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Lärm und Konzentration: Mehr als nur ein akustisches Problem

Rico Ganßauge

doi:10.17147/asu-1-391888

Noise and concentration: More than just an acoustic problem – implications for work design

Even for relatively simple concentration tasks, the extra-aural effects of noise below 80 dB(A) can impair performance. Specific effects are illustrated using the practical example of visual inspection. This requires a considerable degree of recurring concentration, but is difficult to classify on the basis of current regulations. Recommendations are therefore derived for practical application.

Kernaussagen

  • Aus arbeitswissenschaftlicher Sicht ist es durchaus lohnenswert, auch bei Tätigkeiten mit vergleichsweise einfachen Konzentrationsanforderungen Maßnahmen der Geräuschsenkung umzusetzen.
  • Oft können in Abhängigkeit der betrieblichen Gegebenheiten bereits mit vertretbar aufwän­digen Ansätzen Fortschritte erreicht werden, die sich längerfristig positiv auf die Prüfleistung auswirken sollten.
  • Weitreichende Wirkungen auf Motivation und Gesunderhaltung der Beschäftigten sollten sich damit auf lange Sicht erzielen lassen.
  • Lärm und Konzentration: Mehr als nur ein akustisches Problem – Ableitungen für die Arbeitsgestaltung

    Auch bei vergleichsweise einfachen Konzentrationstätigkeiten können die extraauralen Auswirkungen von Lärm unter 80 dB(A) die Leistungsfähigkeit beeinträchtigen. Dargestellt werden konkrete Auswirkungen anhand des Praxisbeispiels der Sichtprüfung. Diese erfordert ein erhebliches Maß wiederkehrender Konzentration, lässt sich jedoch schwierig anhand aktueller Regelwerke einordnen. Für die Anwendungspraxis werden deshalb Handlungsempfehlungen abgeleitet.

    Einleitung und Ziel

    Zweifellos sind in Bezug auf Lärmschutzmaßnahmen in der Vergangenheit große Fortschritte gemacht worden. Dennoch sind in den vergangenen Jahren immer noch zahlreiche Fälle von Schwerhörigkeit als Berufskrankheit anerkannt worden (DGUV 2022). Neben diesen schwerwiegenden Auswirkungen, die durch längere Exposition von hohen Geräuschpegeln entstehen, können weitere unerwünschte (sog. „extraaurale“) Wirkungen, wie zum Beispiel Einschränkungen in der Konzentration, kurzfristig auftreten. Deshalb existieren Richtwerte wie die Arbeitsstättenrichtlinie ASR 3.7: 2021.

    Die strengsten Empfehlungen darin sind für Tätigkeiten gedacht, die sehr hohe Anforderungen an Konzentration und Sprachverständlichkeit stellen. Als Beispiele werden das Treffen von Entscheidungen mit hoher Tragweite gegebenenfalls unter Zeitdruck, das Optimieren von Software und Prozessschritten komplexer Transferstraßen oder Tätigkeiten der Wissensvermittlung genannt. Hier soll ein Beurteilungspegel (Lr) von 55 dB(A) nicht überschritten werden.

    Einige Tätigkeiten erfordern mittlere Konzentration oder mittlere Sprachverständlichkeit. Typischerweise haben diese Routineanteile wiederkehrend ähnlicher Aufgaben wie das Treffen von einfachen Entscheidungen ohne Zeitdruck. Beispiele sind die einfache Sachbearbeitung im Büro oder feinmotorische Tätigkeiten mit Auge-Hand-Koordination. Hier soll ein Lr = 70 dB(A) nicht überschritten werden.

    Für alle übrigen Tätigkeiten soll der Geräuschpegel soweit wie möglich gesenkt werden, wird sich jedoch realistischerweise in der Praxis zwischen 70 dB(A) und den unteren/oberen Auslösewerten für Arbeitsschutzmaßnahmen von Lr = 80 beziehungsweise 85 dB(A) bewegen (LärmVibrationsArbSchV 2007, § 6).

