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Wie die Pandemie den betriebsmedizinischen Alltag nachhaltig verändert

COVID-19: Praktisches Pandemiemanagement an einem Standort der chemischen Großindustrie

Pandemieplanung und Wirklichkeit

Als größtes zusammenhängendes Chemieareal der Welt mit etwa 110 integrierten Produktionsbetrieben und über 33.000 Beschäftigten wurde am BASF-Standort Ludwigshafen nicht zuletzt nach den zurückliegenden SARS- und MERS-Pandemien und den regionalen Ebola-Vorfällen 2014 ein umfangreicher Pandemie-Managementplan vorgehalten.

Nach seiner Aktivierung durch den Globalen Krisenmanagementstab der BASF zeigte sich, dass Anpassungen des Pandemiemanagements an die speziellen Charakteristika der pandemischen COVID-19-Infektion mit ihrer vergleichsweise hohen Kontagiosität und hohen Rate an milden bis moderaten Verläufen nötig waren.

Ausgehend von einer Pandemie mit deutlich höherer Mortalitätsrate, die mit Drosselung und Abstellung kritischer Produktionseinheiten einhergehen sollte, erforderte die aktuelle Pandemie mit ihren drohenden Auswirkungen, wie massenhafte, kurzfristige Arbeitsunfähigkeit, neben der Infektionsvorbeugung am Standort und somit einer Aufrechterhaltung der Produktionsfähigkeit ein Zusammenspiel von umfangreichen Hygienemaßnahmen, um sowohl einen Eintrag der Infektion in den Betrieb als auch die unkontrollierte Ausbreitung der Infektion unter der Belegschaft zu verhindern.

Nach der Pandemie ist nicht wie vor der Pandemie

Corporate Health Management übernimmt am BASF-Standort Ludwigshafen als werksärztliche Abteilung neben der arbeitsmedizinischen Versorgung aller Beschäftigten die Notfallversorgung durch Organisation des werkseigenen Rettungs- und Notarztsystems sowie der Werksambulanzen, aber auch Aufgaben der Gesundheitsförderung, des betrieblichen Gesundheitsmanagements sowie eine Vielzahl spezialisierter Leistungen wie humantoxikologische Beratung, humanes Biomonitoring und Industrial Hygiene.

Bereits im Februar 2020 zeigte sich der steigende Bedarf nach strukturierter und tagesaktueller Beantwortung von Anfragen zu Themen wie COVID-19 sowie Hygiene- und Quarantäneregeln seitens der Belegschaft und des Managements. Ebenso mussten beratungsintensive Schnittstellen beispielsweise zu HR (Human Ressource) und der Standortkommunikation bedient werden. Dies machte neben einer rund um die Uhr erreichbaren und mit ärztlichem sowie medizinischem Fachpersonal besetzten Corona-Hotline, die Einrichtung einer zentralen Plattform für Falldokumentation und Einzelfallnachverfolgung sowie Schnittstellenkommunikation mit lokalen und überregionalen Gesundheitsbehörden nötig. Diese personalintensiven Aufgaben aus dem arbeitsmedizinischen Routinebetrieb erforderten tiefgreifende Veränderungen im bisherigen Tätigkeits- und Angebotsspektrum des betriebsärztlichen Dienstes sowie kurzfristige und grundlegende Umstrukturierungen des Personalmanagements der betriebsärztlichen Abteilung.

Um den umfangreichen Hygienemaßnahmen und der gebotenen Kontaktreduktion zu entsprechen und benötigte Ressourcen freizusetzen, wurden sämtliche arbeitsmedizinischen Angebots- und Wunschvorsorgen sowie umfangreiche Angebote der betrieblichen Gesundheitsförderung ausgesetzt und nur zentrale Aufgaben wie akute betriebliche Probleme, die Notfallversorgung der Beschäftigten, Wiedereingliederungsmaßnahmen nach längeren Erkrankungen und arbeitsmedizinische Pflichtvorsorgen aufrechterhalten. Diesen Vorsorgerückstand aufzuholen, wird eine der größeren Herausforderungen der Post-Pandemiephase.

Abb. 2:  Grafische Aufarbeitung des Infektionsgeschehens um den Standort Ludwigshafen. Momentaufnahmen über ca. 7 Wochen (eigene Darstellung)

Abb. 2: Grafische Aufarbeitung des Infektionsgeschehens um den Standort Ludwigshafen. Momentaufnahmen über ca. 7 Wochen (eigene Darstellung)

Corona-Taskforce: Infektionsnachverfolgung und Kommunikationsplattform

Unter diesem neuen Anforderungsprofil etablierte sich die aus ärztlichem, medizinisch-technischem und Verwaltungspersonal bestehende Corona-Taskforce.

