Cannabis ist seit Jahrzehnten die mit großem Abstand am häufigsten verwendete illegale Droge. Repräsentative Bevölkerungsbefragungen zeigen, dass nahezu 30 % der Erwachsenen zumindest einmal in ihrem Leben und 8,3 % auch innerhalb der letzten 12 Monate diese Droge angewendet haben (Jahrbuch Sucht 2020). Bei jeweils 0,5 % der Erwachsenen liegen Merkmale des Missbrauchs oder der Abhängigkeit vor. Zum Vergleich die Häufigkeit des Alkoholmissbrauchs in Deutschland: 2,8 %, Alkoholabhängigkeit: 3,1 %, alkoholbedingte Todesfälle: 74 000 (Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen, DHS, 2020).
Eine drogenfreie Gesellschaft gab es noch nie und wird es nie geben. Daher muss es in den gesellschaftlichen Regeln um „harm reduction“ gehen. Seit Jahrzehnten wird in Politik und Wissenschaft darum gerungen, welcher Weg am ehesten geeignet ist, die gesundheitlichen Schäden und Risiken möglichst gering zu halten. Auf der einen Seite stehen die Politik sowie Bürgerinnen und Bürger, die bei Nachlassen der Strafverfolgung eine Ausweitung des Konsums mit zahlreichen negativen Folgen befürchten, auf der anderen Seite formiert sich aber Widerstand gegen die bisherige repressive Praxis in der Drogenpolitik. Insbesondere zahlreiche juristische Sachverständige sowie Suchtmedizinerinnen und -mediziner argumentieren, die Strafverfolgung habe in keinem Land den Konsum eindämmen können und der Konsum in der Illegalität fördere Verelendung und Krankheit. Darüber hinaus überlasse man so der Drogenmafia ein hochlukratives Geschäft und nehme ein zigtausendfaches Sterben in den Drogenkriegen der Erzeugerländer in Kauf (Manifest von 122 Strafrechtsprofessorinnen und -professoren im Schildower Kreis).
In zahlreichen Ländern vollziehen sich schrittweise Veränderungen im Umgang mit den illegalisierten Drogen: Das gilt für die Substitution von Opioiden und dem frühzeitigeren Einsatz von Opiaten auch bei nicht-tumorbedingten Schmerzen (neu: S3 Leitlinien LONTS), für Studien zum Einsatz von Stimulanzien zur Behandlung psychiatrischer Erkrankungen wie zum Beispiel posttraumatische
Belastungsstörungen und für die Zulassung von Cannabis als Medikament.
Diese Thematik ist Schwerpunkt in der aktuellen ASU-Ausgabe, in der Expertinnen und Experten zur Suchtproblematik zu Wort kommen.
Welche Cannabis-Präparate derzeit eingesetzt werden, bei welchen Erkrankungen eine Wirksamkeit bisher belegt werden konnte und welche Nebenwirkungen bei der Einnahme von Cannabis auf Rezept auftreten können wird im Beitrag von Kirsten Müller-Vahl beschrieben.
Der Agronom, Politiker und Stadtentwickler Thomas Kessler, ehemaliges Mitglied der Eidgenössischen Expertenkommission für Drogenfragen, berichtet, aus welchen Überlegungen heraus die Schweiz ihre Strategien zum Umgang mit Cannabiskonsumenten im Laufe der Jahre immer wieder verändert hat und wie sie weiter auf der Suche nach einem angemessenen Weg zum Umgang mit dieser Droge ist.
Udo Bonnet informiert über das Drogenentzugssyndrom bei Abhängigen von nicht-medizinischem Cannabis.
Schließlich werden im Beitrag von Kristin Hupfer Problemstellungen und Handlungsoptionen beleuchtet, die sich im betrieblichen Kontext bei (vermutetem) Cannabiskonsum von Beschäftigten ergeben. Greifen hier die alten Betriebsvereinbarungen mit den Stufenplänen, die vor Jahrzehnten für alkoholauffällige Beschäftigte entwickelt wurden? Was gibt es darüber hinaus zu beachten? Eine neue Fragestellung ist der Umgang mit Beschäftigten, die Cannabis auf Rezept einnehmen – wie können diese eingesetzt werden?
Mit diesem Schwerpunktthema wollen wir Ihnen wichtige Hintergrundinformationen und praxistaugliche Impulse für rationales Handeln in diesem schwierigen Feld geben.
Ihre Kristin Hupfer
Corporate Health Management, BASF SE, Ludwigshafen