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Betriebliches Gesundheits­management (BGM)

Das PDF dient ausschließlich dem persönlichen Gebrauch! - Weitergehende Rechte bitte anfragen unter: nutzungsrechte@asu-arbeitsmedizin.com.

Anna Rosa Ott

doi:10.17147/asu-1-391889

Um die Beschäftigten in dieser herausfordernden Zeit bestmöglich zu unterstützen, sind auch im Betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM) innovative und ganzheitliche Ansätze notwendig, die insbesondere die sich wandelnden Arbeitsbedingungen im Blick haben. Dies gilt umso mehr, als von einem modernen BGM nicht mehr nur erwartet wird, die Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeitenden positiv zu beeinflussen, sondern auch die Arbeitgeberattraktivität.

Hinweise, wie ein solches modernes BGM gestaltet, in die Strategie eines Unternehmens verankert und mit innovativen Maßnahmen umgesetzt werden kann, finden Sie unter anderem im ASU-Heft 1/24.

Die ASU-Serie „Betriebliches Gesundheitsmanagement“ betrachtet in loser Abfolge weitere Best-Practice-Beispiele, die aufzeigen, wie ein BGM unter Berücksichtigung aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen bereits heute erfolgreich in Unternehmen und Institutionen umsetzt wird.

Im zweiten Beitrag stellt Anna Rosa Ott ein Projekt des Hessischen Ministeriums für Finanzen zur Prävention von Suchterkrankungen vor. Hierbei werden Mitarbeitende zu „Peer-Ansprechpartnern“ ausgebildet, um so kommunikative Barrieren zu senken.

Part 2: Peer-to-Peer – A company addiction prevention seminar for students

Students advise students - this is the motto of the addiction prevention seminar that the Hessian Finance Administration successfully introduced in 2023. Participants are trained as peer counselors who then offer solution-oriented help on addiction issues as first responders for their peer group.

Kernaussagen

  • Die Einbindung von jungen Erwachsenen als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren stellt ­einen vielversprechenden Präventionsansatz in der betrieblichen Suchthilfe dar.
  • Die Hessische Finanzverwaltung hat ein Suchtpräventionsseminar mit „Peer-to-Peer“-Ansatz erfolgreich eingeführt und erprobt. Es richtet sich an junge Erwachsene, die als Studierende in die Finanzverwaltung einsteigen. Diese werden zu Peerberatenden ausgebildet, die ihren Kommilitoninnen und Kommilitonen lösungsorientierte Hilfe zu Suchtfragen anbieten.
  • Die Evaluation zeigt, dass die Peerberatenden nach dem Seminar für die Thematik sensibi­lisiert sind und Möglichkeiten kennen, Betroffenen helfen zu können.
  • Die Peerberatenden werden in das Hilfenetzwerk der Hessischen Finanzverwaltung eingebunden.
  • Folge 2: Peer-to-Peer – Ein betriebliches Sucht­präventionsseminar für Studierende

    Studierende beraten Studierende – das ist das Motto des Suchtpräven­tionsseminars, das die Hessische Finanzverwaltung im Jahr 2023 erfolgreich eingeführt hat. Teilnehmende werden zu Peerberatenden ausgebildet, die im Anschluss als Ersthelfende für ihre Peergruppe lösungsorientierte Hilfe zu Suchtfragen anbieten.

