung der Arbeitsbedingungen und -beziehungen wurde von beiden Seiten eine besondere Bedeutung zugemessen, aber oft auch als schwierig umsetzbar beschrieben, weil hierzu ein gut funktionierender Arbeits- und Gesundheitsschutz beziehungsweise ein entsprechendes BEM erforderlich ist.
Vertrauen
Vertrauen wird als Basis für den RTW-Prozess erlebt und muss im Verlauf der Rückkehr immer wieder erarbeitet und bestätigt werden. Es bildet die Grundlage für Offenheit, Transparenz, Verstehen und Möglichkeiten der Reflexion, ohne die ein gut funktionierender RTW-Prozess nicht auskommt. Eine RTW-Expertin beschreibt es wie folgt:
„Da ein Vertrauen aufzubauen, damit sie sich überhaupt erst einmal öffnet, um zu hören, was braucht sie denn eigentlich? Es geht ja darum, was der Mitarbeiter braucht, um gesund zu werden und zu bleiben.“ (CO1)1
Vertrauen bedeutet gleichfalls, Ängste zu respektieren und darauf empathisch einzugehen. Dazu gehört, dass zurückkehrende Beschäftigte häufig ihre Diagnose nicht offenbaren möchten und begleitende Unterstützung möglichst in einem anonymen Rahmen stattfinden soll. Für den RTW-Prozess ist eine Diagnose nicht notwendig. Allerdings wirkt ein offener Umgang häufig, sowohl für die Betroffenen als auch für das Arbeitsteam, entlastend. Ausschlaggebend ist, welche Arbeitstätigkeiten die Zurückkehrenden noch ausführen können, was sie sich zutrauen und wie die Arbeitsfähigkeit gestärkt werden kann. Förderliche Faktoren für den Aufbau von Vertrauen sind Begegnungen auf Augenhöhe, die fachliche und soziale Kompetenz der RTW-Expertinnen und - Experten, Kontinuität in der Zusammenarbeit sowie Verständnis und Akzeptanz seitens der Führungskräfte und des Arbeitsteams.
Selbst- und Teamwirksamkeit
Selbstwirksamkeit wird als subjektive Überzeugung verstanden, durch eigenes Handeln Prozesse beeinflussen und Anforderungen meistern zu können (Bandura 1995, 1999). Sie wirkt sich unmittelbar auf das Erleben, Verhalten und Handeln aus (s. oben). Ziele im RTW-Prozess sind die schrittweise Stärkung und Stabilisierung der Selbstwirksamkeit. Dies gelingt durch das Erproben neuer Handlungsorientierungen, Einstellungen und Verhaltensweisen. Im Betrieb gilt es daher, Handlungsspielräume zu schaffen, um den Zurückkehrenden Zeit und Raum für ein Weiterführen und ein Umsetzen der Einstellungs- und Verhaltensänderungen zu geben, die sie im Verlauf ihrer Auseinandersetzung mit ihrer psychischen Krise gewonnen haben. Dazu zählt insbesondere eine bessere Abgrenzungsfähigkeit gegenüber äußeren Anforderungen und inneren Ansprüchen (Stegmann et al. 2021b). Letztendlich ist es das Ziel, den Zurückkehrenden positive Bewältigungserfahrungen zu ermöglichen, denn ein hohes Gefühl von Selbstwirksamkeit fördert die Handlungsfähigkeit der zurückkehrenden Beschäftigten (Bandura 1999) und damit ihre Arbeitsfähigkeit. Der sozialen Unterstützung durch Kolleginnen/Kollegen und Vorgesetzte kommt dabei eine wesentliche Rolle zu. Menschliches Handeln und Erleben wird nicht nur durch Selbstwirksamkeitsüberzeugungen bestimmt, sondern auch durch Erwartungen, die die Wirksamkeit des Teams betreffen, dem eine Person angehört (Bandura 1995, 1999). Eine gute Teamwirksamkeit fördert demnach die Selbstwirksamkeit der Zurückkehrenden (s. oben). Wenn das Team als unterstützend erlebt wird, ermöglicht dies einen offenen Umgang mit der Erkrankung und den Herausforderungen während der Wiedereingliederung. Das Gefühl, sich aufeinander verlassen zu können und gemeinsam die Rückkehr zu meistern, schafft Vertrauen und ermöglicht es den zurückkehrenden Beschäftigten, ihr Verhalten und Handeln sowie ihre Bewältigungsstrategien gesundheitsförderlich auszurichten und im Arbeitsalltag angemessene Lösungen zu finden. Im günstigen Fall wirkt sich dies wiederum positiv auf das Team aus.
