Von Fall 1 nach Deutschland
Am 29.12.2019 wurden die ersten Pneumonien aufgrund eines neuartigen Erregers aus der chinesischen Millionenstadt Wuhan gemeldet (Li et al. 2020). Der Erreger wurde im Januar als das dritte dokumentierte Coronavirus klassifiziert, das von einem Tier auf einen Menschen übertragen wurde, und im Folgenden der Name auf „Severe Acute Respiratory Syndrome Coronavirus 2 (SARS-CoV-2)“ festgelegt (CSG 2020). Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gab der Krankheit, die SARS-CoV-2 verursacht, am 11.02.2020 offiziell den Namen „Coronavirus Disease (COVID-19)“ (WHO 2020b).
Die ersten Fälle auf europäischem Boden wurden am 17. Januar aus Frankreich gemeldet, wenige Tage später aus Russland, Deutschland, Finnland, Italien und Schweden. Ende Februar waren 47 Fälle, davon 1 Todesfall, bestätigt (Spiteri et al. 2020). Nachdem sich die weltweit registrierten Fälle innerhalb von zwei Wochen verdreizehnfachten, erklärte die WHO am 11. März den COVID-19-Ausbruch zur Pandemie. Zu diesem Zeitpunkt waren weltweit 118.000 Fälle und bereits 4291 Todesfälle aus 114 Ländern gemeldet (WHO 2020a).
Epidemiologische Betrachtungen, zeitlicher Verlauf und geografische Verteilung
Seit dem 04.03.20 veröffentlicht das Robert Koch-Institut (RKI) tägliche Lageberichte zu COVID-19 in Deutschland. Zum Datenstand vom 03.03.20 waren 262 bestätigte Fälle in 84 Landkreisen in 15 Bundesländern bekannt, von denen sich 42% auf eine Karnevalsveranstaltung zurückführen ließen. In der Folge traten vermehrt Fälle unter Reiserückkehrern, überwiegend aus Südtirol, auf (➥ Abb. 1) (RKI 2020c). Der exponentielle Anstieg der Fallzahlen in der Folge, vorwiegend in den süddeutschen Bundesländern, zwang Bund und Länder am 16.03.20 per Verordnungen das öffentliche Leben einzuschränken, um Kontakte zu reduzieren und somit die Infektionsausbreitung zu bremsen. Schulen, Kitas und der Einzelhandel wurden geschlossen, Veranstaltungen aller Art abgesagt und nach 25 Jahren erstmals wieder vorübergehend Grenzkontrollen innerhalb des Schengen-Raums durchgeführt. In der Folge kam es zu Hamsterkäufen, in Deutschland mit besonderer Nachfrage nach Nudeln, Reis, Mehl und Drogerieartikeln.
Nach Rückgang der Neuinfektionen konnten ab Ende April erste Lockerungen erfolgen, und die Fallzahlen gingen bis zur Jahresmitte weiter zurück. Ende Juni meldeten 145 Landkreise keinen Fall innerhalb der vorausgegangenen 7 Tage. COVID-19-Fälle traten in dieser Zeit lokal begrenzt auf, beispielsweise in Einrichtungen für Asylbewerber und Geflüchtete, in fleischverarbeitenden und Logistikbetrieben, unter Erntehelfern und im Zusammenhang mit privaten Feiern (RKI 2020c).
Gegen Ende der Sommerferienzeit kam es zu einem vorübergehenden Anstieg der gemeldeten Fälle, wobei wie zu Beginn des COVID-19-Ausbruchs bis zu 49% der Fälle (Meldewoche [MW] 34) auf eine Infektionsquelle im Ausland zurückgeführt werden konnten. Seitdem ist dieser Wert rückläufig, denn ab Herbstbeginn traten wieder vermehrt Infektionscluster innerhalb Deutschlands auf (RKI 2020c).
Während noch im Frühjahr die meisten Fälle in Süddeutschland und in den Großstädten registriert wurden, war im Herbst zunehmend eine flächendeckende Verteilung zu beobachten. Fallhäufungen fanden sich dann vorwiegend im Zusammenhang mit Feiern im Familien- und Freundeskreis, später zunehmend auch mit Gruppenveranstaltungen, in Gemeinschaftseinrichtungen und Alten- und Pflegeheimen, in verschiedenen beruflichen Settings sowie bei religiösen Veranstaltungen. Dabei zeichneten sich höhere 7-Tage-Inzidenzen zunehmend in Regionen mit höherer Bevölkerungsdichte ab (RKI 2020c).