    Jugendalter als Schlüsselphase für Suchtmittelkonsum

    Viele Menschen machen im Laufe ihres jungen Erwachsenenlebens Erfahrungen mit legalen und illegalen Suchtmitteln. Dies hat die repräsentative Drogentrendstudie „Monitoring-System Drogentrends“ (MoSyD) des Centre for Drug Research im Jahr 2022 mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen 15 und 18 Jahren in Frankfurt ergeben. Sowohl im Hinblick auf die beobachteten Konsummuster als auch auf persönliche Präferenzen ist Alkohol weiterhin das am meisten konsumierte Suchtmittel junger Menschen, gefolgt von Zigaretten und Cannabis. Ein Aufwärtstrend zeigt sich beim Konsum von Lachgas. Auch die Nutzung von Glücksspielen steigt. Knapp die Hälfte der Befragten weist moderate Konsummuster im Hinblick auf legale und/oder illegale Substanzen auf (Center for Drug Research 2022). Es ist davon auszugehen, dass sich bei anhaltendem Konsum zunächst Schwierigkeiten im Freizeitbereich ergeben. Langfristig ist von einer erheblichen Beeinträchtigung am Arbeitsplatz und der Gesundheit im Allgemeinen auszugehen. Um dem Konsum bereits in den Anfängen vorzubeugen und den oben genannten Folgen sowie einer Verfestigung im weiteren Verlauf des Lebens entgegenzuwirken, ist es besonders wichtig, schon im jugendlichen Alter gezielt mit Präventionsmaßnahmen anzusetzen (Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung 2019). Doch in welchem Kontext sind Präventionsmaßnahmen für diese Zielgruppe sinnvoll?

    Arbeitskontext als Präventions­landschaft

    Präventionsmaßnahmen bieten sich im betrieblichen Kontext an. Da Berufseinsteigerinnen und -einsteiger in Organisationen in hohem Maße bereit sind, sich Spielregeln und Gebräuchen der Organisation anzupassen, besteht in der Anfangsphase eine große Chance, junge Erwachsene mit entsprechenden Maßnahmen zu erreichen und den Grundstein für ein langfristig präventives Gesundheitsverhalten zu legen (Freigang-Bauer u. Gusia 2013). Der betrieblichen Suchtprävention kommt daher eine große Bedeutung zu. Sie stellt eine essenzielle Säule
    im betrieblichen Gesundheitsmanagement dar (Uhle u. Treier 2019).

    In der Hessischen Finanzverwaltung existiert die behördliche Suchtprävention und Suchthilfe seit 1993. Sie umfasst ein umfangreiches Unterstützungsnetzwerk, bestehend aus einer hauptamtlichen Suchtbeauftragten sowie über 70 lokalen Suchtkrankenhelfenden in allen Dienststellen. Betriebliche Rahmenbedingungen, die in einer Dienstvereinbarung zum Thema Sucht verankert sind, und intensive Präventionsarbeit sollen dafür sorgen, Suchtmittelmissbrauch wirksam vorzubeugen und suchtgefährdeten beziehungsweise betroffenen Beschäftigten frühzeitig lösungsorientierte Hilfe anzubieten. Zudem besteht jederzeit die Möglichkeit, sich über eine externe Mitarbeitendenberatung Hilfe zu privaten und beruflichen Suchtthemen zu holen. Auch junge Erwachsene, die in die Finanzverwaltung einsteigen, können ab dem ersten Tag auf alle Angebote des beschriebenen Hilfesystems zurückgreifen. Welche besonderen Bedarfe haben junge Erwachsene im Hinblick auf Suchtprävention und welche Rolle spielen sie in der Hessischen Finanzverwaltung?

    Berufseinstieg in der Hessischen Finanzverwaltung

    Die Hessische Finanzverwaltung bietet jedes Jahr mehreren hundert jungen Erwachsenen Studienplätze in unterschiedlichen Bereichen an, die meisten davon in der Steuerverwaltung. Dieses Studium ist zweigeteilt: Es kombiniert theoretische Studienphasen an den Studienzentren der Finanzverwaltung und Justiz in Rotenburg an der Fulda und in Frankfurt am Main mit einer praxisnahen Ausbildung in den Hessischen Finanzämtern.

    Die Studierenden verbringen während ihrer theoretischen Studienphase nicht nur ihre Studienzeit, sondern auch ihre Freizeit an den Studienstandorten. Viele von ihnen sind in diesem Zusammenhang erstmals für ihren Tagesablauf außerhalb der gewohnten familiären Umgebung selbst verantwortlich und müssen lernen, mit dieser „neuen Freiheit“ umzugehen. In diesen Phasen spielen die Kommilitoninnen und Kommilitonen des eigenen Studienjahrgangs eine zentrale Rolle: Als Peergruppe bewältigen sie wichtige Meilensteine des Lebens gemeinsam, sind füreinander zentrale Interaktionspartnerinnen und -partner. Sie haben große Einflussmöglichkeiten auf gegenseitige aktuelle und zukünftige Verhaltensweisen, auch im Suchtkontext (Proissl u. Waibel 2017). Es ist davon auszugehen, dass dies auch Einstellungen und Verhaltensweisen im Hinblick auf Suchtmittelgebrauch betrifft, beispielsweise in Bezug auf Alkoholkonsum beim Feiern, Hirndoping während der Lernphasen und Cannabiskonsum zum Entspannen.

