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Mit einer Antwort der Autoren W. Roos und C. Vahl im Anschluss

„Infraschall aus technischen Anlagen“ – eine Replik

S. Bauer

F. Schertz

“Infrasound from technical installations” – a reply

Objective: The assumption that infrasound from wind turbines (WT-IS) is harmful to health is not plausible a priori and therefore requires solid scien­tific evidence. In their publication “Infrasound from technical installations – Scientific basis for an assessment of health risks” (ASU 07/2021), the authors Roos and Vahl claim to provide such evidence. The aim of this paper is to verify whether the argumentation of Roos and Vahl is suitable to support the conclusion of a supposed adverse health effect of WT-IS.

Methods: The validity of the argumentation and suitability of the literature citations quoted by Roos and Vahl as evidence for their statements were examined by reviewing the argumentation, the content of the cited references and the physical background.

Results: The argumentation contains glaring errors in logical structure, misrepresentation and misinterpretation of study results, and erroneous re­presentations of physical principles. A large number of statements are not supported by the references cited. Obvious conflicts of interest were not disclosed by the authors.

Conclusions: Due to the aforementioned weaknesses, the publication by Roos and Vahl does not represent a usable contribution to the current debate on the health effects of WT-IS. We call for a rational approach to the issue.

Keywords: infrasound – wind turbine – health effects

ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2022; 57: 53 –61

doi:10.17147/asu-1-161102

Infraschall aus technischen Anlagen“ – eine Replik

Zielstellung: Die Annahme, Infraschall aus Windenergieanlagen (WEA-IS) sei gesundheitsschädlich, ist nicht a priori plausibel und erfordert daher sorgfältige wissenschaftliche Belege. In ihrer Veröffentlichung „Infraschall aus technischen Anlagen – Wissenschaftliche Grundlagen für eine Bewertung gesundheitlicher Risiken“ (ASU 07/2021) behaupten die Autoren Roos und Vahl, solche Belege zu liefern. Ziel des vorliegenden Beitrags ist die Überprüfung, ob die Argumentation von Roos und Vahl dazu geeignet ist, die Schlussfolgerung einer vermeintlichen gesundheitsschädlichen Wirkung von WEA-IS zu untermauern.

Methoden: Die Validität der Argumentation und die Eignung der von Roos und Vahl angeführten Literaturzitate als Belege für die getroffenen Aussagen wurden durch Überprüfung der Argumentationsweise, des Inhalts der zitierten Literatur und der physikalischen Hintergründe untersucht.

Ergebnisse: Die Argumentation enthält eklatante Fehler im logischen Aufbau, falsche Wiedergabe und Interpretationen von Studienergebnissen sowie fehlerhafte Darstellungen physikalischer Grundlagen. Eine Vielzahl von Aussagen wird durch die angeführten Referenzen nicht belegt. Offensichtliche Interessenkonflikte wurden von den Autoren nicht offengelegt.

Schlussfolgerungen: Die Veröffentlichung von Roos und Vahl stellt aufgrund der genannten Schwächen keinen verwertbaren Beitrag zur aktuellen Debatte um gesundheitliche Wirkungen von WEA-IS dar. Wir rufen zu einem rationalen Umgang mit dem Thema auf.

Schlüsselwörter: Infraschall – Windenergieanlagen – gesundheitliche
Wirkungen

Einleitung

In der Veröffentlichung „Infraschall aus technischen Anlagen“ (Roos u. Vahl 2021) kündigen die Autoren eine „kausale Analyse von Infraschallwirkungen“ an. Trotz des allgemein gehaltenen Titels sind Windenergieanlagen (WEA) die ausschließlich diskutierten technischen Anlagen. Bei diesen soll es sich laut Roos und Vahl um die häufigsten Emittenten von technischem Infraschall (IS) handeln. Diese Behauptung ist unzutreffend, weil technische IS-Quellen wie Kühlschränke, Waschmaschinen, Heizungsanlagen, Ventilatoren und Kraftahrzeuge wesentlich weiter verbreitet sind als WEA. Die Autoren spekulieren, dass IS aus WEA (im Folgenden als WEA-IS bezeichnet) auf verschiedenen Wegen schädliche Wirkungen beim Menschen auslösen solle. Diese Hypothese erscheint a priori aus prinzipiellen Gründen unplausibel: Zwar ist unbestritten, dass WEA Infraschall emittieren. Dessen Schalldruck liegt jedoch um mehrere Größenordnungen unter den extremen Schalldrücken, bei denen körperliche Schäden nachgewiesen wurden, und ist sogar erheblich geringer als periodische Druckschwankungen, denen man bei Alltagstätigkeiten wie zum Beispiel beim Gehen regelmäßig ausgesetzt ist. In einer kürzlich veröffentlichen kritischen Analyse der Veröffentlichung von Roos und Vahl (Holzheu et al. 2021) wurden diese und weitere Gründe für die fehlende Plausibilität einer Gefahr durch WEA-IS ausgeführt.

Das Belegen einer von vorneherein unplausiblen Hypothese erfordert eine besonders sorgfältige wissenschaftliche Begründung. Hierbei müssen selbstverständlich auch die basalen Prinzipien des wissenschaftlichen Diskurses eingehalten werden. Beispielsweise sollte eine Referenz, die als Beleg für eine Aussage angeführt wird, auch tatsächlich den Inhalt der Aussage enthalten, und Kausalitätsbehauptungen dürfen sich nicht auf reine Korrelationen stützen.

Zielstellung

In diesem Beitrag soll nachvollzogen werden, ob die Argumentation der Autoren dazu geeignet ist, die Schlussfolgerung einer vermeintlichen gesundheitsschädlichen Wirkung von WEA-IS zu untermauern.

Methoden

Die Validität der Argumentation und die Eignung der von Roos und Vahl angeführten Belege als Untermauerung ihrer Ausführungen wurden durch Überprüfung der Argumentationsweise, des Inhalts der zitierten Referenzen und der physikalischen Aussagen untersucht.

