Vorwort
Im demografischen Wandel wird Gesundheit zum kostbaren Gut in der Arbeitswelt. Es gibt weniger Menschen im erwerbsfähigen Alter, das Durchschnittsalter der Belegschaften steigt und die Menschen bleiben länger im Arbeitsleben. Auch Belastungssituationen im Betrieb, die durch komplizierte Abläufe oder enge Zeitvorgaben verursacht werden, wirken sich auf die Gesundheit der Beschäftigten aus.
Deshalb setzen kluge Arbeitgeber auf betriebliche Prävention und Gesundheitsförde-rung. Dabei stehen ihnen Betriebsärztinnen und -ärzte als Experten zur Seite. Sie wissen, wie Unternehmen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Belastungen schützen und ihre Beschäftigungsfähigkeit durch positive Einflüsse erhalten und stärken können. Sie wissen, wie man ein Umfeld schafft, in dem die Beschäftigten bis zum Rentenalter erwerbs-tätig sein können. Das physiologische Altern lässt sich nicht aufhalten. Aber wir können dafür sorgen, dass uns die älteren Beschäftigten mit ihren unschätzbaren Erfahrungen und ihrem großen betrieblichen Wissen so lange wie möglich erhalten bleiben.
Ursula von der Leyen
ehemalige Bundesministerin für Arbeit und Soziales
Einleitung
Arbeitsmedizinische Empfehlungen (AME) beruhen auf gesicherten arbeitsmedizini-schen Erkenntnissen. Sie werden vom Aus-schuss für Arbeitsmedizin (AfAMed) aufgestellt oder angepasst und vom Bundes-ministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) veröffentlicht. Im Gegensatz zu den Arbeits-medizinischen Regeln (AMR) haben AME keine Vermutungswirkung, sondern allein Empfehlungscharakter. Im Rahmen der Emp-fehlungen werden die Herausforderungen der betriebsärztlichen Praxis angesprochen. Es wird aufgezeigt, welche Chancen in der betriebsärztlichen Betreuung der Beschäftigten – angesichts des demografischen Wandels in der Bevölkerung wie auch bei der Bewältigung der Herausforderungen in der sich rasant verändernden Arbeitswelt – stecken.
In 8 Folgen wird ASU die AME „Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit“ des Ausschusses Arbeitsmedizin des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vorstellen. Diese AME wurde von einem Arbeitskreis des AfAMed erarbeitet. Mitglieder und Autoren waren: Joachim Bischof, Brigitte Hoffmann, Petra Müller-Knöß, Beate Nölle, Annegret Schoeller, Ralf Stegmann, Joachim Stork (leitend), Andreas Tautz, Stefanie Wagner.
Die Folge 1 geht auf die Ziele und zen-tralen Aussagen sowie auf Kapitel 1 „Prävention braucht ein gemeinsames Verständ-nis“ der AME ein. Folge 2 stellt Kapitel 2 vor, das Grundlagen zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit aufführt, wie die Leis-tungsfähigkeit und Belastbarkeit im Erwerbsverlauf, Altern, Gesundheit und chronische Erkrankungen, sozialer Status, Gesundheit und Beschäftigungsfähigkeit sowie Arbeitsbedingungen und Altern.
Folgen 3 bis 6 greifen das Kapitel 3 auf, das sich unter anderem mit der Gestaltung betrieblicher Prävention und Gesundheitsförderung befasst sowie mit der Primärprävention im Sinne von Alterns- und gesundheitsgerechte Arbeitsgestaltung, mit arbeitsmedizinischer Beratung bei der Arbeitsgestaltung, mit Arbeitsplatz-/Betriebsbegehungen, Führung und Gesundheit, sekundäre Prävention durch Früherkennung, mit der arbeitsmedizinischen Vorsorge und verbesserte Arbeitsgestaltung, betrieblichen Gesundheitsförderung, mit der Rehabilitation, Integration und betriebliches Eingliederungsmanagement einschließlich der Rolle der Betriebsärzte.
Folge 7 hat Kapitel 4 zum Thema, das auf praktikable Kennzahlensysteme für die betriebliche Prävention und auf Beispiele praktikabler Gesundheitskennzahlen eingeht. Die Folge 8 hat Kapitel 5 „Rolle der Betriebsärzte im Rahmen eines Betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM)“ sowie das Kapitel 6, das sich auf spezifische Anforderungen an die Prävention in Klein- und Mittelbetrieben sowie auf die besonderen Erfordernisse und Ansätze der Prävention und betrieblichen Gesundheitsförderung in KMU fokussiert zum Inhalt.