Im Oktober kam es in allen Bundesländern zu einem steileren Anstieg der Fallzahlen. Durch erneute Einschränkungen des öffentlichen Lebens Anfang November konnte die Zunahme der Fallzahlen zwar gebremst, jedoch kein ausreichender Rückgang erreicht werden. Ab Anfang Dezember stiegen die Fallzahlen noch weiter an. Die Bundesländer Sachsen und Thüringen, die bis dahin eher niedrige Inzidenzen aufwiesen, waren hiervon besonders betroffen. Zum Jahresende handelte es sich in den meisten Landkreisen um diffuse Geschehen; Infektionsketten ließen sich nicht mehr eindeutig nachvollziehen, das genaue Infektionsumfeld häufig nicht ermitteln (RKI 2020c). Diese Situation veranlasste die Politik noch vor dem Weihnachtsfest zur Anordnung erweiterter Corona-Bekämpfungsmaßnahmen ab dem 16. Dezember.
Übertragungswege und Infektionsumfelder
SARS-CoV-2 verhält sich in seiner Ausbreitung ähnlich wie vergleichbare virale, die Atemwege betreffende Infektionserkrankungen. Dabei ist das Virus in seiner Existenz vollständig von seinem Wirt abhängig, wobei es grundsätzlich leicht von Mensch zu Mensch übertragbar ist. Eine infizierte Person kann die Viren insbesondere über Tröpfchen, Aerosole und direkten Kontakt übertragen (RKI 2020a). Daraus ergibt sich, dass „das Infektionsrisiko stark vom individuellen Verhalten (AHA-Regel: Abstand halten, Hygiene beachten, Alltagsmasken tragen), der regionalen Verbreitung und von den Lebensbedingungen […] abhängig ist. Hierbei spielen Kontakte in Risikosituationen (wie z.B. langer Face-to-face-Kontakt) eine besondere Rolle. Dies gilt auch in Situationen im privaten Umfeld mit Familienangehörigen und Freunden außerhalb des eigenen Haushalts und im beruflichen Umfeld. Die Aerosolausscheidung steigt bei lautem Sprechen, Singen oder Lachen stark an. In Innenräumen steigt hierdurch das Risiko einer Übertragung deutlich, auch über einen größeren Abstand als 1,5 m. Wenn der Mindestabstand von 1,5 m ohne Mund-Nasen-Bedeckung unterschritten wird, z.B. wenn Personengruppen an einem Tisch sitzen oder bei größeren Menschenansammlungen, besteht auch im Freien ein erhöhtes Übertragungsrisiko“ (RKI 2020a).
Die bekannten Maßnahmen zur Übertragungsvermeidung werden in bestimmten Situationen, wie beispielsweise an Arbeitsplätzen, beim Einkaufen oder im öffentlichen Personennahverkehr, weitgehend flächendeckend und konsequent umgesetzt. Es lassen sich jedoch auch Momente verringerter Aufmerksamkeit vor allem in einem vertrauten Umfeld beobachten, die der Autor als „Off-Momente“ bezeichnet. Der Mensch unterscheidet, wie alle Säugetiere, zwischen familiären und fremden Mitgliedern der eigenen Spezies. Bereits ab früher Kindheit vertrauen wir unseren eigenen Familienmitgliedern. Das oder der Fremde dagegen verursacht Misstrauen, Vorsicht oder gar Angst (Bischof 1975). Dies könnte ein Grund dafür sein, dass im Umgang mit vertrauten Personen das Einhalten der AHA-Regeln häufig vernachlässigt wird und in allen Phasen der Pandemie Ausbrüche im privaten Umfeld eine große Rolle spielen (➥ Abb. 2) (Buda et al. 2020).