Ergebnisse

Physikalische Sachverhalte werden von Roos und Vahl falsch interpretiert. Schall ist eine sich durch den Raum ausbreitende periodische Druckänderung, deren Ausmaß in der (linearen) Einheit Pascal (Pa) angegeben wird. Da der physiologisch relevante Druckbereich sich über mehrere Größenordnungen erstreckt, wird zur Darstellung häufig der logarithmische Schalldruckpegel in Dezibel (dB) verwendet. Der Schalldruckpegel wird als Logarithmus des Verhältnisses des gemessenen Schalldrucks zu einem Referenzschalldruck (20 µPa) angegeben. Eine Zunahme des Schalldruckpegels um 20 dB (Addition) bedeutet eine Verzehnfachung des Schalldrucks (Multiplikation). Zwischen einem Schalldruckpegel von 60 dB (=^ 20 mPa) und 80 dB (=^ 200 mPa) liegt eine Schalldruckdifferenz von 180 mPa. Zwischen 80 dB (=^ 200 mPa) und 100 dB (=^ 2000 mPa) ist bei gleicher Schalldruckpegeldifferenz die Schalldruckdifferenz mit 1800 mPa zehnmal so groß. Roos und Vahl suggerieren dagegen fälschlicherweise, dass gleiche Differenzen unterschiedlicher Schalldruckpegel gleichen Schalldruckdifferenzen entsprächen: In Abb. 1 ihrer Publikation zeigen sie eine spektrale Darstellung von IS-Messungen aus der Nähe von WEA (Bhatarian u. Beaudry 2015, dort: Fig. 4), die hier nochmals in ➥ Abb. 1 (a) dargestellt ist. Über den Vergleich der Messung außerhalb (grüne Kurve) und innerhalb des Gebäudes (rote Kurve) behaupten die Autoren: „Frequenz und Amplitude der genannten Infraschallpeaks bleiben jedoch unverändert. Der durch den Wind selbst verursachte Schalldruck ist im Gebäude vermindert, nicht aber die von der Anlage emittierten Pulse.“ Um zu verdeutlichen, dass diese Aussage falsch ist, haben wir die identischen Messdaten in Abb. 1 (b) linear als Schalldruck dargestellt. Es ist offensichtlich, dass die Schalldruckamplituden innen und außen bei Weitem nicht – wie von Roos und Vahl behauptet – „unverändert bleiben“, sondern innen wesentlich geringer sind als außen. Obwohl Roos und Vahl in der oben genannten Analyse ihrer Veröffentlichung (Holzheu et al. 2021) auf ihren Irrtum hingewiesen wurden, beharrten sie in ihrer Antwort darauf, „dass die gemessenen Peaks, sowohl bei der Grundfrequenz als auch bei den Frequenzen der Oberschwingungen, im Gebäude sehr ähnliche Amplituden besitzen wie im Außenbereich: Die Druckdifferenz [sic!] zwischen dem Messwert vor dem Peak und der Peakspitze beträgt z. B. 16 dB bei der Harmonischen „3x BPF“, sowohl outdoor als auch in-house.“ In Wahrheit beträgt die Druckdifferenz („Amplitude“) des Peaks „3x BPF“ innerhalb des Gebäudes 0,4 mPa, außerhalb dagegen 10,4 mPa, also das 26fache (s. Vergrößerung in Abb. 1b). Aus der Betrachtung einer isolierten Druckpegeldifferenz, wie Roos und Vahl sie vornehmen, lässt sich grundsätzlich keine Druckdifferenz und damit auch keine Aussage über das Ausmaß einer physikalischen oder biologischen Wirkung ableiten (verdeutlicht durch obiges Beispiel: Die Schalldruckpegeldifferenz zwischen 60 dB und 80 dB beträgt 20 dB, die Schalldruckdifferenz beträgt 180 mPa; die Schalldruckpegeldifferenz zwischen 80 dB und 100 dB beträgt ebenfalls 20 dB, die Schalldruckdifferenz dagegen 1800 mPa).

Als Ursache für die Unterschiede der Schalldruckpegel zwischen Innen- und Außenmessung vermuten Roos und Vahl in ihrer Antwort auf die Kritik von Holzheu et al. „verschiedene Windstärken“ und ignorieren dabei, dass im Originalartikel und sogar in der von ihnen selbst übernommenen Abbildung für beide Messungen identische Windverhältnisse (8 miles per hour, Windrichtung Nordwest) angegeben sind.

Wie oben erläutert ist Schall eine sich durch den Raum ausbreitende periodische Druckänderung. Im Alltag ist der menschliche Körper allein durch die Höhenabhängigkeit des statischen Luftdrucks ständig periodischen Druckänderungen ausgesetzt. Beim gewöhnlichen ebenerdigen Gehen auf Meeresspiegelhöhe erfährt eine Körperstelle (z. B. Ohr) bei einem Fersenhub von 2 cm bei jedem Schritt eine Druckdifferenz von 0,25 Pa. Bei üblichem Gehtempo liegt diese periodische Änderung im niedrigen Hertz-Bereich. Die Druckdifferenz ist also bei vergleichbarer Frequenz ca. 25-mal so groß (entspricht dem IS von 625 WEA) wie die der signalstärksten BPF aus Abb. 1 (3x BPF), entsprechend einem Infraschalldruckpegel von ca. 80 dB. Auf einer Schaukel mit einer vertikalen Auslenkung von 80 cm erfährt das Ohr der schaukelnden Person zwischen niedrigster und höchster Position eine Luftdruckänderung von ca. 10 Pa (ca. 1000fache Druckdifferenz zu 3x BPF außen in Abb. 1, entsprechend 1 Million WEA), was einem Schalldruckpegel von 115 dB gleichwertig ist. Diese Verhältnisse veranschaulichen, dass periodische Druckschwankungen dieser Größenordnungen für den menschlichen Körper unproblematisch sind.

Weiterhin enthält die Veröffentlichung erhebliche Fehler bei der Folgerichtigkeit der Argumentation, der Interpretation von Studienergebnissen und dem Beleg von Aussagen durch zitierte Quellen:

  • Zunächst setzen die Autoren – ohne mögliche andere Ursachen für gesundheitliche Beschwerden auch nur in Betracht zu ziehen – bereits als gegeben voraus, dass WEA-IS „schwere Schlafstörungen und deren Folgeschäden“ verursache. Genannt werden „Schwindelanfälle, Angstgefühle, verminderte Atemfrequenz, Depressionen und Hypertonie“. Als „Belege“ für die postulierte kausale Rolle des Infraschalls führen die Autoren allerdings nicht etwa begutachtete Studien an, sondern verweisen auf
  • a) ein technisches Gutachten, in dem keinerlei gesundheitliche Wirkungen untersucht wurden (Bahtarian u. Beaudry 2015);

    b) die Auftragsstellungnahme eines Pflanzenkundlers für eine Anti-Windenergie-Initiative (Stelling 2015); diese Stellungnahme enthält keine Originaldaten, sondern besteht im Wesentlichen aus der Wiedergabe von Ausschnitten aus Kongress- und Messberichten, Zeitungsartikeln, Briefen, Aussagen bei Gerichtsverhandlungen, unsystematischen Fallberichten und Papern. Keine dieser Quellen enthält allerdings irgendeinen Nachweis dafür, dass WEA-IS für gesundheitliche Beschwerden ursächlich ist, und keine der zitierten Untersuchungen wies ein Design auf, das einen solchen Nachweis erlaubt hätte;

    c) ein nicht begutachtet veröffentlichtes Dokument eines Arztes, der selektiv Personen befragte, die vermuteten, dass bei ihnen bestehende gesundheitliche Beschwerden durch WEA hervorgerufen worden seien, und der aus dieser durch die Auswahl der Personen gezielt herbeigeführten Korrelation den ungültigen Schluss zieht, dass WEA-IS die Symptome verursacht haben müsse (Kaula 2019). Die Veröffentlichung berücksichtigt weder Confounder noch Verzerrungen und enthält weder Expositionsmessungen noch eine Kontrollgruppe.

