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Performance Indicators in Occupational Health Management
Einleitung
AbbVie ist ein globales, forschendes BioPharma-Unternehmen, das in verschiedenen Therapiegebieten tätig ist. In Deutschland, auf das sich der nachfolgende Bericht bezieht, sind über 3000 Mitarbeitende bei AbbVie beschäftigt.
Bereits in den 1990er Jahren wurden bei AbbVie in Deutschland Gesundheitsförderungsangebote zu unterschiedlichen Themenbereichen eingeführt. Anfangs fehlte jedoch die Systematik eines betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM), die ab 2010 etabliert wurde. In der Unternehmensstrategie ist das BGM unter dem Aspekt „Mitarbeitende“ angesiedelt, ein Leitbild beschreibt die Vision, Mission und Strategie. Alle Aktivitäten werden unter dem Markennamen gesund@abbvie zusammengefasst und kommuniziert.
Kernelemente des Gesundheitsmanagements im Unternehmen
Zentrales Element des BGM ist der interdisziplinär besetzte Arbeitskreis Gesundheit. Darin arbeiten die Geschäftsführerenden der vier Unternehmensbereiche, die Betriebsratsvorsitzenden, die Betriebsärztinnen und -ärzte, die BGM-Koordinatorinnen, die HR (Human Resources)-Direktorin, der Leiter der Arbeitssicherheit und die Schwerbehinderten-Vertreterinnen eng zusammen und entscheiden über Strategie, Ziele, Maßnahmen und Budget des BGM. Operativ ist das Gesundheitsmanagement beim Betriebsärztlichen Dienst angesiedelt.
Regelmäßige Gesundheitsumfragen sind ein weiteres Element unseres Gesundheitsmanagements. Sie werden alle zwei Jahre als Online-Befragungen in Kooperation mit einem externen Partner durchgeführt. Die Fragen beziehen sich dabei unter anderem auf die körperliche und psychische Gesundheit, die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, arbeitsbezogene Ressourcen und äußere Arbeitsbedingungen. Diese Umfragen werden auch zur Gefährdungsbeurteilung der psychischen Belastungen genutzt.
Die Ergebnisse der Gesundheitsumfragen werden in zwei unterschiedlichen Berichten dargestellt. Führungskräfte erhalten einen sogenannten abteilungsbezogenen Bericht, der die organisationalen Gesundheitsaspekte in ihrem Verantwortungsbereich darstellt und mit einem Benchmark aus der Industrie vergleicht. Der Arbeitskreis Gesundheit hat festgelegt, dass alle Führungskräfte diese Berichte im Team mit ihren jeweiligen Mitarbeitenden besprechen, die Ergebnisse aus den Team-Meetings zusammenfassen und an den Arbeitskreis zurückmelden müssen. Sofern die Abteilungsergebnisse signifikant vom Benchmark abweichen, erarbeiten die betreffenden Teams in einem moderierten Workshop Aktionspläne zur Verbesserung, die ebenfalls an den Arbeitskreis Gesundheit zurückgespiegelt werden.
Alle Rückmeldungen aus den Team-Meetings und Workshops werden in einer Gesamtübersicht für den Arbeitskreis Gesundheit zusammengefasst, der daraus übergeordnete Maßnahmen und gegebenenfalls eine Anpassung der Strategie ableiten kann. Im Rahmen der nächsten Gesundheitsumfrage werden dann daraus resultierende Veränderungen erfasst, wodurch ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess entsteht.
Alle Teilnehmenden der Gesundheitsumfrage erhalten einen persönlichen Gesundheitsbericht, der die individuellen gesundheitlichen Aspekte im Vergleich zu einer vergleichbaren Kontrollgruppe ausführlich darstellt und erläutert. Die Betriebsärztinnen und -ärzte erhalten nur dann Kenntnis von den individuellen Berichten, wenn die Mitarbeitenden sie zur Verfügung stellen. Sofern die Mitarbeitenden Beratung zu ihrer gesundheitlichen Situation wünschen, können sie sich an die Betriebsärztinnen und -ärzte wenden.