    Diese Begebenheiten hat sich die Suchtprävention der Hessischen Finanzverwaltung zu Nutze gemacht und ein Suchtpräventionsseminar eingeführt, das junge Erwachsene zu Trägerinnen und Trägern präventiven Handelns während der Studien­phasen macht. Wie gestaltet sich dieses Seminar?

    Das Suchtpräventionsseminar: ­Hintergrund, Ziele, Programm

    Hintergrund

    Das Seminar ist von der Drogenhilfe Nordhessen e. V. entwickelt und in das umfassende Netzwerk sowie weitergehende Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung und Suchtprävention eingebettet worden. Vor dem Seminar finden Impulsvorträge zum Thema Suchtprävention und Suchthilfe für alle Studierenden des jeweiligen Jahrgangs statt. Diese werden von der hauptamtlichen Suchtbeauftragten des Ressorts in Zusammenarbeit mit externen Beratenden aus der Drogenhilfe gestaltet und dienen der Sensibilisierung für das Thema. In diesen Impulsvorträgen werden die Grundlagen zur Suchtentwicklung, Wissen zu weit verbreiteten Suchtmitteln und Konsequenzen von Abhängigkeit und Substanzgebrauch vermittelt. Zudem wird das bestehende verwaltungsinterne Hilfsnetzwerk der Hessischen Finanzverwaltung erläutert und Anlaufmöglichkeiten genannt. Das Suchtpräventionsseminar wird vorgestellt und für die Teilnahme daran geworben. Dabei wird verdeutlicht, dass sich das Seminar an diejenigen richtet, die über ihre Arbeitstätigkeit hinaus Verantwortung übernehmen und sich für die Gesundheit ihrer Peergruppe einsetzen möchten. Im Anschluss daran können sich die Studierenden für die Teilnahme am Seminar bewerben. Die Studierenden nennen den Wunsch zu helfen und das Interesse an Wissenserweiterung als zentrale Beweggründe für ihre Bewerbung. Eine Person hat es folgendermaßen ausgedrückt: „Ich möchte Menschen helfen und eine Stütze sein. Ich möchte Betroffenen Anreize schaffen, die ersten Schritte zu gehen.“ Auch persönliche Berührungspunkte mit dem Thema, in der Familie, im Freundeskreis oder im Berufsalltag, wurden als Beweggründe genannt.

    Ziele und Zielgruppe

    Das Suchtpräventionsseminar richtet sich an junge Erwachsene, die als Studierende in die Hessische Finanzverwaltung einsteigen. In dieser Zielgruppe soll Suchtmittelkonsum vorgebeugt beziehungsweise gesenkt sowie schnellere Hilfe bei Suchtproblematiken ermöglicht werden. Die Peerberatenden sollen ihre Altersgruppe nach dem „Peer-to-Peer“-Ansatz, also auf Augenhöhe von Studierenden für Studierende beraten und unterstützen. Denn auf Augenhöhe wird am deutlichsten, dass Suchtprävention nichts mit Spaßverderben zu tun hat, sondern essenzieller Teil einer umfassenden Gesundheitserhaltung ist.

    Am Seminar können 10–20 Personen teilnehmen, die sich im ersten Studienjahr befinden. So können sie ihrer Peerberatungstätigkeit über die gesamte Zeit ihres dreijährigen Studiums nachgehen. Die Gruppe wird so zusammengestellt, dass von jedem der beiden Studienstandorte ungefähr gleich viele Personen vertreten sind. Die Dauer des Seminars umfasst drei volle Tage und findet als Präsenzveranstaltung im Studienzentrum Rotenburg an der Fulda statt. Die Suchtbeauftragte der Hessischen Finanzverwaltung leitet das Seminar zusammen mit externen Beratenden aus der Drogenhilfe.