    Keine dieser Referenzen kann auch nur ansatzweise begründen, warum ausgerechnet Infraschall für die von einigen WEA-Anwohnern geäußerten Beschwerden verantwortlich sein soll.

  • Anschließend äußern die Autoren, dass Infraschall Zellmembranprozesse beeinträchtige, Apoptose auslöse und negative Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System und die Mikrozirkulation habe. Als Beleg werden Untersuchungen genannt, in denen IS-Druckpegel zwischen 110 dB und 132 dB appliziert wurden. Dies entspricht dem 500- bis 7000fachen des IS-Drucks, der in einigen hundert Metern Entfernung von WEA typischerweise auftritt. Um einen Schalldruck von 110–132 dB zu erreichen, wären in gleicher Entfernung ca. 250.000 bis 49 Millionen WEA erforderlich. Die aufgeführten Arbeiten sind somit gänzlich ungeeignet, eine schädliche Wirkung von WEA-IS zu belegen.
  • Da den Autoren offenbar bekannt ist, dass ein Transfer der unter 2) genannten Studienergebnisse auf WEA-IS wegen der hier um mehrere Größenordnungen geringeren Schalldrücke nicht möglich ist, wird sodann hilfsweise behauptet, dass nicht die absolute Höhe des IS-Drucks ausschlaggebend für eine biologische Wirkung sei, sondern das „Ausmaß kurzzeitiger Änderungen“. Belegt werden soll dies durch eine rein technische Referenz, in der allerdings keinerlei biologischen Wirkungen untersucht wurden (Dooley u. Metelka 2014), sowie durch eine Arbeit, die sich auf Belästigung durch Schall aus WEA bezieht (Palmer 2017); eine Diskriminierung zwischen Hörschall und teilweise miterfassten IS-Anteilen ist in dieser Arbeit nicht möglich, so dass IS vom Autor folgerichtig nicht einmal erwähnt wird.
  • Ein markantes Beispiel möge die ungeeignete Verwendung von Literaturzitaten durch Roos und Vahl illustrieren. Die Autoren schreiben: „Auch die Membranpermeabilität von Ratten-Erythrozyten war nach Infraschallexposition (13–30 Hz, 114 dB) erhöht (Sharipova 2013)“. Tatsächlich wurden in dieser Veröffentlichung verschiedene Wasserproben für 3 Sekunden bis 1 Stunde Infra- und Hörschall (13–30 Hz, laut Autorin „10,9–14 dB“ (nicht 114 dB!)) ausgesetzt. (Der von Sharipova angegebene Schalldruckpegelbereich ist bereits aus messtechnischen Gründen höchst fragwürdig.) Anschließend wurde das Wasser an Ratten verfüttert (!), es wurde Blut entnommen und die Hämolyserate gemessen. Eine angeblich erhöhte (aber anhand der Datendarstellung nicht nachvollziehbare) Hämolyserate bei manchen Expositionsdauern wird von der Autorin dadurch „erklärt“, dass das Trinkwasser die mechanische Schallenergie durch „Bioresonanz“ gespeichert und in „thermische, biochemische und bioelektrische Energie“ umgewandelt habe. Das absurde Design und die abwegigen Schlussfolgerungen der Autorin erlauben selbstverständlich keinerlei Rückschlüsse auf Effekte von IS auf Zellmembranen. Wenig später führen Roos und Vahl zur selben Referenz aus: „[…] Sharipova (2013) berichtete über unspezifische Entzündungsprozesse, die durch Infraschall (13–30 Hz bei 114 dB) ausgelöst wurden, gefolgt von einer perivaskulären Koronarsklerose.“ Entzündungsprozesse oder Koronarsklerose wurden in der Arbeit aber überhaupt nicht untersucht.

    Einige Referenzen belegen sogar das Gegenteil der von Roos und Vahl aufgestellten Behauptungen. Eine Auswahl falsch verwendeter Zitierungen zeigt ➥ Tabelle 1.

    Tabelle 1:  Einige Aussagen aus dem Beitrag „Infraschall aus technischen Anlagen“, die von den Autoren angeführte Quellen der Aussagen und tatsächlicher Inhalt der zitierten Referenzen. Referenzen in Roos u. Vahl 2021. IS = Infraschall; WEA = WindenergieanlagenTable 1: Some statements from the paper „Infrasound from technical installations“, the sources of the statements cited by the authors and actual content of the cited references. References in Roos and Vahl 2021. IS = infrasound; WEA = wind turbines

    Tabelle 1: Einige Aussagen aus dem Beitrag „Infraschall aus technischen Anlagen“, die von den Autoren angeführte Quellen der Aussagen und tatsächlicher Inhalt der zitierten Referenzen. Referenzen in Roos u. Vahl 2021. IS = Infraschall; WEA = WindenergieanlagenT
    able 1: Some statements from the paper „Infrasound from technical installations“, the sources of the statements cited by the authors and actual content of the cited references. References in Roos and Vahl 2021. IS = infrasound; WEA = wind turbines

    Diskussion

    Die Argumentation von Roos und Vahl ist aufgrund zahlreicher Fehler ungeeignet, die Schlussfolgerung einer gesundheitsschädlichen Wirkung von WEA-IS zu untermauern. Neben offenkundigen Falschdarstellungen physikalischer Zusammenhänge stammen die Fehler überwiegend aus dem Bereich elementarer Grundlagen wissenschaftlicher Arbeitsweisen, mit denen Universitätsprofessoren im Ruhestand aus ihrer langjährigen Forschungstätigkeit vertraut sein sollten.

    Die Autoren geben explizit an, dass keine Interessenkonflikte bestünden. Interessenkonflikte sind „Situationen, die ein Risiko [!] dafür schaffen, dass professionelles Urteilsvermögen oder Handeln, welches sich auf ein primäres Interesse bezieht, durch ein sekundäres Interesse unangemessen beeinflusst wird“ (Lieb et al. 2011). Solche Situationen liegen offensichtlich bei beiden Autoren vor: Prof. Roos ist Vorsitzender des Vereins „Schwarzwald Vernunftkraft“, der unter anderem „den Schutz der Bürger vor den Gesundheitsrisiken durch industrielle Windenergie-Anlagen“ als Ziel angibt (https://www.schwarzwald-vernunftkraft.de/vorstand.html, zuletzt abgerufen am 2.9.2021). Prof. Vahl hat eine Spende in Höhe von 1 Million Euro „aus der Wirtschaft“ zur Erforschung von Infraschallwirkungen erhalten (https://arbeitsgruppe-infraschall-uni-mainz.de/, zuletzt abgerufen am 2.9.2021). Diese Interessenkonflikte hätten die Autoren offenlegen müssen.