Die Palette der Gesundheitsangebote deckt die klassischen Themenbereiche wie zum Beispiel Bewegung, Ernährung, Entspannung usw. ab. In den letzten Jahren wurden zahlreiche Angebote zur psychosozialen Gesundheit ergänzt.
Die rund 600 Führungskräfte fungieren als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren des Gesundheitsmanagements; sie werden regelmäßig zu Gesundheitsthemen und den Angeboten informiert und erweitern durch Schulungen ihre Kompetenzen in Bezug auf gesundheitsorientiertes Führen. Die jährliche Bewertung der sogenannten Führungskräfte-Attribute spiegelt den Führungskräften ihr Engagement für die Schaffung eines gesunden Arbeitsumfelds wider.
Die Betriebsärztinnen und Betriebsärzte sind auch in die umfangreichen Maßnahmen des Arbeitsunfähigkeitsmanagements und der Reintegration nach Erkrankung eingebunden. Die betriebsärztliche Frühberatung, das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM), stufenweise Wiedereingliederungen oder die Unterstützung bei der Beantragung von Reha-Maßnahmen sind diesbezügliche Themenfelder.
Die Bedeutung von Kennzahlen
Betriebliches Gesundheitsmanagement umfasst eine Vielzahl unterschiedlicher Maßnahmen. Bei AbbVie wird ein systematischer Ansatz der strukturierten Planung, Umsetzung, kontinuierlichen Überprüfung und Verbesserung von Prozessen und Maßnahmen im Sinne eines Managementprozesses verfolgt. Dabei spielen Kennzahlen, die relevante Elemente des BGM erfassen, eine wichtige Rolle. Wenn sie regelmäßig erhoben und bewertet werden, lassen sich daraus Ansatzpunkte zur Weiterentwicklung des BGM ableiten.
In unserem Arbeitskreis Gesundheit wurde bereits frühzeitig festgelegt, dass kontinuierlich Kennzahlen erhoben werden sollen. Eine Vielzahl von möglichen Parametern wurde erörtert. Besonders intensiv wurde über Arbeitsunfähigkeitsquoten als eine mögliche Kennzahl diskutiert. Letztlich wurde dieser Parameter aber nicht in das Kennzahlentableau des BGM aufgenommen, da Arbeitsunfähigkeitsquoten lediglich krankheitsbedingte Abwesenheitszeiten der Beschäftigten abbilden und wenig darüber aussagen, wie viele Beschäftigte tatsächlich in ihrer Gesundheit, ihrem Wohlbefinden und ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt sind. Sie beinhalten auch keine Aussage über die Arbeits-/Leistungsfähigkeit erkrankter Mitarbeitender, die am Arbeitsplatz präsent, aber nicht vollständig gesund sind (Präsentismus).
Das Kennzahlensystem
In unserem aktuellen BGM-Kennzahlensystem werden vier Themenfelder erfasst: gesundheitsbedingte Produktivitätsverluste, arbeitsbezogenes Wohlbefinden, Elemente aus dem Arbeitsunfähigkeitsmanagement und Parameter der Gesundheitsförderungsangebote.
Die gesundheitsbedingten Produktivitätsverluste sind ein Summenmaß für verlorengegangene Produktivität aufgrund gesundheitlicher Faktoren. Die Kennzahl besteht aus drei Komponenten: Absentismus, Präsentismus und Arbeitsfähigkeit. Je höher die Zahl der Absentismus- und Präsentismus-Tage ist und je ungünstiger die Mitarbeitenden ihre Arbeitsfähigkeit einschätzen, umso höher fallen die gesundheitsbedingten Produktivitätsverluste aus. Die Daten dazu werden im Rahmen der Gesundheitsumfragen in jeder Auswertungseinheit erhoben. Das vom Arbeitskreis Gesundheit definierte Ziel ist es, geringere Produktivitätsverluste als der Benchmark zu erreichen.