    Praktische Beispiele ergänzen die Empfehlungen. Einige Tätigkeiten lassen sich jedoch schwierig bewerten. Dies war der Ausgangspunkt für die beschriebene Untersuchung der Sichtprüftätigkeiten von produzierten Bauteilen auf ihre Gütemerkmale mit bloßem Auge oder einfachen Hilfsmitteln (z. B. Standlupe). Dabei kann ein Katalog mit typischen Fehlerbildern zu Rate gezogen werden. Am Ende wird entschieden, ob das geprüfte Teil brauchbar oder unbrauchbar ist (➥ Abb. 1). Oft werden solche Sichtprüfungen nahe der industriellen Fertigung durchgeführt.

    Es ist davon auszugehen, dass mit einiger Übung häufig auftretende Fehlermerkmale gut im Gedächtnis abgespeichert sind und somit eine gewisse Routine vorherrscht. Entscheidungen bei seltenen Fehlerbildern dürften jedoch schwieriger zu treffen sein und werden oft unter Rückgriff auf den Fehlerkatalog abgesichert. Ein gewisses Maß an Konzentration ist im Verlauf der Sichtprüfung in jedem Fall erforderlich und muss über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten werden. Kognitive Ressourcen werden aktiviert, wie zum Beispiel der Abruf von Informationen aus dem Gedächtnis sowie das Vergleichen, Einschätzen und Bewerten vorgefundener Fehlerbilder. Die in der Richtlinie erwähnte Sprachverständlichkeit rückt in den Hintergrund, da diese Tätigkeit typischerweise allein ausgeführt wird.

    Theorien zur Geräuschwirkung

    Die Forschung hat gezeigt, wie Geräusche den Prüfvorgang beeinträchtigen können, und kognitive Modelle bieten Ansatzpunkte, um diese Erkenntnisse für die Praxis nutzbar zu machen. Sie beschreiben beispielsweise unterschiedlich tiefgreifende Denkvorgänge oder die Verteilung psychischer Anstrengung bei der Aufgabenbearbeitung. Meist steht dafür nur eine begrenzte Kapazität zur Ausführung und Steuerung der inneren Vorgänge zur Verfügung, die dementsprechend durch Geräusche zusätzlich beeinträchtigt wird. Andere Modelle beschäftigen sich speziell mit extraauraler Geräuschwirkung. Die „Arousal-Theorie“, die von dem britischen Psychologen Donald Eric Broadbent in den 1970er Jahren entwickelt wurde, ist ein weiterhin wichtiges Modell zur Erklärung der Auswirkungen von Erregung auf die Leistungsfähigkeit (Szalma u. Hancock 2011). Mit „Arousal“ ist der physiologisch bedingte und üblicherweise im Tagesverlauf zyklisch veränderte Allgemeinzustand des Menschen gemeint, der auch als allgemeines Aktivierungsniveau bezeichnet wird. Dieser kann von ermattet über einen normal wachen und leistungsfähigen Zustand bis hin zu einer nervösen Überanregung variieren. Für unterschiedliche Aufgabenschwierigkeiten (einfache Aufgabe mit geringen Denkanforderungen bis hin zu sehr intensiven Denkaufgaben) existiert jeweils ein optimales Arousal. Bei einfachen Aufgaben kann dies etwas höher sein, bei intensiven Denkaufgaben eher etwas niedriger, jedes Mal aber immer noch innerhalb der Grenzen eines wachen und leistungsfähigen mittleren Aktivierungsniveaus. Es ist nachgewiesen, dass Geräusche das Arousal recht schnell in Richtung einer Überanregung steigern können (➥ Abb. 2).