2 Grundlagen
2.1 Leistungsfähigkeit und Belast-barkeit im Erwerbsverlauf
„Altern“ ist ein physiologischer Prozess mit deutlicher interindividueller Varianz, der ten-denziell einen Rückgang der körperlichen Belastbarkeit und gleichzeitig zunehmende mentale Ressourcen im Sinne von Erfahrungs-wissen, Urteilsfähigkeit, kommunikativer und sozialer Kompetenz mit sich bringt.
Die Dynamik dieses natürlichen Prozesses kann sowohl vom Individuum selbst als auch durch Gestaltung der Arbeit in gewissen Grenzen beeinflusst werden. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sind insbesondere folgende Aspekte von Bedeutung:
- Die Aufnahme einer Berufsausbildung durch junge Menschen und die anschlie-ßende Erwerbsarbeit sind mit komplexen biologischen, psychischen und sozialen Anpassungsmechanismen verbunden. Diese Mechanismen benötigen jeweils angemessene Zeiträume und sind Vor-aussetzungen für die Fähigkeit zur regel-mäßigen Bewältigung von Arbeitsauf-gaben. Auch im weiteren Erwerbsleben gilt, dass der menschliche Organismus abrupte und ausgeprägte Belastungswechsel schlecht oder gar nicht toleriert. Einige Berufskrankheiten treten vorwiegend bei Missachtung dieses Sachverhalts auf, könnten andererseits aber bei angemessener Arbeitsgestaltung und „Einarbeitung“ vermieden werden.
- Auf der körperlichen Ebene ist mit zunehmendem Lebensalter ein Rückgang von grober Kraft, Feinmotorik und Ausdauerleistung zu verzeichnen, der teilweise durch Trainingseffekte der Arbeit vermindert, aber nicht völlig vermieden werden kann. Dabei ist die berufliche Tätigkeit selbst in der Regel hinsichtlich Intensität und Art der Beanspruchung das adäquate „Trainingsprogramm“. Eine Ausnahme hiervon bilden Tätigkeiten mit diskontinuierlicher, nur zeitweise sehr hoher physischer Belastung, deren Trainingseffekt zu gering im Verhältnis zu den jeweiligen Anforderungen ist (z. B. Arbeit bei der Feuerwehr).
- Alternsbedingte Funktionseinschränkun-gen der Sinnesorgane können zu einem großen Anteil durch Hilfsmittel oder Ar-beitsplatzgestaltung aufgefangen werden und beeinträchtigen in der Praxis nur selten die Einsatzmöglichkeiten.
- Alternsbedingte Beeinträchtigungen kog-nitiver Funktionen betreffen im Wesentlichen die Geschwindigkeit kognitiver Prozesse und einen veränderten Lernprozess, der Neues mehr in Beziehung zu Bekanntem setzt und damit „kreativer“, andererseits aber auch tendenziell langsamer abläuft als bei jüngeren Beschäftigten.
- Kombinationsanforderungen aus räumlicher Wahrnehmung, Beurteilung und entsprechenden motorischen Bewegun-gen, etwa in Tracking-Versuchen, zeigen bereits ab dem 40. Lebensjahr eine merkliche Abnahme (Yoshida 1997). Der-artige Leistungen werden insbesondere bei manueller Arbeit in Handwerk und industrieller Fertigung gefordert.
- Die Fähigkeit, seine Aufmerksamkeit auch bei Störungen aufrechtzuerhalten, nimmt altersabhängig ab (Mani et al. 2005). Diese Entwicklung kann z. B. bei komplexen Fahr-, Steuer- und Überwa-chungstätigkeiten, soweit sie unter Zeit-druck ausgeübt werden müssen, zu Ein-schränkungen der Beschäftigungsfähigkeit führen. Das Alter hat aber andererseits keinen generell negativen Einfluss auf die Fähigkeit, sich längere Zeit auf eine Aufgabe zu konzentrieren (Hall-sten 1996).