Die Kennzahl arbeitsbezogenes Wohlbefinden bewertet die Qualität der Arbeitsbedingungen und drückt aus, inwieweit sich Mitarbeitende mit ihrer Arbeit identifizieren und wie sie ihr psychisches Wohlbefinden einschätzen. Ungünstige Werte wirken sich nicht nur negativ auf die Produktivität aus, sondern können auch negative Auswirkungen auf die Gesundheit der Beschäftigten haben. Auch hierfür werden die Daten in jeder Auswertungseinheit im Rahmen der Gesundheitsumfragen erhoben. Besser als der Benchmark zu sein, ist auch hier das vom Arbeitskreis Gesundheit formulierte
Ziel.
Reine Arbeitsunfähigkeitszeiten sind keine Kennzahlen in unserem Bewertungssystem. Da jedoch das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) und stufenweise Wiedereingliederungen wichtige und vom Unternehmen in gewissem Umfang steuerbare Instrumente des Arbeitsunfähigkeits- beziehungsweise Reintegrationsmanagements sind, wurden sie in das Kennzahlensystem aufgenommen. Als internes Ziel für das BEM wurde eine Teilnahmequote von mindestens 75 % der BEM-Berechtigten festgelegt (definiert als Annahme des Angebots zum BEM), Zielgröße für die stufenweisen Wiedereingliederungen ist eine Erfolgsquote von über 90 % (definiert als erfolgreiche Eingliederung in der bisherigen Tätigkeit).
Die Angebote aus dem Bereich der Gesundheitsförderung werden in Bezug auf Aufwand und Kosten, Zufriedenheit und Reichweite bewertet. Als Zielgrößen für Einzelangebote sind Auslastungen über 50 % der jeweiligen Teilnehmerkapazitäten und eine Gesamtnote von 2 oder besser (Bereich 1–5) definiert. Der Arbeitskreis Gesundheit kann darauf basierend entscheiden, welche Angebote fortgesetzt, modifiziert oder pausiert/eingestellt werden.
Alle Zielgrößen werden vom Arbeitskreis Gesundheit festgelegt und die Zielerreichung regelmäßig überprüft. Bei Bedarf erfolgen Anpassungen der Maßnahmen und/oder der Ziele.
Nutzen der Kennzahlen
Die beschriebenen Kennzahlen werden seit rund fünf Jahren erhoben und wurden seither nur gering modifiziert. Aus ihnen kann sowohl abteilungsbezogener als auch übergeordneter Handlungsbedarf abgeleitet werden; die Betrachtung im Längsschnitt ermöglicht eine Bewertung der Entwicklung im BGM.
Die aus den Gesundheitsumfragen abgeleiteten Parameter (gesundheitsbedingte Produktivitätsverluste und arbeitsbezogenes Wohlbefinden) bilden nach unserer Auffassung sowohl die gesundheitliche Lage der Beschäftigten als auch die Qualität der Arbeitsbedingungen sehr gut ab. Wenn die Umfrageergebnisse Auffälligkeiten zeigen und entsprechende Maßnahmen erfolgreich umgesetzt werden, zeigt sich dies meist in der Folge auch in einer positiven Veränderung dieser Kennzahlen. Bei Abteilungsergebnissen, die deutlich vom Benchmark abweichen, werden neben der Erarbeitung von Aktionsplänen häufig mit Führungskräften Ziele im Rahmen des Performance Managements vereinbart, die zur nachhaltigen Umsetzung der Maßnahmen aus den Aktionsplänen beitragen sollen.
Auch ökonomische Betrachtungen sind auf Grundlage dieser Kennzahlen möglich. Anhand firmeninterner Rechengrößen kann für jede Abteilung die Produktivität abgeschätzt werden. So ergab sich für AbbVie Deutschland 2022 im Vergleich zum Benchmark eine um 7,8 Mio. Euro höhere Produktivität. Die Abteilungen mit den geringsten Produktivitätsverlusten trugen mit 2,77 Mio. Euro zu dieser Verbesserung bei, hingegen verschlechterten die Abteilungen mit den höchsten Produktivitätsverlusten das Ergebnis um 1,57 Mio. Euro. Diese Betrachtungsweise verdeutlicht, wie wichtig und nachhaltig Investitionen in die Gesundheit und das Wohlbefinden von Beschäftigten sein können.