    Das durch die Geräuschwirkung erhöhte Arousal kann für die konzentrationsintensive Prüfaufgabe zu hoch sein und deshalb die Leistung beeinträchtigen. Andere Modelle beschäftigen sich mit dem Einfluss von Geräuschen auf innere Vorgänge. So ist ein nach außen lautloses, inneres Sprechen eine Unterstützung bei komplizierten Denkvorgängen (Poulton 1979). Ebenso werden einige Gedächtnisinhalte kurzzeitig akustisch gespeichert (Baddeley 2007). In beiden Fällen ist es plausibel, dass Geräusche diese inneren Vorgänge ungünstig beeinflussen können, indem sie diese überlagern. Letztendlich wird sich dies ungünstig auf die Prüfleistung auswirken.

    Es existieren also umfangreiche Hinweise, die eine ungünstige extraaurale Wirkung von Geräuschniveaus nahelegen. Aus diesem Grund wurde ein Experiment durchgeführt, dessen Ziel die differenzierte Darstellung der Wirkung von Industriegeräuschen auf die Konzentration bei visueller Prüfung war. Auswirkungen auf die Leistung und die Leistungsvoraussetzungen sollten dargestellt werden, um daraus gezielt Hinweise für die arbeitsgestalterische Praxis abzuleiten.

    Abb. 2:  Zusammenhang zwischen Arousal/allgemeinem Aktivierungsniveau und der Leistungs­abgabe (eigene Darstellung)

    Abb. 2: Zusammenhang zwischen Arousal/allgemeinem Aktivierungsniveau und der Leistungs­abgabe (eigene Darstellung)

    Experiment und erfasste Messwerte

    Um die Anforderungen aus der Sichtprüfung standardisiert und innerhalb überschaubarer Zeiträume untersuchen zu können, wurde ein validierter Konzentrationsleistungstest eingesetzt (FAKT-II; Moosbrugger u. Goldhammer 2007). Dieser zeigt einfache Formen mit verschiedenen Zusatzmerkmalen in schneller Abfolge, die durch zwei verschiedene Tastendrücke zu klassifizieren waren, was mit der Entscheidung „brauchbar“ oder „unbrauchbar“ bei der realen Sichtprüfung vergleichbar ist (➥ Abb. 3).

    Der Test passt sich durch Geschwindigkeitsänderung dem persönlichen Leistungsniveau an und bringt Teilnehmende nahe an die persönlichen Leistungsgrenzen. Er berechnet eine Vielzahl Messwerte, die differenzierte Aussagen zur Leistung allgemein sowie zur Genauigkeit und Gleichmäßigkeit der Aufgabenbearbeitung gestatten. Während des Versuchs wurden die Teilnehmenden mit einem Industriegeräusch in unterschiedlichen Schalldruckpegeln (Lr = 55, 70 und 80 dB(A)) beschallt. Es handelte sich um Aufnahmen typischer Maschinengeräusche und anderer mit der Produktion verbundenen Vorgängen. Neben den genannten unterschiedlichen Schalldruckpegeln gab es mit 35 dB(A) eine Kontroll- und Vergleichsbedingung ohne diese Geräusche, die dem natürlichen Hintergrundgeräuschpegel im Versuchslabor entsprach. Die Teilnehmenden durchliefen jeweils nur eine, zufällig zugeteilte Bedingung.

    Abb. 3:  Im FAKT-II dargebotene Prüfformen mit der Entscheidung „akzeptabel“ (grün unterlegt) bzw. „fehlerhaft“ (rot unterlegt). Quelle: mod. nach Moosbrugger u. Goldhammer 2007, S. 16)

    Abb. 3: Im FAKT-II dargebotene Prüfformen mit der Entscheidung „akzeptabel“ (grün unterlegt) bzw. „fehlerhaft“ (rot unterlegt). Quelle: mod. nach Moosbrugger u. Goldhammer 2007, S. 16)

