Situation im Gesundheitswesen
Die Gesundheitswirtschaft hat eine erhebliche ökonomische Bedeutung für den Standort Deutschland. Sie ist eine Wachstumsbranche auf Expansionskurs. Mit mehr als fünf Millionen Beschäftigten ist die Gesundheitswirtschaft zugleich ein Beschäftigungsmotor – jeder achte Erwerbstätige arbeitet bereits im Gesundheitswesen. Die Entwicklungen im Gesundheitswesen stellen sowohl die stationäre als auch die ambulante Versorgung vor vielfältige Herausforderungen. Für das Statistikjahr 2016 wurden 19,5 Millionen Behandlungsfälle in den Kliniken gemeldet und etwa eine Milliarde Arztkontakte jährlich in den Praxen gezählt. Der Anstieg der Privatisierung von Krankenhäusern, des Wettbewerbs, der Ökonomisierung, des Kostendrucks sowie der Leistungs- und Qualitätsanforderungen bei verkürzten Liegezeiten und hoher Bettenauslastung hat Folgen bei der Belastung des medizinischen und des Pflegepersonals.
Wie sieht die Krankenhauslandschaft in Deutschland aus? Das Statistische Bundesamt meldetet (Stand 2012), dass im Jahr 2001 nur 23 % und im Jahr 2011 bereits 33 % der 3278 Krankenhäuser in privater Trägerschaft waren; von den insgesamt 1233 Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen war im Jahr 2011 sogar die Mehrheit der Kliniken mit 55 % in privater Trägerschaft (BGW 2013). Es zeigt sich somit ein deutlich gewandeltes Bild von öffentlichen zu privat geführten Krankenhäusern mit Renditeorientierung.
In einer Gesellschaft des langen Lebens steigt zudem der Behandlungsbedarf. Das Statistische Bundesamt prognostiziert bis zum Jahr 2040 eine Steigerung des Bevölkerungsanteils der über 67-Jährigen um 42 %. Der demografische Wandel betrifft aber auch längst die Ärzteschaft selbst. So hat sich die Verteilung der berufstätigen Ärzte auf die Altersgruppen weiter zu den höheren Altersjahren verschoben. Der Anteil der über 59-Jährigen ist auf 18,4 % angewachsen (Vorjahr: 17,9 %). Bei den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten stagnierte der Anteil der unter 40-Jährigen bei 2,7 %. Zugleich ist der Anteil der mindestens 60-Jährigen von 32 % auf 33,9 % gestiegen. Diese Entwicklungen tragen dazu bei, dass in Zukunft trotz steigender Arztzahlen in Deutschland Ärztinnen und Ärzte in allen Versorgungssektoren fehlen werden (Ärztestatistik, Stand 31.12.2017).
Umfragen zu Arbeitsbedingungen in Krankenhäusern
Eine Erhebung des Marburger Bundes bei angestellten Ärztinnen und Ärzten im Krankenhaus und in anderen Institutionen zeigt, dass 40 % der 198.500 Krankenhausärztinnen und -ärzten in 2018 49 bis 59 Stunden pro Woche im Einsatz waren. Jeder Fünfte hatte sogar eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 60 bis 80 Stunden, einschließlich aller Dienste und Überstunden. Dagegen beziffert das Statistische Bundesamt die durchschnittliche Wochenarbeitszeit aller Erwerbstätigen in Deutschland auf 35,6 Stunden (Ärztestatistik, Stand 31.12.2017). Diese Daten zeigen eine deutlich steigende berufliche Belastung, insbesondere in Bezug auf eine deutliche Ausweitung der Arbeitszeit, Arbeitsverdichtung, Zeitmangel mit Dauerüberbelastungen, überbordenden Dokumentationspflichten sowie ökonomischen Druck auf angestellte Ärztinnen und Ärzte sowie auf Pflegekräfte (Marburger Bund, Monitor 2017, s. „Weitere Infos“).