    Schlussfolgerungen

    Die Veröffentlichung von Roos und Vahl stellt wegen erheblicher Fehldarstellungen keinen verwertbaren Beitrag zur aktuellen wissenschaftlichen Diskussion um gesundheitliche Wirkungen von WEA-IS dar. Wir rufen zu einem rationalen Umgang mit dem Thema auf. Die Beachtung von Grundregeln wissenschaftlichen Arbeitens ist hierfür eine notwendige Voraussetzung.

    Interessenkonflikt: Die Autoren sind als Fachreferenten in der Abteilung für Immissionsschutz im Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität Rheinland-Pfalz tätig. Das Manuskript entstand eigeninitiativ aus wissenschaftlicher Motivation und nicht auf Anforderung der Leitung des Ministeriums.

    Literatur

    Bahtiarian M, Beaudry A: Infrasound Measurements of Falmouth Wind Turbines Wind #1 and Wind #2. https://lakeontarioturbines.com/wp-content/uploads/2018/10/Infrasound-M… (zuletzt abgerufen am: 1.9.2021).

    Campbell K, Wu Y, Kirkpatrick D, Slinker BK: Myocardial contractile depression from high frequency vibration is not due to increased cross-brdige breakage. Am J Physiol 1998; 274: H1141–H1151.

    Dooley KA, Metelka A: Acoustic interaction as a primary cause of infrasonic spinning mode generation and propagation from wind turbines. Proceedings of Meetings on Acoustics 2014; 20: 040002.

    Hensel J et al.: Impact of infrasound on the human cochlea. Hearing Res 2007; 233: 67–76.

    Holzheu S, Koch S, Hundhausen M. Infraschall von Windenergieanlagen: keine Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung. Eine kritische Analyse des Artikels von W. Roos und C. Vahl: „Infraschall aus technischen Anlagen“. ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2021; 56: 420–430.

    Jones GP et al.: The vestibular system mediates sensation of low-frequency sounds in mice. J Assoc Res Otolaryngol 2010; 11: 725–732.

    Kaltenbach JA, Godfrey DA: Dorsal cochlear nucleus hyperactivity and tinnitus: are they related? Am J Audiol 2008; 17: 148–161.

    Kamp I von, Berg F v.d.: Health effects related to wind turbine sound, including low-frequency sound and infrasound. Acoust Aust 2018; 46: 31–57.

    Kaula S: Untersuchung zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen von Anwohnern durch den Betrieb von Windenergieanlagen in Deutschland anhand von Falldokumentationen. https://windveto.org/.cm4all/mediadb/Aktuelles/DSGS%20Studie.pdf (zuletzt abgerufen am: 1.9.2021).

    Lieb K, Klemperer D, Koch K et al.: Interessenkonflikte in der Medizin: Mit Transparenz Vertrauen stärken. Dtsch Arztebl 2011; 108: A-256.

    Lousinha A, Oliveira MJ, Borrecho G et al.: Infrasound induces coronary perivascular fibrosis in rats. Cardiovasc Pathol 2018; 37: 39–44.

    Palmer WKG: Why wind turbine sounds are annoying, and why it matters. Global Environ Health Safety 2017; 1: 12–17.

    Roos W, Vahl C: Infraschall aus technischen Anlagen. Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2021; 56: 420–430.

    Sharipova S: Osmotic resistance of blood erythrocytes at rats uncover in vitro infra­sonic waves action. Internat J Biol Chem 2013; 5: 18–23.

    Stelling K: Infrasound/low frequency noise and industrial wind turbines. Information report, Multi-municipal wind turbine working group. https://docs.wind-watch.org/Infrasound-wind-turbines-4-August-2015.pdf (zuletzt abgerufen am: 1.9.2021).

    Kontakt

    Dr. med. Sebastian Bauer

    Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität Rheinland-Pfalz
    Kaiser-Friedrich-Straße 1
    55116 Mainz
    Sebastian.Bauer@mkuem.rlp.de

    Antwort auf den Beitrag von Bauer und Schertz zum Artikel Roos und Vahl (ASU 07/2021)

    Es ist erfreulich, wenn unsere Übersichtsarbeit eine kritische Resonanz auslöst, die zur Entdeckung möglicher Fehler und zur besseren Kenntnis des dargestellten Problems führen kann. Bei der Lektüre des Beitrags von Bauer und Schertz (B/S) entsteht jedoch bald der Eindruck, es gehe den Autoren mehr um eine Diskreditierung des genannten Artikels als um Erkenntnisgewinn, obwohl sie zuletzt eine rationale Sicht auf das Thema fordern. Noch vor einer inhaltlichen Diskussion wird dem Artikel eine „unplausible Hypothese“ unterstellt. Zur Begründung dient eine simplifizierte Betrachtungsweise, die eine Gesundheitsgefahr allein aus dem Vergleich der Spitzenwerte des Infraschalldrucks ableitet (s.u.). Sie wurde von uns bereits als unzureichend charakterisiert (Antwort auf Holzheu et al. ASU 11: 2021). Im Einzelnen nehmen wir wie folgt Stellung (soweit nicht anders angegeben, beziehen sich Referenzen auf unseren Artikel, Roos u. Vahl, ASU 2021; 56(7).