    Ergänzt wurden diese direkten Leistungsmaße durch die Ermittlung der mentalen Leistungsvoraussetzungen mittels des Elektroenzephalogramms (EEG). Gut abgesicherte Indikatoren dafür sind die Alpha- (> 8–13 Hz) und Theta-Wellenbereiche (4–8 Hz). Anteile im Alpha-Wellenbereich nehmen im Vergleich zum gesamten Wellenspektrum zu, wenn hohen Anforderungen begegnet werden muss. Höhere Geräuschpegel sollten damit zu einem Anstieg im Alpha-Wellenbereich führen. Die Theta-Wellen gelten als Maß für wache und konzentrierte Aufmerksamkeit und sollten somit bei höheren Aufgabenanforderungen aufgrund höherer Geräuschpegel abnehmen. Durchführung, Auswertung und Interpretation orientierte sich an der Arbeit von Radüntz (2016, S. 46). Die EEG-Maße sollten schneller auf die unterschiedlichen Geräuschbedingungen reagieren als die eigentlichen Leistungsmaße aus dem Konzentrationstest, da die Leistung dort durch Anstrengungssteigerung für eine gewisse Zeit aufrechterhalten werden kann (Hacker Richter 1998). Dies war auch der Grund für die relativ lange Durchführung des Tests (60 min mit kurzer, technisch bedingter Unterbrechung in der Mitte).

    Von den insgesamt N = 132 Teilnehmenden (N = 104) bei den EEG-Messungen, bedingt durch Ablehnungen während der Pandemie) war die Mehrheit jünger (M = 29,1 Jahre, SD = 7,9 Jahre). Die geringere Anzahl an EEG-Teilnehmenden ist auf die Zurückhaltung vor körpernahen Messungen während der Corona-Pandemie zurückzuführen. Somit waren altersbedingte Höreinschränkungen, die die Ergebnisse verzerren könnten, unwahrscheinlich und zusätzlich durch Vorbefragung ausgeschlossen. Die Versuchsgruppen waren gleichwertig hinsichtlich ihrer generellen Lärmempfindlichkeit, was ebenfalls durch Vorbefragung mit dem standardisierten Fragebogen LEF-K (Zimmer u. Ellermeier 1997) nachgewiesen wurde. Die Teilnahme war freiwillig, ein Abbruch des Experiments jederzeit möglich. Ergänzt wurden die Messwerte durch die subjektive Einschätzung der eigenen Beanspruchung mittels der standardisierten SEA-Skala (Skala zur Erfassung von Aufmerkamkeitsproblemen, Eilers et al. 1986) und der eigenen Ermüdung durch die kombinierte Wirkung von Testaufgabe und der entsprechenden Geräuschbedingung (KSS-Skala [Karolinska Sleepiness Scale], Åkerstedt u. Gillberg 1990).

    Tabelle 1:  Mittlere Anzahl (MA) von korrekt und falsch klassifizierten Prüfformen im Test FAKT-II für Minute 31–60 der Durchführung (eigene Darstellung)

    Tabelle 1: Mittlere Anzahl (MA) von korrekt und falsch klassifizierten Prüfformen im Test FAKT-II für Minute 31–60 der Durchführung (eigene Darstellung)

    Auswertung der Ergebnisse

    Die Auswertung basierte auf einer statistischen Signifikanzprüfung auf Unterschiede zwischen den Teilnehmendengruppen, hauptsächlich durch varianzanalytische Verfahren (Döring 2023, S. 838). Besonderes Augenmerk wurde auf die zweite Hälfte der Testdurchführung gelegt, da dort nach Abklingen der anfänglichen Kompensa­tionseffekte eher mit Unterschieden zu rechnen war. Im Vergleich zur Kontrollgruppe klassifizierten alle anderen Gruppen mehr Prüfformen des Tests korrekt. Gleichzeitig wurde jedoch auch eine teils erheblich größere Anzahl falsch klassifiziert (bis zu 50,9 %), was in der Praxis mehr Prüffehlern entsprechen würde. Einen Überblick gibt ➥ Tabelle 1.