Kernaufgabe ist die interne Dokumentation und Nachverfolgung von Infektionsfällen am Standort sowie das Erkennen und Unterbrechen von möglichen Infektionsketten. Außerdem erfolgt ein kontinuierliches Monitoring des Pandemieverlaufs in den umliegenden Regionen sowie europäischer Nachbarländer (beispielsweise typische Reiseziele zum Zeitpunkt gelockerter Einschränkungen im Spätsommer 2020). Hierbei leisten unterstützende Maßnahmen der Standort-IT unter Nutzung komplexer Rechenmodelle einen wichtigen Beitrag zur Schaffung eines realistischen und tagesaktuellen Lagebildes im Werk und in der Umgebung (➥ Abb. 2).

Neben der Möglichkeit der persönlichen Beratung durch die Corona-Hotline kann in enger Abstimmung mit regionalen Gesundheitsbehörden eine effektive Containment-Strategie aufrechterhalten werden, insbesondere als die Ressourcen der lokalen Gesundheitszentren zur Einzelnachverfolgung und Infektkettenunterbrechung durch die massiv steigenden Infektionszahlen am Jahresende eingeschränkt waren. In diesem Zeitraum konnten die Gesundheitsämter der drei an den BASF-Standort Ludwigshafen angrenzenden Städte und Kreise durch die personell weiter verstärkte Corona-Taskforce entlastet werden.

Zusätzlich ermöglicht umfassende Dokumentation und persönlicher Kontakt die psychosoziale Betreuung von betroffenen Mitarbeitern und deren Angehörigen.

Maßnahmen zum Infektionsschutz

In Abstimmung mit allen beteiligten Einheiten wurden, gemäß der Verantwortung des Unternehmens und basierend auf den Ergebnissen umfassender Gefährdungsbeurteilungen im Rahmen des Infektionsschutzes technische, organisatorische sowie personenbezogenen Maßnahmen des Infektionsschutzes nach dem (TOP-Prinzip) implementiert (s. „Weitere Infos“). Die gemäß SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard durchgeführten Gefährdungsbeurteilungen aller Arbeitsplätze resultierten in einem Ampelsystem, das den gezielten Einsatz von notwendigem Personal auch bei Vorliegen von gesundheitlichen Risikokonstellationen ermöglichte.

So wurden in Bereichen mit hohem Publikumsverkehr (Warenausgaben, Anmeldungen) immer dort distanzschaffende und transparenteinhausende Maßnahmen (z.B. Plexiglasschilde) ergriffen, wo auf anderem Wege der erforderliche Mindestabstand nicht eingehalten werden konnte.

Umfassende Nutzung und Unterstützung von mobilem Arbeiten und Homeoffice trugen als organisatorische Maßnahmen zusammen mit dem Verzicht auf Präsenzveranstaltungen zugunsten digitaler Lösungen zum Ziel der größtmöglichen Kontaktvermeidung bei.

An Stellen, an denen vorgelagerte Infektionsschutzmaßnahmen nicht umgesetzt werden konnten, stellte die persönliche Schutzausrüstung, zum Beispiel MNS-Masken, einen zentralen Punkt dar. Sich ändernde Ergebnisse des wissenschaftlichen Diskurses führten hier zu wiederholten Anpassungen der Regelungen im Werk (z.B. Beurteilung von Gesichtsschilden und internationalen Maskenstandards wie KN 95, Leistungsmerkmale von Lüftungsanlagen).

Im Kontext tausender Urlaubs- und Homeoffice-Rückkehrer in den Sommermonaten und nach Abklingen der ersten Corona-Welle ermöglichten multiprofessionelle Gefährdungsbeurteilungen und das Ampelsystem eine, wo nötig, sichere und geordnete Rückkehr der Belegschaft an den Arbeitsplatz.

Hauptziel: Kontrolle und Vermeidung ­innerbetrieblicher Infektionsgeschehen

Neben umfangreicher Kommunikation der Standort-Hygieneregeln, die sich an den allgemeinen AHA-L-Regeln (Abstand, Händehygiene, Alltagsmaske und Lüften) orientieren, war die Vermittlung von Kenntnissen über Symptome und Prodromalzeichen einer SARS-CoV-2-Infektion in der Belegschaft die Voraussetzung zur verpflichtenden Anordnung bei Vorliegen selbst milder Erkältungszeichen bis hin zu der Anordnung, zu Hause zu bleiben (s. „Weitere Infos“).