    1. Zu den physikalischen Charakteristika des Infraschalls aus Windanlagen

  • Es erscheint wenig sinnvoll, Haushaltsgeräte und Kraftfahrzeuge als Emittenten von technischem Infraschall mit Windanlagen zu vergleichen, vor allem wegen der ungleich größeren Dimensionen, Reichweiten ihrer Emissionen und der flächenhaften Exposition von Mensch und Tier.
  • Die am weitesten verbreitete Darstellung des Infraschalls aus Windanlagen sind Frequenzspektren. Darüber darf nicht vergessen werden, dass die zugrunde liegenden Zeit-Druck-Kurven die unmittelbar wahrnehmbare Emission abbilden.
    Das kritisierte Frequenzspektrum (Abb. 1, zitiert aus Bahtiarian u. Beaudry 2015) basiert auf Schalldruckpegeln. Die Markierung der y-Achse in dieser Abbildung ist (möglicherweise zu stark) vereinfacht, bleibt aber eindeutig, da „dB“ als Maßeinheit des Schalldruckpegels bekannt ist – im Gegensatz zu Pa für den Schalldruck. (Die Originalabbildung ist jederzeit zugänglich.)
  • Der zentrale Dissens zwischen unserer Auffassung und den Einwendungen von Bauer/Schertz besteht in der Interpretation der Druckpeaks, die im Infraschallbereich emittiert werden. Es besteht zunächst Übereinstimmung, dass diese Peaks nicht einfache Druckunterschiede widerspiegeln, sondern das Maß der Verstärkung des momentanen Luftdrucks. Wir räumen ein, den ungenauen Begriff „Druckunterschied“ in unserer Antwort auf Holzheu et al. 2021 einmal übersehen zu haben, weisen aber darauf hin, dass an dieser Stelle die Differenz der Messwerte korrekt in dB (und damit als eine Pegeldifferenz) benannt wird. Eine Differenz von 20 dB entspricht bekanntlich einer Verzehnfachung des Schalldrucks, die von uns als Beispiel erwähnten 16 dB (gemessen an der Harmonischen 3x BPF) also einer Erhöhung um den Faktor 6,3. Etwa um diesen Faktor steigt also der Schalldruck bei Ankunft eines Druckpeaks, unabhängig von seinem jeweiligen Anfangswert, der meist nahe am Hintergrundschall liegt. Der Versuch von Bauer/Schertz, die Ergebnisse von Bahtiarian u. Beaudry (2015) in Pascal, also delogarithmiert, darzustellen, bestätigt nur, dass die maximal messbaren Werte des Schalldrucks nicht das entscheidende Kriterium für die Quantifizierung von Infraschallwirkungen aus WEA sein können: Bei dieser Darstellung erscheinen die Druckunterschiede im Haus (rot) verschwindend gering, obwohl die Anwohner dort über erhebliche Schlafstörungen und Unwohlsein berichteten. Wesentlich ist auch, dass die Druckpeaks bei stehender Anlage völlig verschwinden (s. unten).
  • Wir unterschätzen nicht die Tatsache, dass die Frequenzspektren der genannten Abb. 1, soweit sie im Haus gemessen wurden, durchweg niedrigere Schalldruckpegel zeigen als im Freien. Wir stellen fest, dass die Autoren dafür keine schlüssige Erklärung anbieten und folgen ihrer Vermutung, dass die Unterschiede durch den anliegenden Wind (Hintergrundschall) bedingt sind. Dies legen auch andere Frequenzspektren aus derselben Publikation nahe. Wir folgen nicht der schon von Holzheu et al. geäußerten Auffassung (Holzheu et al., ASU 2021; 56(11)), die Differenz der Frequenzkurven zeige die Dämmung durch das Gebäude, da die geringe Dämmbarkeit für diesen Infraschallbereich gut bekannt ist (u.a. RKI 2007). Für die Bewertung der gesundheitlichen Wirkung kommt es aber nicht auf diesen Unterschied an, sondern auf folgende Ergebnisse:
  • a) Die Höhe der Druckpeaks (in dB) über dem jeweiligen Hintergrundschall ist etwa gleich im Haus und im Freien. Damit entsteht bei jedem Flügeldurchgang am Mast etwa dieselbe Verstärkung (Vervielfachung) des momentanen Luftdrucks.

    b) Bei abgeschalteter Anlage verschwinden die Peaks vollständig, was ihre Auslösung durch die rotierenden Flügel unterstreicht. Nicht durch Bahtiarian u. Beaudry (2015), aber in zahlreichen anderen Studien wird übereinstimmend berichtet, dass der Hintergrundinfraschall (messbar als statistisches Rauschen des Windes an stehender Anlage) keine der bekannten gesundheitlichen Beschwerden auslöst. Auch experimentelle Daten weisen darauf hin, dass zum Beispiel sinusförmiger Infraschall (ohne Druckpeaks) bei Schalldruckpegeln unter 90 dB keine pathologischen Veränderungen an Myokardzellen bewirkt (Vahl et al., unveröffentlicht). Die Peaks, das heißt die periodische Verstärkung des anliegenden Schalls, sind also sehr wahrscheinlich die Hauptquelle des Gesundheitsrisikos, auch wenn sie von verschiedenen Hintergrundniveaus ausgehen.

    2. Zu den Wirkungen des Infraschalls aus WEA auf den Menschen

    Da wir ständigen Änderungen des Luftdrucks und der Schwerkraft ausgesetzt sind, erscheint es naheliegend, diese mit der Infraschallemission von WEA zu vergleichen. Dies tun auch die Kritiker, leider aufgrund einer vordergründig quantitativen Denkweise. Diese führt zur Feststellung, „dass periodische Druckschwankungen dieser Größenordnung für den menschlichen Körper unproblematisch sind“. Damit werden bekannte Charakteristika der menschlichen Schallwahrnehmung ignoriert:

    a) In unserem Artikel weisen wir daraufhin, dass die im Vestibularsystem registrierten Druckänderungen bei einer Bewegung nicht isoliert wahrgenommen, sondern mit den Informationen anderer Rezeptoren des Körpers (z. B. Propriorezeptoren in Muskeln und Gelenken) und mit der visuellen Wahrnehmung abgeglichen werden. Erst dadurch entsteht im Gehirn der Gesamteindruck der Bewegung. Diese Begleitinformationen fehlen bei den durch WEA emittierten steilen Druckpulsen. Damit ist der Ausgangspunkt für einen Wahrnehmungskonflikt gegeben.

    b) Das Vestibularsystem ist zur Feststellung deutlich geringerer Änderungen in der Lage, als sie bei normaler körperlicher Bewegung eines Menschen auftreten. Todd et al. haben schon 2008 gezeigt, dass Unterschiede von weniger als 1/1000 g (Erdbeschleunigung) noch registriert werden. Das Vestibularsystem ist damit empfindlicher für Druckänderungen als die Cochlea für tieffrequenten Hörschall.

    Leider versteigen sich B/S auch zu nicht sinnvollen Vergleichen mit der Emission von Windanlagen. Eine vertikale Bewegung von 2 cm (Schritthub) verursacht tatsächlich für eine Körperstelle eine Änderung des Luftdrucks um etwa 250 mPa (82 dB) und entspricht damit formal dem 25fachen maximalen Schalldruck, wie er in der Abb. 1 (Bahtiarian u. Beaudry 2015) bei 2 Hz im Freien gemessen wurde. Gesundheitliche Beschwerden wurden aber nachweislich bei mehr als hundertfach geringeren Druckpegeln verursacht, also bei etwa 36 dB (1,2 mPa). Infolge der Rotation der WEA ändert sich dieser Pegel um ca. 16 dB (0,12 mPa) etwa alle 1,3 Sekunden. Hinzu kommen die häufigeren Schwingungen der zugleich emittierten Obertöne, die bei der oben genannten Empfindlichkeit des Vestibularsystems sehr wahrscheinlich auch erfasst werden. Außerdem ist noch die chronische Art dieser Einwirkung zu berücksichtigen. Es geht also am Problem vorbei, wenn B/S Maximalwerte des Infraschalldrucks von WEA addieren und das Ergebnis mit Druckänderungen bei körperlichen Bewegungen vergleichen (wobei „dramatische“ Zahlen entstehen: 1 Million Windanlagen für 80 cm Höhenunterschied oder 132 dB als Äquivalent für 49 Millionen Windanlagen). Naiv oder populistisch motiviert – Rechenexempel dieser Art zeigen nur, dass die Maximalwerte des Schalldrucks nicht zur Abschätzung des Gesundheitsrisikos beitragen können.