    Programm

    Das Programm des Seminars ist im Überblick im Infokasten dargestellt. Im Seminar werden die Inhalte aus den Impulsvorträgen wieder aufgegriffen und vertieft: Die Entwicklung von Sucht wird erläutert und für das Thema sowie für Suchtbetroffene sensibilisiert. Stoffgebundene und stoffungebundene Süchte werden mit ihren Auswirkungen für das Berufs- und Privatleben erläutert. Die Wirkung und Gefahren von Suchtmitteln und ihrem Konsum werden von einem Notfallmediziner vorgestellt. Dabei wird darauf fokussiert, woran die zukünftigen Peerberatenden Missbrauch und Abhängigkeit erkennen können. Auch rechtliche Konsequenzen von Suchtmittelmissbrauch werden erläutert. Die Teilnehmenden werden mit Reflexionsübungen eingebunden und zum aktiven Mitarbeiten angeregt. Um einen Rausch erlebbar zu machen, haben die Seminarteilnehmenden die Möglichkeit, Rauschbrillen auszuprobieren. Mit Rauschbrillen können verschiedene Promillewerte simuliert und so die Gefahren von Alkohol- und Suchtmittelkonsum aufgezeigt werden. Die Brillenträgerinnen und
    -träger erleben eine eingeschränkte Rundumsicht, Doppelsehen, Fehleinschätzungen für Nähe und Entfernungen, Verwirrung, verzögerte Reaktionszeit und das Gefühl von Verunsicherung. Die zukünftigen Peerberatenden können mit den Rauschbrillen einen Parcours durchlaufen und andere koordinative Übungen ausprobieren (➥ Abb. 1).

    Die betriebliche Suchtprävention der Hessischen Finanzverwaltung als ganzheitlicher Ansatz wird in den Fokus genommen. Dabei wird die Dienstvereinbarung Sucht und der darin inkludierte Stufenplan erläutert. Das interne Hilfsnetzwerk und die damit verbundenen Serviceangebote werden vorgestellt. In Gruppenarbeiten werden Berührungssituationen für Sucht und Substanzgebrauch, die den Studierenden begegnen könnten, identifiziert und korrekte Reaktionsweisen darauf erarbeitet. So wird den Teilnehmenden ermöglicht, sich auf zukünftige Beratungssituationen vorzubereiten, die sie im Rahmen ihrer Peerberatungstätigkeit erwarten könnten. In ➥ Abb. 2 ist eine beispielhafte Problemsituation aus einer Gruppenarbeit dargestellt.

    Die Themen Gesprächsführung und Kommunikation stellen ebenfalls wichtige Seminarinhalte dar. Die Teilnehmenden üben in Rollenspielen die Kontaktaufnahme zu Kommilitoninnen und Kommilitonen. Auch der Aufbau von Beratungsgesprächen wird an Fallbeispielen aus der Praxis geübt. Es wird behandelt, wie mit Widerstand umgegangen werden kann.

    Dabei wird auch der Fokus auf Selbstreflexion und Abgrenzung gelegt. Die zukünftigen Peerberatenden lernen, wie sie eigene Grenzen und sich selbst schützen können. In diesem Zusammenhang wird die Vernet­zung zur Suchtbeauftragten der Hessischen Finanzverwaltung und zur externen Mitarbeitendenberatung erläutert. Diese In­stanzen stehen den Peerberatenden in Zukunft bei Rat und Tat als Anlaufstellen zur Verfügung und bieten ihnen professionelle Unterstützung an. Zudem lernen die Seminarteilnehmenden die Peerberatenden des vorherigen Seminars kennen. Diese berichten über ihre Erfahrungen und geben Best-Practice-Empfehlungen.