Professionelle Begleitung und Gesprächsführung
Die professionelle Begleitung im RTW-Prozess erfordert eine empathische Grundhaltung und zeichnet sich durch Perspektivenübernahme aus. Sie ist auf das Verstehen der Beteiligten und ihrer Situation ausgerichtet und dient dazu, zu einem möglichst realistischen Bild der Situation sowie der Rolle der beteiligten Akteure zu gelangen. Von den RTW-Expertinnen und -Experten verlangt dies im Dialog mit den Betroffenen in erster Linie ein Verstehen der Ausgangssituation und eine Verständigung über die Bedingungen der Rückkehr. Diese spezifische Zuwendung erfordert Offenheit, einen respektvollen Umgang sowie ein partizipatives Vorgehen. Zudem moderieren RTW-Expertinnen und -Experten im günstigsten Fall die Rückkehr und verknüpfen die Perspektiven der einzelnen Akteure. Ziel ist es, den Prozess für alle Beteiligten transparent und nachvollziehbar zu gestalten und zu gemeinsamen, tragfähigen Lösungen zu kommen. Eine RTW-Expertin formuliert es beispielsweise wie folgt:
„Wer ein funktionierendes Eingliederungsmanagement aufbauen will, (…) der muss sehr gute Vorarbeit leisten. Diese Vorarbeit ist mindestens die halbe Miete. Dazu gehört es, vorhandene betriebliche Netzwerke zu nutzen, sie miteinander zu verknüpfen und die Akteure davon zu überzeugen mitzumachen und die nicht erstaunt sind, wenn man anruft und sie um Unterstützung bittet.“ (BA6)
Präventive Gestaltung der Arbeitsbedingungen und -beziehungen
Die beste Wiedereingliederung stößt an ihre Grenzen, wenn die Arbeitsbedingungen und Arbeitsbeziehungen eine ständige Quelle der Überforderung sind. In den Interviews mit den zurückkehrenden Beschäftigten werden unter anderem kritische Arbeitsbedingungen und -beziehungen als Auslöser für psychische Krisen beschrieben. Thematisiert werden in diesem Zusammenhang vor allem hohe Arbeitsanforderungen, ständige Mehrarbeit, ein schlechtes Arbeitsklima und Konflikte am Arbeitsplatz. „Dabei erleben die Interviewten die Entwicklung der psychischen Krise als einen schleichenden Prozess, der sich über einen längeren Zeitraum entwickelt und in dessen Verlauf sie sich zunehmend verausgaben“ (Stegmann u. Sikora 2023, S. 5). Deshalb ist es vor allem für einen nachhaltigen Erfolg der Wiedereingliederung wichtig, kritische arbeitsbezogene Belastungs- und Beanspruchungskonstellationen zu reflektieren und nach Maßnahmen im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements zu suchen, die die Arbeitsfähigkeit der Zurückkehrenden stärken beziehungsweise sichern. Eine wirksame Präventionsarbeit zielt darauf ab, einer Überforderung durch die Arbeit entgegenzuwirken. „Sie stärkt die Ressourcen der Beschäftigten und Unternehmen, um die Arbeitsumwelt menschengerecht zu verändern“ (Stegmann u. Sikora 2023, S. 5).