    Ebenfalls nicht zielführend ist die Kritik von B/S an den im Artikel zitierten, frühen Hinweisen auf die Wirkung von Infraschall auf zellulärer Ebene. Die damals oft verwendeten, hohen Schalldruckpegel erlauben keinen Vergleich mit heutigen WEA, aber Hinweise auf Angriffspunkte von Infraschall an biologischen Strukturen (s. unten).

    Die Gesundheitsschäden von Anwohnenden durch den gepulsten Infraschall aus WEA sind bisher nicht durch staatlich zertifizierte Studien belegt. Deshalb sei an dieser Stelle nochmals auf entscheidende Monita der in den letzten Jahren publizierten, staatlich veranlassten Studien zu diesem Problem hingewiesen:

    a) Die dänischen Studien (Poulsen et al. 2018/2019) haben nach Korrelationen zwischen der Emission von WEA und den ärztlich dokumentierten Krankheitsbefunden von Anwohnern gesucht. Es wurden jedoch nur Schallereignisse oberhalb von etwa 20 Hz (A-Filter) erfasst.

    b) Die deutsche Studie (UBA 2020) hat einen künstlich erzeugten, sinusförmigen Infraschall an Testpersonen im Blindversuch appliziert. Dieser Schall kommt nach eigenen Angaben „in der Realität praktisch nicht vor“.

    c) Die finnische Studie (Maijala 2021) suchte nach Korrelationen zwischen den dokumentierten Beschwerden von Anwohnenden und Infraschall-haltigen Emissionen an deren Wohnort. Außerdem wurden sie im Blindversuch mit Infraschall-haltigen Tonkonserven aus WEA konfrontiert. Leider wurden alle Emissionen nicht als hochaufgelöste Spektren charakterisiert, sondern in Form von Terzspektren, die steile Druckpeaks bekanntlich nicht oder kaum wiedergeben. Die (womöglich vorhandenen) Pulse der untersuchten Anlagen sind daher nicht in die Korrelationsanalyse eingeflossen und es bleibt fraglich, ob die Infraschall-Druckpeaks der Anlagen im Test korrekt abgestrahlt wurden.

    Dennoch fehlt es nicht an den Beschwerden betroffener Menschen. Selbst die Studien, die im Ergebnis den „Infraschall“ nicht als ursächlich darstellen, haben Gesundheitsschäden von Anwohnenden an WEA akzeptiert und indirekt dokumentiert. Wir haben uns in dieser Situation dafür entschieden, den bis dato zugänglichen Hinweisen nachzugehen und diese den ASU-Lesern zur eigenen Beurteilung vorzulegen. Leider versuchen B/S, das Fehlen „begutachteter“ Studien oder mehr systematischer Darstellungen unserer Recherche anzulasten und wollen dabei offenbar das heute belegbare Ausmaß an Schädigung übergehen:

    a) Die Behauptung, das technische Gutachten von Bahtiarian und Beaudry (2015) habe keinerlei Bezug zu gesundheitlichen Beschwerden, ist falsch. Dort wird festgestellt, dass die Messungen der Firma NCE erst durch Gesundheitsbeschwerden der Anwohnenden ausgelöst wurden: „Soon after the first wind turbine was operational, complaints were filed by the Andersens and other neighbors“. Die Messungen im Gebäude waren darauf orientiert, den räumlich unterschiedlichen Beschwerden der Bewohner nachzugehen: „When the wind turbine sound is particularly bothersome, Mrs. Andersen has reportedly sought refuse in the dining room. NCE tested this room and found a lower level of infrasound in the 4 to 7 Hertz range ...“.

    b) Die Versuche, den kanadischen Autor K. Stelling herabzusetzen, weil er einer Bürgerinitiative nahesteht, die möglicherweise andere politische Vorstellungen hat als B/S, sind grundsätzlich abzulehnen. Der Wert der von Stelling (2015) zusammengetragenen Hinweise auf Gesundheitsrisiken des von WEA emittierten Infraschalls liegt vor allem darin, dass verschiedene Quellen und Sichtweisen zu Wort kommen, unter anderem die international vielbeachtete Studie von S. Cooper (Cape Bridgewater Study, Australia), bis hin zu Aussagen vor Gericht. Die zitierte Arbeit hat Stelling nicht für eine „Anti-Windenergie-Initiative“ geschrieben, wie von B/S behauptet, sondern für eine Arbeitsgemeinschaft mehrerer Kommunen in Ontario, Kanada, die mit Beschwerden über nahe WEA konfrontiert waren.

    c) Dr. S. Kaula hat eine „Untersuchung zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen von Anwohnern durch den Betrieb von Windenergieanlagen in Deutschland anhand von Falldokumentationen“ vorgelegt, die bisher nicht in begutachteten medizinischen Zeitschriften akzeptiert wurde. Der Autor betrachtet sie als eine initiale Studie, die (noch) nicht alle für Feldstudien üblichen Kriterien erfüllt. Gleichwohl ist sie ein wertvoller Ausgangspunkt für präventive Überlegungen, weil sie konkrete Gesundheitsbefunde aus dem Umfeld von Windanlagen nach einem festgelegten Fragebogen dokumentiert. Einige Aussagen sind auch als Video festgehalten (https://www.youtube.com/c/DSGSeV/videos, abgerufen am 7.12.2021). Auch wenn die Hinweise auf eine Beteiligung von Infraschall indirekt sind (sie ergeben sich aus Reichweite, Hörbarkeit, Dämmbarkeit, Repowering etc.) und die Inzidenz in der Gesamtbevölkerung nur mit hoher Fehlerbreite abgeschätzt werden kann, bleiben die Daten reale Dokumente gesundheitlicher Schäden durch WEA. Wir hoffen, dass sie intensivere Studien von Medizinern und Naturwissenschaftlern auslösen, um die Suche nach konkreten Stressoren und kausaler Pathogenese fortzusetzen.

    Obwohl nicht in unserem Artikel aus ASU 2021 enthalten, sei auch an eine ältere Zusammenstellung gesundheitlicher Befunde erinnert, die Dr. med. J. Mayer 2016 im Rahmen einer Verfassungsklage erstellt hat (Verfassungsbeschwerde beim BVG wegen Verletzung des Grundgesetz-Artikel 2, Absatz 2, Klageführer Prof. Dr. Wendt, Prof. Dr. Elicker).

    3. Zur Recherche einschlägiger Literatur

    Für die folgenden Zitate wird unterstellt, sie unterstützten nicht die behauptete Aussage. Dies trifft in fast allen Fällen nicht zu. Wir schicken voraus, dass wir uns hier an den Grenzen der heute verfügbaren Forschungsarbeiten befinden, das heißt, eine wesentlich größere Anzahl einschlägiger Daten mit kausalem Anspruch ist nicht vorhanden und in einigen Fällen bilden die Infraschallwirkungen nicht den Kern der zitierten Arbeit. In einigen Fällen ist es uns offenbar nicht gelungen, das Gemeinte für Laien verständlich zu machen.

