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Nichtionisierende Strahlung

Nichtionisierende Strahlung: Erfahrungen und Anforderungen an ein Ärztenetzwerk

Das PDF dient ausschließlich dem persönlichen Gebrauch! - Weitergehende Rechte bitte anfragen unter: nutzungsrechte@asu-arbeitsmedizin.com.

Non-Ionizing Radiation: Experiences and Requirements for a Network of Physicians

Umweltbezogenen Beschwerden ernst nehmen

Individuelle Vulnerabilität und Suszeptibilität können Auswirkungen von Umwelteinflüssen verstärken und im Einzelfall krank machen, obwohl die Wissenschaft ein nur geringes oder gar kein Risiko aufzeigt. Es muss mit ungünstigen Kombinationen von einzeln nicht schädlichen Umwelteinflüssen gerechnet werden. Langzeitfolgen sind häufig noch nicht abschließend, ungenügend oder gar nicht untersucht. Risikoforschung hinkt dem technischen Fortschritt meist hinterher.

Vermuten Patientinnen oder Patienten, dass Umwelteinflüsse trotz Einhaltung der Grenzwerte sie krank machen, stellt dies die konsultierten Hausärztinnen und -ärzte vor große Herausforderungen.

Pilotprojekt der Universität Basel

Die Sichtweise im hausärztlichen Bereich ist einzelfallbasiert. Die Suche nach geeigneten Maßnahmen steht dabei im Vordergrund. Chronische Beschwerden sind multifaktoriell und mehrdimensional. Auch Umwelteinflüsse können eine Rolle spielen. Es gibt jedoch wenig systematisches Wissen über Abklärung und Behandlung von umweltbezogenen Gesundheitsbeschwerden
(Infokasten 1).

Im Jahr 2001 wurde an der Universität Basel in Zusammenarbeit mit verschiedenen kantonalen Umweltfachstellen erstmals in Projektform für die Dauer eines Jahres eine umweltmedizinische Beratungsstelle angeboten (Huss et al. 2004). Das Projekt stellte sich die Frage nach der Plausibilität der Krankheitstheorie und ob die Beratung den Betroffenen nützt. Im Rahmen einer interdisziplinären Untersuchung wurden die Patientinnen und Patienten von einem Team aus einem Internisten, einer Psychologin und einer Umweltfachkraft gründlich abgeklärt. Die umweltbezogene Untersuchung umfasste eine Begehung und Begutachtung der Wohnumgebung inklusive verschiedener Messungen vor Ort.

Bei 40 % der Untersuchten beurteilte das interdisziplinäre Team einen Zusammenhang zwischen Symptom und Umwelteinfluss als plausibel, bei 50 % waren die Symptome gleichzeitig medizinisch/psychologisch oder medizinisch/umweltbezogen begründbar. Bei der Untergruppe der 25 Betroffenen mit Beschwerden im Zusammenhang mit elektromagnetischen Feldern (EMF) attestierte das Expertenteam bei acht Personen einen Zusammenhang zwischen mindestens einem Symptom und der EMF-Belastung als plausibel (Huss et al. 2005).

Die Beratung wurde von den Betroffenen als nützlich erlebt, doch konnte das Pilotprojekt der Universität Basel nicht weitergeführt werden, weil es zu zeit- und kostenintensiv war.

Pilotprojekt umweltmedizinisches Beratungsnetzwerk (UMB) der AefU

Beim Zentralsekretariat der Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz (AefU), aber auch bei den Bundesämtern und kantonalen Umweltfachstellen meldeten sich immer wieder Personen mit umweltbezogenen Beschwerden, vor allem im Zusammenhang mit Innenraumschadstoffen und NIS-emittierenden Geräten und Anlagen. Im Jahr 2007 entschlossen sich daraufhin die AefU, pragmatisch und rollend eine in die Grundversorgung integrierte umweltmedizinische Beratungsstruktur aufzubauen. Dabei knüpften sie an das interdisziplinäre Konzept des Basler Pilotprojekts an. In Zusammenarbeit mit Fachpersonen, die am Basler Pilotprojekt mitgewirkt hatten, wurden die strukturelle Organisation und das Abklärungsprotokoll an die Bedürfnisse der Grundversorgung angepasst. Dieses umweltmedizinische Beratungsnetz wurde von den AefU von 2008 bis 2011 als Pilotprojekt betrieben und wissenschaftlich begleitet (Röösli et al. 2011a,b). Die ärztlichen Leistungen waren über die Krankenkassen abgegolten. Die Finanzierung der Koordinationsstelle und der umweltbezogenen Untersuchungen erfolgte gemischt über private Stiftungen und Behörden. Die wissenschaftliche Begleitstudie wurde vom Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut (Swiss TPH) mit Forschungsgeldern der Forschungsstiftung Mobilkommunikation durchgeführt.