    Den Abschluss des Seminars bildet die Definition nächster Schritte. Die Seminargruppe erarbeitet konkrete Schritte für ihre Peerberatungstätigkeit. Sie definiert, wie sie sich in ihrer neuen Funktion bekanntmachen, miteinander vernetzen und welche Präventionsmaßnahmen sie planen will. Bisher wurde die Selbstvorstellung auf der digitalen Lernplattform für Studierende und an den Studienorten beschlossen. Auch die Vernetzung mit der Suchtbeauftragten im Rahmen eines regelmäßigen Jour fixe sowie der Austausch mit den Suchtkrankenhelfenden der eigenen Dienststelle werden hierbei in der Regel anvisiert.

    Als Seminarabschluss wird allen Teilnehmenden ein Zertifikat verliehen. Sie werden damit offiziell als Peerberatende in das Hilfsnetzwerk für Suchtprävention und Suchthilfe der Hessischen Finanzverwaltung aufgenommen.

    Abb. 1:  Übung mit Rauschbrillen

    Foto: HMdF

    Abb. 1: Übung mit Rauschbrillen

    Pilotprojekt und Seminarevaluation

    Das Suchtpräventionsseminar wurde erstmalig im Jahr 2023 durchgeführt und pilotiert. Auch im darauffolgenden Studienjahrgang fand es wieder statt. Die bisherigen Evaluations- und Erfahrungswerte beruhen auf diesen beiden Seminaren.

    Die Teilnehmenden wurden unmittelbar vor und nach dem Seminar schriftlich befragt. Im Hinblick auf die fachliche Kompetenzentwicklung wurde der Wissensstand in Bezug auf interne Ressourcen (Ist die Dienstvereinbarung Sucht bekannt? An wen kann ich mich beim Thema Sucht in der Hessischen Finanzverwaltung wenden?) und Fachwissen zum Thema Sucht (Wie erkenne ich eine Suchterkrankung? Wie entsteht eine Sucht? Wie sehen Wege aus der Sucht aus?) abgefragt. Die Selbstwirksamkeit in Bezug auf die Peerberatungstätigkeit wurde mit einer bedarfsgerecht angepassten Skala beruflicher Selbstwirksamkeit (BSW-5-Rev) von Knispel et al. (2021) erfasst.

    Es zeigte sich, dass die Teilnehmenden ihren Kenntnisstand in Bezug auf fachliche Inhalte zum Thema Sucht sowie die Ressourcen der Hessischen Finanzverwaltung nach dem Seminar deutlich höher einschätzen als vorher. Sie hatten das Gefühl, im Seminar viel gelernt zu haben. Auch im Hinblick auf die Selbstwirksamkeit für die Peerberatungstätigkeit zeigte sich eine Verbesserung. Nach dem Seminar fühlten sich die Teilnehmenden deutlich selbstwirksamer. Die Peerberatenden waren nach der Ausbildung zuversichtlich, über das ausreichende Handwerkszeug für ihre Tätigkeit zu verfügen.

    Auch darüber hinaus haben die Teilnehmenden das Seminar als sehr positiv bewertet. Sie gaben an, dass sie sehr zufrieden waren und sich ihre Erwartungen erfüllt haben. Vor allem der praxisnahe Einblick in den Arbeitsalltag der externen Drogenhilfe, die praktischen Impulse und die Möglichkeit, sich neben dem fachlichen Studium weiterzuentwickeln, wurden als sehr positiv erachtet. Auch die Wissens- und Perspek­tiverweiterung sowie der damit verbundene Nutzen für das gesamte Leben, auch über die Arbeit hinaus, wurden sehr positiv bewertet. Als zentrale Erkenntnisse wurden am häufigsten die vielseitigen Möglichkeiten, aber auch die mit der Peerrolle verbundenen Grenzen genannt. Eine teilnehmende Person hat dies folgendermaßen formuliert: „Wir fungieren als Vermittlung, können zuhören und unsere Hilfe anbieten, doch niemand muss sich uns öffnen“. Ein Auszug der Evaluationsergebnisse ist im folgenden Infokasten dargestellt.

    Impulse und Verbesserungsideen, die im Pilotprojekt gesammelt worden sind, flossen in das darauffolgende Seminar ein. Auf Wunsch der ersten Seminargruppe hin, sind die stoffungebundenen Suchterkrankungen, wie Essstörungen und Mediensucht, als neue Seminarinhalte aufgenommen worden. Auch die Vernetzung mit der vorherigen Seminargruppe, die einen Einblick in ihre Peerberatungstätigkeit gibt, wurde als neuer Programmpunkt integriert.