Das Vier-Phasen-Modell für die betriebliche Wiedereingliederung
Das Vier-Phasen-Modell der betrieblichen Wiedereingliederung beschreibt ein idealtypisches Vorgehen der Wiedereingliederung nach einer psychischen Krise bzw. Erkrankung, das auf der Basis der genannten Studien entwickelt wurde. In der praktischen Umsetzung ist ein flexibles, auf den Einzelfall angepasstes Vorgehen unabdingbar, wobei es durchaus auch zu einem Überlappen der Phasen kommen kann (➥ Abb. 1).
Die Phase 1, genannt „Ko-Orientierung“, und die Phase 2, als „Koordinierung“ bezeichnet, dienen der Vorbereitung der Rückkehr in den Betrieb. Beide Phasen sind durch die Kommunikation mit den zurückkehrenden Beschäftigten und durch Betriebsgespräche mit den betrieblichen Schlüsselakteuren vor der Rückkehr in den Betrieb geprägt. Die Phase 3 als „Kooperation“ und die Phase 4 als „Erneute Ko-Orientierung“ benannt, markieren die Umsetzungsphase, in der zuerst eine Passung zwischen den individuellen sowie den sozialen und betrieblichen Bedingungen angestrebt und anschließend die Nachhaltigkeit der Rückkehr durch ein professionelles beziehungsweise sozial unterstütztes Selbstmanagement gesichert wird.
Phase 1: Ko-Orientierung – Verständnis, Verstehen und Verständigung
Ziele dieser Phase sind:
Im Mittelpunkt der ersten Phase stehen vertrauliche Vier-Augen-Gespräche zwischen den zurückkehrenden Beschäftigten und den RTW-Expertinnen und -Experten. Sie dienen dazu, sich ein Bild über die individuellen, sozialen und betrieblichen Anforderungen der Wiedereingliederung zu machen sowie das Selbstmanagement der Zurückkehrenden zu unterstützen. Sich ein Bild machen bedeutet, die psychische Krise in ihrer Individualität zu verstehen. Dazu gehört, Befürchtungen in Bezug auf die Rückkehr zu thematisieren, Stärken und Ressourcen der Beschäftigten zu erfassen, Arbeitsbedingungen und -beziehungen zu reflektieren, die die Rückkehr erschweren beziehungsweise unterstützen und dies mit der Frage zu verbinden: Was brauchen die Beschäftigten, um arbeitsfähig zu werden beziehungsweise zu bleiben? In den Interviews mit den zurückkehrenden Beschäftigten konnte herausgearbeitet werden, dass die Rückkehr häufig mit verschiedenen Ängsten verbunden ist. So fragen sich die Beschäftigten im Vorfeld, ob sie dem Arbeitsdruck gewachsen sind und ihre Arbeitsaufgaben wie vor der Krise bewältigen können. Sie setzen sich damit auseinander, wie Führungskraft und Kolleginnen/Kollegen auf die Rückkehr reagieren werden, ob ihnen Verständnis entgegengebracht wird und sie unterstützt werden. Bei längerer Abwesenheit kann es zu Unsicherheiten kommen, wenn sich die betrieblichen Abläufe geändert haben oder die Führungskraft gewechselt hat. Sich ein Bild zu machen heißt nachzuvollziehen, wie sich die Beschäftigten einerseits fühlen und dies andererseits in ein schlüssiges Gesamtverständnis der Rückkehrsituation einzuordnen. Sich ein Bild machen ist demnach eine gelingende Interpretationsleistung zwischen RTW-Expertinnen und -Experten und Zurückkehrenden. Ko-Orientierung bedeutet somit, eine gemeinsame Sichtweise auf die Hintergründe einer Krise zu entwickeln und darauf aufbauend eine angemessene RTW-Strategie zu erarbeiten. Die befragten RTW- Expertinnen und -Experten schildern den Prozess beispielsweise wie folgt:
„(…) dass ich mich irgendwie in die Situation reinversetzen kann, dass ich den Betroffenen verstehe. Ja, in seiner Angst, aber vielleicht auch in seiner Lust, wieder Arbeiten zu gehen, wieder Leistung zu bringen.“ (Psy2)