Demografische Verteilung und Teststrategien
Zu Beginn der ersten COVID-19-Welle im Frühjahr fanden sich vor allem in der Altersgruppe der 20- bis 59-Jährigen hohe Inzidenzen mit Höchstwerten in den MW 13 und 14. Diese Gruppe wurde ab MW 15 durch die Altersgruppe der über 80-Jährigen abgelöst. Auch in den Sommermonaten stieg die Fallzahl zuerst unter den jüngeren Jahrgängen. Die älteren Jahrgänge folgten mit einigen Wochen Verzögerung im Herbst. Zum Jahresende schließlich war in allen Altersgruppen ein Anstieg der 7-Tage-Inzidenzen zu beobachten, insbesondere jedoch wieder in den Altersgruppen ab 80 Jahren. Der Pandemieverlauf in den verschiedenen Altersgruppen lässt sich anhand einer so genannten „Heatmap“ nachvollziehen (➥ Abb. 3) (RKI 2020c).
Die Infektionszahlen wie auch die Altersverteilungen der einzelnen Pandemiephasen sind jedoch nur bedingt untereinander vergleichbar. Ein Grund hierfür ist, dass die nationale Teststrategie zur Auswahl der zu testenden Personen der jeweiligen Situation und der Testverfügbarkeit angepasst wurde. So wurden die Kapazitäten für PCR-( Polymerase Chain Reaction)Testungen seit März 2020 kontinuierlich auf zuletzt 1,5 Millionen Auswertungen wöchentlich erweitert. Im Oktober 2020 wurde die Nationale Teststrategie um den Einsatz von Antigentests erweitert, die seitdem je nach ihrem Aufbau für den Einsatz vor Ort (Antigenschnelltest, sog. Point of Care Test [POCT], Einzeltest) oder als für die Untersuchung größerer Probenmengen geeignete Labortests zur Verfügung stehen (RKI 2020a).
Die Testungen auf SARS-CoV-2 haben stets zum Ziel, die Mortalität zu senken, indem Fälle mit erhöhtem Risiko für einen schweren Verlauf rechtzeitig erkannt und Erkrankungen bei Kontaktpersonen zu Risikogruppen früh identifiziert werden. Ausbrüche sollen verhindert beziehungsweise früh erkannt und effektiv eingedämmt werden. Die Kriterien für die Testindikation beinhalten dabei die Aspekte Vulnerabilität der betroffenen Person oder deren Kontaktpersonen, die klinische Symptomatik, die Expositionswahrscheinlichkeit und grundsätzlich die Häufigkeit von COVID-19-Fällen in der Region.
Anfangs wurden überwiegend Personen getestet, die respiratorische Symptome zeigten und zusätzlich bestimmte Kriterien erfüllten wie Kontakt zu einer infizierten Person, Aufenthalt in Gebieten mit Infektionsgeschehen oder Beschäftigung in Pflegeeinrichtungen oder Krankenhäusern. So betrug zu dieser Zeit der Anteil an Infektionsfällen mit Symptomen nahezu 100%. Ab KW 18 wurden die Testempfehlungen auf alle Atemwegserkrankungen ausgeweitet. Im Juni erlaubten die vorhandenen Testkapazitäten eine weitere Ausweitung der Teststrategie, beispielsweise auf (symptomfreie) Reiserückkehrer. Aufgrund steigender Fallzahlen und zunehmender Aus- und zeitweiser Überlastung der Labore musste die Strategie im Herbst erneut angepasst werden. Zuletzt sollte beispielsweise ein Test durchgeführt werden, wenn schwere respiratorische Symptome, akute Störungen des Geruchs- beziehungsweise Geschmackssinns, ungeklärte Erkrankungssymptome und Kontakt mit einem bestätigten COVID-19-Fall bestanden sowie bei akuten respiratorischen Symptomen jeder Schwere und gleichzeitig zutreffender entsprechender Bedingungen. Ausführliche Hinweise zu den aktuellen Testkriterien einschließlich Entscheidungsmatrix finden sich auf den Internetseiten des RKI (RKI 2020a).