Organisation des Netzwerks

Das Netzwerk umfasste eine zentrale, ärztlich besetzte Koordinationsstelle mit telemedizinischem Beratungsdienst via Telefon und E-Mail sowie umweltmedizinisch geschulte Hausärztinnen und -ärzten, verteilt in verschiedenen Regionen der Schweiz. Die Koordinationsstelle nahm die Anfragen entgegen, bearbeitete diese, wo möglich abschließend, und verwies, wo nötig, Patien­tinnen und Patienten weiter an die Netzwerkärztinnen und -ärzte. Diese führten in ihren bestehenden Praxen nach einheitlichem Protokoll umweltmedizinische Abklärungen und Beratungen durch (Infokasten 2). Die Koordinationsstelle unterstützte das Ärztenetzwerk bei der Organisation von umweltbezogenen Abklärungen. Während des Pilotbetriebs war das Netzwerk durch eine Psychologin und Fachpersonen aus den Bereichen Innenraumbelastungen und elektromagnetische Felder begleitet. Es fanden regelmäßige Treffen zur Schulung und zum Informationsaustausch statt. Auch konnten die Grundlagen und Rahmenbedingungen für Hausuntersuchungen geschaffen werden.

Wissenschaftliche Begleitstudie

Haupterkenntnisse

Mit der Frage nach Bedarf, Nutzen und Machbarkeit wurde das Pilotprojekt wissenschaftlich begleitet und am Ende des Projekts wurden die Erfahrungen der Netzwerkärztinnen und -ärzte im Rahmen einer Fokusgruppe erhoben.

Für das Beratungsangebot bestand Bedarf und die Beratung wurde von den Ratsuchenden als nützlich beziehungsweise hilfreich wahrgenommen. Hauptsächlich meldeten sich Personen mit Beschwerden im Zusammenhang mit nichtionisierender Strahlung. Das Abklärungskonzept wurde von der
Ärzteschaft als praktikabel eingestuft. Analog zum Basler Pilotprojekt gingen die Ärztinnen und Ärzte von multifaktoriellen Krankheitsgeschehen aus, wo nebst umweltbezogenen auch körperliche und psychologisch/psychiatrische Faktoren eine Rolle spielen. Die Möglichkeit, bei Bedarf die real vorhandene Exposition zu erfassen, wurde dabei als hilfreich eingestuft. Als wichtig erachteten die Netzwerkärztinnen und -ärzte die Zusammenarbeit mit den Hausärztinnen und -ärzten, sowohl zur Verbesserung des Behandlungserfolgs als auch zur Minderung des Aufwands.

Hauptlehren

Als Hauptlehre zog das Autorenteam der Begleitstudie den Schluss, dass die Zusammenarbeit zwischen den Hausärztinnen und -ärzten UND den Netzwerkärztinnen und -ärzten des UMB verstärkt werden müsse. Angedacht wurde ein Modell, bei dem das Netzwerk, bestehend aus Koordinationsstelle sowie Netzwerkärztinnen und -ärzten, den Hausärztinnen und -ärzten Fachkompetenz als Konsiliardienst zur Verfügung stellt. Durch den aktiven hausärztlichen Miteinbezug können Abklärungsschritte verschlankt werden. Der hausärztliche Bereich bleibt wie üblich verantwortlich für die Umsetzung der Maßnahmen und die langfristige Begleitung der Betroffenen. Auch darf erwartet werden, dass Personen früher als heute ärztlich beraten werden, was die Chancen auf einen positiven Behandlungsverlauf erhöhen kann.

