Die arbeitsmedizinische Vorsorge wurde durch die „Verordnung Arbeitsmedizinische Vorsorge“ (ArbMedVV) und ihre Aktualisierungen 2013 und 2019 weiterentwickelt und mehr präventiv ausgerichtet. Allerdings bleibt sie in der Praxis oft noch eng auf ihre jeweiligen Anlässe fokussiert – und damit hinter dem Anspruch der ArbMedVV zurück.
In einem gemeinsamen Beitrag in dieser Zeitschrift haben die Präsidenten der DGAUM und des VDBW die Potenziale einer ganzheitlichen Praxis arbeitsmedizinischer Vorsorge skizziert (Kraus u. Panter 2021) und eine Diskussion darüber in der Arbeitsmedizin, aber auch mit den Partnern des Arbeitsschutzes angeregt und geführt. Wesentliche Ergebnisse dieses Austauschs sind in die neue arbeitsmedizinische Regel „Ganzheitliche arbeitsmedizinische Vorsorge“ (AMR 3.3) eingeflossen, die im Vorjahr vom Ausschuss für Arbeitsmedizin (AfAMed) beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) erarbeitet, verabschiedet und im Dezember 2022 im Gemeinsamen Ministerialblatt veröffentlicht wurde.
In diesem Schwerpunktheft zur ganzheitlichen arbeitsmedizinischen Vorsorge stellen Hella von Oppen und Brigitte Hoffmann die Perspektive des BMAS, wesentliche Ziele und Inhalte der neuen Regel vor. Sie soll durch Konkretisierung von Begriffen und Vorgaben der ArbMedVV eine Weiterentwicklung und verbesserte Umsetzungsqualität der arbeitsmedizinischen Vorsorge fördern.
Im ASU-Interview erläutern Thomas Kraus und Wolfgang Panter ihre Vision einer ganzheitlichen arbeitsmedizinischen Vorsorge und die Konsequenzen der neuen arbeitsmedizinischen Regel für die
betriebsärztliche Praxis.
Dass die arbeitsmedizinische Vorsorge durch eine ganzheitliche Ausrichtung die Wirksamkeit einer betrieblichen Gesundheitsstrategie verbessern kann und ihre Erfolgskontrolle ermöglicht, beschreibt und begründet Stephan Schlosser in seinem Beitrag.
Hans Drexler geht auf den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zur krebserzeugenden Wirkung der UV-Strahlung und die daraus abzuleitenden Arbeitsschutzmaßnahmen ein, die bisher erst unvollständig in das Arbeitsschutzrecht eingeflossen sind.
Am Beispiel einer langfristigen Kooperation von arbeitsmedizinischer Wissenschaft und betriebsärztlicher Praxis bei Einführung einer neuen Technologie zeigen Horst Mann und Stephan Letzel, wie wichtig die Auswertung der Ergebnisse arbeitsmedizinischer Vorsorge ist – und dass arbeitsmedizinische Vorsorge auch bei Anlässen notwendig und präventiv wirksam sein kann, die nicht im Anhang der ArbMedVV aufgeführt werden.
Im wissenschaftlichen Teil präsentieren Solveig Aupers und Falk Liebers ihre Ergebnisse einer Befragung zur bisherigen Vorsorgepraxis und zu den Erwartungen von Expertinnen und Experten der Prävention an eine ganzheitliche arbeitsmedizinische Vorsorge. Befragt wurden die Mitglieder des AfAMed vor Erarbeitung der AMR 3.3.
Die Arbeitsmedizinische Regel 3.3 greift Erkenntnisse und aktuelle Anregungen aus Wissenschaft und Praxis arbeitsmedizinischer Vorsorge auf – aber sie berücksichtigt auch Aspekte, die unter den betrieblichen Partnern der Arbeitsmedizin lange kontrovers diskutiert wurden. Vieles dürfte jungen Ärztinnen und Ärzten in der Facharztweiterbildung selbstverständlich erscheinen – so zum Beispiel der Blick auf die gesamte Arbeitssituation, die ärztliche Betrachtung der jeweiligen gesundheitlichen Gesamtsituation und der heute hohe Stellenwert von Persönlichkeitsrechten der Beschäftigten. Aber die Zeit, in der die betriebsärztliche Beurteilung möglicher „gesundheitlicher Bedenken“ gegen die aktuelle oder eine vorgesehene Tätigkeit als das wesentliche „Ergebnis“ arbeitsmedizinischer Vorsorge galt, liegt noch nicht lange zurück.
Ich bin zuversichtlich, dass die AMR 3.3 Impulse für eine hochwertige Praxis arbeitsmedizinischer Vorsorge geben und auch den Austausch und die Abstimmung mit den betrieblichen Partnern der Arbeitsmedizin unterstützen kann. Nicht zuletzt kann eine aufgewertete arbeitsmedizinische Vorsorge, deren Auswertung zur Ableitung präventiver Maßnahmen genutzt wird, zur Attraktivität betriebsärztlicher Arbeit beitragen.
Ich wünsche Ihnen eine interessante und inspirierende Lektüre!
Ihr
Joachim Stork
Unterausschuss III des Ausschusses für Arbeitsmedizin beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS)
Literatur
Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.): Arbeitsmedizinische Regel AMR 3.3 „Ganzheitliche arbeitsmedizinische Vorsorge“, Bonn, 2022.
Kraus T, Panter W: Ganzheitliche Vorsorge. ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2021; 56: 480–482.
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