„Ich lass die Mitarbeiter (…) schildern: Wie es ihnen ergangen ist? Wie sie sich fühlen? Wo sie jetzt stehen, was sie sich (…) zutrauen? Was sie gerade machen? Und dann (…) versuche ich zu erfahren, wie sie selbst ihre Perspektive sehen, um zu verstehen, wo es hakt und wo ist das Problem.“ (BA3)
In der Phase der Ko-Orientierung ist es vorteilhaft, unterschiedliche Perspektiven im Blick zu haben und zu verbinden: die individuelle, die soziale und die betriebliche Sichtweise. Auch eine Abstimmung an der Schnittstelle zwischen dem medizinisch-therapeutischen System und dem Betrieb ist förderlich. Neben der Selbsteinschätzung der Zurückkehrenden ist es wichtig, die Einschätzung von Ärztinnen/Ärzten und/oder Therapeutinnen/Therapeuten, die Perspektive der direkten Vorgesetzten und der betrieblichen RTW-Expertinnen und -Experten zu integrieren.
Schwerpunkte der Phase 1 sind:
Phase 2: Koordinierung – einen Plan abstimmen
Ziele der zweiten Phase sind:
In vertiefenden Betriebs- und BEM-Gesprächen legen die betrieblichen Schlüsselakteure und die zurückkehrenden Beschäftigten gemeinsam fest, welche Maßnahmen vor und während der Wiedereingliederung begonnen werden. Grundlage sind die Ergebnisse aus Phase 1. Daran beteiligte Schlüsselakteure sind zum Beispiel BEM-Beauftragte, betriebliche Interessenvertretungen, Betriebsärztinnen/-ärzte, Personalverantwortliche, betriebliche Sozialarbeiterinnen/Sozialarbeiter und gegebenenfalls die Geschäftsführung. Besonders wichtig sind die direkten Vorgesetzten. Externe können Integrationsfachdienste, Renten- beziehungsweise Unfallversicherung, die Krankenkassen, behandelnde Therapeutinnen/Therapeuten sowie Ärztinnen/Ärzte einbezogen werden.
In den Interviews mit den Expertinnen und Experten sowie den zurückkehrenden Beschäftigten wird deutlich, dass die zweite Phase ein kooperatives Agieren notwendig macht, das auf Verstehen des Einzelfalls, der betrieblichen Situation und ein Verständigen darüber besteht. Kothe (2010) bezeichnet dies als einen kooperativen Such- und Verständigungsprozess, der bei der betrieblichen Wiedereingliederung wichtig ist. Dabei geht es um die Klärung, durch welche arbeitsbezogenen und arbeitsgestalterischen Maßnahmen die Wiedereingliederung bestmöglich gelingen kann. Voraussetzung ist eine Passung von individuellen Bedarfen und Ressourcen der Zurückkehrenden mit betrieblichen Ressourcen. Unter Umständen erfordert dies neue betriebliche Perspektiven und Herangehensweisen, die sich auch positiv auf das Arbeitsteam insgesamt auswirken können. Notwendig ist, einer Über- als auch einer Unterforderung der Zurückkehrenden vorzubeugen. Dazu können beispielsweise zeitlich befristete Maßnahmen festgelegt werden, wie zum Beispiel Arbeits- und Pausenzeiten flexibel zu handhaben, Kundenkontakte zu reduzieren und die Verantwortung schrittweise zu übertragen. Den Wiedereingliederungsprozess können gleichfalls außerbetriebliche Aktivitäten wie beispielsweise Coaching, Teilnahme an Selbsthilfegruppen, Psychotherapie, Ergotherapie etc. begleiten. Diese sind im Wiedereingliederungsplan zu berücksichtigen. Erfolgt die Rückkehr im Rahmen einer stufenweisen Wiedereingliederung (STWE), wie sie insbesondere nach einer psychischen Erkrankung vorteilhaft ist (Stegmann u. Schröder 2018), sind die Abfolge, Dauer und Inhalte der einzelnen Stufen, der zeitliche Umfang, die Tätigkeiten und die Belastung, die vermieden werden sollten und die Zeiträume für Feedbackgespräche festzulegen.