Nach Änderung der Testkriterien im November wurden große Teile der Bevölkerung nicht mehr systematisch erfasst. Denn allein für die Abklärung aller respiratorischen Infekte bei Kindern unter 15 Jahren würde man wöchentlich bis zu 1,5 Millionen Tests benötigen, legt man die Infektzahlen der vergangenen 4 Jahre in dieser Altersgruppe zu Grunde. So sollen sich Personen mit respiratorischer Symptomatik jeglicher Ausprägung im Sinne eines „Fall-basierten Nicht-Testens“ so verhalten, als hätten sie eine nachgewiesene COVID-19-Erkrankung, beispielsweise mit Isolierung zu Hause für 5 Tage und mindestens 48 Stunden Symptomfreiheit vor Beendigung der Isolierung (RKI 2020a).
Entsprechend der jeweils geltenden Teststrategie verändern sich somit im Verlauf die Anteile an symptomatischen beziehungsweise asymptomatischen an der Gesamtzahl der gemeldeten Fälle (➥ Abb. 4). So ist zu jeder Zeit mit einer Dunkelziffer zu rechnen, besonders jedoch in Phasen mit niedrigem Anteil an asymptomatischen Fällen (RKI 2020c).
Medizinische Entwicklung
Medizinische Erkenntnisse zum Erreger fasst das RKI in einem regelmäßig aktualisierten „Steckbrief“ zusammen. Als häufigste Symptome im Zusammenhang mit COVID-19 werden Husten, Fieber, Schnupfen sowie Geruchs- und Geschmacksverlust genannt. Die Manifestationsindizes werden in verschiedenen Übersichtsarbeiten auf 55–85% geschätzt. Der Krankheitsverlauf variiert in Symptomatik und Schwere. So können symptomlose Infektionen bis hin zu schweren Pneumonien mit Lungenversagen und Tod auftreten. Neben respiratorischen und pulmonalen Manifestationen werden auch Symptome und Erkrankungen anderer Organsysteme wie Nerven- oder Herz-Kreislauf-System beobachtet. Langzeitfolgen können aufgrund der Neuartigkeit der Erkrankung noch nicht beurteilt werden (RKI 2020a).
In etwa 7% der Fälle war eine stationäre Behandlung erforderlich. Von den hospitalisierten Erkrankten mussten wiederum etwa 14% intensivmedizinisch behandelt werden, von denen etwa zwei Drittel eine Beatmungstherapie benötigen (RKI 2020a). Ein Vergleich von Erkrankten mit schweren akuten respiratorischen Erkrankungen während der Grippewelle (GW) der vergangenen 5 Jahre (SARI-GW [SARI = schwere akute respiratorische Erkrankung]) mit SARI-COVID-Erkrankten zeigte eine vergleichbare Altersstruktur (Median 81 Jahre). Jedoch mussten SARI-COVID-Fälle gegenüber SARI-GW-Fällen häufiger (22% vs. 14%) und länger beatmet werden (Median 18 vs. 16 Tage); auch die Sterblichkeit lag zum Datenstand 18.08.2020 höher (23% vs. 16%) (Tolksdorf et al. 2020). Zum Jahresende stieg der Anteil an COVID-19-Erkrankungen bei SARI-Fällen auf etwa 70% in der 52. KW (➥ Abb. 5) (RKI 2020c).
Um dem höheren Bedarf an Intensivtherapieplätzen gerecht zu werden, mussten die Krankenhäuser unter anderem mit Einschränkungen des Elektivbehandlungsbetriebs reagieren. Durch die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI e.V.) und das RKI wurde das „DIVI-Intensivregister“ gestartet, damit Behandlungskapazitäten erfasst und aktuelle Fallzahlen aufgezeichnet werden können. Die Arbeitsweise dieses Registers, das aus dem bereits bestehenden Meldeportal des ARDS(Acute Respiratory Distress Syndrome)-Netzwerks für intensivmedizinische Abteilungen mit der Möglichkeit zur extrakorporalen Membran-Oxygenierung (ECMO) weiterentwickelt wurde, hat das Bundesministerium für Gesundheit in Verordnungen geregelt (DIVI 2020).
