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Bäckerasthma in Zeiten gesetzlicher Änderungen und der neuen S2k-Leitlinie „Fachärztliche Diagnostik und Therapie von Asthma“

Das PDF dient ausschließlich dem persönlichen Gebrauch! - Weitergehende Rechte bitte anfragen unter: nutzungsrechte@asu-arbeitsmedizin.com.

Alexandra M. Preisser, Lukas Damerau, Matthias W. Helm, Hanno Hoven, Volker Harth

doi:10.17147/asu-1-384615

Baker‘s asthma in times of legal changes and the new S2k guideline “Specialist diagnosis and treatment of asthma

With the abolition of the statutory obligation to refrain from BK 4301, the recognition figures for this BK have increased significantly. The main representative is baker’s asthma, the treatment of which follows the revised step-by-step scheme of the new S2k asthma guideline. The effectiveness of the task has been proven for the prevention of the disease; however, there is a lack of evidence for the effectiveness of individual preventive measures. The “Asthma LINDern” research project aims to help close these gaps.

Bäckerasthma in Zeiten gesetzlicher Änderungen und der neuen S2k-Leitlinie „Fachärztliche Diagnostik und Therapie von Asthma“

Mit dem Wegfall des gesetzlichen Unterlassungszwangs für die BK 4301 sind die Anerkennungszahlen dieser BK relevant gestiegen. Wesentlicher Vertreter ist das Bäckerasthma, dessen Therapie dem überarbeiteten Stufenschema der neuen S2k-Asthma-Leitlinie folgt. Für die Prävention der Erkrankung ist die Effektivität der Tätigkeitsaufgabe belegt; es fehlt jedoch an Evidenz für die Wirksamkeit individualpräventiver Maßnahmen. Das Forschungsprojekt „Asthma LINDern“ soll zur Schließung dieser Lücken beitragen.

Epidemiologie

Das Bäckerasthma ist eine d er häufigsten berufsbedingten Atemwegserkrankungen in Deutschland und als Berufskrankheit (BK) nach Nr. 4301 anerkennungsfähig. Innerhalb der Bäckerei- und Konditoreibranche wurden im Jahr 2022 bei 297.745 Vollarbeitenden insgesamt 665 BK-Verdachtsanzeigen gestellt und 290 neue BK-Renten bewilligt (BGN 2023). Vorherrschend ist dabei die BK 4301, für die im selben Zeitraum branchenübergreifend 448 Fälle anerkannt und 353 BK-Renten neu bewilligt wurden (DGUV 2023a). Dies unterstreicht die Bedeutung des Bäcker­asthmas und der Bäckerrhinitis für das Sozialversicherungssystem und die Arbeitsmedizin. Verursacht werden die Erkrankungen meist durch die Inhalation von Mehlstaub, der allergische Reaktionen und obstruktive Atemwegserkrankungen hervorrufen kann (Kühn et al. 2023). Auslösend sind nicht nur die Produktion und Verarbeitung von Mehl, sondern auch angrenzende Tätigkeiten wie das Backen und die Teigaufbereitung, auch das Aufbacken und Verkaufen von bemehlten Teigwaren vor Ort (BGN 2020).

Gesetzesänderung im Berufskrankheitenrecht zum 01.01.2021

Ein bedeutender Wendepunkt in der Anerkennung und medizinischen Betreuung der BK 4301 war der Wegfall des Unterlassungszwangs am 1. Januar 2021. Dieser hatte die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – als Voraussetzung für die Aner­kennung der BK 4301 – zuvor zur Aufgabe der schädigenden Tätigkeit gezwungen. In der Folge der rechtlichen Änderung kam es zu einem signifikanten Anstieg der Anerkennungen von Berufskrankheiten in den Jahren 2021 und 2022. Dies verdeutlicht die Relevanz und Dringlichkeit effektiver Präventions- und Interventionsstrategien (DGUV 2023a; Schneider u. Schulz 2022).

Die Epidemiologie der BK 4301 zeigt, dass die unter ihr erfassten Erkrankungen nicht nur häufig vorkommen, sondern auch erhebliche Kosten für die Berufsgenossenschaften verursachen. In der Bäckereibranche sind ca. 14 % der Versicherten betroffen; deren Fälle verursachen jedoch 38 % der gesamten Kosten der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe (BGN) (Schmidt 2022).