Die Autorengruppe der Begleitstudie erwarteten von einem solchen Beratungsnetzwerk weiteren Nutzen. So könnte der Umgang mit Umweltpatientinnen und -patienten durch Wissens- und Erfahrungsaustausch weiter professionalisiert und Behandlungsansätze könnten erprobt und verfeinert werden. Außerdem würde die Vernetzung zwischen Expertinnen/Experten und Fachstellen im Bereich von umweltbezogenen Gesundheitsstörungen erleichtert.

Schritt für Schritt weiter

Leider war es den AefU nicht möglich, das Beratungsnetzwerk in dieser Form weiterzuführen. Die vielfältigen Aufgaben der Koordinationsstelle waren zu ressourcenintensiv. Mit Unterstützung einer privaten Stiftung hielten die AefU den telemedizinischen Beratungsdienst aufrecht. Mit den Erfahrungen des Pilotprojekts bemühten sie sich weiter um die Schaffung einer in die Grundversorgung integrierten umweltmedizinischen Beratungsstruktur. Sie pflegten weiterhin Kontakte zu Behörden, Umweltfachstellen und Betroffenenorganisationen. Die wissenschaftliche Expertise zu NIS und Gesundheit vertieften sie durch einen Sitz in der im Jahr 2014 neu vom Bundesamt für Umwelt einberufenen Beratenden Expertengruppe NIS (BERENIS), in die die AefU bis heute ihre ärztliche Erfahrung einbringen.

ANSES Expertenbericht fordert bessere medizinische Versorgung für Personen mit EHS

Im Jahr 2018 publizierte die französische „Agence nationale de sécurité sanitaire de l’alimentation, de l’environnement et du travail“ (ANSES) einen Schlussbericht zu der bisher umfassendsten Standortbestimmung zu elektromagnetischer Hypersensibilität (EHS). Die Prävalenz an EHS-Betroffenen wird auf 5 % geschätzt. Die ANSES empfahl die Schaffung medizinischer Versorgungsangebote, die niederschwellig über die Grundversorgung sowie über Arbeitsmedizinerinnen und -mediziner zugänglich sind und so eine frühzeitige Abklärung ermöglichen. Da keine diagnostischen Kriterien und keine validierten Behandlungskonzepte vorlagen, empfahl die ANSES, auf der Basis der bis­herigen Erfahrung zu starten und Handlungsanleitungen dynamisch weiterzuentwickeln und auf Wirksamkeit zu prüfen.

Die Expertinnen und Experten stellten eine große Unschärfe in der Forschung und in der Interpretierbarkeit der Forschungsergebnisse fest, zum Beispiel im Hinblick auf die Provokationsstudien.

Achtzehn Hypothesen zur Krankheitsentstehung wurden geprüft, viele Fragen blieben offen. EHS als Ausdruck eines überlasteten oder ungenügenden Regulationssystems mit erhöhtem Stress? Schwermetallbelastungen? Dass der Nocebo-Effekt in Studien nachweisbar sei, schließe nicht aus, dass NIS im Alltag gesundheitsschädigend sein könne. Depressivität/Ängstlichkeit sei bei EHS häufiger, wie bei chronischen Krankheiten üblich. Es zeigten sich Verbindungen zu Mi­gräne, Tinnitus, Fibromyalgie, MCS (Multiple Chemical Sensitivity), auch Störungen der Tagesrhythmik und Überempfindlichkeit als Charakterzug seien denkbar. Die EHS-­Patientengruppe sei ausgesprochen heterogen mit unterschied­lichen Leidensgeschichten. Für gezielte Forschung sollten Personen mit EHS besser charakterisiert werden.

Schweizer Expertenberichte empfehlen eine umweltmedizinische NIS-Beratungsstelle

Das Bundesamt für Umwelt veranlasste im Jahr 2018/2019 eine Machbarkeitsstudie für ein Monitoring von möglichen Gesundheitsauswirkungen von nichtionisierender Strahlung. Die AefU konnten dort ihre Expertise einbringen. Eine umweltmedizinische Beratungsstelle wurde als geeignetes Monitoring-Instrument erkannt, um gesundheitliche Auswirkungen zu erfassen. Im Rahmen von gut dokumentierten Einzelfallabklärungen könnten Phänomene entdeckt werden, die in Bevölkerungsstudien im statistischen Rauschen untergehen.

