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Arbeitsmedizin digital: Unsere Lebens- und Arbeitswelten im Wandel

Das PDF dient ausschließlich dem persönlichen Gebrauch! - Weitergehende Rechte bitte anfragen unter: nutzungsrechte@asu-arbeitsmedizin.com.

Wir alle nehmen es wahr: Nicht nur die Arbeitswelt befindet sich in einem umgreifenden Wandel. Die zunehmende Globalisierung und Digitalisierung verändern sowohl unsere Arbeitsplätze und Arbeitserfahrungen als auch viele unserer übrigen sozialen Lebenskontexte in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur. Diese, unsere Lebenszusammenhänge verändernden Prozesse, beeinflussen auch das Fachgebiet der Arbeitsmedizin und stellen neue Herausforderungen an alle Akteurinnen und Akteure in der betrieblichen Prävention und Gesundheitsförderung. Heute ist die Arbeitswelt von zunehmender Volatilität, Ungewissheit, Komplexität und Ambiguität geprägt: Die damit verbundenen Auswirkungen sind vielfältig – einerseits strukturell, die Arbeitsplätze und deren Organisation in den Betrieben und Unternehmen betreffend, sowie andererseits individuell, unter anderem bis in den Bereich physischer und psychischer Gesundheit bei Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden.

Gerade deshalb gilt, dass die Arbeitswelt mit ihren inzwischen über 46 Millionen Erwerbstätigen das größte Präventionssetting in unserer Gesellschaft darstellt, in dem die fast 10.000 in der Versorgung aktiven Arbeitsmedizinerinnen und Arbeitsmediziner sowie Betriebsärztinnen und Betriebsärzte maßgeblich dazu beitragen, sowohl die Gesundheit erhaltende und fördernde Arbeitsbedingungen zu schaffen als auch die Erwerbstätigen zu befähigen, ihre Teilhabe an den jeweiligen Arbeitsprozessen und Tätigkeitsfeldern zu erhalten und zu fördern. Wie kaum ein anderes ärztliches Fachgebiet ist die Arbeitsmedizin mit ihrem Versorgungsauftrag nicht nur intersektoral zwischen medizinischer Prävention, Kuration und Rehabilitation angelegt, sondern wirkungsmächtig auf die unmittelbaren Lebens­welten sowohl bei der Arbeit als auch im Privaten. Denn Gesundheit ist unteilbar und wir leben „nur“ in einem Gesundheitssystem. Gerade an den medizinischen Versorgungsschnittstellen bietet die Digitalisierung neue Chancen: sei es im Informationsaustausch der Akteurinnen und Akteure etwa durch die elektronische Patientenakte (ePA) oder durch neue online-gestützte Versorgungformen und -formate weit über Videosprechstunden und telemedizinischen Konsile hinaus. Was spricht eigentlich gegen online-gestützte Begehungen von Arbeitsplätzen oder gar Gefährdungsbeurteilungen, wenn diese adäquat vorbereitet sind, etwa im Wege von zuvor stattgefundenen Präsenzterminen vor Ort? Was spricht gegen die Anbindung der Betriebsärztinnen und Betriebsärzte an die so genannte Telematik-Infrastruktur und einen damit verbundenen Zugang zur ePA, wenn mit Zustimmung der Betroffenen wichtiges Wissen und vorhandene Daten auch zur Vermeidung von Doppeluntersuchungen sektorübergreifend zur Verfügung stehen?

Dies ist der Hintergrund, warum der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (DGAUM) sich Ende 2022 dazu entschlossen hat, das Thema „Arbeitsmedizin digital“ zu einem Schwerpunktthema der 64. Wissenschaftlichen Jahrestagung der Fachgesellschaft zu machen, nachdem zuvor bereits eine Projektgruppe sich dazu formiert hatte. In ASU 11/2022 hatten wir dazu bereits berichtet.