    Tendenziell stiegen zwar beide Werte gegenüber der Kontrollbedingung 35 dB(A) an, statistisch signifikant waren jedoch nur die Unterschiede zwischen 35 und 80 dB(A). Aus diesen Rohwerten berechnete der Test einige weitere Maße, beispielsweise die Konzentrationsgenauigkeit unter Einbezug der jeweiligen Reaktionszeiten. Durch die deutlich gesteigerte Fehleranzahl war diese in der zweiten Hälfte der Testdurchführung teils deutlich schlechter als in der Kontrollbedingung. Statistisch signifikant waren jedoch wiederum nur einige Zeiträume im späteren Verlauf zwischen 35 und 80 dB(A) (siehe dazu ➥ Abb. 4).

    Keine Unterschiede zeigten sich dagegen bei der Konzentrationsleistung und -homogenität. Der Begriff „Leistung“ ist im Test jedoch anders definiert als im betrieblichen Sinne. Eine hohe Leistung kann auch erreicht werden, wenn eine hohe Anzahl an Prüfformen bewertet wird, selbst wenn relativ viele davon fehlerhaft klassifiziert werden.

    Das EEG zeigte beim Alpha-Wellenmuster keine Unterschiede zwischen den Teilnehmendengruppen mit unterschiedlichen Geräuschpegeln. Im Mittel konnten aber rund 66 % weniger Theta-Wellen bei 80 dB(A) als bei 35 dB(A) gemessen werden, was auf schlechtere Leistungsvoraussetzungen schließen lässt. Diese Verschlechterung begann etwas früher als die Auswirkungen hinsichtlich der vorher beschriebenen Konzentrationsgenauigkeit, nämlich bereits in den Minuten 16–30 der Testdurchführung. Die signifikanten Unterschiede sind in ➥ Abb. 5 mit Pfeilen gekennzeichnet.

    Die subjektive Einschätzung der eigenen Beanspruchung (SEA-Skala) und Ermüdung (KSS-Skala) zeigte keine Unterschiede. Die Werte verschlechterten sich in beiden Skalen zwar erwartungsgemäß, waren jedoch zwischen den unterschiedlichen Geräuschpegeln nicht signifikant verschieden. Interessanterweise gaben die Teilnehmenden in den Nachgesprächen dazu häufig an, dass die als durchgängig hoch erlebte Beanspruchung durch den FAKT-II-Test die Geräuschpegel in der subjektiven Wahrnehmung in den Hintergrund treten ließ.

    Abb. 4:  Verlauf der Konzentrationsgenauigkeit: Höhere Punktwerte bedeuten bessere Genauigkeit. Signifikante Unterschiede sind durch Pfeile gekennzeichnet (eigene Darstellung)

    Abb. 4: Verlauf der Konzentrationsgenauigkeit: Höhere Punktwerte bedeuten bessere Genauigkeit. Signifikante Unterschiede sind durch Pfeile gekennzeichnet (eigene Darstellung)

    Schlussfolgerungen und ­Empfehlungen für die Praxis

    Zusammenfassend gesehen können somit einige Unterschiede zwischen der lautesten gegenüber der leisen Kontrollbedingung statistisch nachgewiesen werden. Diese lassen auf eine schnelle Aufgabenbearbeitung mit mehr Fehlern (vgl. Testwerte des FAKT-II) sowie auf verschlechterte Leistungsvoraussetzungen (vgl. geringere Anteile Theta-Wellen im EEG) rückschließen. Demgegenüber zeigen die Alpha-Wellenmuster des EEG und die subjektiven Einschätzungen keine Unterschiede.