Schwerpunkte der Phase 2 sind:
Phase 3: Kooperation – Rückkehr ins Arbeitsteam
Ziele der Phase der Kooperation:
In dieser Phase kehren die Beschäftigten an den Arbeitsplatz beziehungsweise in den Betrieb zurück. Es ist die entscheidende Phase zur Umsetzung der in Phase 1 und Phase 2 geplanten Maßnahmen. Voraussetzung ist die konstruktive und flexible Zusammenarbeit aller Beteiligten, ein vertrauensvolles Miteinander im Team und gegenseitige Unterstützung. Beteiligt sind in erster Linie die zurückkehrenden Beschäftigten, die Kolleginnen und Kollegen sowie die Führungskraft. Einbezogen werden können zudem betriebliche Vertrauenspersonen wie zum Beispiel die BEM-Beauftragten, Betriebsärztinnen/-ärzte, Disability-Manager, Interessenvertretungen sowie externe Expertinnen und Experten wie zum Beispiel die behandelnden Ärztinnen/Ärzte, Therapeutinnen/Therapeuten, Coaches, Integrationsfachdienste etc.
Eine gute Maßnahme des Wiedereinstiegs nach langer Erkrankung ist die stufenweise Wiedereingliederung. Dazu sollte sie als therapeutische Maßnahme verstanden, gut vorbereitet und flexibel umgesetzt werden. Die Beschäftigten erproben während der STWE ihre berufliche Belastbarkeit, können mit Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen und Vorgesetzten Ängste beziehungsweise Unsicherheiten überwinden und ihre Selbstwirksamkeit in Auseinandersetzung mit der Arbeit zurückgewinnen. Im Interview schildert eine externe RTW-Expertin den Prozess beispielsweise wie folgt:
„So eine stufenweise Wiedereingliederung ist für den Betroffenen richtig harte Arbeit! Das geht ja nicht nur darum, wieder zurück in den Betrieb zu finden, sondern es geht auch darum, was anders zu machen! (…) Und das sind nicht immer nur die äußeren Bedingungen, das sind auch innere, nämlich mal ‚nein‘ zu sagen, (…) weil das bringt mich wieder in so eine Drucksituation, die ich nicht mehr will! Das habe ich mehrfach so in der Begleitung der stufenweisen Wiedereingliederung festgestellt, dass das wirklich eigentlich der zentrale Knackpunkt ist. Und da brauchen die auch Unterstützung. Weil das manchmal so Achterbahnfahrten sind: Ich kann nicht mehr, geht gar nicht, ich lass mich wieder krankschreiben! Nein!“ (PSY 5)
Deutlich wird, dass die individuelle, soziale und betriebliche Passung der Maßnahmen immer wieder überprüft und reflektiert werden muss. Auf der einen Seite ist es wichtig, dass die Zurückkehrenden genügend Raum und Zeit haben sich auszuprobieren, zum Beispiel anders mit Stress umzugehen und in diesem Kontext vermehrt auf ihre Gesundheit und ihre Belastungsfähigkeit und -grenzen zu achten. Andererseits brauchen sie in dieser Phase der stufenweisen Wiedereingliederung und des Ausprobierens die Rückendeckung beziehungsweise Unterstützung ihres Arbeitsteams. Dabei müssen sie diese Hilfe und Unterstützung angemessen einfordern, sie aber auch bekommen, ohne diese Hilfe überzustrapazieren. Zurückkehrende Beschäftigte schildern ihre Erfahrungen beispielsweise so:
„Es ist ein tolles Umfeld, und ich fühl mich einfach gut aufgehoben. Also wenn man sich wohlfühlt, dieser Wohlfühlprozess oder das Wohlfühlen als solches ist aus meiner Sicht ein Meilenstein.“
„Also ich kann da auch wirklich nichts Schlechtes sagen, weil ich sämtlichen Freiraum bekommen habe, und auch wenn ich Hilfe gebraucht habe, war immer jemand da. Auch meine Vorgesetzten waren grundsätzlich ansprechbar.“