  • Die wohlbegründete Vermutung, dass nicht die „absolute Höhe des IS-Schalldrucks ausschlaggebend für seine biologische Wirkung sei, sondern das Ausmaß kurzzeitiger Änderungen“ ist ein wesentliches Ergebnis unserer Recherche. Die Hinweise reichen vom Nachweis der Peaks in Abb. 1 von Bahtiarian und Beaudry (s. oben), der technischen Referenz von Dooley und Metelka (2015), Angaben aus der Übersicht von Stelling et al. (s. oben), die Bewertung von Studien (s. oben) auch zur Arbeit von Palmer 2017 („Why wind turbine sounds are annoying, and why it matters“). Letztere schließt sehr wohl den Infraschallbereich ein, wie schon ein Blick auf die diskutierten Frequenzspektren zeigt. Wesentlich ist, dass mit den Druckpeaks auch gesundheitliche Beschwerden verschwinden, etwa bei stehender Anlage (s. oben). Wir weisen explizit darauf hin, dass diese Druckpeaks dringend einer näheren kausalen Untersuchung bedürfen, sowohl experimentell als auch durch Feldstudien.
  • Die Publikation von Sharipova et al. 2013 ist eine wichtige Pionierarbeit. Zu einer Zeit, als die Kenntnisse zur Biophysik des Wassers limitierter waren als heute, erhob diese Gruppe bereits wegweisende Befunde. Wasser ändert in Abhängigkeit von der Energiezufuhr seine biophysikalischen Eigenschaften, was unmittelbare Auswirkungen auf den intra- und perizellulären Wassertransfer hat. Der Befund, dass Wasser nach Infraschallexposition unmittelbare Auswirkungen auf Zelleigenschaften hat (hier bei Erythrozyten) wurde bisher nie seriös bezweifelt. Heute würde man die Befunde in besserer Kenntnis der Biophysik des Wassers und insbesondere der Daten der Arbeitsgruppe von Mark Tuckerman möglichweise anders interpretieren (Silletta et al.: Unusual Proton Transfer Kinetics in Water at the Temperature of Maximum Density. Physical Review Letters 2018; 121 (7)). In diesem Zusammenhang sei auch an die inzwischen besser erforschten Wasserkanäle (Aquaporine) erinnert, deren spezifische Eigenschaften möglicherweise erklären können, warum ca. 30% der Menschen Infraschall empfindlicher wahrnehmen als andere (LePage u. Avan: A new clue to infrasound – experimental evidence supporting osmotic baseline stabilisation in the ear. Proceedings of Acoustics 2007; 19–22).
  • Campbell et al. 1998 versuchten, die Ursache des kraftinhibierenden Effektes von Infraschall und low-frequency noise aufzuklären. Diese Wirkung unterstellen sie im Einklang mit der von ihnen zitierten Literatur als gegeben. Dabei ist es unerheblich, ob die Schallwellen durch einen Lautsprecher, einen Vibrator oder wie in diesem Modell durch einen zyklisch inflatierten und deflatierten Ballon erzeugt werden. Eine Muskelkontraktion beruht auf dem so genannten Querbrückenzyklus, das heißt der periodischen, ATP-abhängigen und Ca2+-aktivierten Bindung des Myosinkopfs an Actin. Dieser molekulare Prozess im Muskel kann sich 10- bis 100-mal pro Sekunde wiederholen, arbeitet also im Frequenzbereich von 10–100 Hz. Deshalb gab es keinen Grund, für diese Fragestellung zwischen „infrasound and low-frequency noise“ zu unterscheiden.
  • An dem von Lousinha et al. 2018 erhobenen Befund einer durch Infraschall ausgelösten Vaskulitis und Perikarditis gibt es in der seriösen Wissenschaft kaum Zweifel. Für die erreichten Effekte spielen Expositionsdauer, Frequenz und Schalldruckpegel die entscheidende Rolle: „Previous work from our group, in Wistar rats, investigated the histomorphometric changes in the large and small coronary arteries induced by high-intensity industrial noise within a wide spectrum of wavelengths that included LFN, this last characterized by large sound pressure amplitude ≥90 dB ... we found the development of perivascular fibrosis in the absence of inflammatory cells, regardless of exposure time.“ Wir weisen noch einmal darauf hin, dass sich daraus keine unmittelbare Erklärung für Schädigungen durch Infraschall aus Windanlagen ableitet, wohl aber Ansätze für die Suche nach Angriffspunkten an Zellen und Geweben. Wir sind gerne bereit, diese Sachverhalte in einer ausführlicheren und auch für Laien verständlichen Weise darzulegen. Als einschlägige Hintergrund-Lektüre kann dienen: Alves-Pereira et al.: Acoustics and biological structures. In: Acoustics of Materials (chapter 5). IntechOpen, 2019.
  • Die Arbeit von Hensel et al. wurde korrekt zitiert, Infraschall löst OAE aus: „No signs of an abrupt change in transmission into the cochlea were found between infra- and low-frequency sounds. The results show clearly that infrasound enters the inner ear, and can alter cochlear processing.“
  • Kaltenbach und Godfrey 2008 werden korrekt zitiert, und zwar im Hinblick auf die Auswirkungen einer Aktivierung der Äußeren Haarzellen (dass Infraschall diese Aktivierung bewirkt, wurde bereits belegt) “Evidence is mounting that loss of or even just overstimulation of OHCs may lead to major disturbances in the balance of excitatory and inhibitory influences in the dorsal cochlear nucleus. One product of this disturbance is the emergence of hyperactivity, which is widely believed to contribute to the perception of phantom sounds or tinnitus.“
  • Bei „Jones et al. 2010“ müssen wir eine (wenn auch interessante) Verwechslung einräumen: Das Zitat betrifft das Säugetier Maus, in dessen Vestibularorganen analog zum Menschen jener Schall wahrgenommen wird, dessen Frequenz unterhalb des Erfassungsbereichs der Cochlea liegt. Dieser Frequenzbereich ist aber bei der Maus-Cochlea deutlich höher (ab 4 kHz!) als beim Menschen. Das korrekte Zitat musste hier lauten: Salt u. Hullar 2010 (wurde aber an anderer Stelle bereits zitiert).
  • Kaula et al. (siehe Stellungnahme oben).
  • Kamp und Berg 2018: Diese Literaturrecherche wird absichtsvoll zitiert, und zwar als Hintergrund für die Behauptung, dass Infraschall oft nicht als Ursache von Beschwerden beziehungsweise Einzelsymptomen erkannt wird, das heißt diese (immerhin mögliche, ggf. auch auszuschließende) Diagnose oft nicht Betracht gezogen wird. Die Kritiker verweisen vermutlich auf ein Statement aus dem Abstract: „There is no evidence of a specific effect of the low-frequency component nor of infrasound.“ Kamp und Berg schreiben aber danach: „The rhythmic pressure pulses on a building can lead to additional annoyance indoors ...“ Zuletzt heißt es: „Sleep disturbance as well as other health effects in the vicinity of wind turbines was found to be related to annoyance, rather than directly to exposure.“ Wenige Sätze zuvor: „Sound from wind turbines leads to a higher percentage of highly annoyed when compared to other sound sources.“ Gesundheitsbeschwerden korrelieren also mit dem Unwohlsein (annoyance), zu dem auch Druckpulse beitragen können, und Emissionen aus WEA führen zu häufigerem Unwohlsein... Wir vertrauen auch hier auf das Urteilsvermögen der ASU-Leser.
  • 4. Interessenkonflikte

