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doi:10.17147/asu-1-411955
Improving Posture During Human-Robot Collaboration
The collaboration between humans and robots enables the combination of the respective strengths of both. However, the interaction is not always intuitive, safe and pleasant. A robot movement that enables an improved posture of the employee supports the personalization of the workstation. This can have positive effects on acceptance and effectiveness and even a larger group of people can be involved in the activity.
Verbesserung der Körperhaltung während der Mensch-Roboter-Kollaboration
Die Zusammenarbeit von Mensch und Roboter ermöglicht die Kombination der jeweiligen Stärken von beiden. Die Interaktion ist allerdings nicht immer intuitiv, sicher und angenehm. Eine Roboterbewegung, die eine verbesserte Körperhaltung des Beschäftigten zu ermöglicht, unterstützt die Personalisierung der Arbeitsstation. Dadurch könnten sich positive Effekte auf Akzeptanz und Effektivität einstellen und es kann sogar ein größerer Personenkreis in die Tätigkeit einbezogen werden.
Kernaussagen
Mensch und Roboter ergänzen sich
Industrieroboter sind große Maschinen, die mit mehreren Freiheitsgraden ausgestattet, universell für Handhabungs-, Montage- und Bearbeitungsaufgaben eingesetzt werden. Klassischerweise werden sie einmal programmiert und arbeiten dann hinter trennenden Schutzeinrichtungen, zum Beispiel Zäunen, kontinuierlich und unabhängig.
Wenn Kraft und Ausdauer von Robotern mit der Intuition und Erfahrung von Menschen kombiniert werden, sprechen wir von Mensch-Roboter-Interaktion. Sobald Mensch und Roboter direkt zusammenarbeiten, wird der Begriff kollaborative Robotik verwendet (Mensch-Roboter-Kollaboration, MRK). Die Zusammenarbeit teilt sich in vier verschiedene Stufen auf:
Die Stufe 0 entspricht technisch der klassischen Verwendung von Industrierobotern mit Schutzzäunen. Für die Stufen 1 bis 3 gibt es mindestens eine Interaktionszone, in der eine Übergabe stattfindet. Dies kann ein Tisch sein, auf dem der Roboter ein Bauteil ablegt und sich wieder entfernt (Stufe 2) oder sogar dort weiterarbeitet (z. B. automatisches Schrauben), während der Mensch am selben Bauteil hantiert (Stufe 3).
Ebenfalls zur Stufe 2 zählen Situationen, in denen ein Roboter ein Bauteil aus einer Anlage nimmt und damit an eine definierte Position fährt. Dort begutachtet oder bearbeitet ein Mensch das Bauteil, während der Roboter es weiterhin festhält. Die Arbeiten können auch Montage von Anbauteilen oder das Entgraten von Kanten beinhalten. Die Bauteile können unterschiedliche Größe und Gewicht haben, was eine entsprechende Auslegung des Roboters erfordert.
Der Einsatz von kleineren Leichtbaurobotern, wenn möglich, erleichtert die Implementierung der Sicherheitsfunktionen für einen direkten kollaborativen Betrieb (Stufe 3). Größere Roboter müssen meistens zum kompletten Stillstand gebracht werden, bevor ein Mensch die Interaktionszone betritt (Stufe 2). Für die Ergonomie der Zusammenarbeit ist es nun von entscheidender Wichtigkeit, dass diese Zielposition des Roboters den Anforderungen und Bedarfen des Menschen angepasst ist.
Bei bestimmten MRK-Szenarien ist die menschliche Haltung direkt durch die Roboterpose beeinflusst, zum Beispiel, wenn der Roboter als Werkstückhalterung agiert. Die Anpassung der Zielposition des Roboters mit Bauteil soll individuell an der Person ausgerichtet sein, die für die Interaktion vorgesehen ist. Neben Berücksichtigung von Körpergröße und Armlänge können auch Personenkreise mit Einschränkungen einbezogen werden, beispielsweise Personen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind. In jedem Fall ist eine korrekte Positionierung des Bauteils sehr wichtig, um ungünstige Körperhaltung zu vermeiden, da diese zur Entstehung von arbeitsbedingten Muskel-Skelett-Erkrankungen beitragen können.