- Die Zeit, die ein Mensch benötigt, um auf ein Signal adäquat zu reagieren, steigt mit dem Alter an. Unterschiede zu jugendlichen Altersgruppen werden größer, wenn komplexe und ungewohnte Aufgaben getestet werden (Salthouse u. Miles 2002).
- Das mit zunehmendem Lebensalter veränderte Schlafverhalten umfasst u. a. eine nachlassende Fähigkeit, Schlafdefizite auszugleichen sowie eine tendenzielle Verkürzung der biologischen Rhythmen. Insbesondere Nachtarbeit wird deshalb mit zunehmendem Alter in der Regel schlechter toleriert.
- Die Erholung von körperlicher und men-taler Arbeit benötigt mit steigendem Lebensalter tendenziell zunehmende Zeit.
- Die Stärken älterer Beschäftigter liegen v. a. in gut ausgebildeten kognitiven Strukturen, wie z. B. Fachwissen, Erfahrung und Expertise sowie sozialpraktischer Kompetenz, die Defizite in den kognitiven Prozessen v. a. in bekannten Ar-beitssituationen kompensieren können.
- Der Alterungsprozess erfolgt – sofern keine Erkrankungen auftreten – stetig und interindividuell sehr variabel.
Während umfangreiches Wissen über den Einfluss verschiedener Arbeitsbedingungen auf die Gesundheit Beschäftigter vorliegt, ist dieser Einfluss auf den Alterungsprozess selbst weniger gut untersucht und geklärt (s. 2.4). Das hat methodische Gründe und liegt zudem an höchst unterschiedlichen Alternskonzepten und -indikatoren.
2.2 Altern, Gesundheit und chronische Erkrankungen
„Erhalt der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Beschäftigungsfähigkeit“ bedeutet nicht das Aufhalten des physiologischen Alterns, sondern:
- das Verhüten vermeidbarer chronischer Erkrankungen, seien sie arbeitsbedingt oder nicht,
- das Verhindern eines weiteren Fortschreitens von Erkrankungen,
- das Kompensieren der funktionellen Auswirkungen von Erkrankungen.
Nicht nur die altersabhängige Zunahme der Arbeitsunfähigkeit, sondern insbesondere auch die mit zunehmendem Lebensalter häufiger eingeschränkte Einsatzflexibilität („Leistungswandlung“) ist ganz überwiegend durch chronische Erkrankungen – bei mehr als 50 % der über 50-Jährigen (Haller et al. 2008; Keskin et al. 2008) und nur in geringem Ausmaß durch das physiologische Altern bedingt. Ältere Beschäftigte ohne chronische Erkrankung weisen im Durchschnitt keine höheren Arbeitsunfähigkeitszeiten auf als jüngere Beschäftigte.
2.3 Sozialer Status, Gesundheit und Beschäftigungsfähigkeit
In zahlreichen Studien konnten Belege für ver-schiedene Faktoren gefunden werden, über die der immer wieder belegte Zusammenhang zwischen sozialem Status und Gesundheit vermittelt wird:
- Respekt, Wertschätzung und soziale Integration,
- gesundheitsförderliche bzw. gefährdende Arbeitsbedingungen,
- „Umgekehrte Kausalität“: Individuelle Gesundheit kann die Möglichkeiten zur Ausübung bestimmter beruflicher Tätigkeiten fördern oder einschränken, und damit auch die Arbeitsplatzwahl und die Arbeitsbedingungen beeinflussen (de Lange et al. 2005),
- milieuspezifisches Gesundheitsverhalten, Lebensstil,
- unterschiedlicher Zugang zu Präven-tionsangeboten und guter kurativer Medizin,
- Zahl und Qualität individueller Sozialbeziehungen,
- Bildung.
Soziale Lage und Status haben somit nicht nur für Einkommen und Ansehen, sondern auch für Gesundheitschancen, Krankheitsrisiko und Lebenserwartung entscheidende Bedeutung (House et al. 1988; Holt-Lunstad et al. 2010). Arbeitsmedizinische Untersuchungen zeigen bei Berufstätigen mit vorwiegend körperlich leichter manueller Tätigkeit (Montagearbeiten) höhere Häufig-keiten chronischer Erkrankungen und ein im Durchschnitt ungünstigeres Risikofaktorenprofil im Vergleich zu Beschäftigten mit vorrangig organisatorischen und mentalen Arbeitsaufgaben (Keskin et al. 2008). Nur ein Teil dieser Unterschiede ist durch die höhere körperliche Beanspruchung der manuell Arbeitenden erklärbar, ein anderer Teil durch verhaltensabhängige Risiken, wie z. B. Übergewicht oder Rauchverhalten und andere Faktoren. Die Mechanismen sind komplex und wechselseitig: Sozialer Status beeinflusst Gesundheit, aber Gesundheit – auch psychische Gesundheit – beeinflusst ebenso den erreichten und den erreichbaren sozialen Status.