Die Arbeitsgruppe „Mobilfunk und Strahlung“, in der auch die AefU vertreten war, setzte sich im Jahr 2019 mit der Frage auseinander, wie die Mobilfunknetze unter Wahrung von Schutz-und Nutzinteressen ausgebaut werden könnten. Die Arbeitsgruppe stellte für die Frage der Einwirkung von NIS auf die Gesundheit wissenschaftliche Unsicherheiten fest und hielt am Vorsorgeprinzip fest. Sie empfahl dem Bundesrat sechs Maßnahmen, darunter mehr Forschung und die Schaffung einer umweltmedizinischen NIS-Beratungsstelle als Weiterentwicklung des umwelt­medizinischen Beratungsnetzes der AefU.

Bericht über die Anforderungen einer umweltmedizinischen NIS-Beratungsstelle aus ärztlicher Sicht und Patientensicht (2021)

Im April 2020 beschloss der Bundesrat, die Schaffung der neuen umweltmedizinischen Beratungsstelle für NIS zu unterstützen. Das Bundesamt für Umwelt beauftragte die AefU, in Form eines Berichts das Grobkonzept zu vertiefen und die Anforderungen an die Beratungsstelle aus ärztlicher Sicht und Patientensicht einzubringen (s. „Weitere Infos“, Steiner et al. 2021). Der Konzeptvorschlag (s. Infokasten 3) wurde in der Folge vom Hausarztinstitut der Universität Fribourg weiterentwickelt und in die Praxis überführt. Daraufhin hat im September 2023 das „Schweizerische medizinische Beratungsnetzwerk für nichtionisierende Strahlung“ (MedNIS) unter der Koordination des Hausarztinstituts der Universität Fribourg mit Unterstützung des Bundesamts für Umwelt seinen Betrieb aufgenommen
(https://www.mednis.ch/de; s. auch das folgende Interview).

Damit haben die AefU ihr seit 2007 anvisiertes Ziel erreicht: Hausärztinnen und Hausärzte können nun ihre Patientinnen und Patienten an ein universitär koordiniertes Netzwerk von Konsiliarärztinnen und -ärzten für eine Fachberatung zum Thema nichtionisierende Strahlung und Gesundheit überweisen.

Interessenkonflikt: Die Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

doi:10.17147/asu-1-364792

Literatur

Agence nationale de sécurité sanitaire de l’alimen­tation, de l’environnement et du travail; Hypersensibilité électromagnétique ou intolérance environnementale idiopathique attribuée aux champs électromagnétiques. Avis de l’Anses; Rapport d’expertise collective. Mars 2018.

Huss A, Küchenhoff J, Bircher A et al.: Symptoms attributed to the environment – a systematic, interdisciplinary assessment. Int J Hyg Environ Health 2004; 207: 245–254.

Huss A, Küchenhoff H, Bircher A et al.: Elektromag­netische Felder und Gesundheitsbelastungen – Inter­disziplinäre Fallabklärungen im Rahmen eines umweltmedizinischen Beratungsprojektes. Umweltmed Forsch Prax 2005; 10: 21–28.

Röösli M, Frei P, Bolliger-Salzmann H et al.: Umweltmedizinisches Beratungsnetzwerk von Hausärzten: ein Schweizer Pilotprojekt. Umweltmed Forsch Prax 2011a; 16: 123–132.

Röösli M, Frei P, Bollinger-Salzmann H et al.: Umweltmedizinische Beratungsstruktur im Praxisalltag: Machbarkeit, Bedarf und Nutzen: Begleitstudie. Basel: Schweizerisches Tropen- und Public Health-Institut, 2011b.

