Der Gesundheitsschutz der Beschäftigten ist stets von zentraler Bedeutung gewesen
Der Shutdown durch die Corona-Pandemie hat alle Bereiche der Wirtschaft im März und April 2020 massiv getroffen, war jedoch angesichts der Situation zu diesem Zeitpunkt eine nachvollziehbare Reaktion der Bundesregierung, um den Gesundheitsschutz der Bevölkerung größtmöglich sicherzustellen. Damit Deutschland als Volkswirtschaft, als Sozialstaat und als Gesellschaft handlungsfähig bleiben kann, wurde das Wirtschaftsleben (Stand Juni 2020) – schrittweise wieder hochgefahren, auch um Arbeitsplätze zu sichern. Ziel war und ist eine schrittweise Rückkehr in den wirtschaftlichen Normalbetrieb.
Dabei ist der Gesundheitsschutz der Beschäftigten von Anfang an von Bedeutung gewesen. Die Grundlage für ein einheitliches Hochfahren bildete der vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) am 16. April 2020 veröffentlichte „SARS-CoV2-Arbeitsschutzstandard“, der als Empfehlung besondere technische, organisatorische und personenbezogene Maßnahmen für das Arbeiten in der Pandemie beinhaltet, zum Beispiel in Bezug auf:
Die Betriebe haben diesen Arbeitsschutzstandard als weitgehend sinnvoll und für die Praxis hilfreich empfunden. Um die Maßnahmen des Arbeitsschutzstandards branchenspezifisch zu konkretisieren, legten zudem die Berufsgenossenschaften, meist unter Einbeziehung der Zentralfachverbände, weitere Handlungsempfehlungen vor (beispielsweise für das Friseurhandwerk oder für Baustellen). Diese branchenspezifischen Handlungshilfen waren für die Betriebe eine wichtige Hilfestellung, um den branchen- und zum Teil auch tätigkeitsspezifischen notwendigen Arbeitsschutzanforderungen zu genügen. Eine “One-size-fits-all“-Lösung gab und gibt es hier nicht.
Dennoch befanden oder befinden sich teilweise noch Unternehmen in Ausnahmesituationen, die zum Teil auch existenziell dramatisch sein können. Wie stark manche Branchen gelitten haben, zeigen etwa Zahlen aus Schleswig-Holstein. Das Statistikamt Nord berichtete, dass das Gästeaufkommen im März 2020 im Vergleich zum März 2019 um mehr als die Hälfte (53,5%) sank (Statistikamt Nord 2020; alle Quellen siehe „Weitere Infos“). Auch Handwerksbetriebe verzeichneten seit Beginn der Corona-Krise nie dagewesene Einbrüche mit schwerwiegenden Folgen für Liquidität, Beschäftigung und den Betriebsbestand. Während des Shutdowns berichteten sieben von zehn Handwerksbetrieben über Umsatzeinbußen, die durchschnittlich etwa der Hälfte des sonst üblichen Umsatzes entsprachen. In jedem dritten Handwerksbetrieb standen durch die Folgen der Pandemie nur 65% der Arbeitskräfte zu Verfügung. Ein Drittel der Beschäftigten fehlte aufgrund von Erkrankung, Quarantänemaßnahmen oder der Betreuung von Angehörigen (ZDH 2020).
Die Betriebe sind gut aufgestellt
Die meisten Branchen und Betriebe waren bereits sehr früh bei der Umsetzung der Maßnahmen, die dem Schutz der Beschäftigten vor Infektionen mit SARS-CoV-19 dienen sollen, gut bis sehr gut aufgestellt - obwohl es sich um eine nie dagewesene und in ihrem Ausmaß nicht vorhersehbare Krisensituation handelt. So übten beispielsweise viele Handwerksbetriebe und andere systemrelevante Branchen auch während des Lockdowns ihre Tätigkeiten weiter aus: sei es im Bereich Hygiene und Gesundheit, bei der Lebensmittelgrundversorgung, im Bereich technischer Notdienste und Mobilität, bei den Versicherungen und Banken oder auch bei den Behörden. Viele Maßnahmen (die dann im Arbeitsschutzstandard des BMAS und auch in den branchenspezifischen Regelungen der Berufsgenossenschaften festgehalten wurden) waren daher bereits frühzeitig in den Betrieben etabliert beziehungsweise wurden auf betrieblicher Ebene diskutiert. Beispielsweise wurde Beschäftigten frühzeitig mobile Arbeit ermöglicht beziehungsweise die Beschäftigte wurden auf ausreichend Abstand, Handyhygiene sowie Nies- und Hustetikette hingewiesen.
