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Ethik im Arbeits- und Gesundheitsschutz

Das PDF dient ausschließlich dem persönlichen Gebrauch! - Weitergehende Rechte bitte anfragen unter: nutzungsrechte@asu-arbeitsmedizin.com.

Wir brauchen nicht noch mehr schicke Programme, wir benötigen mehr Anstand im Miteinander“. Diese Forderung stellte ein erfahrener Betriebsarzt, für ein von vielen Professionen gestaltetem Arbeits­feld.

Doch was ist Anstand? In der soziologischen Definition nach Hillmann dient Anstand als Maßstab für den selbstverständlich ethisch-moralischen Anspruch und die Erwartung an gutes oder richtiges Verhalten. Diese von der Mehrheit der Gesellschaft akzeptierten sozialen Normen bestimmen die Umgangsformen und die Lebensart der Menschen.

Was hat Anstand, dieser etwas angestaubte Begriff für einen Anspruch an das betriebliche Miteinander, mit Arbeitsschutz zu tun? Und wo hat Anstand den Platz im von manchen bereits als „überregelt“ und „bürokratisch“ kritisierten Regelwerk? Tatsächlich gibt es neben diesem Regelwerk noch viel Handlungsspielraum, der im Sinne betriebsspezifischer Anforderungen und unternehmerischer Freiheit nicht bis ins kleinste Detail reguliert werden
sollte.

Dieser Handlungsfreiraum eröffnet die Frage nach richtig und falsch – und verknüpft die Arbeit mit Ethik. Der Kern des Arbeits- und Gesundheitsschutzes besteht in einem detaillierten, hierarchisch strukturierten Regel- und Normenwerk als Leitlinie. Geregelt sind die Aufgaben des betrieblichen Arbeitsschutzes, der staatlichen Aufsichtsbehörden und der Unfallversicherungsträger; zudem sind sowohl die Arbeitgebenden als auch die Beschäftigten verpflichtet mitzuwirken. In der Praxis führt ein über die rechtlichen Vorschriften hinausgehender Handlungsrahmen, in dem viele Professionen verschiedener Ansätzen zusammenwirken, zu Konflikten hinsichtlich der Priorisierung von Maßnahmen, Zuständigkeiten, Verantwortlichkeiten und Budgets. Vertreterinnen und Vertreter einiger Berufs­gruppen, wie der Medizin, Psychologie, Rechnungswesen sowie Sicherheitsfachkräfte, sind über das grundsätzliche Regelwerk hinaus noch ihren berufsethischen Richtlinien verpflichtet. Sie unterliegen einer besonderen Sorgfalts- und Schweigepflicht sowie Gewissenhaftigkeit und gegenseitigem Respekt.

Das Ziel, menschengerechte Arbeit, sollte stets oberstes Primat des Handelns sein.

Die folgenden Beiträge verorten den Arbeitsschutz in einem übergeordneten Wertekontext, zeigen Hintergründe auf und leisten einen Beitrag zur Differenzierung und Entscheidungsfindung für geeignete rechtskonforme Maßnahmen.

Nur gemeinsam und miteinander können gesunde Arbeitsplätze gestaltet werden. Aushandlungsprozesse sind zentral um verschieden gewichtete Ansätze zu einem gemeinsamen Ziel zu vereinen. Leider halten Beschäftigte oft ihre Ideen, Bedenken und Meinungen zu Fragen der Arbeitssicherheit (aber nicht nur da) zurück. Michael Knoll beschäftigt sich seit Jahren mit diesem Phänomen und bringt das Schweigen in seinem Beitrag „Ausgesprochen sicher(er) – Schweigen als Thema des Arbeitsschutzes“ zur Sprache. Er macht Mut, diesem kritischen Phänomen in der betrieblichen Praxis aktiv zu begegnen.

Weder reichen der gesunde Menschenverstand noch ein anständiges Miteinander zur Ausarbeitung normativer Leitlinien aus, vor allem wenn es um den weitreichenden Einsatz neuer Technologien, wie Künstliche Intelligenz (KI) geht, deren Folgen zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht vollständig erfasst werden können. Inwieweit ist eine ethische Dimension gegeben, die sich auch in der Regulierung widerspiegelt? Ist der drängende Aspekt der psychischen Belastung davon tangiert? Dazu berichtet Michael Bretschneider-Hagemes und über Möglichkeiten und Grenzen, mit der kommenden KI-Verordnung potenziellen Gefährdungen proaktiv entgegenzuwirken: „Neue psychische Belastung durch KI? Hinweise zur Rolle der kommenden KI-Verordnung.“

In der Arbeitswelt spielt der Arbeits- und Gesundheitsschutz neben der Produktivität eine immer größere Rolle. Das umfasst auch bauliche und ausstattungstechnische Aspekte der Arbeitsräume und erfordert ein tiefgreifendes Verständnis für das Verhalten und Erleben der Menschen, die in diesen Umgebungen arbeiten. Andreas Hegenbart hebt hervor, dass eine umfassende, partizipative Einbindung der Nutzerinnen und Nutzer sowie der Stakeholder in die Planungsphase entscheidend ist, um Arbeitsräume zu schaffen, die sicher, gesundheitsfördernd und motivierend sind. In einem Praxisbeispiel wurde psychologisches Fachwissen in ökopsychologischer Praxeologie integriert. Es wird ein differenziertes Arbeitsmodell vorgestellt, das die psychologischen Facetten des Raumes als Affordanzen begreift und diese systematisch mit den physischen Merkmalen der Arbeitsumgebung verknüpft.

Ich wünsche Ihnen viel Freude und weitere gute Anregungen für Ihre tägliche Arbeit!

Ihre Dagmar B. Veigel

Diplom-Psychologin, Stv. Referatsleitung, Regierungspräsidium Stuttgart, Referat 96 – Arbeitsmedizin, Staatlicher gewerbeärztlicher Dienst