Eine automatische Einstellung des Roboters anhand ergonomischer Gesichtspunkte zur Körperhaltung trägt dazu bei, Gefährdungen für das Muskel-Skelett-System durch ungünstige Körperhaltungen während der Arbeit zu reduzieren.
Ergonomie ist messbar
Damit ein Roboter einschätzen kann, welche Körperhaltung für einen Menschen ergonomisch sinnvoll ist, braucht es klar definierte, berechenbare Kriterien. Solche Kriterien sind beispielsweise in der Norm DIN 1005-4 (Bewertung von Körperhaltungen und Bewegungen bei der Arbeit an Maschinen), ISO 11226 (Ergonomics – Evaluation of static working postures) oder im RULA (Rapid Upper Limb Assessment) festgehalten. Hier werden verschiedene Bewegungsachsen der menschlichen Gelenke einzeln betrachtet und ergonomiebezogene Grenzwerte für deren Auslenkung definiert. Bei der Optimierung der Roboterposition für eine ergonomisch sinnvolle Körperhaltung wird eine Ergonomiekostenfunktion verwendet, die sich primär an den Kriterien der DIN 1005‑4 und ISO 11226 orientiert: Im ergonomisch günstigen Bereich sind die Ergonomiekosten nahezu null, während sie im potenziell schädlichen Bereich steil ansteigen (s. ➥ Abb. 1 und ➥ Abb. 2). Die ergonomische Gesamtbeurteilung der Körperhaltung ergibt sich aus der Summe der Einzelbeurteilungen aller Bewegungsachsen.
Für die Ergonomieoptimierung am Roboter wird ein Modell des Menschen erstellt, in das die für die Aufgabe relevanten Gelenke und deren Bewegungsachsen eingebunden werden. Im hier betrachteten Fall der manuellen Werkstücknachbearbeitung werden das Schultergelenk (Abduktion, Flexion, Rotation), das Ellenbogengelenk (Flexion, Unterarmrotation) und das Handgelenk (Flexion, Radialabduktion) betrachtet. Insgesamt werden demnach für beide Arme insgesamt 14 Bewegungsachsen (Freiheitsgrade) ergonomisch bewertet.
Das hier entwickelte Verfahren ist anpassbar, denn es müssen nicht alle Gelenke ausgewertet werden, sondern nur solche, die für die Aufgabe relevant sind. Das spart Rechenzeit und ist flexibel, zum Beispiel auch gegenüber Personen mit Bewegungseinschränkungen, für die das Modell individualisiert werden kann.
Damit der Roboter die Haltung der Arbeitskraft in der Praxis wahrnehmen kann, erfasst er sie mithilfe einer Stereo-Kamera. Die Stereo-Kamera arbeitet mit zwei versetzten Objektiven – vergleichbar mit den menschlichen Augen – und ist damit in der Lage, auch Tiefendaten aufzunehmen, die zur Erstellung von 3D-Bildern genutzt werden. Im ersten Schritt werden die relevanten Gelenkpositionen im Bild markiert und anschließend ein für die Person individualisiertes kinematisches Modell aus Gelenken und Verbindungen errechnet. Dieser Vorgang ist automatisiert und dauert nur wenige Sekunden, in denen sich die Person im Sichtfeld des Roboters sogar bewegen kann und nicht stillstehen muss.
Anhand dieses kinematischen Modells kann der Roboter fortan zu jeder Zeit die Gelenkwinkel der Arbeitskraft erkennen und eine dazugehörige Ergonomiebeurteilung erstellen.
