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Zukunft Arbeitsmedizin: Fragen an Hans Drexler

SL: Wir beobachten in Deutschland einen Wandel in der Arbeitswelt, von der Produktion hin zur Dienstleistungsgesellschaft. Brauchen wir da zukünftig noch das Biomonitoring als diagnostisches Instrument in der Arbeitsmedizin?

Univ.-Prof. Dr. med. Hans Drexler: Auch in einer modernen Dienstleistungsgesellschaft wird es noch die Landwirtschaft, die Schwerindustrie, die Bauindustrie, das Handwerk und generell Produktionsstätten für die vielfältigen Konsumprodukte geben. Gewiss werden in Zukunft weniger Beschäftigte unmittelbar gegen Gefahrstoffe exponiert sein als heutzutage, aber diese besonders Gefährdeten müssen wir mit unserer Kompetenz und unserem Wissen schützen.

In einem Beitrag im British Journal of Cancer wird im Jahr 2017 davon ausgegangen, dass es in den nächsten 60 Jahren mehr als 700.000 zusätzliche Krebstodesfälle in Europa durch berufliche Einflüsse geben wird. Für systemisch wirkende krebserzeugende Arbeitsstoffe steht als Instrument der Vorsorge oftmals nur das Biomonitoring zur Verfügung, denn bei allen (labor-)klinischen Untersuchungen handelt es sich um Maßnahmen der Krebsfrüherkennung, die erst nach längerer Expositionszeit indiziert sind. Die Quantifizierung der inneren Belastung durch ein Biomonitoring erlaubt hingegen von Expositionsbeginn an eine Aussage zum beruflichen Krebsrisiko (quantitativ für Arbeitsstoffe mit Exposition-Risiko-Beziehung und Äquivalenzwerten, semiquantitativ für alle Stoffe mit biologischem Arbeitsstoffreferenzwert).

Für zahlreiche Arbeitsstoffe (z.B. Blei, Quecksilber, polychlorierte Biphenyle (PCB), aromatische Amine) erlaubt nur ein biologisches Monitoring eine valide Abschätzung der gesundheitlichen Gefährdung der Exponierten. Für Blei hat der deutsche Verordnungsgeber daher im Jahr 2017 den Luftgrenzwert ausgesetzt und nur noch einen biologischen Grenzwert zur Überwachung der Exposition festgelegt.

Im Gegensatz zu angelsächsischen Ländern ist in Deutschland das Biomonitoring im Arbeitsschutz ein Instrument der Individualprävention, wodurch es Bestandteil der ärztlichen Heilkunde ist und die Ergebnisse der ärztlichen Schweigepflicht unterliegen. Das biologische Monitoring ist das fachspezifische Instrument der Arbeitsmedizin. Die sachkundige Wahl der Matrix, des Probenahmezeitpunkts, der Versandart, die Prüfung der Qualitätskontrolle und schließlich die Befundinterpretation in Kenntnis der speziellen Arbeitsplätze und der jeweils anzuwendenden Werte zur Beurteilung sowie die sich ergebenden Konsequenzen erfordern in der Praxis unzweifelhaft den arbeitsmedizinischen Facharztstandard.

Das Interview wurden von Herrn Professor Stephan Letzel anlässlich des 60jährigen Jubiläums der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (DGAUM) geführt und in der ASU-Ausgabe 04/2022 erstmals veröffentlicht.