Bisherige Erkenntnisse zur Wirk­samkeit von Präventionsmaßnahmen

Eine umfassende Literaturübersicht (Coch­rane Review) von Henneberger et al. (2019) bietet Einblicke in die Wirksamkeit verschiedener arbeitsplatzbezogener Interventionsmaßnahmen zur Behandlung von berufsbedingtem Asthma. Die Analyse umfasst 26 Studien mit 1695 Teilnehmerinnen und Teilnehmern und vergleicht die Asthmasymptomatik bei

(1) vollständiger Entfernung der Exposition,

(2) Reduzierung der Exposition und

(3) Fortsetzung der Exposition gegenüber allergisierenden Stoffen.

Die Ergebnisse zeigen, dass die vollständige Entfernung der Exposition die effektivste Maßnahme zur Verbesserung der Asthmasymptome und der Lungenfunktion darstellt. Dies lässt sich im Bäckereibetrieb meist nur durch die vollständige Tätigkeitsaufgabe realisieren. Das Review zeigt jedoch auch signifikante Vorteile durch die Reduzierung der Exposition im Vergleich zur Fortsetzung der Exposition; möglicherweise ein Hinweis auf wirksame Präventionsmaßnahmen im Betrieb.

Trotz dieser Erkenntnisse offenbart das Review Schwächen und Limitationen in der Forschungsliteratur zu arbeitsplatzbezogenen Interventionsmaßnahmen bei berufsbedingtem Asthma, insbesondere in Bezug auf das Backgewerbe. So weisen viele der einbezogenen Studien nur geringe Stichprobengrößen und methodische Einschränkungen auf und die Qualität der Evidenz für alle untersuchten Maßnahmen bleibt sehr niedrig. Zudem finden sich in der Beurteilung keine Studien aus dem Backgewerbe, die die Wirksamkeit von Maßnahmen zur Expositionsreduzierung untersuchen.

Individualprävention und Asthma­therapie

Präventionsmaßnahmen zur Vermeidung der Verschlimmerung eines bereits eingetretenen Asthmas umfassen neben technischen, organisatorischen und persönlichen Schutzmaßnahmen auch Schulungen zur Staub­reduktion sowie zum Krankheitsverständnis und -management. Hinzu kommt die regelmäßige fachärztliche Betreuung mit einer dem Krankheitsstadium angepassten Therapie (Preisser 2021). Die neue S2k-Leitlinie der AWMF zur „Fachärztliche[n] Diagnostik und Therapie von Asthma“ (Lommatzsch et al. 2024) empfiehlt die Asthmatherapie entsprechend einem Stufenschema (➥ Abb. 1), das selbstverständlich auch für Personen mit einem beruflich verursachten Asthma bronchiale Gültigkeit hat. Die Therapie des schweren Asthmas, dargestellt in Stufe 5, beinhaltet neu die additive Therapie mit monoklonalen Antikörpern aus den Reihen der sogenannten „Biologika“. Diese werden in Abhängigkeit vom Phänotyp ausgewählt und richten sich gegen pathogenetisch relevante Zielstrukturen wie Zytokine oder IgE-Antikörper. Die Biologika, die meist als subkutane Spritze alle zwei oder vier Wochen appliziert werden, sollen orale Kortikosteroide ersetzen und deren schwerwiegende Nebenwirkungen vermeiden. Vereinzelt sind die kostspieligen Biologikatherapien bereits bei versicherten Personen mit Bäckerasthma im Einsatz, die weiterhin an ihrem Arbeitsplatz tätig sind und sein wollen. Es bleibt abzuwarten, ob durch den Einsatz der Biologika
für diese Patientengruppe ein Zusatznutzen durch eine längerfristige bessere Asthmakontrolle erzielt werden kann. Die Entscheidung zu einer Biologikatherapie und deren Fortführung sollte anhand der Zahl der Exazerbationen im vergangenen Jahr, des Bedarfs an systemischen Glukokortikoiden, der aktuellen Lungenfunktion, der Asthmakon­trolle und der asthmabezogenen Lebensqualität getroffen werden. Indikationsstellung und Überwachung bleiben hiermit erfahrenen Ärztinnen und Ärzten vorbehalten; für Einzelheiten wird auf die aktuelle Leitlinie verwiesen (Lommatzsch et al. 2024).

Forschung und Ausblick

Das Bäckerasthma als wesentlicher Vertreter der BK 4301 ist eine Berufskrankheit, die sowohl schwerwiegende individuelle als auch systemrelevante Auswirkungen auf das Berufskrankheitengeschehen hat. Die gesetzlichen Änderungen von 2021 haben zwar die Anerkennung der Erkrankung und die Unterstützung betroffener Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verbessert, jedoch bleibt die Implementierung geeigneter Präventionsmaßnahmen eine zentrale Herausforderung. Es besteht ein dringender Bedarf an hochwertigen Studien, um die Wirksamkeit entsprechender Strategien zu evaluieren.