Der Einfluss, den ein Mensch auf die Umstände seines Lebens hat (Entscheidungs- und Gestaltungsspielräume) und seine Chance, sich als anerkanntes Mitglied der Gesellschaft zu fühlen (Respekt/Wertschätzung), sind von hoher Bedeutung für die Gesundheit. Arbeitslosigkeit hat sich in diesem Kontext als krankheitsauslösendes Worst-Case-Szenario erwiesen (Moser u. Paul 2001). Menschen in einem dauerhaften Beschäftigungsverhältnis haben ein geringeres Erkrankungs- und Sterberisiko als lang-fristig vom Arbeitsmarkt ausgeschlossene Personen. Arbeit – soweit sie nicht gesundheitsgefährdende Bedingungen enthält – besitzt also offensichtlich ein überwiegend gesundheitsförderliches Potenzial. Dabei wird deutlich, dass nicht allein ein deut-licher Selektionseffekt chronischer Erkrankungen zu Arbeitslosigkeit „disponiert“, sondern dass sich unabhängig davon der Gesundheitszustand Erwerbsloser im Vergleich zu Berufstätigen im Längsschnitt deutlich verschlechtert (Paul u. Moser 2009).
Ob Arbeit gesundheitsförderlich oder gesundheitsgefährdend wirkt, hängt einer-seits von der Qualität und Dauer der Arbeitsanforderungen und von den Umgebungsfaktoren am Arbeitsplatz, andererseits vom Zugang zu arbeitsplatznahen Angeboten zur Individualprävention und den Chancen zur Entwicklung eigener „Gesundheitskompetenz“ ab. Gesundheitsgerechte Arbeitsbedingungen und ein kompetenter, eigenverantwortlicher Umgang mit der eigenen Gesundheit sind miteinander positiv korreliert. Eine wertschätzende, die Beschäftigten in Entscheidungsprozesse einbindende Umgangskultur hat hierbei grundlegende Bedeutung, sowohl für die Gesundheit der Beschäftigten, als auch für nachhaltigen unternehmerischen Erfolg.
Führung und betriebliche Sozialbeziehungen können einerseits eine wichtige Gesundheitsressource sein, andererseits aber auch die Gesundheit von Beschäftigten gefährden. Krankheitsauslösende Situationen entstehen z. B. dort, wo:
- hohe Anforderungen, bei gleichzeitig be-grenztem Entscheidungs-, bzw. Gestaltungsspielraum an Beschäftigte gestellt werden (Karasek u. Theorell 2009),
- ein fortgesetzt hohes Engagement der Beschäftigten nicht angemessen anerkannt und „belohnt“ wird: finanziell – Gehalt; emotional – Respekt, Wertschät-zung; statusbezogen – Aufstiegschancen, Arbeitsplatzsicherheit (Siegrist 1996).
Eine anhaltende Situation des subjektiven Empfindens fehlender Wertschätzung seitens des Vorgesetzten erhöht das Risiko einer Herz-Kreislauf-Erkrankung und/oder einer depressiven Erkrankung. In medizinsoziologischen Modellen konnte ein relevanter Anteil der bei älteren Beschäftigten auftretenden Herzinfarktereignisse auf psy-chosoziale Arbeitsbelastungen zurückgeführt werden. Zudem kann ein Teil depressiver Erkrankungen von Beschäftigten durch die systematische Prävention psychosozialer Arbeitsbelastungen vermieden werden. Auch für Beschwerden des Bewegungsappa-rats konnte eine Bedeutung psychosozialer Faktoren als Auslöser belegt werden.