Überdies sollte die STWE betrieblich gut durchdacht und gegebenenfalls angepasst werden, damit weder eine Über- noch eine Unterforderung damit verbunden ist, die die Rückkehr gefährdet. Gleichzeitig sollte die Rückkehr in Passung mit weiteren flankierenden Maßnahmen gebracht werden. Die beste STWE wird an ihre Grenzen kommen, wenn die Arbeitsbedingungen einen achtsamen Umgang mit der Gesundheit und den Einschränkungen der Erkrankung erschweren beziehungsweise unmöglich machen. Außerdem kann es sinnvoll sein, über die Zeit der STWE hinaus im Rahmen des BEM weitere Maßnahmen wie zum Beispiel eine befristete Arbeitszeitverkürzung zu vereinbaren, um genügend Raum für eine nachhaltige Bewältigung der Erkrankung zu ermöglichen oder beispielsweise bestimmte Tätigkeiten beziehungsweise Verantwortungen befristet auszusetzen. Die Aufgabe ist, eine optimale Passung und gegenseitige Ergänzung der Maßnahmen in Auseinandersetzung mit der Arbeit zu finden. Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang Reflexions- und Feedbackgespräche. Damit verbundene positive Erfahrungen stärken sowohl die Selbstwirksamkeit der Zurückkehrenden als auch die Teamwirksamkeit unter den Kolleginnen und Kollegen. Eine gute STWE und nachhaltige Rückkehr sind Teil einer abschließenden Krankheitsbewältigung und in diesem Sinne ein sozialer Dialog über die Bedingungen der Rückkehr und dessen flexibler Handhabung. Im Mittelpunkt stehen dabei die zurückkehrenden Beschäftigten, ihre Gesundheit und ihre Arbeitsfähigkeit, das heißt, die persönlichen, sozialen und betrieblichen Ressourcen, die notwendig sind, um erfolgreich und dauerhaft zurückzukehren.
Schwerpunkte der Phase 3 sind:
Phase 4: Erneute Ko-Orientierung – Selbstmanagement und Selbstfürsorge
Ziel der Phase 4 ist:
Damit eine Wiedereingliederung auf die Dauer nachhaltig sein kann, ist es aus der Perspektive der RTW-Expertinnen und -Experten erforderlich, dass die zurückgekehrten Beschäftigten im Arbeitsalltag selbstbewusst mit ihrer Erkrankung sowie achtsam mit den alltäglichen Arbeitsanforderungen und ihren Belastungsgrenzen umgehen. Dazu zählt, frühzeitig Anzeichen von Überforderung und Erschöpfung wahrzunehmen und angemessen darauf zu reagieren, aber auch die Position im Arbeitsteam durch Kontinuität zu festigen. Unterstützen können dabei Ansprechpersonen, die helfen, auftretende Probleme oder Überforderungen zu reflektieren. Dies können vertraute Kolleginnen beziehungsweise Kollegen sein, die auch betrieblich in dieser Rolle anerkannt werden:
„Da braucht man eine Person, wo derjenige hingehen kann. (…) Also jemand, mit dem sie wirklich offen sprechen können (…) Also wirklich wo ein Vertrauen besteht, dass derjenige, alles was ihm so begegnet, was ihn beschäftigt, auch rückmelden kann, ohne natürlich, dass es einen übermäßigen Umfang annimmt.“ (PSY 7)
Entscheidend ist hierbei, dass es sich um ein kollegiales Verhältnis handelt. Kolleginnen oder Kollegen sind keine professionellen Expertinnen/Experten, sondern können Erfahrungswissen einbringen. Dies kann dazu beitragen, Situationen zu reflektieren und Irritationen aufzulösen. Darüber hinaus sind die RTW-Expertinnen und -Experten gefragt, wenn sich beispielsweise Konflikte abzeichnen oder sich bei den zurückgekehrten Beschäftigten erneut ernsthafte Anzeichen einer psychischen Krise zeigen.