Umfragen zu Arbeitsbedingungen im niedergelassenen Bereich
Bei der Zahl der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte ist ein leichter Rückgang um 1285 auf 118.356 zu verzeichnen. Zusätzlich arbeiten in den Praxen der Haus- und Fachärzte mit ansteigender Tendenz mittlerweile 36.000 angestellte Ärztinnen und Ärzte. Ferner zeigt sich, dass in der jüngeren Generation von niedergelassenen Ärzten es überwiegend Ärztinnen sind, die in der Versorgung arbeiten. Niedergelassene Ärzte arbeiten schon jetzt durchschnittlich mehr als 50 Stunden die Woche (Ärztestatistik, Stand 31.12.2017). Die Erhebungen im ambulanten Versorgungssektor der KBV und des NAV-Virchowbunds „Ärztemonitor 2018“ zeigen, dass zwar 80 % der niedergelassenen Vertragsärzte eine hohe Berufszufriedenheit verspürten, dennoch klagten 8 %, dass sie „voll und ganz ausgebrannt“ seien und 25 % sprachen davon „eher ausgebrannt“ zu sein. Die Anzahl der angestellten Ärztinnen und Ärzte in Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) noch nie so hoch, die Zahl der Ärzte in Einzelpraxen noch nie so niedrig. Bei den ärztlichen Psychotherapeuten ist die Zahl deutlich geringer: Hier erklärten 16 %, sie stimmten einem Gefühl von ausgebrannt sein zu, nur ein Prozent sprach von „voll und ganz.“ Die Zufriedenheit mit dem Arztberuf spiegelt sich auch in den Antworten zur wirtschaftlichen Situation der Praxen wider: So bewerten 69 % aller befragten Ärzte ihre wirtschaftliche Situation als positiv, 14 % sind sehr zufrieden, 55 % eher zufrieden und 27 % zeigten sich eher oder sehr unzufrieden (KBV/NAV-Virchowbund Ärztemonitor 2018, s. „Weitere Infos“).
Umfragen zu Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen
Zu den Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen hat zudem eine von der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) im Mai 2018 in Auftrag gegebene Befragung von Ärzten und Pflegepersonal hingewiesen. Es zeigt sich, dass nur wenige Ärztinnen und Ärzte den Eindruck haben, für Leistungen und Einsatz ausreichend Anerkennung zu bekommen. Neben den genannten spezifischen Arbeitsstressoren, denen sie in hohem Maße ausgesetzt sind, belastet Ärztinnen und Ärzten die intensive und tagtägliche Beschäftigung mit emotionalen und inhaltlich anspruchsvollen Aufgaben bei gleichzeitig hohem Anspruch, fehlerfrei arbeiten zu wollen. Die Erhebungen spiegeln insgesamt systemimmanente Arbeitsbedingungen wider, die seit Jahrzehnten bestehen, die sich aber derzeit zuspitzen, auch wegen des Personalmangels und weil sie auf eine junge Ärztegeneration treffen, die gute Arbeit leisten wollen, aber auch ein planbares Privatleben führen möchten (BGW 2018, ASU 2019 s. „Weitere Infos“). Aufgrund dieser Arbeitsbedingungen können die Berufszufriedenheit und die Ärztegesundheit deutlich zurückgehen.
Beanspruchung der im Gesundheitswesen Beschäftigten
Das anhaltende Auftreten von Arbeitsstressoren kann langfristig zu Beeinträchtigungen im Bereich der psychischen und psychosomatischen Gesundheit führen. Die Folge der Belastungen ist eine entsprechende Beanspruchung, die den Einzelnen betrifft. Viele berichten schon in jungen Jahren von einer Erschöpfungssymptomatik, die in eine Erschöpfungsdepression mündet, aber auch zu ungesunden Verhaltensweisen führen kann (Dyrbye et al. 2018). Entsprechend werden in internationalen Ärztestudien häufig hohe Prävalenzen psychischer Krankheiten wie Depressionen oder Suchterkrankungen beschrieben. (Mäulen 2010; Schoeller AE 2014; Niek van Dijk 2018). Die stetige Überlastung von Ärztinnen und Ärzten ist also nicht nur in Deutschland zu beobachten. Der Präsident des Weltärztebundes (WMA), Dr. Leonid Eidelman, warnte bei seiner Antrittsrede im Oktober 2018 auf der Generalversammlung des WMA, dass fast die Hälfte der zehn Millionen Ärzte weltweit Symptome eines Burnouts, einschließlich emotionaler Erschöpfung, zwischenmenschlicher Entfremdung und einem geringen Gefühl der persönlichen Leistung vorweisen (s. „Weitere Infos“). Gesunde Ärztinnen und Ärzte mit Ressourcen können aber am besten den Patienten dienen (Thomas et al. 2018).
Ansatzpunkte zur Verbesserung
Um die Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen nachhaltig verbessern zu können, leiten sich Lösungswege mit unterschiedlichen Ansatzpunkten ab. Diese Ansatzpunkte zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen werden in den folgenden fünf Infokästen vorgestellt.