Das in diesem Jahr gestartete und von der DGUV geförderte Projekt „Asthma LINDern“, bizentrisch durchgeführt im Zentralinstitut für Arbeitsmedizin und Maritime Medizin (ZfAM) in Hamburg und im Institut für Prävention und Arbeitsmedizin (IPA) in Bochum, soll Grundlagen für die evidenz­basierte Gestaltung von Maßnahmen liefern, um die Gesundheit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in der Bäckerei- und Konditoreibranche zu verbessern (DGUV 2023b). Auch für den Arbeitnehmerschutz in anderen Industriezweigen, wie Holzverarbeitung, Landwirtschaft und pharmazeutischer Industrie, in denen die Beschäftigten durch allergisierende Stäube ähnlichen Risiken ausgesetzt sind (BAuA 2014), lässt die angenommene Übertragbarkeit des Modells nützliche Erkenntnisse erwarten.

Interessenkonflikt: Alexandra M. Preisser und Volker Harth untersuchen und behandeln Versicherte im Auftrag verschiedener Unfallversicherungsträger, erstatten Gutachten zu unfallrechtlichen Fragestellungen im Auftrag der Sozialgerichtsbarkeit und verschiedener Unfallversicherungsträger und beraten zu Einzelfällen die Berufsgenossenschaften sowie die gesetzliche Unfallversicherung fachlich in verschiedenen Gremien. Die anderen Autoren erklären, dass kein Interessenskonflikt vorliegt.

Literatur

BAuA – Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: Berufliche Allergierisiken – Die SOLAR-Kohortenstudie (Vol. FB 1045). Dortmund: BAuA,
2014

Henneberger PK, Patel JR, de Groene GJ, Beach J, Tarlo SM, Pal TM, Curti S: Workplace interventions for treatment of occupational asthma. Cochrane Database Syst Rev 2019; 10: CD006308. doi:10.1002/14651858.CD006308.pub4 (Open Access).

Kühn R, Steen T, Schneider F, Stark U, Thamm R, Pokora R: Sensibilisierung gegen Weizen-und Roggenmehl im Kontext der deutschen Allgemeinbevölkerung: Ergebnisse der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1) aus arbeitsmedizinischer Sicht. Allerg J 2023; 32: 26–33. doi:10.1007/s15007-023-5743-6.

Lommatzsch M, Criée CP, de Jong CCM et al.: S2k-Leitlinie zur fachärztlichen Diagnostik und Therapie von Asthma 2023, herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) e.V. Pneumologie 2023; 77: 461–543. doi:10.1055/a-2070-2135. Epub 2023 Jul 5.

Preisser AM: Verbleib im Beruf mit Atemwegs­erkrankung. Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2021; 4: 194–195. doi:10.17147/asu-2104-7621 (Open Access).

Schneider S, Schulz R: Weiterentwicklung des Berufskrankheitenrechts – Auswertung der Gesamtstatistik. DGUV Forum 2022; 10: 23–28.

Online-Quellen

BGN – Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe: Vermeidung von Bäckerasthma, Arbeitssicherheitsinformation (ASI) 8.80. 2020
https://vorschriften.bgn-branchenwissen.de/daten/asi/a8_80/a8_80.pdf

BGN – Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe: Geschäftszahlen 2022.
https://www.bgn.de/die-bgn/statistik-geschaeftszahlen-geschaeftsbericht…

DGUV: Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung: DGUV-Statistiken für die Praxis 2022 – Aktuelle Zahlen und Zeitreihen aus der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung. 2023a
https://publikationen.dguv.de/widgets/pdf/download/article/4767

DGUV – Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung: Asthma LINDern: Längsschnittstudie zur Auswirkung der INDividualprävention bei Beschäftigten mit einem arbeitsbedingten allergischen Asthma bronchiale auf die Asthmakontrolle, die krankheitsbezogene Lebensqualität und die Lebenszufriedenheit (FF-FB 0327). 2023b
https://www.dguv.de/ifa/forschung/projektverzeichnis/ff-fb0327.jsp

Schmidt H: Backe, backe Bäckerasthma. Prävention aktuell 2022; 05
https://praevention-aktuell.de/backe-backe-baeckerasthma/

Koautoren

Kontakt

Prof. Dr. med. Alexandra M. Preisser
Zentralinstitut für Arbeitsmedizin u. Maritime Medizin (ZfAM); Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE); Seewartenstraße 10, Haus 1; 20459 Hamburg

Foto: Mike Auerbach

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