    Aus anwendungspraktischer Sicht ist dazu zunächst anzumerken, dass sich die im Experiment gezeigte Erhöhung der Fehlerquote nicht unmittelbar auf die betriebliche Praxis übertragen lässt: Der Effekt dürfte sich dort möglicherweise nicht so deutlich zeigen, da das Experiment die Anforderungen stark komprimiert. Andererseits werden in der Praxis eine größere Anzahl an Prüfvorgängen über erheblich längere Zeiträume durchgeführt. Somit kann die Tendenz zur schnelleren Prüfung unter Inkaufnahme von mehr Fehlern im arbeitsgestalterischen Sinne nicht gutgeheißen werden. Auch zeigten sich trotz sorgfältiger experimenteller Vorplanung nur wenige, statistisch signifikante Unterschiede, diese auch lediglich zwischen der Kontrollbedingung von 35 dB(A) und der lautesten Bedingung von 80 dB(A). Die übrigen Bedingungen (55 und 70 dB(A)) zeigten zwar tendenziell verschlechterte Werte im Sinne von größerer Fehleranzahl und schlechteren Leistungsvoraussetzungen, übersprangen aber die statistischen Signifikanzgrenzen nicht. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Unterschiede hier eher klein sind. Allerdings sollte im Hinblick auf die betriebliche Praxis berücksichtigt werden, dass möglicherweise auch kleinere Erhöhungen der Fehlerquote bei einer großen Anzahl von Prüfvorgängen weitreichende Auswirkungen haben können. Denn sind fehlerhafte Teile erst einmal ausgeliefert und verbaut worden, kann dies möglicherweise finanziell schwerwiegende Folgen nach sich ziehen.

    In der Gesamtbetrachtung stützen die Ergebnisse jedoch allgemeine Bestrebungen gemäß des Minimierungsgebots und unterstützen die in ASR 3.7:2021 empfohlene Senkung unter Lr = 55 dB(A) für Tätigkeiten mit mittleren Anforderungen auch bei vergleichsweise einfach handhabbaren Prüftätigkeiten. Hohe Geräuschpegel sollten vermieden werden. Dies ist in der betrieblichen Praxis auf mehreren Ebenen umsetzbar. Insbesondere können laute Geräusche durch Abschirmung oder Arbeitsplatzausrichtung beziehungsweise -positionierung gedämpft werden. Unter Freifeldbedingungen verringert sich nach dem Abstandsgesetz die Schallintensität bei einer Abstandsverdoppelung auf ein Viertel des Ausgangswerts, was den Schallpegel um 6 dB reduziert (Weinzierl 2008). Dies lässt sich zwar nicht uneingeschränkt auf die geschlossene Umgebung typischer Werkhallen übertragen und bildet sich außerdem nicht äquivalent in einer ebenso stark verminderten, menschlichen Wahrnehmung ab es bietet jedoch Ansätze, deutliche Wirkungen mit vertretbarem Aufwand zu erzielen.

    Durch die Prüfung in etwas größerer Entfernung von den Maschinen oder mithilfe von Trennwänden sollten sich bereits deutliche Verbesserungen erzielen lassen. Eine komplette Trennung bis hin zu eingehausten Prüfbereichen mit sehr niedrigem Geräusch­niveau ist sicherlich bei solchen vergleichsweise einfachen Prüfungen nicht in jedem Fall nötig. Dies kann jedoch bei komplizierteren Prüfungen in Betracht gezogen werden, insbesondere, wenn beim Prüfvorgang viele Informationen im Gedächtnis behalten und verarbeitet werden müssen, weil diese Prüfungen zum Beispiel an größeren Bauteilen räumlich verteilt stattfinden. Die Wirkungen von Geräuschen könnten deutlicher hervortreten, da mehr innere und damit eher durch Geräusche beeinträchtigbare Vorgänge (z. B. längeres Im-Gedächtnis-Behalten von Merkmalen) involviert sein könnten. Generell sollte bei allen Maßnahmen nach dem TOP-Prinzip (Schlick et al. 2018, S. 404) verfahren werden. Demnach sind zuerst technische Maßnahmen anzustreben (z. B. lärmärmere Maschinen, Trennwände), erst danach organisatorische Maßnahmen (z. B. Verkürzung der Lärmexposition durch Wechsel, Prüfplätze in größerer Entfernung) und ganz zuletzt persönliche Maßnahmen (z. B. Schutzausrüstung). Dementsprechend sind die eingangs beispielhaft genannten Maßnahmenvorschläge vorrangig technischer Natur.