Bundesärztekammer: Beispiele zur Unterstützung
Die Bundesärztekammer hat ihren Beitrag in Hinblick auf eine Bestandsaufnahme der Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen bereits geleistet und stellt Lösungswege vor. Beispielsweise hat sie bereits im Jahr 2010 in der Reihe „Report Versorgungsforschung“ den Band zwei zu „Arbeitsbedingungen und Befinden von Ärztinnen und Ärzten – Befunde und Interventionen“ vorgelegt und ist auf dieser wissenschaftlichen Grundlage in einen Dialog mit Stakeholdern im Gesundheitswesen getreten. Insbesondere haben Peter Angerer, der auch Mitherausgeber dieses Bandes zwei war, und Axel Ekkernkamp in seinem Beitrag „Organisation und Personalentwicklung des ärztlichen Dienstes im Krankenhaus – Arbeitsbedingungen und Befinden von Ärztinnen und Ärzten“zu ökonomischen Bedingungen und Krankenhausstrukturen wertvolle Impulse gegeben (Ekkernkamp 2010).
Zudem hat die Bundesärztekammer zu der Thematik bereits im Jahr 2010 nach wie vor aktuelle Lösungsansätze aufgezeigt, indem sie das Handbuch „Familienfreundlicher Arbeitsplatz für Ärztinnen und Ärzte – Lebensqualität in der Berufsausübung“ für die Mitglieder der Landesärztekammern herausgegeben hat (Bühren u. Schoeller 2010). Dieses Handbuch beschreibt Hintergründe und stellt Möglichkeiten der flexiblen Arbeitszeitgestaltung sowie der Kinderbetreuung für Arbeitnehmer und Selbstständige sowohl im stationären und ambulanten Sektor als auch für Studierende der Humanmedizin vor. Dabei wird auf ein Curriculum „Unternehmenskultur: Leitbild und Führungsverhalten“ für Ärztinnen und Ärzte der Bundesärztekammer hingewiesen, um die Kompetenz ärztlicher Führungspersonen zu stärken. Außerdem wird auf neu geschaffene, staatlich geförderte Strukturen für den stationären Bereich, wie das „Unternehmensnetzwerk Erfolgsfaktor Familie“ oder für den ambulanten Bereich „Lokale Bündnisse für Familie“ und Zertifizierungsinstrument „berufundfamilie: Zertifizierung von familienfreundlichen Einrichtungen im Gesundheitswesen“ der Hertie-Stiftung hingewiesen.
Aufgrund der drängenden Aufgaben, die zu lösen anstehen, befasst sich der 122. Deutsche Ärztetag 2019 in Münster Ende Mai mit den Arbeitsbedingungen von Ärztinnen und Ärzten im Gesundheitswesen im Rahmen eines hervorgehobenen Tagungsordnungespunktes „Wenn die Arbeit Ärzte krank macht – Gute Arbeitsbedingungen für Ärztinnen und Ärzte! Herausforderungen und Lösungsansätze“. ASU wird hierzu berichten.
Interventionsprogramme der Landesärztekammern
Die beschriebenen Arbeitsbedingungen können auch zu ungesunden Verhaltensweisen von Ärztinnen und Ärzte führen. Die Landesärztekammern bieten flächendeckend Hilfs- oder Interventionsprogramme für suchtkranke Ärzte an. Damit kommen die Kammern sowohl ihrer Fürsorgepflicht gegenüber ihren Kammermitgliedern als auch ihrer Verantwortung für eine bestmögliche Patientenversorgung nach (Bühring 2017). Die Hilfsstruktur der Kammern zeigt Wege auf, wie Betroffene, aber auch Personen, die einen Verdacht auf eine Suchterkrankung eines Arztes haben, sich an die Kammer wenden können. In vielen Kammern steht ein Ansprechpartner vor Ort zur Verfügung oder es wird an einen Suchtmediziner vermittelt. Die Betroffenen werden bei der Aufnahme einer qualifizierten Entzugs- und Entwöhnungsbehandlung in spezialisierten Kliniken, wie den Oberbergkliniken, oder auch ambulant von den Kammern unterstützt. Sie helfen auch bei der Organisation einer Praxisvertretung und bei der Klärung der Kostenübernahme. Nach der stationären Entwöhnungsbehandlung wird meist eine „verbindliche Therapievereinbarung“ zwischen Kammer und suchtkrankem Mitglied geschlossen. Dabei begleitet die Landesärztekammer den weiteren therapeutischen Prozess einschließlich der ambulanten Nachsorge. Aufgrund dieser oben beschriebenen Infrastruktur ist die Rückfallquote der Betroffenen erfreulicherweise sehr niedrig.