Wir wollen dieses wichtige Thema aber nicht nur Mitte März beim Kongress in München diskutieren, sondern einige Aspekte in dieser Ausgabe der ASU zusammen mit Ihnen, unseren Leserinnen und Lesern, reflektieren: So gehen Peter Kegel und Stephan Letzel der Frage nach, warum wir in unserem Versorgungsauftrag Konzepte wie „Arbeitsmedizin digital“ brauchen und was diese leisten müssen. Zudem erinnern sie nochmals daran, dass der 121. Deutsche Ärztetag 2018 das lange tradierte Fernbehandlungsverbot gelockert hatte und die Musterberufsordnung für Ärzte entsprechend geändert worden ist. Seitdem ist eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien im Einzelfall erlaubt, wenn dies ärztlich vertretbar ist, die ärztliche Sorgfalt gewahrt wird und die Betroffenen über die Besonderheiten dieser Form der Beratung und Behandlung aufgeklärt werden. Nicht zuletzt die Corona-Pandemie beschleunigte diese Entwicklungen und damit auch die Akzeptanz digitaler Kommunikation bzw. online-gestützter Kontakte zu Ärztinnen und Ärzte.

Andrea Kaifie-Pechmann unterzieht die Bedeutung der Arbeitsmedizin an den Schnittstellen von medizinischer Prävention, Kuration, Rehabilitation sowie die Möglichkeiten einer interdisziplinären ärzt­lichen Zusammenarbeit einer kritischen Bestandsaufnahme und stellt die These zur Diskussion, dass die zunehmende Digitalisierung in allen Bereichen der Medizin die enge Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen medizinischen Disziplinen wie Arbeitsmedizin, Allgemeinmedizin und weiteren Fachgebieten weiter fördern kann. Weiterhin plädiert sie wie Thomas Nesseler in seinem Beitrag für eine Anbindung der Betriebsärztinnen und Betriebsärzte an die Telematik-Infrastruktur in Form einer Opt-out-Lösung als Zugriffsoption auf die elektronische Patientenakte, um die bestmöglichste medizinische Versorgung zu erreichen.

Im Kontext der Frage, wie die Fachgebiete Arbeitsmedizin und Umweltmedizin sich im Kontext der gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen verändern sollten, berichtet eine Gruppe von Autorinnen und Autoren unter der Federführung von Beatrice Thielmann über die Ergebnisse einer Online-Umfrage, an der sich Mitglieder der DGAUM ab der Jahrestagung 2023 in Jena bis Anfang Mai 2023 beteiligen konnten. Anlass für diese Umfrage war ein Workshop im Januar zuvor. Damals kamen Vorstandsmitglieder der DGAUM und Nachwuchskräfte der Arbeitsmedizin zu einem Meeting zusammen, um gemeinsam sowohl über Zukunftsfragen und Perspektiven in den Fachgebieten Arbeitsmedizin und Umweltmedizin zu diskutieren als auch zu überlegen, wie die Fachgesellschaft sich im Zuge, der sich wandelnden Arbeitswelten und Lebenskontexte weiterentwickeln sollte. Anspruch muss bleiben, auch in der Zukunft der im Satzungstext der DGAUM verbürgten Selbstverpflichtung zu entsprechen: „an der bestmöglichen arbeitsmedizinischen und umweltmedizinischen Betreuung der Bevölkerung“ mitzuwirken. Im Rahmen dieses Workshops wurden drei Arbeitsgruppen etabliert: „Zukunftsfähige Arbeitsmedizin“, „Identität der Arbeitsmedizin“ und „Anspruch an arbeitsmedizinisches Handeln“. Auf weiteren digitalen Meetings der AG „Identität der Arbeitsmedizin“ wurden dann unter anderem auch jene Online-Umfrage konzipiert über deren Ergebnisse und Aussagen wir Sie nunmehr informieren können.

Wir wünschen Ihnen allen eine angenehme und interessante Lektüre und freuen uns schon heute auf Ihre vielfältigen Rückmeldungen und weiterführenden Anregungen dazu.

Ihr
Dr. phil. Thomas Nesseler

Hauptgeschäftsführer DGAUM