Problemfelder und aktuelle Themen bei den Branchen und in den Betrieben (Stand Juni 2020)
Neben vielen Erfolgen in der Umsetzung von Schutzmaßnahmen, gibt es auch einige Themen, die zumindest Stand heute (Anfang Juni 2020) Probleme bereiten. Die folgende kurze Übersicht greift Themen auf, die die Betriebe in Bezug auf die Möglichkeiten der Umsetzung beschäftigten. Die Liste ist nicht vollständig, vermittelt jedoch einen Eindruck über die Tragweite so mancher Problematik.
Unterschiedliche Regelungen zum Arbeitsschutz
Was alle Branchen nach wie vor (Stand Juni 2020) sehr intensiv beschäftigt, ist die Problematik der unterschiedlichen Landesverordnungen und darin enthaltene Anforderungen, die nicht mit den Arbeitsschutzempfehlungen des BMAS übereinstimmen. So waren in manchen Regionen Beschäftigte mit Kundenkontakt verpflichtet, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen – trotz 1,5-m-Abstand oder „Abschirmung“ durch eine Plexiglasscheibe. In anderen Bundesländern gilt die „Maskenpflicht“ nur, wenn der Abstand nicht gewahrt werden kann. Eine weitere Schwierigkeit ist die „Schnittstelle“ beziehungsweise das Spannungsfeld zwischen Landesverordnungsrecht auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes und den Konkretisierungen des BMAS-Arbeitsschutzstandards durch die Berufsgenossenschaften. Auch wurden die Landesverordnungen innerhalb eines Landes mitunter von Aufsichtspersonen und Ordnungsämtern uneinheitlich ausgelegt. Unklarheit herrscht zudem in spezifischen Branchen wie der Landwirtschaft durch verschiedene Sonderregelungen mit teilweise unterschiedlichen Maßnahmen.
Um die Unübersichtlichkeit noch zu verschärfen, ist zum Zeitpunkt der Artikelerstellung eine umfangreiche Arbeitsschutzregel in Bearbeitung, die den Arbeitsschutzstandard des BMAS konkretisieren soll. Die neue Arbeitsschutzregel besteht aus verschiedensten Themen (von der Art der Lüftung über die Größe von Abtrennungen oder die Einrichtung von Sanitärräumen bis hin zur Ausgestaltung von mobiler Arbeit in Form von Homeoffice) mit aktuell über 100 einzelnen, detaillierten Regelungen. Diese sollen zusätzlich zum allgemeinen Arbeitsschutzgesetz, dem sechsseitigen Arbeitsschutzstandard des BMAS und den insgesamt über 300 branchenspezifischen Regelungen der Berufsgenossenschaften zur Anwendung kommen.
Unklare Maßnahmen und Umsetzungsschwierigkeiten für Betriebe
Besonders wichtig für Betriebe – insbesondere für kleine und mittelständische – ist, dass Maßnahmen verständlich und praxisnah und formuliert sind. Ein Beispiel hierfür ist die unterschiedliche Umsetzung und Auslegung der Maskenpflicht. Gerade zu Beginn der Pandemie herrschte in vielen Betrieben Unsicherheit und ein erhöhter Beratungsbedarf dahingehend, ob und wann beispielsweise Mund-Nasen-Bedeckungen zum Beispiel hinter Bedientheken zu tragen sind. Weitgehend unproblematisch waren hingegen die in manchen Ländern vorgegebenen Quadratmeterangaben zur Festlegung der zulässigen Kundenzahl in Ladenlokalen. Allerdings führen die begrenzten beziehunsgweise regulierten Kundenströme (viele Gewerke arbeiten nur noch mit Terminen) auch zu einer geringeren Auslastung vorhandener Kapazitäten (so z.B. in Augenoptikgeschäften und im Friseurhandwerk), was wiederum mit finanziellen Einbußen einhergeht.