Fazit
Die systemimmanenten erschwerten Arbeitsbedingungen mit Personalmangel, Arbeitsverdichtung, Schicht-, Nacht- und Wochenendarbeit in Klinik und Praxis werden seit Jahrzehnten von vielen Ärztegenerationen ertragen. Neu ist jedoch, dass sich in den letzten Jahren diese Belastungen zuspitzen. Hinzu kommen die Erwartungen von Klinikleitungen, dass eine permanente Verfügbarkeit, Dauerbelastung und Aufopferung von den Ärztinnen und Ärzten den Regelfall darstellt. Gleichzeitig treffen diese Arbeitsbedingungen aber auf eine junge Generation von Ärztinnen und Ärzten, die die Kraft hat, die Arbeitsbedingungen mit ihren Belastungen im Gesundheitsdienst darzustellen und die fachöffentliche Diskussion anzufachen, um endlich diese bestehenden Arbeitsbedingungen für diese und späteren Ärztegenerationen nachhaltig verbessern zu können. Denn gesunde im Gesundheitswesen Tätige sind unabdingbar für eine gute Patientenversorgung. Deswegen müssen alle Verantwortlichen im Gesundheitswesen, insbesondere die Arbeitgeber, konsequent darauf hinwirken, dass vor allem im Krankenhaussektor die gesetzlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen sowie die Erfüllung der Aufgaben der Arbeitgeber in Hinblick auf den Arbeitsschutz deutlich verbessert werden. Voraussetzung für die Entwicklung solcher Lösungsansätze und Zukunftsprognosen ist eine faktenbasierte Analyse der Ist-Situation, die eine verlässliche Aussagekraft hat. Diese liegen bereits vor.
Es ist noch viel zu tun, um die tradierten Strukturen der Personalpolitik im Gesundheitswesen unter ökonomischem Kalkül in den jeweiligen Einrichtungen im Hinblick auf faire und gesundheitsgerechte Arbeitsbedingungen zu verbessern.
Interessenkonflikt: Die Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.
Literatur
Bühren A, Schoeller A (Hrsg.): Familienfreundlicher Arbeitsplatz für Ärztinnen und Ärzte – Lebensqualität in der Berufsausübung. Berlin: Bundesärztekammer, 2010.
Bühring P: Suchtkranke Ärzte – Sehr hohe Behandlungsmotivation. Deutsches Ärzteblatt 2017; 114: 935–938.
Dyrbye LN, Burke SE, Hardeman RR et al.: Association of clinical specialty with symptoms of burnout and career choice regret among US resident physicians. JAMA 2018; 320: 1114–1130.
Ekkernkamp A: Organisation und Personalentwicklung des ärztlichen Dienstes im Krankenhaus. In: Fuchs C, Kurth B-M, Scriba P (Reihen-Hrsg.): Report Versorgungsforschung. Band 2: Schwartz FW, Angerer P (Hrsg.): Arbeitsbedingungen und Befinden von Ärztinnen und Ärzten. Köln: Deutscher Ärzte-Verlag, 2010, S. 79–81.
Mäulen B: Arbeitsstörungen bei Ärztinnen und Ärzten aus Sicht der Ärztegesundheit. In: Fuchs C, Kurth B-M, Scriba P (Reihen-Hrsg.): Report Versorgungsforschung. Band 2: Schwartz FW, Angerer P (Hrsg.): Arbeitsbedingungen und Befinden von Ärztinnen und Ärzten. Köln: Deutscher Ärzte-Verlag, 2010.
Niek van Dijk C: Are we surgeons finding it all too much? Dealing with the pressures of our profession. ISAKOS 2018; 3: 125–127.
Panagioti M, Geraghty K, Johnson J: Association between physician burnout and patient safety, professionalism, and patient satisfaction: a systematic review and meta-analysis. JAMA 2018; 178: 1317–1330.
Schoeller A: Ärztegesundheit – Ein Thema? Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2014; 49: 107–110.
Siebeneich A, Schröder J: Vom Nebeneinander zum Miteinander – Zusammenarbeit zwischen Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2019; 54: 280–283.
Thomas LR, Ripp JA West CP: Charter on Physician Well-being. JAMA 2018; 319: 1331–1340.