Individuelle Anpassung der Roboterhaltung
Zur Anpassung der Roboterhaltung reicht es nicht aus, lediglich eine Ergonomiebewertung der Arbeitskraft durchzuführen. Vielmehr müssen das kinematische Modell des Menschen und das des Roboters vereint werden, um im virtuellen Raum eine optimale Konstellation aller Komponenten zu finden. Dazu wird eine Aufgabe definiert, die die Tätigkeit der Person am Roboter beschreibt: Die Aufgabe ergibt sich aus einer festen Beziehung zwischen Roboter, Werkstück und Händen. An einem Beispiel bedeutet das, der Werkstückmittelpunkt liegt 15 cm zentral über den Robotergreifern, und die Arbeitskraft hält die Hände als Ausgangsposition jeweils 10 cm links und rechts neben dem Bauteil. Werden diese Beziehungen im virtuellen Modell festgehalten, kann die Roboterhaltung virtuell angepasst werden und gleichzeitig eine Lösung für mögliche Haltungen des Menschen errechnet werden. Ein mathematisches Optimierungsverfahren geht schrittweise vor, bewertet in jedem Schritt die Ergonomiekosten und stoppt, wenn eine ideale Lösung gefunden ist. Eine Übersicht des Gesamtsystems ist in ➥ Abbildung 3 gegeben.
Dieser Prozess findet statt, bevor die Arbeitskraft an das Werkstück herantritt. Der Roboter fährt in die optimierte Position und die Arbeitskraft kann die Bearbeitungsaufgabe durchführen. Während der Werkstückbearbeitung wird die tatsächliche Ergonomie der Arbeitskraft für Aufnahme von Validierungsdaten weiterhin bewertet, die Roboterhaltung wird aber nicht weiter angepasst. Durch die statische Roboterhaltung ist das Verfahren demnach grundsätzlich auch für nicht zur Mensch-Roboter-Kollaboration der Stufen 3 konzipierte Roboter anwendbar.
Zur Integration in bestehende Anlagen sind lediglich der zu optimierende Roboter, ein gewöhnlicher Computer, eine Stereo-Kamera und eine Netzwerkanbindung zur Kommunikation notwendig. Sollte demnach bereits ein Arbeitsplatz zur Mensch-Roboter-Kollaboration vorhanden sein, der für verschiedene Personen hinsichtlich einer ergonomischen Körperhaltung optimiert werden soll, ist das Verfahren einfach nachzurüsten.
Einsatz bei AIMEN Centro Technológico
Eingesetzt und technisch-funktionell validiert wurde das Verfahren beim AIMEN Centro Technológico in Spanien, einem Technologiezentrum im Bereich fortschrittlicher Fertigungstechnologien. In der Anwendung wird dort ein metallenes, ca. 10 kg schweres Werkstück 3D-gedruckt, von einem Standard-Industrieroboter (ABB IRB 6660) aus der Fertigungsmaschine geholt und festgehalten, um von einer Arbeitskraft nachbearbeitet zu werden. Die Nachbearbeitung besteht aus dem Abtrennen von Stützstrukturen und anschließender Herausnahme durch die Arbeitskraft. Während dieses Prozesses hält der Roboter das Werkstück in einer festen Position (➥ Abb. 4).
Das System wurde anhand von zwei unterschiedlich großen Personen ausgewertet (Person A ca. 1,70 m, Person B ca. 1,90 m). ➥ Abbildung 5 zeigt den Verlauf der Ergonomiekosten für beide Personen bei drei unterschiedlichen Roboterpositionen. Im herkömmlichen, nichtadaptiven Prozess fährt der Roboter immer in dieselbe Position, egal welche Person das Werkstück bearbeiten soll. Dieser Prozess wird durch eine „niedrige“ und eine „hohe“ Roboterposition abgebildet, wobei sich das Werkstück jeweils auf Höhe der Ellenbogengelenke der kleineren Person A (niedrig), beziehungsweise der größeren Person B (hoch) befindet. Während die hohe Roboterposition (gelb) zu guten Ergonomiewerten bei der großen Person B führt, sind diese hoch und damit ungeeignet für Person A. Für die niedrige Roboterposition (blau) verhält es sich umgekehrt.