Um SARS-CoV-2-Infektionen langfristig kontrollieren zu können, gelten Impfstoffe als realistische Option. Laut WHO befanden sich mit Stand 02.12.20 mehr als 200 Impfstoffkandidaten in der Entwicklung, die auf unterschiedlichen Wirkprinzipien beruhen (z.B. DNA, mRNA, Protein Subunit oder Vektor-Impfstoffe). In Deutschland erteilte das Paul Ehrlich-Institut am 22.12.20 dem mRNA-basierten Impfstoff Comirnaty (Tozinameran, BNT162b2) der Firmen BioN-Tech/Pfizer erste Chargenfreigaben, woraufhin am 27.12.20 die ersten Impfungen durchgeführt werden konnten. Im Januar 2021 folgten Zulassungen durch die Europäische Kommission für den mRNA-Impfstoff der Firma Moderna Biotech und den Vektor-Impfstoff der Firma AstraZeneca. Ein weiterer deutscher, mRNA-basierter Impfstoff der Firma Curevac wird seit dem 22.12.20 in einer klinischen Phase 3-Studie getestet (PEI 2021).
Am 19.12.20 wurde aus Großbritannien von einer neuen Virusvariante (B1.1.1.7) berichtet. Vertreter dieser Linie waren zum Jahresende unter anderem in Belgien, Dänemark, Island, Irland, Frankreich, Schweden und auch Deutschland identifiziert worden. Die WHO berichtete außerdem von einer neuen Virusvariante in Südafrika. Inwieweit diese Virusvarianten mit Andeutungen auf eine erhöhte Reproduktionszahl das Pandemiegeschehen beeinflussen würden, war zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieses Artikels noch nicht absehbar. Hinweise auf schwerere Krankheitsverläufe bei Infektionen mit dieser neuen Variante oder eine verringerte Wirksamkeit der Impfstoffe lagen zum Jahresende noch nicht vor (RKI 2020a).
Pandemie-Management
Alle ergriffenen Maßnahmen und Empfehlungen zielen auf die Unterbrechung der Übertragungswege ab. Als Grundlage für den Umfang der Maßnahmen gelten unter anderem die Basisreproduktionszahl R, die unter 1 gehalten werden soll, um eine exponentielle Ausbreitung zu vermeiden, und die 7-Tage-Inzidenz, für die man eine Grenze von 50/100.000 festgelegt hat, die nicht überschritten werden soll, um Infektionsketten verfolgen zu können (RKI 2020a). Um die Infektionsausbreitung zu bremsen, ergingen zunächst Basisempfehlungen wie (Selbst-)Isolation Erkrankter, Einhaltung der physischen Distanz von mindestens 1,5 m, Hustenregeln und Händehygiene. Am 14. April empfahl das RKI zusätzlich das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (MNB) in bestimmten Situationen (RKI 2020b). Zwei Wochen später wurde das Tragen einer MNB in geschlossen öffentlichen Räumen zur Pflicht und zum Sinnbild der Pandemie. Im Verlauf kam der potenziellen Möglichkeit einer Übertragung durch luftgetragene Partikel (Aerosole) zunehmend größere Bedeutung zu (Morawska u. Milton 2020; RKI 2020c). Die buchstäblich raumgreifenden Diskussionen über Lüftungskonzepte insbesondere in Schulen und Büroräumen fasste im August die Kommission Innenraumhygiene am Umweltbundesamt in einer Stellungnahme zusammen (IRK 2020).
Zur Kontrolle der Pandemie in Deutschland wurden auf Länderebene unterschiedliche Bekämpfungsverordnungen erlassen, die je nach Situation sowohl im Sinne von Erleichterungen als auch Verschärfungen wiederholt anpasst wurden. Auf Bundesebene erfolgten in praktisch allen Regierungsressorts Anpassungen in Verordnungen und Gesetzen, zum einen, um die Pandemie selbst zu bekämpfen, beispielsweise Änderungen im Infektionsschutzgesetz, zum anderen, um Auswirkungen der Pandemie und deren Bekämpfung in sämtlichen Lebenswelten abzufedern, unter anderem finanzielle Unterstützung verschiedener Berufsgruppen, kurzfristige Anpassungen der Regelungen für das Kurzarbeitergeld oder Anpassungen von Weiterbildungs- und Ausbildungsordnungen.
Durch die Bundesregierung wird über das RKI seit Juni die Corona-Warn-App angeboten. Sie soll für den Nutzer ein mögliches Kontaktrisiko ermitteln und so die Nachverfolgung von Infektionsketten unterstützen. Zum Jahresende wurde die App über 24 Millionen Mal installiert. Mit Datenstand 16.12.20 wurden 55% der 235.544 potenziell teilbaren positiven Testergebnisse über die App geteilt (RKI 2020a).