    Aktueller Stand und nächste Schritte

    Nach dem Seminar beginnen die Peerberatenden mit ihrer Tätigkeit. Dabei werden sie nicht allein gelassen, sondern in das Hilfenetzwerk der Hessischen Finanzverwaltung eingebunden. Die Peerberatenden stehen im regelmäßigen Austausch miteinander und mit der Suchtbeauftragten des Ressorts, die sie bei ihrer Beratungstätigkeit unterstützt. Darüber hinaus stehen ihnen die externen Beratenden der Drogenhilfe sowie der externen Mitarbeiterberatung der Hessischen Finanzverwaltung als Anlaufstellen zur Verfügung. Mit diesen Expertinnen und Experten können die Peerberatenden ihre Beratungsgespräche nachbesprechen und sich Unterstützung holen.

    Mittlerweile sind die Peerberatenden des ersten Seminars ein Jahr tätig. Sie haben sich in ihrer Funktion bekannt gemacht und Gespräche mit Kommilitoninnen und Kommilitonen geführt. In Zukunft soll die Präventionsarbeit noch weiter verstärkt werden, zum Beispiel indem sich die Peerberatenden den neuen Erstsemestern vorstellen. Als nächster Schritt ist eine Vorstellung im Newsletter des betrieblichen Gesundheitsmanagements geplant, mit dem die Hessische Finanzverwaltung alle ihre Beschäftigten erreicht. Den entsprechenden Artikel werden die Peerberatenden selbst verfassen und darin sich und das Seminar vorstellen.

    Nach Abschluss des Studiums werden die ehemaligen Studierenden als Finanzbeamtinnen und Finanzbeamte Vollzeit im Finanzamt tätig sein. Es ist davon auszugehen, dass die Sensibilisierung für das Thema Sucht und das ausgeprägte Wissen über das Hilfesystem für die ehemaligen Peerberatenden auch weiterhin von Vorteil sind. Sie verfügen über entsprechendes Fachwissen, um suchtgefährdeten Kolleginnen und Kollegen helfen zu können. Außerdem besteht für die ehemaligen Peerberatenden die Möglichkeit, sich für ausgeschriebene Funktionen als Suchtkrankenhelfende in ihrer Dienststelle zu bewerben und so weiterhin Teil des Hilfenetzwerks der Hessischen Finanzverwaltung zu sein.

    Ein positiver Blick in die Zukunft

    Gesamtgesellschaftlich zeigt sich ein positiver Trend: Die Mehrzahl junger Menschen achtet sehr auf ihre Gesundheit. Der Konsum legaler und illegaler Suchtmittel ist rückläufig. Etwa ein Viertel der im Jahr 2022 befragten Jugendlichen verzichtet bereits ganz auf legale und illegale Drogen (Center for Drug Research 2022). Der Peer-to-Peer-Beratungsansatz leistet einen wichtigen Teil dazu, diesen Trend weiter zu festigen und voranzutreiben.

    Als Implikation für die betriebliche Praxis kann festgehalten werden, dass dieser Ansatz eine vielversprechende Möglichkeit darstellt, junge Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger aktiv in die suchtpräventive Arbeit am Arbeitsplatz einzubinden, um so langfristig und nachhaltig die Gesunderhaltung der Beschäftigten zu fördern. Die Hessische Finanzverwaltung wird den Ansatz fortführen und das Suchtpräventionsseminar auch in zukünftigen Studienjahrgängen wieder anbieten.

    Interessenkonflikt: Die Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

    Literatur

    Knispel J, Wittneben L, Slavchova V, Arling V: Skala zur Messung der beruflichen Selbstwirksamkeitserwartung (BSW-5-Rev). Zusammenstellung sozialwissenschaftlicher Items und Skalen (ZIS), 2021. https://doi.org/10.6102/zis303 (Open Access).