Beschaffungsprobleme bei Schutzausrüstung
Insbesondere die kleinen und systemrelevant arbeitenden Unternehmen standen gerade zu Beginn der Pandemie vor dem Problem, sich mit ausreichend Schutzausrüstung zu versorgen – zumal anfangs nicht klar war, welche Anforderungen für einen aus epidemiologischer Sicht verantwortbaren Weiterbetrieb beziehunsgweise eine Wiederaufnahme des Betriebs erfüllt sein müssen. Zudem war zu beobachten, dass mit Fortdauer der Pandemie die Verfügbarkeit von Schutzausrüstung weitgehend wieder sichergestellt werden konnte, die Beschaffung von qualitativ hochwertiger Schutzausrüstung jedoch mit Kostensteigerungen von bis zu 300% verbunden ist (Stand Juni 2020). Um dem entgegenzuwirken, haben manche Branchenverbände wiederverwendbare Masken selbst in Auftrag gegeben und diese zum Selbstkostenpreis an ihre Mitglieder abgegeben oder einen eigenen Online-Shop für ihre Mitglieder eingerichtet. Inzwischen werden viele Branchenverbände mit Angeboten von Herstellern überschüttet. Bei näherer Durchsicht erwiesen sich viele Angebote allerdings als unseriös, mit fraglichen Lieferfristen, stark überhöhten Preisen und einer Qualität, die bei weitem nicht den geforderten Standards entspricht.
Psychische Belastung der Beschäftigten während der Corona-Zeit
Im Allgemeinen zeigt sich, dass die Beschäftigten im Durchschnitt gut durch die Corona-Zeit gekommen sind, denn die Werte des psychischen Wohlbefindens (nach WHO-5) sind genauso gut (und damit stabil) wie die Werte der ersten Befragung im Herbst letzten Jahres (psyGA 2020; Health Vision 2020).
Im Detail zeigt sich, dass es 20% der befragten Beschäftigten psychisch besser und 25% psychisch schlechter geht. Was sind die Gründe für diese unterschiedlichen Ergebnisse? Die Corona-Pandemie erzeugt im Allgemeinen (nicht speziell im Kontext der Arbeit) einen psychischen Druck und ist ein zusätzlicher Angst- oder Stressfaktor, der alle Menschen betrifft. Denn die Erkrankung mit COVID-19 stellt ein allgemeines Lebensrisiko dar. Jeder geht mit diesem neuen Stressor anders um beziehungsweise erlebt diesen unterschiedlich – für die einen bedeutet es vielleicht sogar eher eine Entlastung, weil etwas Ruhe einkehrt, Wegezeiten wegfallen und mehr Zeit zur Verfügung steht, „schöne Dinge zu tun, für die sonst keine Zeit ist“ (41% der Befragten stimmen dieser Aussage voll bzw. eher zu). Für andere ist es ein zusätzlicher Belastungsfaktor, weil beispielsweise unklar ist, wie lange der Ausnahmezustand noch anhält oder ob die Betreuung der Kinder nach Schließung der Schulen und Kindergärten zusätzlich anfällt.
Die Betriebe haben im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht und Gefährdungsbeurteilung sinnvolle und angemessene Schutzmaßnahmen ergriffen, die dabei helfen, psychische Belastungsfaktoren zu reduzieren, die beispielsweise durch veränderte Arbeitssituationen und -abläufe entstehen (wie veränderte Arbeitszeiten oder aber auch der Umgang mit Kundinnen/Kunden, die sich nicht an Schutzregeln halten möchten). Hier hat es sich bewährt, Maßnahmen zum Schutz klar und verständlich an alle Beschäftigten zu kommunizieren, Unterstützung anzubieten und Handlungssicherheit zu vermitteln.
Zugleich sind die Beschäftigten wie noch nie zuvor gefragt, gut auf die eigene „Psychohygiene“ zu achten. Dazu gibt es auch klare Empfehlungen, wie zum Beispiel Informationen nur dosiert und nur aus vertrauenswürdigen Quellen (wie dem Robert Koch-Institut) zu „konsumieren“, den Alltag positiv zu gestalten, sich auszutauschen und einander zu helfen – und sich gegebenenfalls professionelle Hilfe zu suchen (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde 2020)
Praktikable und sinnvolle Maßnahmen sind für Unternehmen und Beschäftigte notwendig
Besonders wichtig ist, dass Unternehmen und Beschäftigte weiterhin vertrauensvoll Hand in Hand arbeiten. Vor dem Hintergrund der immer weiter gehenden Lockerungen, die es auf Bundes- und Landesebene gibt, wird es in den Unternehmen immer schwieriger, den Beschäftigten die Notwendigkeit zum Beispiel der Einhaltung der Abstandsregeln oder der Handhygiene, zu vermitteln. Hier ist aber die Mitwirkung(spflicht) der Beschäftigten von zentraler Bedeutung. Der Betrieb muss hier den erforderlichen Rahmen setzen, doch die Beschäftigten sind wie noch nie zuvor gefragt, mitzuwirken und beispielsweise die Nies- und Hustetikette einzuhalten, regelmäßig Hände zu waschen, zu lüften und bei Fieber beziehunsgweise Atemwegserkrankungen konsequent zuhause zu bleiben.
