Einleitung
„Systeme der künstlichen Intelligenz (KI) sind vom Menschen entwickelte Softwaresysteme (und gegebenenfalls auch Hardwaresysteme), die in Bezug auf ein komplexes Ziel auf physischer oder digitaler Ebene handeln, indem sie ihre Umgebung durch Datenerfassung wahrnehmen, die gesammelten strukturierten oder unstrukturierten Daten interpretieren, Schlussfolgerungen daraus ziehen oder die aus diesen Daten abgeleiteten Informationen verarbeiten, und über das bestmögliche Handeln zur Erreichung des vorgegebenen Ziels entscheiden. KI-Systeme (...) sind auch in der Lage, die Auswirkungen ihrer früheren Handlungen auf die Umgebung zu analysieren und ihr Verhalten entsprechend anzupassen“ (Hochrangige Expertengruppe für Künstliche Intelligenz der EU-Kommission: Eine Definition der KI: Wichtigste Fähigkeiten und Wissenschaftsgebiete, EU-Kommission, Brüssel, April 2019, S. 6).
Die ASU-Serie beleuchtet in loser Folge verschiedene Forschungsprojekte und -initiativen, wo KI am Arbeitsplatz heute erprobt wird oder schon zum Einsatz kommt.
Im zweiten Beitrag geht es um die CareCam, den intelligenten, persönlichen Gesundheitsassistenten am PC-Arbeitsplatz.
Hanns Wildgans
Folge 2: Gesundheitstipps vom eigenen Computer – Software berät zur gesünderen Arbeit
Dr.-Ing. Gerald Bieber und der Doktorand Dimitri Kraft nutzen nur eine handelsübliche Webcam und erfassen mit ihr eine Reihe von Vitalparametern, über die ihre am Arbeitsplatz installierte Software Körperhaltung und Stresszustand analysiert und Präventionshinweise geben soll. Wir haben Herrn Kraft (DK) in seinem Labor besucht und ihm einige Fragen gestellt.
ASU: Herr Kraft, welche Daten nutzen Sie aus der Webcam-Aufnahme und welche Schlüsse können Sie daraus ziehen?
DK: Die Gesichtserkennung nimmt kleinste Änderungen im Farbton wahr und ermittelt daraus unter anderem Puls- und Blutdruckänderungen. Außerdem bestimmen wir die Lidschlagfrequenz und weisen damit auf die Gefahr der „trockenen Augen“ hin. Eine kontinuierliche Blutdruckmessung ermöglicht uns den Abgleich des Farbwerts zwischen Gesicht und Hand und die Bildschirmdistanzerkennung unterstützt die Beurteilung der Körperhaltung. All diese Vitalparameter, die wir in rund 5 Minuten zu Beginn der Messung einpegeln, liefern für das Programm die Basisdaten der Analyse.
ASU: Was können Sie noch aus Ihren Daten ableiten?
DK: Die Herzfrequenzvariabilität nutzen wir zusammen mit der Atemfrequenz als Stressmarker, die Gesichtserkennung liefert den Zustand der Emotionen über die Zeit – z. B. wie oft wird gelächelt? – und sogar die korrekte Durchführung der vorgeschlagenen Übungen und Maßnahmen kann abgeglichen werden. Der Algorithmus richtet sich auf die Nutzerinnen und Nutzer ein und so kann die einzelne Person selbst die Maßnahmen steuern.
ASU: Wer berät Sie bei der Interpretation der Daten?
DK: Derzeit besteht unser Team aus Expertinnen und Experten aus den Bereichen Informatik, Ingenieurwesen, Psychologie, Physiotherapie, Sportwissenschaft und Medizin. Dies ist besonders wichtig für die Maßnahmenvorschläge, die zur Selbstoptimierung beitragen, aber nicht störend wirken sollen. Durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz lernt die Software ihre Nutzerin oder ihren Nutzer kennen und stimmt ihre Vorschläge für Bewegungspausen oder andere Maßnahmen auf sie oder ihn ab. Das Fernziel ist, dass das Programm über Kalendereinträge und eine statistisch vorhersehbare Belastungsverteilung als ein lernender Prozess im Hintergrund sogar Übungsvorschlage zur Entspannung prophylaktisch machen soll. Die Daten bleiben privat.
ASU: Sie speichern große Datenmengen auf dem beruflichen Rechner der Nutzernden Sind diese Daten sicher?
DK: Die Daten der CareCam verbleiben ausschließlich bei den Nutzenden und werden nur gespeichert, damit eine Beobachtung über längere Zeit möglich ist. Andere technische Lösungen, wie sie zum Beispiel Smartwatches bieten, erheben zwar ähnliche Messwerte, sind aber aufwändiger anzuwenden, müssen mitgenommen oder aufgeladen werden. Und sie müssen unter Umständen extra angeschafft werden. Unsere Lösung dagegen basiert auf dem Gerät, vor dem viele Menschen mit einer Bürotätigkeit ohnehin während des Arbeitens sitzen.
ASU: Bis wann ist mit der Marktreife Ihres Systems zu rechnen und wer gehört zu Ihrer priorisierten Zielgruppe?
DK: In etwa einem Jahr könnte das Programm nach verschiedenen Pilottests und Weiterentwicklungen für einen größeren Personenkreis anwendungsbereit sein. Dann sollen Unternehmen es als Möglichkeit des individuellen Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) anbieten können. Im Fokus stehen Büroarbeiterinnen und -arbeiter zur kontinuierlichen Stresserfassung am Arbeitsplatz und die Prävention von chronischem Stress mithilfe von intelligenten und bewährten Übungsvorschlägen zur Entspannung.
ASU: Vielen Dank für das Gespräch.
Die Fraunhofer-Gesellschaft fördert die Idee des Entwickler-Teams über das AHEAD-Programm. Das Gespräch führte unser Redaktionsmitglied Dr. med. Hanns Wildgans aus München.
doi:10.17147/asu-1-211449
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