Bereits seit Anfang März befindet sich auch die Bundeswehr im unterstützenden Einsatz gegen das Coronavirus. Im Sinne der Amtshilfe unterstützt sie unter anderem die Gesundheitsämter bei der Kontaktnachverfolgung und zunehmend auch in Test- oder Impfzentren.
Entwicklungen im Arbeitsschutz
Die Verunsicherung in den Betrieben, geschürt durch eine Vielzahl an Meldungen in den verschiedensten Medien und deren teils schwierige Interpretationen, erforderten mehr denn je eine kompetente und wissenschaftlich basierte arbeitsmedizinische Beratung. Insbesondere der Erstellung von Hygienekonzepten und einer Aktualisierung der Gefährdungsbeurteilung im Hinblick auf mögliche Infektionsrisiken unter Berücksichtigung besonders gefährdeter Personengruppen kamen und kommen dabei eine besondere Bedeutung zu (DGAUM 2020).
Zur Unterstützung der arbeitsmedizinischen Versorgung entwickelte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) gemeinsam mit den Arbeitsschutzausschüssen unter Koordination der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) den SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard und die SARS-Cov-2-Arbeitsschutzregel. Branchenspezifische Empfehlungen hält die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) bereit (BAuA 2020). Im Mai 2020 gaben der Verband Deutscher Betriebs- und Werksärzte (VDBW) und die Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (DGAUM) gemeinsam Empfehlungen zur arbeitsmedizinischen Vorsorge heraus (DGAUM u. VDBW 2020). Der Ausschuss für Arbeitsmedizin (AfAMed) erarbeitete arbeitsmedizinische Empfehlungen zum Umgang mit aufgrund der SARS-CoV-2-Epidemie besonders schutzbedürftigen Beschäftigten (AfAMed 2020).
Nach deutschem Recht kann COVID-19 als Berufskrankheit anerkannt werden, wenn der Erkrankte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war. Unter bestimmten Voraussetzungen ist auch eine Anerkennung als Arbeitsunfall möglich (DGUV 2020).
Stand Ende 2020 – national und international
In seinem letzten Lagebericht des Jahres vom 31.12.20 meldete das RKI weiterhin eine hohe Anzahl an Übertragungen in der deutschen Bevölkerung (7-Tage-Inzidenz 140/100.000 EW). Man ging zu diesem Zeitpunkt von gut 350.000 aktiven Fällen aus. 5639 Erkrankte befanden sich in intensivmedizinischer Behandlung (55 % davon invasiv beatmet). Insgesamt gab es bis zum Jahreswechsel 1.719.737 bestätigte Fälle. Seit dem ersten Todesfall in Deutschland Anfang März waren 33.071 Personen im Zusammenhang mit COVID-19 verstorben (Fallsterblichkeit 1,9 %; RKI 2020c).
Ein internationaler Vergleich der für Deutschland vorliegenden Zahlen ist schwierig, da die Teststrategien zwischen den Ländern aus unterschiedlichsten Gründen stark variieren. Auch die Letalität erscheint durch anzunehmende hohe Dunkelziffern nicht als Vergleichsparameter geeignet. So lässt sich der Pandemieverlauf weltweit wohl am ehesten anhand der Todesfälle, bezogen auf die Einwohnerzahl, vergleichen (krankheitsspezifische Mortalität).
Weltweit gab es zum 31.12.2020 etwa 83.424.000 bestätigte Fälle und 1.818.000 Todesfälle in Zusammenhang mit COVID-19 (Fallsterblichkeit 2,2%). Die krankheitsspezifische Mortalität beträgt weltweit durchschnittlich etwa 233/1 Mio. Erdenbürger. Zum Datenstand 23.12.20 fanden sich die höchsten Mortalitätsraten in Belgien (1621/1 Mio. EW), Italien (1156/1 Mio. EW) und Peru (1.21 Mio. EW). Deutschland lag mit 337/1 Mio. EW noch über dem weltweiten Durchschnitt (Johns Hopkins Universitiy 2020).