Bei allen Corona-Maßnahmen muss allerdings regelmäßig geprüft werden, ob sie noch erforderlich sind. Die Betriebe haben sich daher von Beginn an dafür ausgesprochen, dass es wegen der Übersichtlichkeit keine neuen Regelungen neben dem Arbeitsschutzstandard und den branchenspezifischen Konkretisierungen der Berufsgenossenschaften geben darf. Außerdem befürworten die Arbeitgeberverbände, neu beschlossene, Corona-spezifische Arbeitsschutzmaßnahmen zeitlich zu begrenzen und ihre Notwendigkeit auf Basis der aktuellen Entwicklung zu überprüfen. Wesentlich ist auch weiterhin die Widerspruchsfreiheit aller Dokumente, von denen es ohnehin mehr aus genügend gibt. Der Arbeitsschutzstandard sowie die branchenspezifischen Konkretisierungen des Arbeitsschutzstandards durch die Berufsgenossenschaften als Handlungshilfen waren in dieser Hinsicht für die Betriebe ausreichendwas durch die erfolgreiche Maßnahmenumsetzung und die Zufriedenheit der Beschäftigten mit der Unterstützung beziehungsweise dem Informationsfluss klar zum Ausdruck gebracht wird.▪
Interessenkonflikt: Die Autorinnen geben an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.
Weitere Infos
Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde: „Coronavirus: Tipps für die seelische Gesundheit“ (Pressemitteilung vom 20.03.2020)
https://dgppn.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilungen-2020/coro…
HealthVision: Die Corona Umfrage (2020)
https://www.healthvision.de/die-corona-umfrage/
psyGA: Ergebnisse Corona-Umfrage psyGA – Bewältigung. 2020
https://www.psyga.info/corona-umfrage
Statistikamt Nord: Tourismus in Schleswig-Holstein im März 2020: Deutlich weniger Gäste und Übernachtungen. Statistik informiert Nr. 62/2020
https://www.statistik-nord.de/presse-veroeffentlichungen/presseinformat…
ZDH (Zentralverband des deutschen Handwerks): Umfrage zu den Auswirkungen von Corona. Ergebnisse der Befragung in der 13. KW 2020
https://www.zdh.de/fachbereiche/wirtschaft-energie-umwelt/konjunktur-um…
Info
Arbeitsschutzgesetze – Arbeitsschutzstandard – Konkretisierung der Berufsgenossenschaften – Arbeitsschutzregel: All dies können kleine und mittelständische Unternehmen kaum noch handhaben. Zum jetzigen Stand steht daher zu befürchten, dass die Arbeitsschutzregel zu massiver Verunsicherung und geringer Akzeptanz in den Betrieben führen wird – gerade vor dem Hintergrund dessen, was die Betriebe in den letzten Wochen und Monaten leisten mussten und den zum Teil massiven Umsatzeinbußen.
Info
Durch schnelles Reagieren, viel Flexibilität und sinnvolle Lösungen konnten die Betriebe die Corona-Pandemie sehr gut meistern. Die Ergebnisse der „Corona-Umfrage“ des Projekts psyGA (2020) verdeutlichen den Erfolg der Schutzmaßnahmen gegenüber den Beschäftigten (➥ Abb. 1). Dazu wurden 1889 Beschäftigte vor der Krise im Herbst 2019 und im April 2020 (in der Woche nach Ostern) befragt. Die Auswertung zeigt, dass sich zwei Drittel von ihren Unternehmen gut bis sehr gut unterstützt und informiert fühlen. Sie stimmten folgenden Aussagen zu:
Info
Die Betriebe in Deutschland haben in dieser Krisenzeit viel Durchhaltevermögen sowie eine große Solidarität gegenüber den getroffenen Maßnahmen bewiesen. Sie haben mit vielen kreativen Lösungsideen sowie schnell umgesetzten Schutzmaßnahmen gezeigt, dass ihnen die Gesundheit ihrer Beschäftigten ein zentrales Anliegen ist. Nun benötigen sie in Sachen Arbeitsschutz einheitliche, verlässliche und praktikable Informationen (keine neuen Regelungen und ständige Änderungen von Handlungshilfen), die Möglichkeit wieder in den Normalbetrieb zurückzukehren und auch die rechtlichen Rahmenbedingungen, um weiterhin flexibel auf außergewöhnliche Situationen reagieren zu können.