    Zu der Unterstellung, wir hätten als Autoren Interessenkonflikte verschwiegen, nehmen wir getrennt Stellung:

    Werner Roos: Ein Interessenkonflikt ist für mich nicht erkennbar. Als gewählter Vorsitzender des Vereins „Schwarzwald Vernunftkraft e.V.“ soll ich laut Statut unter anderem zum „Schutz der Bürger vor den Gesundheitsrisiken durch industrielle Windenergie-Anlagen“ beitragen. Die objektive Erforschung und Aufklärung dieser Risiken liegt also im Vereinsinteresse. Mein wissenschaftliches Handeln wird durch die Ziel des Vereins weder eingeschränkt noch entsteht ein
    „sekundäres Interesse“. Laut Statut muss der Verein politisch unabhängig handeln und ich bin wie alle Mitglieder ehrenamtlich tätig.

    Christian Vahl: Bisher sind keinerlei Mittel der Millionenspende für die Infraschallforschung verwendet worden. Der Vorwurf des Interessenkonflikts ist also nicht nur unbegründet, sondern unterstellt auch für meine weitere Forschungstätigkeit fehlende Objektivität. B/S wählen mit dieser Forderung ein Vorgehen, das in der Politik, nicht aber in der Wissenschaft seinen Platz haben dürfte.

    Fazit

    Das Problem der Emission von Infraschall-Peaks und ihrer Wirkung auf die Bevölkerung lässt sich nicht dadurch eliminieren, dass man den Berichterstattern Inkompetenz oder unlautere Motive unterstellt und ihnen zum Teil eigene Wissensdefizite anlastet. Wir benötigen hier weder Nachhilfe in Schallphysik noch zu den „Grundregeln wissenschaftlicher Arbeit“. In einigen Punkten entsteht der Eindruck, dass die im Ministerium für Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität Rheinland-Pfalz tätigen Kritiker dazu beitragen wollen, den Boden für eine Verdichtung von Windenergieanlagen auch in der Nähe menschlicher Siedlungen zu bereiten.

    Aus Sicht der präventiven Medizin fehlt bisher eine problemorientierte, faktenbasierte Auseinandersetzung mit dem Thema, die sich den unbestreitbaren Gesundheitsschäden Betroffener verpflichtet fühlt und biologisch-medizinische Erklärungen anstrebt. Dazu sind Feldforschungen ebenso notwendig wie experimentelles Arbeiten. Unser Artikel will das Problem in das Bewusstsein der medizinischen Öffentlichkeit rücken und auf die derzeit vorhandenen Ansatzpunkte und Unsicherheiten hinweisen. Der Status quo: Die aus Windanlagen emittierten Pulse des Infraschalls hoher Reichweite sind ein latentes Gesundheitsrisiko für Anwohnende. Es sollte nicht nach der Höhe des messbaren Schalldrucks beurteilt werden, sondern nach Höhe und Steilheit der periodischen Druckänderungen.

    Werner Roos und Christian Vahl, Dezember 2021

    In eigener Sache

    Danksagung

    Chefredaktion und Verlag danken den nachfolgend genannten Kolleginnen und Kollegen sehr herzlich für ihre Begutachtungen der ASU-Beiträge im vergangenen Jahr:

    Mona Bär, M.Sc., Tübingen

    Prof. Dr. med. Irina Böckelmann, Magdeburg

    Prof. Dr. med. Hans Drexler, Erlangen

    Prof. Dr. med. Thomas Erren, Köln

    Dr. rer. medic. Alice Freiberg, Dresden

    Prof. Dr. med. Bernd Hartmann, Hamburg

    Priv. Doz. Dr. med. Stefanie Heinze, München

    Dr. Kerstin Hupfer, Ludwigshafen

    Dr. med. Andrea Kaifie-Pechmann, Aachen

    Prof. Dr. rer. soc. Jessica Lang, Aachen

    Dr. Felix Lang, Mainz

    Dr. Peter Lederer, Erlangen

    Prof. Dr. med. Dipl.-Ing. Stephan Letzel, Mainz

    Dr. med. Falk Liebers, Berlin

    Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Michael Linden, Berlin

    Prof. Dr. sc. hum. Adrian Loerbrooks, Düsseldorf

    Priv. Doz. Dr. Stefanie Mache, Hamburg

    Prof. Dr. Vera Mahler, Langen

    Dr. rer. soc. Dipl.-Soz. Martina Michaelis, Freiburg

    Dr. rer. nat. Matthias Möhner, Berlin

    Dr. rer. san. Thomas Muth, Düsseldorf

    Prof. Dr. med. Claus-Martin Muth, Ulm

    Gesine Müting, Düsseldorf

    Prof. Dr. med. Albert Nienhaus, Hamburg

    Prof. Dr. med. Dennis Nowak, München

    Dr. med. Uta Ochmann, München

    Christian Piele, Stuttgart

    Prof. Dr. med. Klaus Schmid, Erlangen

    Dipl.-Min. M.sc. Silvester Siegmann, Düsseldorf

    Priv.-Doz. Dr. Roman Soucek, Nürnberg

    Dr. rer. nat. Benjamin Steinhilber, Tübingen

    Dr. med. Vera Stich-Kreitner, Mainz

    Dr. Johanna Stranzinger, Hamburg

    Prof. Dr. med. Susanne Völter-Mahlknecht, Berlin

    Dr. med. Stefan Webendörfer, Ludwigshafen

    Dr. med. Hanns Wildgans, München

    Institutsadressen

    Aus organisatorischen Gründen wird die Printversion der jährlichen Auflistung zur arbeitsmedizinischen Lehre in Deutschland 2022 erst im Februarheft der ASU veröffentlicht werden.

    Die entsprechenden Seiten können aber schon vorab online auf der Homepage bei Heft 1/2022 eingesehen werden
    (asu-arbeitsmedizin.com).

    Das PDF dient ausschließlich dem persönlichen Gebrauch! - Weitergehende Rechte bitte anfragen unter: nutzungsrechte@asu-arbeitsmedizin.com.