Info 1
Ansatzpunkte für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen
Die Verantwortlichen im Gesundheits- und Sozialwesen, wie das Bundesministerium für Gesundheit, das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, der Gemeinsamen Bundesausschuss, die Sozialversicherungsträger, wie die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung und die Gesetzliche Krankenversicherung sowie die Deutsche Krankenhausgesellschaft und Krankenhausträger und Arbeitgeber sind gehalten, jeder gemäß ihrer gesetzlichen Aufgaben, Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen umzusetzen
– Den Personalschlüssel insbesondere in Kliniken so gestalten, dass eine patienten- und aufgabengerechte Versorgung gewährleistet ist
– Die Organisation- und Personalentwicklung in Hinblick auf den Abbau starrer Hierarchien und auf die Einführung von Teamarztmodellen ausrichten
– Ausbau der Kompetenzen der kaufmännischen Leitung von Kliniken neben Kostenträgerrechnung etc. auch bei der Organisation von Behandlungspfaden und strukturierten Diagnosemodellen unterstützen
– Ausbau der Kompetenzen der ärztlichen Führung in Management und Ökonomie einschließlich der Etablierung des ärztlichen Sachverstands in die kaufmännischen Führungsgremien eines Krankenhauses
– Adäquate Honorierung der im Gesundheitswesen Tätigen
– Gezielte Personalentwicklung, auch mittels Mitarbeitergesprächen
– Freistellen des Personals für den Besuch von Fortbildungsveranstaltungen
– Angebote zur Persönlichkeitsentwicklung und gesundheitlichen Prävention fördern, beispielsweise zum Erlernen von Kommunikationstechniken
– Flächendeckender Einsatz von Telemedizin als Möglichkeit, den Aktionsradius von Ärztinnen und Ärzten mittels digitaler Medien zu erweitern
– Beschränkung der Tätigkeit auf ärztliche Kernkompetenzen und Delegation von nichtärztlichen Tätigkeiten an Gesundheitsfachberufe
Info 2
Kommunale Strukturpolitik für die ambulante Versorgung
Politik, Kommunen, Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) müssen konsequent darauf hinwirken, dass im ambulanten Sektor, eine unterstützende kommunale Strukturpolitik betrieben wird, um die gesetzlichen, ökonomischen und strukturellen Rahmenbedingungen zu verbessern. Dies soll einen Anreiz für Ärztinnen und Ärzte geben, sich auf Dauer niederzulassen.
Insbesondere wird gefordert, dass
– Praxen im ländlichen Bereich sowie in Stadtteilen mit sozialen Brennpunkten gezielt unterstützt werden, um dadurch die Bereitschaft von Ärztinnen und Ärzten zu fördern, sich in solchen Bezirken auch auf Dauer niederzulassen;
– der vertragsärztliche Arbeitsumfang (Kassenzulassung) auch für angestellte Ärztinnen und Ärzte in Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) lebensphasengerecht angepasst wird;
– lebensphasenangepasste Abgabemöglichkeiten von Diensten an Bereitschaftspraxen und Notdienstzentralen etabliert werden.
Info 3
Gewährleistung des Arbeitsschutzes für Mitarbeiter durch Arbeitgeber, indem
– darauf geachtet wird, dass die Arbeitsschutzregelungen einschließlich der Arbeitszeitgesetze eingehalten werden;
– eine Veränderung der Führungskultur in Richtung eines wertschätzenden und kooperativ ausgerichteten Führungsstils in Krankenhäusern herbeigeführt wird, denn eine „gesunde“ Führung hält bekanntlich die Mitarbeiter gesund und resilient;
– bestehende gute Angebote der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst (BGW) vermehrt im Betrieb konkret umgesetzt werden.
– Darüber hinaus werden die Arbeitgeber aufgefordert, in ihren Betrieben ein betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) zu etablieren. Präventive und gesundheitsförderliche Maßnahmen und Wiedereingliederung am Arbeitsplatz (BEM) sollen im Rahmen eines BGM unter Koordination eines Betriebsarztes durchgeführt werden. Es wird begrüßt, dass aufgrund der neuen Rechtslage, die Sozialversicherungsträger dieses Vorhaben unterstützen und bereits eine koordinierte effektive Zusammenarbeit aufbauen (Siebeneich u. Schröder 2019).