Schwerpunkte der Phase 4 sind:
Diskussion
Für eine gelingende Rückkehr zur Arbeit, insbesondere bei psychischen Erkrankungen, sind eine frühzeitige Vorbereitung und der rechtzeitige Zeitpunkt der Rückkehr wichtig. Dabei ist die Wiedereingliederung als ein systemischer, ergebnisoffener und kooperativer Suchprozess zu verstehen, der sich optimalerweise an den hier vorgestellten Schritten im präsentierten Vier-Phasen-Modell orientiert. Dieser Prozess sollte flexibel, am Bedarf der Zurückkehrenden orientiert sein und individuelle mit betrieblichen Interessen und Ressourcen verbinden (Riechert u. Habib 2017; Stegmann u. Schröder 2018). Eine förderliche Maßnahme dabei ist die stufenweise Wiedereingliederung, wenn sie als therapeutische Maßnahme verstanden wird, bei der die Zurückkehrenden ihre Arbeitsfähigkeit erproben und neue Verhaltensweisen anwenden können. Sie fördert den Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit, wenn betriebliche Akteure des BEM-Prozesses ihr Wissen um die Arbeitsplätze und die Organisationsstruktur im Unternehmen einbringen, Gestaltungspotenzial erkennen und die STWE damit bedarfsgerecht gestalten (Holzwarth et al. 2023). Ausgehend vom BEM wird im Vier-Phasen-Modell mit „Return to Work“ die Rückkehr zur Arbeit als ein umfassender Prozess verstanden: „Mit Return to Work (RTW) sind alle Strukturen, Maßnahmen und Aktivitäten gemeint, die auf eine rechtzeitige, erfolgreiche und nachhaltige Rückkehr zur Arbeit nach einer längeren Erkrankung abzielen. Zentral für RTW ist, dass betriebliche und überbetriebliche Maßnahmen zur Unterstützung der Rückkehr ineinandergreifen und aufeinander abgestimmt sind. Ausgangspunkt dafür ist die frühzeitige Vernetzung der therapeutischen mit der betrieblichen Arbeit. Die Auseinandersetzung mit dem Thema Arbeit beginnt dann spätestens mit der therapeutischen Behandlung. Im Falle eines Klinik- oder Rehabilitationsaufenthaltes sollte die Rückkehr zur Arbeit in der zweiten Hälfte des Aufenthalts besprochen werden“ (Stegmann et al. 2021b, S. 8). Die Rückkehr zur Arbeit und die Rehabilitation nach längerer Erkrankung sind ein komplexes Thema und eine bleibende Herausforderung für die Gegenwart und Zukunft der Arbeitsmedizin (Eglins u. Hilgers 2023). Die Empfehlung ist, dass Betriebsärzte die Herausforderungen im Betrieb professionell annehmen, sich vernetzen, informieren und fortbilden (s. oben). Eine gute Wiedereingliederung ist also nicht nur von den Zurückkehrenden – von ihrem Verhalten, Handeln und Engagement und dem medizinischen Verlauf der Erkrankung – abhängig, sondern ganz wesentlich auch von den betrieblich sozialen Kontextbedingungen und insbesondere von der Ausgestaltung des betrieblichen Eingliederungsmanagements.