Fazit und Ausblick
Die Pandemie hat die Welt in allen Lebensbereichen beeinflusst und verändert. Viele trauern um einen geliebten oder nahestehenden Menschen, nicht wenige ringen um ihre wirtschaftliche Existenz, manche haben sie gar verloren. Pflegekräfte gelangen an die physische Belastungsgrenze. Auch die psychischen Belastungen sind nicht zu unterschätzen und werden unsere Gesellschaft voraussichtlich noch einige Zeit begleiten. Nachdem die größte Impfkampagne der Menschheitsgeschichte begonnen hat, ist neben weiterhin erhöhter Wachsamkeit gegenüber dem Infektionsgeschehen das Beobachten von Langzeitfolgen sowohl medizinischer, psychischer, gesellschaftlicher und auch wirtschaftlicher Art wichtig, um Fehlentwicklungen rechtzeitig begegnen zu können.
Interessenkonflikt: Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.
Literatur
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BAuA: Aktuelle Informationen zum Coronavirus SARS-CoV-2. https://www.baua.de/DE/Themen/Arbeitsgestaltung-im-Betrieb/Coronavirus/Coronavirus_node.html (zuletzt abgerufen am: 03.01.2020).
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DGAUM, VDBW: Gemeinsame Empfehlungen der DGAUM und des VDBW für die arbeitsmedizinische Vorsorge in Zeiten der SARS-CoV-2-Pandemie – Stand 15.05.2020. https://www.vdbw.de/fileadmin/user_upload/Gemeinsame_Empfehlungen_von_DGAUM_und_VDBW_zur_arbeitsmedizinischen_Vorsorge_in_Zeiten_der_SARS-CoV-2-Pandemie_15.05.2020.pdf
DGUV: COVID-19. https://www.dguv.de/de/mediencenter/hintergrund/corona_arbeitsunfall/index.jsp (zuletzt abgerufen am: 06.01.2020).
DIVI: DIVI-Intensivregister. https://www.intensivregister.de/#/index (zuletzt abgerufen am: 03.01.2020).
IRK: Stellungnahme Lüften SARS-CoV-2. https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/2546/dokumente/irk_stellungnahme_lueften_sars-cov-2_0.pdf (zuletzt abgerufen am: 03.01.2021).
Johns Hopkins Universitiy: COVID-19 Dashboard by the Center for Systems Science and Engineering (CSSE). https://coronavirus.jhu.edu/map.html (zuletzt abgerufen am: 03.01.2020).
Li Q, Guan X, Wu P et al.: Early transmission dynamics in Wuhan, China, of novel voronavirus-infected pneumonia. N Engl J Med 2020; 382: 1199–1207.
Morawska L, Milton DK: It is time to address airborne transmission of coronavirus disease 2019 (COVID-19). Clin Infect Dis 2020; 71: 2311–2313.
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Spiteri G, Fielding J, Diercke M et al.: First cases of coronavirus disease 2019 (COVID-19) in the WHO European Region, 24 January to 21 February 2020. Euro Surveill 2020; 25.
Tolksdorf K, Buda S, Schuler E, Wieler LH, Haas W: Eine höhere Letalität und lange Beatmungsdauer unterscheiden COVID-19 von schwer verlaufenden Atemwegsinfektionen in Grippewellen. Epid Bull 2020: 3–10.
WHO: Director-General’s opening remarks at the media briefing on COVID-19 – 11 March 2020 2020a.
WHO: Naming the coronavirus disease (COVID-19) and the virus that causes it. https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/technical-guidance/naming-the-coronavirus-disease-(covid-2019)-and-the-virus-that-causes-it (zuletzt abgerufen am: 06.01.2021).
Weitere Infos
RKI, Robert Koch-Institut: COVID-19 (Coronavirus SARS-CoV-2)
https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/nCoV.html
BAuA, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: Aktuelle Informationen zum Coronavirus SARS-CoV-2 https://www.baua.de/DE/Themen/Arbeitsgestaltung-im-Betrieb/Coronavirus/…
BMAS, Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Umgang mit aufgrund der SARS-CoV-2-Epidemie besonders schutzbedürftigen Beschäftigten. Arbeitsmedizinische Empfehlung https://www.bmas.de/DE/Service/Medien/Publikationen/arbeitsmedizinische…