    Interessenkonflikt: Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

    Literatur

    Åkerstedt T, Gillberg M: Subjective and objective sleepiness in the active individual. Int J Neurosci 1990; 52: 29–37. doi:10.3109/00207459008994241.

    Baddeley A: Working memory, thought and action. Oxford: Oxford University Press, 2007.

    Döring N: Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozial- und Humanwissenschaften. Berlin: Springer, 2023.

    Eilers K, Nachreiner F, Hänecke K: Entwicklung und Überprüfung einer Skala zur Erfassung subjektiv erlebter Anstrengung. Z Arbeitswiss 1986; 40: 215–224.

    Moosbrugger H, Goldhammer F: FAKT-II. Frankfurter Adaptiver Konzentrationsleistung-Test II. Manual. Bern: Hans Huber, 2007.

    Poulton EC: Composite model for human performance in continuous noise. Psychol Rev 1979; 86: 361–375. doi.org/10.1037/0033-295X.86.4.361.

    Richter P, Hacker W: Belastung und Beanspruchung: Stress, Ermüdung und Burnout im Arbeitsleben. Kröning: Roland Asanger Verlag, 1998.

    Schlick C, Bruder R, Luczak H: Arbeitswissenschaft. Wiesbaden: Springer Viehweg, 2018.

    Szalma J, Hancock P: Noise effects on human performance: A Meta-Analytic Synthesis. Psychol Bull 2011; 137: 682–707. doi:10.1037/a0023987.

    Weinzierl S: Handbuch der Audiotechnik. Berlin: Springer, 2008.

    Zimmer K, Ellermeier W: Ein Kurzfragebogen zur Erfassung der Lärmempfindlichkeit. Umweltpsychologie 1997; 2: 54–63 (Open Access).

    Online-Quellen

    ASR A3.7:2021 – Technische Regeln für Arbeitsstätten: Lärm
    https://www.baua.de/DE/Angebote/Rechtstexte-und-Technische-Regeln/Regel…

    DGUV: Anerkannte Berufskrankheiten der Unfallversicherungen der gewerblichen Wirtschaft und der öffentlichen Hand sowie Schüler-Unfallversicherungen. 2022
    https://www.dguv.de/de/zahlen-fakten/bk-geschehen/anerkannte-bken/index…

    LärmVibrationsArbSchV: Verordnung zum Schutz der Beschäftigten vor Gefährdungen durch Lärm und Vibrationen. 2007
    https://www.gesetze-im-internet.de/l_rmvibrationsarbschv/

    Radüntz T: Kontinuierliche Bewertung psychischer Beanspruchung an informationsintensiven Arbeitsplätzen auf Basis des Elektroenzephalogramms. Dissertation an der Humboldt-Universität Berlin, 2016
    https://edoc.hu-berlin.de/handle/18452/18069

    Abb. 5:  Verlauf der Theta-Frequenzbandes im EEG bei den Versuchsgruppen, verglichen mit der Ausgangsbasis (Wert = 100 %). Signifikante Unterschiede sind durch Pfeile gekennzeichnet (eigene Darstellung)

    Abb. 5: Verlauf der Theta-Frequenzbandes im EEG bei den Versuchsgruppen, verglichen mit der Ausgangsbasis (Wert = 100 %). Signifikante Unterschiede sind durch Pfeile gekennzeichnet (eigene Darstellung)

    Kontakt

    Dr.-Ing. habil. Rico Ganßauge
    Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg; Arbeitsgebiet Arbeitswissenschaft/Arbeitspsychologie; Konrad-Wachsmann-Allee 1; 03046 Cottbus

    Foto: privat

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