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Alexandra Sikora, Ralf Stegmann, Ute B. Schröder
doi:10.17147/asu-1-426478
Recommendations for restoring work ability during returning to work after a mental health condition
The main goals of returning to work after a long-term sickness absence are to restore, improve and maintain work ability. The assessment of work ability can provide guidance in the process of returning to work to find necessary and suitable work accommodations together. Occupational health physicians can support this process with their expertise by helping to find health-oriented solutions.
Kernaussagen
den verschiedenen betrieblichen Ebenen, auch in der Anpassung von Arbeitsbedingungen,
im Mittelpunkt. Wichtig ist jedoch, nicht bei Einzellösungen stehenzubleiben, sondern davon ausgehend in regelmäßigen Abständen anonymisiert und gebündelt Rückschlüsse zur Verbesserung des gesamten betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes für alle Beschäftigten abzuleiten und passende Maßnahmen zu ergreifen.
Empfehlungen zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit während der Rückkehr zur Arbeit nach einer psychischen Erkrankung
Hauptziele der Rückkehr zur Arbeit nach einer längeren Erkrankung sind die Wiederherstellung, Verbesserung sowie Erhaltung der Arbeitsfähigkeit. Die Einschätzung der Arbeitsfähigkeit kann im Prozess der Rückkehr zur Arbeit eine Orientierung bieten, gemeinsam notwendige und passende Unterstützungsmaßnahmen zu finden. Betriebsärztinnen und Betriebsärzte können diesen Prozess mit ihrer Expertise unterstützen, indem sie dazu beitragen, gesundheitsgerechte Lösungen zu finden.
Einleitung
Laut dem aktuellen DAK-Psychreport lagen psychische Erkrankungen an dritter Stelle der Arbeitsunfähigkeitstage im Jahr 2023 – nach Erkrankungen des Atmungssystems und des Muskel-Skelett-Systems. Dabei gehen insbesondere häufige psychische Erkrankungen wie Depressionen, Angst- und Anpassungsstörungen mit langen Fehlzeiten einher (DAK 2024, siehe Online-Quellen).
Nach einer längeren Erkrankung will der komplexe Prozess der Rückkehr zur Arbeit gut vorbereitet und begleitet sein, im besten Falle bereits an der Schnittstelle des medizinisch-therapeutischen Systems und des Arbeitsplatzes (Stegmann et al. 2021). Dabei sind oftmals mehrere zentrale Akteurinnen und Akteure innerhalb und außerhalb des Betriebs beteiligt, und Betriebsärztinnen sowie Betriebsärzte können eine Schlüsselrolle an dieser Schnittstelle einnehmen (Scharf et al. 2022). Bei einer Arbeitsunfähigkeit von mehr als sechs Wochen innerhalb der zurückliegenden zwölf Monate ist allen erkrankten Beschäftigten außerdem ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) von ihrem Arbeitgeber anzubieten (SGB IX § 167 Abs. 2). Das BEM hat das Ziel, gemeinsam mit den erkrankten Beschäftigten Möglichkeiten zu klären, wie die Arbeitsunfähigkeit überwunden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Inzwischen haben Beschäftigte im BEM das Recht, eine Vertrauensperson ihrer Wahl hinzuzuziehen (Rabe-Rosendahl u. Kohte 2023). Die Vertrauenspersonen können beispielsweise Privatpersonen oder auch externe Expertinnen und Experten aus Begleitangeboten bei der Rückkehr wie dem RTW-PIA-Angebot sein (Return-to-Work-Nachsorge in psychiatrischen Institutsambulanzen, siehe Online-Quellen).
Die Wiederherstellung und Verbesserung sowie Erhaltung der Arbeitsfähigkeit sind Hauptziele im Prozess der Rückkehr zur Arbeit. In einer Längsschnittstudie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) wurden 286 Beschäftigte mit einer häufigen psychischen Erkrankung zum Ende ihres Klinikaufenthalts sowie 6, 12, 18 und 30 Monate später systematisch mittels Fragebogen unter anderem zu ihrer jeweiligen aktuellen Arbeitsfähigkeit befragt. Davon wurden zusätzlich 32 Beschäftigte unter anderem zu ihrem Erleben der Arbeitsfähigkeit während der Rückkehr interviewt (6 und 12 Monate später).