Weitere Infos

Umweltmedizinische Versorgungssituation von Patientinnen und Patienten in Deutschland; Stellungnahme der Kommission Umweltmedizin und Environmental Public Health. Bundesgesundheitsblatt; 2020
https://www.rki.de/DE/Content/Kommissionen/UmweltKommission/Stellungnah…

Steiner E et al.: Bericht über die Anforderungen einer umweltmedizinischen NIS-Beratungsstelle aus ärztlicher Sicht und Patientensicht. Bericht im Auftrag des Bundesamts für Umwelt, Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz, Februar 2021
https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/elektrosmog/publikationen…

Kernaussagen

  • Es gibt wenig systematisches Wissen zu umweltbezogenen Gesundheitsbeschwerden. Beobachtungen sollten ernst genommen, vertieft medizinisch abgeklärt und umweltbezogene Faktoren systematisch miteinbezogen werden.
  • Chronische Beschwerden sind multifaktoriell und multidimensional, auch Umweltfaktoren können eine Rolle spielen.
  • Die Anwendung des Vorsorgeprinzips ist angezeigt: unnötige Belastungen vermeiden.
  • Vorschlag: Ein in die Grundversorgung eingebettetes Versorgungskonzept: Ein Ärztenetzwerk aus umweltmedizinisch geschulten Konsiliarärzten und -ärztinnen führt auf Zuweisung umweltmedizinische Beratungen durch. Eine Koordinationsstelle an einem universitären Hausarztinstitut operiert als Backoffice und sichert Qualität und nötige Forschung.
  • Info 1

    In der Schweiz ist „klinische Umweltmedizin“ kein separates Lehrfach in der medizinischen Aus- und Weiterbildung. Umweltmedizinische Themen werden in einzelnen Fachrichtungen grob umrissen, aber aufgrund des fehlenden Lehrfachs und entsprechendem Mangel an Fachwissen nicht vertieft. Die von der Kommission des Robert Koch-Instituts im Jahr 2019 publizierte Stellungnahme zur umweltmedizinischen Versorgung in Deutschland stellt fest, dass Umweltmedizin in der medizinischen Grundversorgung unterrepräsentiert ist und dass zur Qualitätssicherung das Feld der Lehre und Forschung gestärkt werden muss (Stellungnahme der Kommission Umweltmedizin und Environmental Public Health, s. „Weitere Infos“).

    Info 2

    Umweltmedizinische Abklärung und Beratung

    Ziel: Belastungen systematisch erheben, Begleiterkrankungen erfassen beziehungsweise ausschließen und analysieren, welche Rolle die vermutete Umweltbelastung bei den beklagten Beschwerden spielt.

    Für die Kommunikation bewährt sich das Fassmodell, um der Patientin/dem Patienten aufzuzeigen, dass nicht nur der letzte Tropfen (monokausale Krankheitstheorie), sondern der ganze Fassinhalt bei Beschwerden eine Rolle spielt.

  • Hauptinstrument der Abklärung ist eine ausführliche medizinische und psychosoziale Anamnese sowie eine umweltbezogene Anamneseerhebung mit einem zusätzlichen Umweltfragebogen, der alltägliche Umweltbelastungen systematisch erfasst.
  • Körperliche Untersuchung und Routineabklärung.
  • Orts- und zeitabhängige Beschwerden können differenziert werden mit einem Beschwerdetagebuch, Schlafprotokoll sowie einfachen
    Versuchen, zum Beispiel auswärts zu schlafen.
  • Bei Bedarf führen Umweltfachpersonen Hausuntersuchungen und Messungen durch. Für die Bewertung der EMF-Messungen zeigt es sich als zielführend, die Messwerte mit den üblicherweise in Schweizer Haushalten anzutreffenden Belastungen zu vergleichen.
  • Umweltmedizinische Schlüsselfragen

  • Krankheitstheorie,
  • Änderungen der Beschwerden in Abhängigkeit von Ort und Zeit,
  • Abhängigkeit der Beschwerden mit Veränderungen: Wohnung, Wohnungsumfeld, Arbeitsplatz, Arbeitsweg, Lebens­gewohnheiten (Freizeit, Schlaf, Ernährung, Genusssuchmittel), psychosoziale Faktoren, Operationen, Zahneingriffe, Reisen, Tiere, Medikamente, Drogen,
  • Operationen, Zahneingriffe, psychosoziale Faktoren,
  • andere Personen mit Beschwerden,
  • Vermeidungsverhalten; Einschränkung im Alltagsleben,
  • Abklärungen und Messungen, die bisher unternommen wurden,
  • bisherige Maßnahmen.
  • Plausibilitätsbeurteilung

