Interview mit der Redaktionsgruppe des Unterausschusses II des AfAMed
Discussion Paper „Consequences of the pandemic for occupational medicine” – Interview with the Editorial Team of the Subcommittee II of the AfAMed
ASU: Was hat Sie bewogen, sich schon im Herbst 2021 mit der Thematik möglicher zukünftiger Pandemien zu beschäftigen?
UAII: Bereits zu Beginn der SARS-CoV-2- Pandemie im Frühjahr 2021 stellte sich heraus, dass Betriebsärztinnen und Betriebsärzte in die Wahrnehmung von Aufgaben des Infektionsschutzes involviert wurden, die nicht originär zu ihrem Aufgabenfeld nach dem Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG) und der DGUV (Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung) Vorschrift 2 gehören.
Die Betriebsärztinnen und Betriebsärzte hatten ganz offensichtlich den für den Umgang mit Infektionskrankheiten im Betrieb und insbesondere in Pandemien typischen Spagat zu bewältigen, der zwischen dem Ziel des Bevölkerungsschutzes und dem Individualschutz der Beschäftigten besteht. Durch die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung wurde der Infektionsschutz im Betrieb zu einem besonderen Schwerpunkt im Arbeitsschutz: Die zu ergreifenden Maßnahmen hatten auch Auswirkungen auf den Umgang mit Arbeitgebern und Beschäftigten.
Diese Zeit zu Beginn der Pandemie war sehr dynamisch; behördliche Regelungen waren sowohl inhaltlich als auch zeitlich nicht immer gut abgestimmt, was auch zu Widersprüchen bei der praktischen Umsetzung in den Betrieben führte.
In der Konsequenz beschäftigten wir uns im Unterausschusses II (UAII, Biologische Arbeitsstoffe und Impfen) mit dieser Problematik, um Erkenntnisse aus der SARS-CoV-2-Pandemie für zukünftige Gefahrenlagen zu formulieren.
ASU: Wie war der Erarbeitungsprozess des Papiers?
UAII: Den Mitgliedern des UAII des AfAMed war es wichtig, Konsequenzen aus der Pandemie zu ziehen. In gemeinsamen Runden wurden die Erfahrungen zusammengetragen. In einer Arbeitsgruppe wurde Bewahrenswertes im Sinne positiver Prozesse und Kritisches in dem vorliegenden Papier zusammengefasst.
ASU: Können Sie einige wichtige Punkte des Papiers nennen?
UAII: Uns waren die effektive Zusammenarbeit der staatlichen Arbeitsschutzausschüsse und Gremien der DGUV während der Pandemie wichtig und die an die Pandemiesituation angepasste Arbeitsweise des AfAMed und seine Produkte: Hier sind zu nennen die Arbeitsmedizinische Empfehlungen (AME) „Umgang mit besonders schutzbedürftigen Beschäftigte“, Positionspapiere und die Anpassungen bei der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel.
Ebenso bedeutend erschien uns die Beteiligung arbeitsmedizinischer Expertise in den Krisenstäben auf staatlicher Ebene und bei den Unfallversicherungsträgern und die Einbindung dieser Expertise in die betriebliche Umsetzung von Maßnahmen. Genauso essentiell erschien es uns, auf die Notwendigkeit einer guten Zusammenarbeit an den Schnittstellen Arbeits-/Infektions- und Mutterschutz hinzuweisen; dies war ja durch die Zuständigkeit verschiedener Ministerien besonders herausfordernd.
Die Situation der arbeitsmedizinisch tätigen Ärztinnen und Ärzte in der Pandemie lag uns besonders am Herzen. Sie konnten sich in vielen Branchen vor Nachfragen nicht mehr retten: beispielsweise zur Gefährdungsbeurteilung für besonders schutzbedürftige Beschäftigte wie chronisch Kranke und Schwangere oder zur Koordination von Impfaktionen. Auch war die Qualität der Zusammenarbeit mit Behörden, insbesondere mit Gesundheitsämtern, sehr unterschiedlich: Abläufe waren nicht klar und einheitlich geregelt. Warum zum Beispiel haben sich Ärztinnen und Ärzte im Gesundheitsamt auf Datenschutzbestimmungen berufen, statt der ärztlichen Meldepflicht nachzukommen, den Unfallversicherungsträgern den Verdacht auf eine COVID-19- bedingte Berufskrankheit zu melden?
Ein erweiterter Präventionsansatz in der Pandemie sowie Forderungen und Vorschläge für die Zukunft rundeten das Papier ab.
ASU: Wie geht es Ihrer Vorstellung nach mit den formulierten Vorschlägen und Forderungen weiter?
UAII: Unser mit der Verschriftlichung verbundener Wunsch ist, die Berücksichtigung der Lehren für zukünftige Pandemien, und zwar auf Ebene des Bundes, der Länder, der Kommunen und auch in den Strukturen der Unfallversicherungsträger. Auch sollte ein besonderer Fokus auf die Umsetzungspraktikabilität in den Betrieben gelegt werden. Eine Konsequenz könnte auch die Überarbeitung bestehender Regelungen, wie beispielsweise der AME „Betriebsärztinnen und Betriebsärzte in Gesundheitswesen – Schnittstellen zum Infektionsschutzgesetz“ sein.
Auch dass die Beratung des Bundesministeriums für Arbeit (BMAS) durch mehrere Arbeitsschutzausschüsse auf ehrenamtlichem Engagement basiert, sollte auf den Prüfstand. Ein zentraler Pandemierat, besetzt mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Personen mit einem Praxisbezug zu Betrieben, könnte in Krisenzeiten das BMAS unterstützen. Welche Rolle kann das neue Zentralinstitut für den Öffentlichen Gesundheitsdienst spielen? Wurde dort überhaupt an den Arbeitsschutz und die Arbeitsmedizin gedacht?