    Uhle T, Treier M: Betriebliches Gesundheitsmanagement. 4. Aufl. Berlin: Springer, 2024.

    Online-Quellen

    Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung. Drogen- und Suchtbericht 2019. Berlin: Bundesministerium für ­Gesundheit, 2019
    https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publika…­Suchtbericht_2019_barr.pdf

    Freigang-Bauer I, Gusia G: Suchtprävention bei Auszubildenden. Es ist nie zu früh, aber manchmal zu spät! Faktenblatt: Gesundheit im Betrieb 2/2013. RKW Rationalisierungs- und Innovationszentrum der Deutschen Wirtschaft e.V., 2013
    https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publika…

    Center for Drug Research. Monitoring-System-Drogentrends 2022 in Frankfurt am Main. Drogenkonsum und Freizeitverhalten von Frankfurter Schüler:innen im Alter von 15 bis 18 Jahren: Ausgewählte Ergebnisse der MoSyD-Studie 2022. Goethe Universität Frankfurt am Main, 2022
    https://frankfurt.de/service-und-rathaus/verwaltung/aemter-und-institut…

    Proissl E, Waibel U: Auf der Suche nach … Das Schülermultiplikatorenseminar: Arbeitsmaterialien zur Suchtvorbeugung in der Schule. LZG, 2017
    https://suchtprävention.rlp.de/media/46_br_auf-der-suche-nach.pdf

    Abb. 2:  Gruppenarbeit „Problemsituationen“

    Foto: HMdF

    Abb. 2: Gruppenarbeit „Problemsituationen“

    Info

  • Suchtentwicklung: Sucht erkennen, Sensibilisierung für Betroffene
  • Stoffgebundene und stoffungebundene Suchterkrankungen: Sucht verstehen und die ­Auswirkungen auf die Ausbildung/Arbeit und das soziale Umfeld kennen
  • Suchtmittel: Einblick in die Wirkung, Gefahren und rechtliche Konsequenzen von ­Suchtmittelkonsum bekommen
  • Betriebliche Suchtprävention: Hilfenetzwerk der Hessischen Finanzverwaltung kennen und wissen, wie es genutzt werden kann
  • Umgang mit Problemsituationen: Identifikation von Suchtproblemen und Erarbeitung von ­Lösungsansätzen
  • Gesprächsführung/Kommunikation: Erstgespräche führen, mit Widerstand umgehen
  • Selbstreflexion und Abgrenzung: Eigene Grenzen identifizieren und sich selbst schützen
  • Vernetzung: Kontaktaufbau zum professionellen (internen und externen) Hilfesystem
  • Nächste Schritte: Geplante Aktionen der Peerberatenden für ihre Peergruppe
  • Info

  • Steigerung der Selbstwirksamkeit: Nach dem Seminar geben die Teilnehmenden an, sich „sehr gut“ auf ihre Beratungstätigkeit vorbereitet zu fühlen, da sie über das erforderliche Handwerkszeug verfügen und wissen, welche Hilfsmöglichkeiten es gibt. Im Vergleich: Vor dem Seminar war die Selbstwirksamkeit noch niedriger.
  • Hauptintentionen für die Teilnahme am Peerberatungsseminar: der Wunsch zu helfen, Interesse am Thema und Wissenserweiterung.
  • Seminarfazit: hoher Wissenserwerb, Perspektiverweiterung und Sensibilisierung für Thematik.
  • Wünsche für die Zukunft: der Peergruppe helfen zu können, Erfahrungsaustausch und in Kontakt bleiben, gute Arbeit machen und sich im Rahmen der Tätigkeit weiterentwickeln.
  • Lesetipp


    Schwerpunktheft ­„­Gesundheit und Wohlbefinden im Betrieb“ Ausgabe 1/2024

    Erhältlich unter:
    www.asu-arbeitsmedizin.com/heftarchiv/ausgabe-01-2024

    Kontakt

    Dr. rer. nat. Anna Rosa Ott (Dipl. Psych.)
    Referentin für strategisches behördliches Gesundheits­management; Hessisches Ministerium der Finanzen; Friedrich-Ebert-Allee 8; 65185 Wiesbaden

    Foto:privat

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