Maßnahmen im Arbeitsunfähigkeitsmanagement haben in den letzten Jahren angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels stark an Bedeutung gewonnen. Das gesetzlich vorgeschriebene betriebliche Eingliederungsmanagement ist gleichermaßen für Beschäftigte und Unternehmen sinnvoll. Für Beschäftigte können individuelle, die gesundheitliche Situation reflektierende Anpassungen der Tätigkeit ermöglicht werden, für Unternehmen steht neben der Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeiten vor allem der Erhalt und die Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit im Vordergrund. Daher ist das BEM aus unserer Sicht ein wichtiges Verfahren, das erfasst und bewertet werden und eine möglichst hohe Teilnahmerate erzielen sollte. Um das zu erreichen, ist neben einem effizienten BEM-Prozess auch eine kontinuierliche Kommunikation über Sinn und Zweck des BEM notwendig. Aufgrund von Befragungen der BEM-Berechtigten und einer Verbesserung und Intensivierung der Kommunikation konnte die Teilnahmequote um etwa 10 % gesteigert werden.
Stufenweise Wiedereingliederungen sind ein effektiver Weg, um Beschäftigte nach längeren und/oder schweren Erkrankungen in den Arbeitsprozess zu reintegrieren. Für ein optimales Ergebnis ist eine enge und funktionierende Kooperation interner und externer Ansprechpartner von großer Bedeutung. Wenn Betriebsärztinnen und -ärzte dabei als Lotsen fungieren, sind hohe Erfolgsquoten erzielbar, weshalb es aus unserer Sicht sinnvoll ist, diesen Prozess im Kennzahlenspiegel zu bewerten.
Die auf dem Markt befindliche Angebotspalette für Gesundheitsförderungsmaßnahmen ist sehr breit gefächert. Unternehmen müssen die thematisch und inhaltlich passenden Angebote finden. Im Unternehmen etablierte Angebote regelmäßig mit Kennzahlen zu bewerten, ist nicht nur ökonomisch sinnvoll und notwendig, sondern ermöglicht anhand von Nutzerbewertungen, Auslastungszahlen und anderen Parametern eine Entscheidung darüber, ob Angebote modifiziert oder gegebenenfalls nicht mehr weitergeführt werden.
Fazit und Ausblick
Kennzahlen im BGM sind wichtig, um die Investitionen in die Gesundheit und das Wohlbefinden einer Organisation und deren Beschäftigten erfassen, bewerten und steuern zu können.
Das beschriebene Kennzahlensystem dient unserem Arbeitskreis Gesundheit zur Bewertung und langfristigen Ausrichtung des BGM und spiegelt die wichtigsten Bereiche unseres Gesundheitsmanagements wider. Die Einführung dieses Systems hat für mehr Transparenz gesorgt und ist eine gute Basis, um über Maßnahmen und Zielrichtung im BGM zu entscheiden.
Die vor einigen Jahren bei AbbVie etablierte betriebsärztliche Frühberatung, bei der arbeitsunfähige Beschäftigte ein für sie freiwilliges betriebsärztliches Beratungsangebot nach zwei Wochen Arbeitsunfähigkeit erhalten, ist zu einem weiteren wichtigen Instrument im Arbeitsunfähigkeitsmanagement geworden. Daher soll dieser Aspekt perspektivisch ebenfalls mit aufgenommen und bewertet werden. Passende Parameter dafür werden aktuell im Arbeitskreis Gesundheit diskutiert.
Auch die ökonomischen Betrachtungen einzelner Angebote sollen weiter vertieft werden. Eine Evaluation der betriebsärztlichen Frühberatung wird in Kürze starten.
Interessenkonflikt: Die Autorinnen und
Autoren sind angestellte Betriebsärztinnen/Betriebsärzte und BGM-Koordinatorinnen und -Koordinatoren bei AbbVie Deutschland. Es besteht kein Interessenkonflikt.
doi:10.17147/asu-1-328889
Kernaussagen
Koautorinnen
Koautorinnen
Dr. Nicole Hartmann
Dr. Irena Stöckelmann
Alexandra Tsolakis
Denise Wagner
Sophie Kuhn
AbbVie Deutschland