Neben klaren Zuständigkeiten ist eine enge Zusammenarbeit erforderlich. So ist derzeit das Bundesministerium für Gesundheit und das Robert Koch- Institut für den allgemeinen Infektionsschutz zuständig, für schwangerschaftsrelevante Fragestellungen im Zusammenhang mit Infektionskrankheiten bei der anlasslosen Gefährdungsbeurteilung das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ggfs. in Absprache mit dem BMAS. Die Verantwortung für den betrieblichen Arbeits- und Infektionsschutz liegt beim BMAS, das die Fragen zur betrieblichen Umsetzung der Pandemieregeln mit anderen Ministerien abstimmen sollte, bevor die Betriebe in untergeordneten Organisationseinheiten (Länder- und Bezirksbehörden) mit den unterschiedlichsten Auslegungen konfrontiert werden.
Fazit: In einer Pandemie brauchen Betriebe klar abgestimmte und bundesweit einheitliche Arbeitsschutzstandards.
Die Fragen der ASU wurden beantwortet von:
Frau Dr. T. Menting
Frau Dr. W. Schramm
Frau Dr. J. Stranzinger
Dr. H. von Schwarzkopf
doi:10.17147/asu-1-288499
Ausschnitte aus dem Diskussionspapier von der Homepage der BAuA
Konsequenzen aus der SARS-CoV-2-Pandemie für die Arbeitsmedizin
Stand 03.11.2022
Diskussionspapier des Ausschusses für Arbeitsmedizin (AfAMed), erarbeitet von dem Unterausschuss II
Inhalt:
1. Erfahrungen aus der bisherigen Pandemie
2. Effektive Zusammenarbeit der staatlichen Arbeitsschutzausschüsse und Gremien der DGUV während der Pandemie
3. An die Pandemiesituation angepasste Arbeitsweise des AfAMed
4. Produkte des Ausschusses für Arbeitsmedizin
5. Beteiligung ärztlich-arbeitsmedizinischer Expertise in den Krisenstäben
6. Einbindung von Betriebsärztinnen und Betriebsärzten auf betrieblicher Ebene
7. Schnittstellen Arbeitsschutz/Infektionsschutz/Mutterschutz
8. Situation der arbeitsmedizinisch tätigen Ärztinnen und Ärzte in der Pandemie
9. Datenbasis
10. Anwendung eines erweiterten Präventionsansatzes in der Pandemie
11. Forderungen und Vorschläge für die Zukunft
Zusammenfassend empfiehlt der AfAMed eine Intensivierung der arbeitsmedizinischen Beratung auf den verschiedenen politischen Ebenen in Fragen zum betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz. Sie soll durch Verbände von Betriebsärztinnen und Betriebsärzten (BÄ), wissenschaftliche Fachgesellschaften, arbeitsmedizinische universitäre Institute, Gewerbeärztinnen/Gewerbeärzte und BÄ sichergestellt werden.
Um ausreichende Handlungssicherheit in den Betrieben zu schaffen, müssen alle genannten Akteure zusammenarbeiten.
Die politische Forderung dazu zielt auf eine Aufstockung bzw. Schaffung ausreichender Personalkapazitäten und Ausstattung der betriebsärztlichen Dienste, der Arbeitsschutzbehörden und der Unfallversicherungsträger ab, auf die Anpassung der Pandemiepläne und die Überprüfung der eingesetzten Instrumente, auf regelmäßige Übungen analog zum Brandschutz, auf eine Beschreibung verschiedener Logistikoptionen für den Fall von Lieferengpässen und klare Zuständigkeiten (z B. für Material, Lager für Notfallbestände, Transport), auf die bedarfsgerechte Einrichtung alternativer Arbeitsformen zur Kontaktreduktion (Homeoffice, mobiles Arbeiten) und die Berücksichtigung infektiologischer Erkenntnisse bei der Planung und Einrichtung neuer Arbeitsplätze.
Für die Arbeitsmedizin besonders wichtig sind konkrete Empfehlungen und Regeln des AfAMed zur angepassten Gefährdungsbeurteilung in der Pandemiesituation. Wünschenswert wäre ein Onlinekompendium der bisher erarbeiteten und aktuellen Produkte des AfAMed zu pandemiespezifischen Themen. Die als hilfreich empfundenen Branchenstandards der Unfallversicherungsträger und branchenbezogene Pandemiepläne sollten im Bedarfsfall auch in Zukunft praxisgerecht und allgemeinverständlich unter Einbindung arbeitsmedizinischer Expertise angepasst werden.
Zusammenfassend wird für eine Definition der Aufgaben der betriebsärztlichen Dienste im Pandemiefall geworben, die sowohl der Infektionsschutz- als auch Arbeitsschutz- und Mutterschutzgesetzgebung Rechnung trägt. Um zukünftig Rollenkonflikten bei der Wahrnehmung von Kernaufgaben nach § 3 ASiG versus im Pandemiefall Wahrnehmung von Aufgaben des Bevölkerungsschutzes nach Infektionsschutzgesetz vorzubeugen, wird dazu eine Abstimmung zwischen Gesundheits-, Familien- und Arbeitsministerien angeregt, die den Unternehmen im Pandemiefall Handlungssicherheit durch klar verständliche, kongruente gesetzliche Regelungen geben.
Zur operativen Umsetzung ist eine ausreichende personelle und technische Ausstattung der untergeordneten Behörden (Arbeitsschutzbehörden, Gesundheitsämter) und Unfallversicherungsträger Voraussetzung.
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Das komplette Diskussionspapier kann von der Homepage der BAuA heruntergeladen werden:
https://www.baua.de/DE/Aufgaben/Geschaeftsfuehrung-von-Ausschuessen/AfA…
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