Neben den Arbeitsbedingungen werden Fähigkeit und Bereitschaft zur Fortsetzung einer beruflichen Tätigkeit trotz gesundheitlicher Beeinträchtigungen von weiteren Faktoren beeinflusst (Nilsson et al 2011):
- Attraktivität und subjektive Bedeutung der eigenen Arbeit,
- Einstellung der Führungskräfte gegenüber älteren Beschäftigten,
- persönliche Lebensperspektive,
- ökonomische Bedingungen eines frühen Renteneintritts.
2.4 Arbeitsbedingungen und Altern
Ob ältere Beschäftigte unbeeinträchtigt und mit Freude ihre berufliche Tätigkeit ausüben, hängt einerseits erheblich von den jeweiligen Arbeitsbedingungen ab, andererseits aber auch von der individuellen Sicht auf den Zusammenhang von Arbeit und Gesundheit, der eigenen Lebensplanung, der Attraktivität der Arbeit für Ältere, der gesellschaftspolitischen Debatte über die Verlängerung der Lebens-arbeitszeit und vom gesellschaftlichen Stellen-wert der Arbeit.
Die Erforschung möglicher negativer Einflüsse verschiedener Arbeitsbelastungen auf die menschliche Gesundheit ist eine der arbeitsmedizinischen Kernaufgaben und wird es auch in Anbetracht des technologischen Wandels und des Wandels der Arbeit bleiben müssen. Eine Vielzahl der Erkenntnisse ist im deutschen Arbeitschutzrecht berücksichtigt worden und konnte über die betrieblichen Arbeitsschutzstrukturen sowohl zur deutlichen Reduzierung neu auftretender Berufserkrankungen, als auch durch Verminderung spezifischer Gefährdungen insgesamt zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten beitragen. Die Prävention monokausal durch berufliche Gefährdungen verursachter Berufskrankheiten gehört weltweit zu den am besten belegten Beispielen erfolgreicher Prävention.
Demgegenüber liegen weit weniger Erkenntnisse zur Beeinflussung des Alterungsprozesses durch unterschiedliche Arbeitsbedingungen vor. Die Erforschung derartiger Zusammenhänge ist durch die Komplexität des Alterns und das Fehlen einfacher, messbarer und valider Alterungsindikatoren erschwert. Nach verbreiteter Expertenmeinung beschleunigen insbesondere langjährige körperliche Schwerarbeit, Nacht-, Hitzearbeit und eine intensive Exposition gegenüber verschiedenen Gefahrstoffen den biologischen Alterungsprozess; allerdings ist die wissenschaftliche Evidenz dieser Zusammenhänge begrenzt.
Ungeachtet der vielen offenen Fragen haben sowohl die Prävention unmittelbarer arbeitsbedingter Gesundheitsgefährdungen (3.1) als auch die mit zunehmendem Lebensalter häufigere Diskrepanz zwischen Gesundheit und Arbeitsanforderungen eine vorrangige Bedeutung für die betriebliche Prävention.
Zunehmend werden auch die positiven, salutogenen Einflüsse gut gestalteter und gut organisierter Arbeit auf den Erhalt von Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden deutlich; das gilt besonders dann, wenn gemischt mentale und körperliche Aktivitäten gefordert werden. Dafür sprechen nicht nur zahllose Biografien „aktiv“ alternder Menschen, sondern auch die Erforschung der gesundheitlichen Folgen unfreiwilliger Erwerbslosigkeit in Längsschnittstudien (Paul u. Moser 2009).
Neuropsychologische und neurobiologische Untersuchungen belegen ebenso die positiven Effekte körperlicher und mentaler Aktivität Älterer, sofern schädigende Faktoren vermieden werden können. So gibt es zahlreiche empirische Belege dafür, dass neben physiologischer körperlicher Belastung auch ein angemessener Anteil kognitiver Arbeitsaufgaben negative Alternseinflüsse auf die mentale Leistungsfähigkeit verringert (INQA 2009).
Literatur
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Weitere Infos
Initiative Neue Qualität der Arbeit (Hrsg., 2009): Programm zur Förderung und zum Erhalt intellektueller Fähigkeiten für ältere Arbeitnehmer – Abschluss-bericht des Projekts PFIFF; Dortmund 2009
Aufbereitet von
Dr. med. A. E. Schoeller
Bereichsleiterin im Dezernat 5 – Versorgung und Kooperation mit Gesundheitsfachberufen
Bundesärztekammer, Berlin
Herbert-Lewin-Platz 1 – 10623 Berlin