Durch die konsequente Umsetzung der Ziele,

  • Anwesenheiten auf dem Werksgelände zu reduzieren und,
  • bei zwingend erforderlicher Anwesenheit, den bestmöglichen Schutz sowie die Vermeidung von Risikokontakten bei noch unerkannter Infektion zu gewährleisten,
  • mussten und müssen über den gesamten Pandemieverlauf nur geringe standortinterne Infektionsverläufe nachverfolgt werden. Unter strikter Einhaltung der Standortregeln, bewusst zurückhaltender und rein anlassbezogener Testung wird ein kostenintensiver und nicht risikofreier Einsatz von Corona-Tests umgangen. Aktuelle, politische Forderungen und Appelle sowie die damit verbundene betriebsseitige Bereitstellung von Corona-Antigen-Selbsttest sind ein Beispiel für die Vielzahl kurzfristig nötiger Anpassungen.

    Fazit

    Der Wandel wissenschaftlicher Erkenntnisse sowie politischer und föderaler Vorgaben im Verlauf der aktuellen Pandemie stellt betriebsbetreuende Arbeitsmedizinerinnen und -mediziner in Deutschland vor große Herausforderungen. Die Umsetzung der Pandemieplanung und bedarfsabhängige Korrekturen in einem hochdynamischen Umfeld sich rasch ändernder Rahmenbedingungen zu gewährleisten, bedarf präziser Kommunikation und Erwartungsmanagement gegenüber allen Beteiligten.

    Der Drang nach breiten und sich wiederholenden Testkonzepten, aber auch Implikationen von Quarantänebestimmungen, Gefährdungsbeurteilungen und Hygieneregeln bedürfen einer ständigen arbeitsmedizinischen Neueinordnung. Eine durch Maßnahmen wie die Einrichtung einer Corona-Taskforce mit hohem personellem und organisatorischem Aufwand ermöglichte bestmögliche Lagebeurteilung in Verbindung mit dem strikten Umsetzen von Infektionsschutzmaßnahmen stellt die Grundlage des bis heute erfolgreichen Pandemiemanagements am BASF-Standort Ludwigshafen dar.

    Zweifellos bedarf es bereits jetzt einer Pflege und Anpassung bestehender Pandemiepläne. Fehlende Verfügbarkeit von medizinischem Verbrauchs- und Desinfektionsmaterials sowie die Einbindung umfassender, auch betrieblicher Impfkonzepte und die Bedeutung von Kommunikationskonzepten sind nur einige der gelernten Lektionen.

    Der Ausblick im April 2021 zeigt die großen Hoffnungen, die auf einer schnellen Umsetzung des Impfkonzepts liegen. Während politische Diskussionen über die unterschiedlichen Möglichkeiten niedergelassener Fachärzte und betriebsärztlicher Beiträge anhalten, wurde aufgrund weit fortgeschrittener Planungen im März 2021 ein BASF-Impfzentrum auf dem Werksgelände behördlich zugelassen. Unter strenger Beachtung geltender Priorisierungsgrundsätze wird BASF am Standort Ludwigshafen einen Beitrag zur Entlastung der öffentlichen Impfstruktur leisten. Themen wie eine Rückkehr in einen neuen „Normalbetrieb“, Nachholung verschobener Aufgaben und nicht zuletzt anstehende Themen wie die kommende saisonale Grippewelle, werden die zweite Jahreshälfte bestimmen. Aber auch die Anpassung bestehender Pandemiepläne unter Würdigung der aktuell gelernten Lektionen wird im Nachgang diese Pandemie von Nöten sein.

    Interessenkonflikt: Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

    Weitere Infos

    Bundesministerium für Arbeit und Soziales: SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard, Stand 16.04.2020
    https://www.bmas.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/einheitlicher-arb…

    Frambach D, Oberlinner C: SARS-CoV-2 Schutzmaßnahmen: Industrie. Bremen, 2020
    https://www.public-health-covid19.de/images/2020/Ergebnisse/Frambach_-_…

    Robert Koch-Institut (RKI): Antworten auf häufig gestellte Fragen zum Coronavirus SARS-CoV-2/Krankheit COVID-19
    https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/gesamt.html

    Kontakt

    Dr. med. Ralf Beschmann
    Corporate Health Management, BASF SE ; H 308, Carl-Bosch-Str. 38 ; 67056 Ludwigshafen

    Foto: privat

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