Wir entdecken tatsächlich bei unserer arbeitsmedizinischen Vorsorge immer wieder bislang unbekannte Erkrankungen. Durch die „Urinophilie“ unserer bisher über so viele Jahre als Richtschnur verwendeten Berufsgenossenschaftlichen Grundsätze für arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen (fast kein Grundsatz ohne Urinprobe!) fanden wir z. B. recht häufig Mikrohämaturien, die dann bei der Abklärung durch einen Facharzt evtl. auf die Spur von Harnleitersteinen oder – gar nicht so selten (Raucher!) – eines Harnblasenkarzinoms führten. Letzteres wird auf diese Weise meist in frühem Stadium erkannt und kann dann problemlos beseitigt und geheilt werden.
Für viele arbeitsmedizinische Beurteilungen benötigen wir ein EKG oder eine Ergometrie, so dass wir auch häufig Herzrhythmusstörungen oder eine subklinische KHK (koronare Herzkrankheit), selten auch einmal eine HCM (hypertrophe Kardiomyopathie) aufdecken. Klar ist auch, dass wir bei Blutuntersuchungen viele Infektionen nachweisen, vor allem Hepatitiden, oder Auffälligkeiten wie die Thalassämie oder eine Anämie bei den vegan lebenden jungen Leuten. Aber auch an Kuriositäten erinnere ich mich, wie z. B. an ein im Unterbauch tastbares kindskopfgroßes Uterusmyom, eine Tabes dorsalis, eine Leukämie (CML) bei einem jungen Mann und die Überraschung, dass Kontakt zu Maispollen schnell zu Allergien führen kann.
Leider jedoch gelingt es nicht immer, unsere Probanden von einem erkannten Behandlungsbedarf zu überzeugen, wie an einem eklatanten Beispiel erläutert werden kann:
Eines schönen Sommertages klingelt bei mir das Telefon. Ein mir wohlbekannter Mitarbeiter eines „meiner“ Betriebe, Mitte 50, berichtet: „Frau Doktor, ich rufe Sie an, weil Sie der einzige Arzt sind, den ich kenne.“ Ach ja! Wie wahr! Ich seufze verhalten und verdrehe die Augen – er sieht es ja nicht … – wie oft habe ich in den letzten 10 (!!) Jahren bei den jährlichen Vorsorgeuntersuchungen auf ihn eingeredet, er solle sich zur Behandlung seines hohen Blutdrucks endlich einen Internisten suchen, habe ihm Briefe geschrieben und ihm Informationsmaterial an den Arbeitsplatz getragen. Alles vergeblich, er meinte immer nur, er traue keinem Arzt, hätte auch gar keine Zeit, im Wartezimmer zu sitzen, und ob ich ihm nicht einfach eine Tablette verschreiben könne usw. „Also ich habe heute Urlaub, und wie ich vom Spaziergang mit dem Hund nach Hause kam, da konnte ich die Türe nicht aufschließen, die Hand gehorchte mir nicht, der Schlüssel fiel herunter … Was kann denn das bloß sein, Frau Doktor?!“ „Bringen Sie den Hund zur Nachbarin und lassen Sie sich SOFORT ins nächste Krankenhaus fahren! Ich bin mir ziemlich sicher, dass das ein Vorläufer eines Schlaganfalles war! Also BITTE! Tun Sie’s wirklich! Gehen Sie JETZT GLEICH!“ Er murrt und zweifelt noch ein wenig, dann legt er auf.
Beim nächsten Vorsorgetermin bin ich hocherfreut zu hören, dass er ausnahmsweise tat, wie ihm geheißen: Er hatte sich wirklich gleich ins Krankenhaus begeben, dort wurde die TIA bestätigt, Schlimmeres verhütet. Und danach hat er sich tatsächlich, oh unfassbares Wunder! einen Hausarzt gesucht und wird jetzt medikamentös behandelt. Am Schluss seines Erlebnisberichtes muss ich dann aber noch Folgendes von ihm einstecken: „Aber, Frau Doktor, eines müssen Sie mir doch noch erklären: Im Krankenhaus haben mir die Ärzte gesagt, das kam von hohem Blutdruck, und dass ich den bestimmt schon längere Zeit gehabt habe. Ich war doch so oft bei Ihnen zur Untersuchung – wieso haben Sie mir denn eigentlich nie gesagt, dass ich hohen Blutdruck habe??!“
Autorin
Landesbetrieb ZAF/AMD
AMD2 – Arbeitsmedizinischer Service
Alter Steinweg 4 20459 Hamburg
Info
Frau Dr. Ambrosi ist Fachärztin für Arbeitsmedizin und seit vielen Jahren beim Arbeitsmedizinischen Dienst der Stadt Hamburg beschäftigt. Ihre Erfahrungen aus der betriebsärztlichen Praxis hat sie schon in etlichen unterhaltsamen Fallgeschichten beschrieben.