Schlussfolgerungen
Ein nachhaltiger RTW-Prozess lässt sich an neuen und gelingenden Routinen für die Zurückkehrenden erkennen. Im Erleben und Verhalten der Interviewten zeigte sich eine nachhaltige Wiedereingliederung anhand:
Die Nachhaltigkeit eines RTW-Prozesses nach einer psychischen Krise wird dadurch beeinflusst, wie der Umgang mit psychischen Erkrankungen im Unternehmen gestaltet ist. Dies beinhaltet unter anderem den Abbau von Vorurteilen und die Schaffung einer Kultur der Akzeptanz psychischer Erkrankungen. Gleichzeitig sollte gesundheitsförderliches Verhalten insgesamt, betrieblich und individuell, gepflegt werden. Betrieblich förderlich ist zum Beispiel die Einbettung des RTW-Prozesses in eine (über-)betriebliche Präventionsarbeit. Dazu kann auch die Etablierung einer internen oder externen professionellen BEM-Begleitung gehören. Auch die Zusammenarbeit mit den behandelnden Ärztinnen/Ärzten, Therapeutinnen/Therapeuten und gegebenenfalls weiteren Expertinnen und Experten im BEM-Prozess ist Schnittstellenarbeit, die das BEM professionalisiert (Kohl et al. 2022). Insgesamt sind eine kontinuierliche Wissensvermittlung zum Beispiel durch Fortbildungen, insbesondere für Führungskräfte, und eine Kultur des offenen und vertrauensvollen Umgangs im Betrieb unverzichtbare Bestandteile betrieblicher Präventionsarbeit.
Finanzierung: Die Experten-Studie mit dem Titel: „Kommunikatives Handeln als ein Faktor im betrieblichen Eingliederungsmanagement aus der Perspektive von Koordinatoren des Return to Work-Prozesses - Eine qualitative Analyse zur Entwicklung eines Praxisleitfadens“ wurde aus Mitteln der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) gefördert. Die Studie „Psychische Erkrankungen in der Arbeitswelt und betriebliche Wiedereingliederung: Mixed-Methods-Follow-up-Studie zu Determinanten einer erfolgreichen Wiedereingliederung aus der Perspektive der Betroffenen“ (Projekt 2b – qualitativer Teil) wurde mit Mitteln der Deutschen Rentenversicherung Bund gefördert.
Interessenkonflikt: Das Autorenteam gibt an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.
Literatur
Bandura A: Social cognitive theory of personality. In: Pervin LA, John OP (eds.): Handbook of personality Theory and research. New York: Guilford Press, 1999, S. 154–196.
Bandura A: Exercise of personal and collective efficacy in changing societies. In: Bandura A (ed.): Self-efficacy in changing societies. Cambridge: University Press, 1995.
Stegmann R, Sikora A: Aus Krisen lernen. Ansatzpunkte für eine betriebliche Präventionsarbeit. baua: Aktuell 2023; 2: 5.
Bohnsack R: Rekonstruktive Sozialforschung: Einführung in qualitative Methoden.
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Veröffentlichungen, die das Vier-Phasen-Modell weiter ausführen:
Stegmann R, Sikora A., Schröder UB, Schulz IL, Wrage W, Wegewitz U: Die Rückkehr gemeinsam gestalten. Wiedereingliederung nach psychischen Krisen. https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Praxis/A106.html
Stegmann R, Schröder UB: Anders Gesund – Psychische Krisen in der Arbeitswelt. Prävention, Return-to-Work und Eingliederungsmanagement. Wiesbaden: Springer, 2018.
Kontakt
Ute B. Schröder
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA)
Fachgruppe 3.5 „Evidenzbasierte Arbeitsmedizin, Betriebliches Gesundheitsmanagement“
Nöldnerstraße 40–42, 10317 Berlin
schroeder.utebeate@baua.bund.de
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