Vor einem Jahr, im März 2020, wandte sich die Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angelika Merkel, in einer Fernsehansprache mit folgenden Worten an die Nation:
„Das Coronavirus verändert zurzeit das Leben in unserem Land dramatisch. Unsere Vorstellung von Normalität, von öffentlichem Leben, von sozialen Miteinander – all das wird auf die Probe gestellt wie nie zuvor.
Millionen von Ihnen können nicht zur Arbeit, Ihre Kinder können nicht zur Schule oder in die Kita, Theater und Kinos und Geschäfte sind geschlossen, und, was vielleicht das Schwerste ist: Uns allen fehlen die Begegnungen, die sonst selbstverständlich sind. Natürlich ist jeder von uns in solch einer Situation voller Fragen und voller Sorgen, wie es weitergeht.
Ich wende mich heute auf diesem ungewöhnlichen Weg an Sie, weil ich Ihnen sagen will, was mich als Bundeskanzlerin und alle meine Kollegen in der Bundesregierung in dieser Situation leitet. Das gehört zu einer offenen Demokratie: dass wir die politischen Entscheidungen auch transparent machen und erläutern. Dass wir unser Handeln möglichst gut begründen und kommunizieren, damit es nachvollziehbar wird.
Ich glaube fest daran, dass wir diese Aufgabe bestehen, wenn wirklich alle Bürgerinnen und Bürger sie als IHRE Aufgabe begreifen.
Deswegen lassen Sie mich sagen: Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst. Seit der Deutschen Einheit, nein, seit dem Zweiten Weltkrieg gab es keine Herausforderung an unser Land mehr, bei der es so sehr auf unser gemeinsames solidarisches Handeln ankommt.“1
Obwohl die Lage sich damals bereits in der ersten Welle der Pandemie zuspitzte, glaubten viele Menschen in unserer Bevölkerung, „Corona“ und die Folgen des Virus wegdiskutieren zu können. Kaum jemand konnte sich vorstellen, dass die Ankündigungen der Bundeskanzlerin eintreten und die Pandemie unser Leben für längere Zeit erheblich einschränken werden.
Es zeigte sich jedoch sehr schnell, dass die Pandemie nicht nur große Herausforderungen an den Infektionsschutz der Allgemeinbevölkerung, sondern auch an den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz stellt. Seit März letzten Jahres ist vieles nicht mehr so, wie wir es in unserem täglichen Leben gewohnt waren. Neues ist dazu gekommen, auf manches müssen wir verzichten.
Nach einem Jahr Pandemie haben wir im März-Heft der Zeitschrift ASU das Thema „Corona“ ganz bewusst als Schwerpunktthema gewählt und haben für Sie hierzu im Praxisteil relevante arbeitsmedizinische und sozialmedizinische Themen zusammengestellt.
Einleitend wird von Felix Lang ein Überblick über die Entwicklung der Pandemie in Deutschland gegeben. Neben einer epidemiologischen Betrachtung wird auf Übertragungswege und Infektionsumfelder, die demografische Verteilung, die medizinische Entwicklung, das Management und die Entwicklung des Arbeitsschutzes in Zeiten der Pandemie eingegangen. In seinem Fazit weist Kollege Lang darauf hin, dass der Verlauf der Langzeitfolgen der Pandemie betrachtet werden sollte, um Fehlentwicklungen rechtzeitig zu erkennen und diesen entgegenwirken zu können.
Corona hat auch Einfluss auf die rechtlichen Rahmenbedingungen von Infektionsschutz und Arbeitsschutz genommen. Patrick Aligbe greift diese Thematik auf und diskutiert in seinem Beitrag „COVID-19 und SARS-CoV-2 im Arbeitsschutzrecht“ unter anderem die grundsätzliche Anwendbarkeit der Biostoffverordnung, die Schutzstufenzuordnung, die Unterweisung der Beschäftigten, rechtliche Gesichtspunkte des Jugendarbeitsschutzes und des Mutterschutzes sowie die arbeitsmedizinische Beratung und die arbeitsmedizinische Vorsorge gemäß ArbMedVV.
In der arbeitsmedizinischen Praxis zeigt sich, wie schwierig die Beurteilung und Beratung besonders schutzbedürftiger Beschäftigter in Zeiten der Pandemie sind. Stephan Weiler verfolgt hierzu seit Beginn der Pandemie die vorliegende Literatur und bereitet die entsprechenden Erkenntnisse kontinuierlich auf, die auch Grundlage der Arbeitsmedizinischen Empfehlung „Umgang mit aufgrund der SARS-CoV-2-Epidemie besonders schutzbedürftigen Beschäftigten“ des AfAMed war. In seinem Beitrag wird der aktuelle Kenntnisstand hierzu dargestellt.