Der Work Ability Score (WAS)
Die Befragungen zur Arbeitsfähigkeit wurden mit der ersten Frage des Work Ability Index, auch bekannt unter dem Namen Work Ability Score (WAS), durchgeführt. Darin wird die derzeitige Arbeitsfähigkeit im Vergleich zur besten, je erreichten Arbeitsfähigkeit auf einer Skala von 0 = völlig arbeitsunfähig bis 10 = die beste jemals erreichte Arbeitsfähigkeit wie folgt erfragt: „Wenn Sie Ihre beste, je erreichte Arbeitsfähigkeit mit 10 Punkten bewerten: Wie viele Punkte würden Sie dann für Ihre derzeitige Arbeitsfähigkeit geben?“
Der WAS wird international als hinreichend valides und praktikables Messinstrument zur Erfassung der Arbeitsfähigkeit in Beschäftigtenbefragungen und der arbeitsmedizinischen Forschung angesehen (Ebener u. Hasselhorn 2019). In den Interviews wurden die Beschäftigten am Ende explizit gefragt: „Wie schätzen Sie Ihre aktuelle Arbeitsfähigkeit ein und was hat aus Ihrer Sicht dazu beigetragen?“ Anschließend wurden die Daten gemeinsam ausgewertet. Die ausführliche Beschreibung des methodischen Vorgehens und der Ergebnisse kann nachgelesen werden in Sikora et al. (2025). Die Ergebnisse haben wir im Infokasten auf der nächsten Seite (S. 152) zusammengefasst.
Empfehlungen zum Einsatz während der Rückkehr zur Arbeit
Betriebsärztinnen/-ärzte sowie weitere zentrale inner- und außerbetriebliche Akteurinnen und Akteure, die Beschäftigte bei der Rückkehr zur Arbeit begleiten, können das gesammelte Wissen der Beschäftigten über die Einschätzungen der Arbeitsfähigkeit gemeinsam mit dem Erleben während der Rückkehr als Orientierung für ihre eigene Arbeit und die RTW-Begleitung nutzen. Die Einschätzung der aktuellen Arbeitsfähigkeit über den Work Ability Score kann beispielsweise in vertrauensvollen Rückkehrgesprächen als Ausgangspunkt und/oder kontinuierliche „Check-in“-Option für den weiteren Dialog und die maßgeschneiderte individuell benötigte Unterstützung während der Rückkehr dienen.
➥ Tabelle 1 gibt einen Überblick zu vorrangigen Zielen und möglichen Gestaltungsansätzen zur Wiederherstellung und Verbesserung der Arbeitsfähigkeit, geordnet nach den oben genannten drei Gruppen.
Über die erwähnten Beispiele hinaus sind jedoch – je nach individueller Situation und Bedarf der Beschäftigten und des Arbeitsplatzes beziehungsweise Betriebs – noch viele weitere Möglichkeiten und Maßnahmen denkbar. Insgesamt sollte beachtet werden, dass aus den genannten Beispielen nie einzelne Maßnahmen herausgegriffen und isoliert umgesetzt werden sollten, sondern es oftmals zusätzliche ineinandergreifende Gestaltungsmaßnahmen auf den weiteren Ebenen des Teams, der Führungskraft, der Organisation oder auch des überbetrieblichen Kontexts für eine gelingende Rückkehr zur Arbeit nach einer längeren häufigen psychischen Erkrankung braucht (Stegmann et al. 2025).
Interessenkonflikt: Das Autorenteam gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Ethikvotum: Ein Ethikvotum für die Studie liegt vor.
Literatur
Ebener M, Hasselhorn HM: Validation of short measures of work ability for research and employee surveys. Int J Environ Res Public Health 2019;16(18). doi:10.3390/ijerph16183386 (Open Access).