Die Anwendung der adaptiven Roboterhaltung (grün) fährt der Roboter dagegen je nach Arbeitskraft automatisch in eine individuell optimierte Position. Das wirkt sich auf die Ergonomiekosten aus: Der grüne Graph zeigt für beide Personen einen niedrigen Verlauf, es wird eine günstige ergonomische Körperhaltung für beide Personen sichergestellt.
Im Vergleich zur statischen, ergonomisch ungünstigen Roboterposition wird für Person A eine Verbesserung um 52 % und für Person B um 24 % bei den mittleren Ergonomiekosten erreicht. Eine Ausweitung auf mehr als zwei Personen ist problemlos möglich, wobei für jede eine individualisierte Roboterhaltung vollautomatisch erstellt wird.
Bei den Tests wurden zwei verschiedene Kamerasysteme, die StereoLabs ZED 2i und Microsoft Kinect getestet, wobei keine wesentlichen Unterschiede im Systemverhalten beobachtbar waren.
Fazit und Ausblick
Moderne Robotersysteme sind in der Lage, konstruktionsbedingt oder durch Steuerungstechnik mit dem Menschen zusammenzuarbeiten. Die Zusammenarbeit kann sogar zur Erhöhung der Ergonomie genutzt werden, indem Bauteile immer in korrekter Höhe relativ zur individuellen Person ausgerichtet werden.
Das hier vorgestellte System wurde erfolgreich in einem Feldversuch erprobt, wobei sich Verbesserungen der Ergonomie auf Basis der vorgestellten Berechnung bei einer Mensch-Roboter Kollaboration um mehr als 24 % erreichen ließen.
Der hier erprobte Ansatz betrachtet – hinsichtlich der Ergonomie – ausschließlich die Körperhaltung. Weitere Aspekte der Ergonomie wie zum Beispiel Umgebungsbedingungen wie Lärm, Monotonie usw. müssen bei der Arbeitsplatzgestaltung weiterhin berücksichtigt werden. Die Ergonomiebewertung und anschließende Validierung basieren dabei auf Kriterien nach DIN 1005-4 und ISO 11226. Da das Optimierungsverfahren bewusst anpassbar entwickelt wurde, können auch andere Bewertungsmethoden, beispielsweise Rapid Upper Limb Assessment (RULA), genutzt werden. Der Einfluss der Ergonomiekostenfunktion auf die Qualität der berechneten Roboterhaltung ist dabei höher als der Nutzen durch bessere Kameratechnik.
Die fortlaufende Bewertung der Ergonomie über die Kamera kann auch für andere Anwendungsfälle ohne Roboter genutzt werden. Die automatisierte Erfassung, Auswertung und Dokumentation der Körperhaltung von verschiedenen Personen erlauben eine anonymisierte Beurteilung des Arbeitsplatzes. Das Verfahren zur Optimierung der Ergonomiekosten kann ebenfalls unabhängig zur Verbesserung von Arbeitsplätzen genutzt werden. Eine automatisierte Empfehlung von Tischhöhe oder Arbeitsbereich, an unterschiedliche Personen angepasst, vermeidet dauerhaft ergonomisch ungünstige Haltungen.
Schließlich erlaubt das Gesamtsystem aus Kamera, Roboter und Ergonomie-Software eine gesündere Mensch-Roboter Interaktion mit sehr wenig Einrichtungsaufwand auch für mehrere Arbeitsplätze gleichzeitig.
Danksagung: Dieses Projekt wurde mit Mitteln des Forschungs- und Innovationsprogramms Horizont 2020 der Europäischen Union im Rahmen des Fördervertrags Nr. 101058521 – CONVERGING – unterstützt.
Interessenkonflikt: Die Autoren geben an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.