Arbeiten im Homeoffice hat während der Pandemie in Deutschland deutlich zugenommen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat erst vor kurzem in der Corona-Arbeitsschutzverordnung darauf hingewiesen, dass der Arbeitgeber den Beschäftigten im Fall von Büroarbeit oder vergleichbaren Tätigkeiten zur Kontaktreduktion im Betrieb anzubieten hat, diese Tätigkeiten im Homeoffice auszuführen, wenn keine zwingenden betriebsbedingten Gründe diesem entgegenstehen. Die Thematik „Homeoffice“ wird in den Beiträgen von Reinhard Holtstraeter unter rechtlichen Gesichtspunkten und von Markus Sander zusammen mit Vera Stich-Kreitner aus arbeitsmedizinischer Sicht eingeordnet.
In Zeiten der Pandemie wird umfangreich darüber diskutiert, ob KITAs und/oder Schulen geöffnet bleiben können, oder ob der Infektionsschutz in diesen Lebenswelten im Verhältnis zum Grundrecht auf Bildung höher einzustufen ist und einen Lockdown rechtfertig. Bei diesen Diskussionen im Bildungs- und Erziehungsbereich werden die Folgen des aktuellen Lockdown an Hochschulen sowie Universitäten und dessen langfristigen Auswirkungen auf die rund 3 Millionen eingeschriebenen Studierenden in Deutschland in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Pavel Dietz hat mit der Projektgruppe „Healthy Campus Mainz – gesund studieren“ unter anderem die gesundheitlichen, ökonomischen, sozialen und studienspezifischen Auswirkungen der Pandemie auf Studierende untersucht und stellt in seinem Beitrag „Zehn Thesen zur Situation von Studierenden in Deutschland während der SARS-CoV-2-Pandemie“ zur Diskussion.
Die SARS-CoV-2-Testung von Beschäftigten unter Gesichtspunkten des Arbeitsschutzes wird seit Beginn der Pandemie kontrovers diskutiert. Unabhängig von der Frage, ob diese Testung nicht primär eine Aufgabe des generellen Infektionsschutzes des Allgemeinbevölkerung ist, stellt sich die Frage nach der Sensitivität des SARS-
CoV-2-Antigen-Schnelltests im Vergleich zum PCR-Test. Jan Neumann und sein Mitarbeiterteam untersuchten diese Frage bei Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in Bremen. Die Autorengruppe kommt auf der Grundlage ihrer Studie zu der Einschätzung, dass zwischen den beiden Tests deutliche Unterschiede bestehen. Der PCR-Test weist eine höhere Sensitivität auf, für den Einsatz in der betrieblichen Praxis hätte jedoch die einfachere Handhabung des Schnelltests unter Alltagsbedingungen auch Vorteile.
Die Chancen einer Videosprechstunde gegenüber Sprechstunden in Präsenz werden in der Arbeitsmedizin nur zum Teil genutzt. In Zeiten der Pandemie könnten telemedizinische Angebote große Vorteile für die Beratung von Beschäftigten und Arbeitgebern haben. Die Rechtsanwälte Urs-Vito Albrecht und Oliver Pramann betrachten in ihrem Beitrag „Praxiswerbung für Videosprechstunden in der Telemedizin“ die rechtlichen Rahmenbedingungen der (Muster)
Berufsordnung für Ärztinnen und Ärzte sowie des Heilmittelgesetztes bezüglich der Werbung für die Videosprechstunde.
Auch für den Wissenschaftsteil des März-Heftes von ASU wurden mehrere Fachbeiträge mit Bezug auf die Corona-Pandemie eingereicht. Hiervon wurden für das aktuelle Heft die Beiträge von Marian Tolksdorf et al. sowie Regina Lösch et al. ausgewählt.
Marian Tolksdorf et al. werteten die Ergebnisse einer arbeitsmedizinisch betreuten Telefonhotline eines Universitätsklinikums während des ersten Lockdowns der Corona-Pandemie im Jahr 2020 aus. Es zeigte sich, dass der arbeitsmedizinischer Expertise bei der Beratung ein wichtiger Stellenwert zukommt. Insbesondere im Hinblick auf die Beurteilung psychischer Belastungen im Kontext der individuellen beruflichen Situation waren arbeitsmedizinische Erfahrungen sehr hilfreich. Insgesamt zeigte die Untersuchung, wie wichtig eine erfolgreiche Pandemie-Kommunikation für die Belegschaft sein kann, wobei neben der Hotline sämtliche Kommunikationswege genutzt werden müssen.
In ihrer Short Communication „COVID-19: Bewertung der Impfung und das Sicherheitsempfinden am Arbeitsplatz“ stellen Regina Lösch et al. die Ergebnisse einer entsprechenden Online-Befragung von n=199 erwerbstätigen Personen dar. Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass die Sorge, sich am Arbeitsplatz zu infizieren, bei den Beschäftigten groß ist und dass das Sicherheitsempfinden durch eine mehrheitliche Impfung der Bevölkerung und die Verstärkte Nutzung des Homeoffice gesteigert werden könnte.
Den Autorinnen und Autoren sei an dieser Stelle ganz herzlich für ihre äußerst kompetenten Beiträge zum Themenschwerpunkt „Corona“ gedankt. Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, wünschen wir eine gute Lektüre der Beiträge und hoffen, Ihnen interessante Inhalte für Ihre Tätigkeit in Praxis und Wissenschaft damit anbieten zu können.
Ihr Stephan Letzel
Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin,
Universitätsmedizin Mainz