Rabe-Rosendahl C, Kohte W: Die neue Vertrauensperson im betrieblichen Eingliederungsmanagement nach §167 Abs. 2 S. 2 SGB IX. RP Reha und Recht, Zeitschrift für Rehabilitations-, Teilhabe- und Schwerbehindertenrecht 2023; 1: 38–41.
Sikora A, Stegmann R, Schröder UB, Schulz IL,
Wegewitz U, Bültmann U: Work ability during the return to work process: results from a mixed methods follow‑up study among employees with common mental disorders. J Occup Rehabil 2025. https://doi.org/10.1007/s10926-024-10262-3 (Open Access).
Stegmann R, Sikora A, Schröder UB, Schulz IL, Wrage W, Wegewitz U: Die Rückkehr gemeinsam gestalten. Wiedereingliederung nach psychischen Krisen. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 2021. doi:10.21934/baua:praxis20210215 (Open Access).
Stegmann R, Sikora A, Schröder UB, Wrage W: Psychische Gesundheit: Herausforderungen und Möglichkeiten für frühe Interventionen und bei der Rückkehr zur Arbeit nach psychischen Erkrankungen. In: BAuA (Hrsg.): Gefährdungen durch psychische Belastungen bei der Arbeit: Gestaltungsanforderungen und -optionen – Ein Fachbuch für die betriebliche Arbeitsschutzpraxis. Berlin: Erich Schmidt Verlag, 2025 (im Erscheinen).
Scharf J, Loerbroks A, Angerer P: Rückkehr an den Arbeitsplatz von Beschäftigten nach einer psychischen Erkrankung. Zbl Arbeitsmed 2022; 72: 228-235. https://doi.org/10.1007/s40664-022-00471-z (Open Access).
Online-Quellen
BAuA Themenseite Wiedereingliederung nach psychischer Krise
https://www.baua.de/DE/Themen/Praevention/Betriebliche-Praeventionsarbeit/Psychische-Krise
BAuA-Faktenblatt zum BEM
https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Fakten/RTW-1
DAK Gesundheit: DAK Psychreport 2024
https://caas.content.dak.de/caas/v1/media/57370/data/0114eed547a91f626b09d8265310d1e5/dak-psychreport-ergebnis-praesentation.pdf
Forschungsprojekt RTW-PIA
https://www.mhh.de/kliniken-und-spezialzentren/klinik-fuer-psychiatrie-sozialpsychiatrie-und-psychotherapie/forschung/forschungsgruppen/rtw-pia
Info
Kurze Zusammenfassung der Ergebnisse
Die Arbeitsfähigkeit der Teilnehmenden verbesserte sich über die ersten 18 Monate nach dem Klinikaufenthalt (im Mittelwert von 5.33 zu 6.73 Punkten).
Es konnten drei Gruppen mit einem unterschiedlichem Arbeitsfähigkeitserleben im Rückkehrprozess identifiziert werden:
(1) Beschäftigte mit einer geringen Arbeitsfähigkeit (WAS 0–3), die noch nicht an ihren Arbeitsplatz zurückgekehrt waren und große Schwierigkeiten bei der Bewältigung des
Alltags insgesamt beschrieben;
(2) Beschäftigte mit einer mäßigen Arbeitsfähigkeit (WAS 4–6), die überwiegend zur Arbeit zurückgekehrt waren, aber noch eine gewisse Fragilität in ihrer Arbeitsfähigkeit erlebten;
(3) Beschäftigte mit einer guten bis sehr guten Arbeitsfähigkeit (WAS 7–10), die zur Arbeit zurückgekehrt waren und neben einer stabilen Beschreibung ihrer Arbeitsfähigkeit sowohl vielfältige individuelle als auch arbeitsbezogene Arbeitsanpassungsmaßnahmen berichteten.
Koautorin und Koautor
Ralf Stegmann, Ute B. Schröder
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA)
Fachbereich 3 Arbeit und Gesundheit
Fachgruppe 3.5 „Evidenzbasierte Arbeitsmedizin, Betriebliches Gesundheitsmanagement“