Info 4
Aktivitäten zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch die BGW
Die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) setzt sich für gute Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen und der Wohlfahrtspflege seit Jahrzehnten erfolgreich ein. So hat sie auch Lehrstühle für Arbeitsmedizin und Betriebliches Gesundheitsmanagement eingerichtet, um auf Grundlage von wissenschaftlichen Erkenntnissen gute Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen schaffen zu können. Sie wirkt darauf hin, dass Arbeitsschutzmaßnahmen zum Erhalt der physischen sowie psychischen und psychosomatischen Gesundheit intensiviert werden und der Erfolg in Form eines Qualitätsmanagements überprüft wird. Hier gilt insbesondere:
– darauf hinzuwirken, dass Infektionsgefährdungen minimiert werden,
– dass eine ergonomische Arbeitsplatzgestaltung etabliert wird, wie z.B. das Einrichten eines OP-Saals nach ergonomischen Gesichtspunkten,
– dass der Abbau arbeitsbedingter Belastungen zur Vermeidung von Gratifikationskrisen/Stress/Burnout/Sucht/Depression/Suizid vorangetrieben wird,
– dass Aufbau von Strategien der Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention gegen körperliche und verbale Gewalt am Arbeitsplatz entwickelt und umgesetzt wird,
– dass die von der BGW bereits aufgebauten Unterstützungsmöglichkeiten für Mitarbeiter mit posttraumatischem Syndrom (PTS) – wie dem Psychotherapeutenverfahren der BGW – konsequent weiter entwickelt werden.
Info 5
Nachwuchsförderung: Studium/Berufsanfänger
Fast die Hälfte der Ärzteschaft ist weiblich und von den Studenten der Humanmedizin sind 70 % Studentinnen. Ärztinnen und Ärzte sowie Studierende der Humanmedizin möchten Beruf mit Familie und Freizeit vereinbaren können. Dies ist eine gesellschaftspolitische Aufgabe. Die Bildungsministerien der Bundesländer werden gebeten, das Studium sowie die Arbeitgeber die berufliche Ausübung familienfreundlicher zu gestalten:
– Umsetzung des Mutterschutzgesetzes nach neuestem Stand der Erkenntnisse für Studierende der Humanmedizin und für Ärztinnen und Ärzte in der Familienphase
– Arbeitsorganisation so gestalten, dass Beruf und Familie oder Freizeit oder Pflege von Angehörigen vereinbar ist
– Lebensphasengerechtere flexible Arbeitszeitmodelle anbieten
– Einrichten von klinikeigenen Kindertagesstätten für alle Krankenhausmitarbeiter und Studierende der Humanmedizin
– Ausrichtung des Studiums der Humanmedizin auf beispielsweise flexible Kurswahl jeweils innerhalb des vorklinischen oder des klinischen Abschnitts
– Angebot von Sonderkursen für Studierende mit Kindern, wie ein einwöchiger chirurgischer Blockkurs in den Semesterferien
– Bürokratisch unkomplizierte Beurlaubung von Studierenden mit der Möglichkeit, während dieser Zeit Prüfungsleistungen zu erbringen, zum Beispiel wegen Geburt, Mutterschutzzeiten, Elternzeit
– Flexible Unterbrechung des Praktischen Jahres und Anrechenbarkeit von abgeleisteten Tertialeinheiten bei Unterbrechung, zum Beispiel wegen Schwangerschaft und Geburt.
Weitere Infos
Ärztemonitor 2018, KBV/NAV-Virchowbund
https://www.kbv.de/html/1150_36945.php
https://www.nav-virchowbund.de/uploads/files/pressemitteilung_rztemonitor.pdf
Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) (Hrsg.): Gesundheitssektor Krankenhaus, Zahlen – Daten – Fakten. BGW, 2013
Beschlussprotokoll des 120. Deutschen Ärztetages, 2017
BGW-Umfrage: Befragung junger Angestellte in Krankenhäusern – vorläufige Ergebnisse des Forschungsprojektes Stand 05/2018
Marburger Bund-Monitor 2017: Zusammenfassung und Gesamtergebnisbericht
https://www.marburger-bund.de/mb-monitor-2017
Antrittsrede von Dr. Leonid Eidelman als WMA-Präsident
https://www.wma.net/wp-content/uploads/2018/10/Inaugural-Remarks-WMA-GA-2018-revised.pdf
Autorin
Dr. med. Annegret Schoeller
Bereichsleiterin Dezernat 1 Versorgung und Bevölkerungsmedizin
Bundesärztekammer
Herbert-Lewin-Platz 1
10623 Berlin