  • Symptome beginnen nach Belastung,
  • räumlicher und zeitlicher Bezug zwischen Beschwerden und vermuteter Umweltbelastung,
  • Beschwerden passen zu der vermuteten Umweltbelastung (vor allem für chemische Substanzen im subtoxischen Bereich),
  • Beschwerden verschwinden, wenn Belastung nicht da ist,
  • andere Personen/Tiere mit Beschwerden,
  • überdurchschnittliche/außergewöhnliche Belastungen bei der Hausuntersuchung/Messung.
  • Behandlung

    Die Abklärungsergebnisse schaffen eine breite Basis, um gemeinsam mit der Patientin/dem Patienten in einem ausführlichen Beratungsgespräch individuelle Lösungsansätze zu entwickeln. Diese zielen auf

  • Ressourcenstärkung,
  • optimale Behandlung von Begleitkrankheiten,
  • (vorsorgliche) Reduktion der (Umwelt)Belastungen mit einfachen Maßnahmen.
  • Info 3

    Konzeptvorschlag der AefU für eine umweltmedizinische NIS-Beratungsstelle in der Schweiz

  • Netzwerk von umweltmedizinisch geschulten Konsiliarärztinnen und Konsiliarärzten, die in ihren Regionen auf Zuweisung von Hausärztinnen und Hausärzten umweltmedizinische Beratungen durch­führen.
  • Ärztlich geleitete zentrale Koordinationsstelle an einem universitären Hausarztinstitut
  • 1. Organisation und Betrieb des Konsiliardienstes: Koordination der Konsiliarabklärungen, Betrieb eines telemedi­zinischen Beratungsdienstes (Telefon, E-Mail), Information und umweltmedizinische Wissensvermittlung an die Ärzteschaft in der Grundversorgung.

    2. Backoffice für die Konsiliarärztinnen und -ärzte (z. B. Vermittlung von Messungen etc.).

    3. Sicherung von Qualität der Abklärungen und Forschung: standardisierte Falldokumentation, Validierung des Behandlungserfolgs, Teilnahme an Fallbesprechungen, Organisation von Fachkonferenzen mit fallbasiertem interdisziplinärem Fachaustausch, Teilnahme an BERENIS-Sitzungen, internationale Kontakte zu Beratungsstellen.

    4. Anlaufstelle für externe Stellen.

  • Die umweltmedizinische Abklärung soll interdisziplinär ausgelegt sein und alle drei Aspekte gleichwertig erfassen: medizinische und psychosoziale Situation sowie Umweltsituation.
  • – Auch bei der Abklärung der umweltbezogenen Belastungssituation muss, ausgehend von einer umfassenden systematischen Umwelt­anamnese, ein breiteres Spektrum an möglichen Belastungen miteinbezogen werden als nur das von den Erkrankten vermutete. Wo nötig, soll dies ergänzt/komplettiert werden durch Untersuchungen/Messungen am Arbeits- oder Wohnort.

    – Bei der medizinischen Abklärung sind der Gesundheitszustand (inklusive Ausmaß der Einschränkung im Alltag) und Komorbiditäten sorgfältig zu erfassen. Die psychologische Abklärung ist wichtig, wie bei anderen chronischen Erkrankungen auch.

    – Die Arzt-Patienten-Interaktion ist zentral für den weiteren Krankheitsverlauf.

    – Behandlungskonzepte sind individuell und zielen auf Ressourcenstärkung und Reduktion von Belastungen nach dem Schwellenprinzip und optimale Behandlung von Komorbiditäten.

  • Betroffenenorganisationen sind bei der Planung und im Betrieb aktiv einzubinden.
  • ANMERKUNG DER CHEFREDAKTION:
    Die wissenschaftliche Evidenz zur Anerkennung von Elektrosensibilität (EHS) als eigenständiges Krankheitsbild ist derzeit nicht ausreichend. Es gibt keinen Konsens über die Existenz oder Ursache von EHS.

    Kontakt

    Dr. med. Edith Steiner
    Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz (AefU); Westquai 2; 4019 Basel

    Foto: privat

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