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Zahnmedizinische Prävention

Zahnmedizinische Prävention im Öffentlichen Gesundheitsdienst

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Aktuelle Konzepte und Herausforderungen

Dental Prevention in the Public Health Service – Current Concepts and Challenges

Einleitung

Der Präventionserfolg in der Zahnmedizin wird als einer der großen Erfolge im Bereich Public Health angesehen. Dennoch gehören Karies und Parodontitis immer noch zu den am weitesten verbreiteten chronisch-degenerativen Erkrankungen (Vos et al. 2017). Wie in anderen Public-Health-Bereichen zeigt sich auch hinsichtlich der Verteilung der Karies eine deutliche soziale Ungleichheit. Die Kariespolarisation (Jordan et al. 2016), also die Tatsache, dass nur wenige Personen den Hauptteil der kariösen Läsionen auf sich vereinigen, trifft vor allem Menschen mit niedrigem sozioökonomischem Status (SES). Der Deutsche Arbeitskreis für Jugendzahnpflege spricht sogar von einer „sozialen Erkrankung“ (Team DAJ 2017), da der Sozial- und Bildungsstatus zum Indikator für den Kariesbefall werde. Damit einhergehen hohe Kosten für das Krankenversicherungssystem (Bauer et al. 2009). Gleichzeitig ist Karies eine größtenteils vermeidbare Erkrankung, so dass deren Reduktion ein hoher Stellenwert in der Gesundheitspolitik zukommen sollte.

Auch ist inzwischen anerkannt, dass Mundgesundheit nicht alleinstehend, sondern als wichtiger Bestandteil allgemeiner Gesundheit betrachtet werden muss, zumal sich für orale Erkrankungen wie für einige andere chronische Erkrankungen (Tabak, Adipositas, Alkohol) die gleichen Risikofaktoren identifizieren lassen (WHO 2021; Sheiham u. Watt 2000).

Zahnmedizinische Präventions­strategien und Gruppenprophylaxe im Rahmen des Marburger Modells

Karies gilt als eine multifaktorielle Erkrankung, wobei das Zusammenspiel aus Karies verursachenden Bakterien, ungenügender Mundhygiene und häufigem Zuckerkonsum als wichtigste Auslöser gelten (Makuch u. Reschke 2019). Dies führte in der Vergangenheit dazu, dass verhaltenspräventiven Strategien eine hohe Bedeutung zugewiesen wurden, obwohl inzwischen der starke Einfluss von strukturellen, sozioökonomischen und kommerziellen Einflussfaktoren auf den Kariesbefall allgemein anerkannt ist (Peres et al. 2019, s. ➥ Abb. 1).

Hinsichtlich der Strategien zur Prävention der Karies können, bezogen auf den Zugangsweg, populations- und individuenbezogene sowie gruppen- beziehungsweise settingspezifische Interventionsstrategien unterschieden werden. Dabei basieren alle zahnmedizinischen Präventionsstrategien zur Kariesprophylaxe auf folgenden fünf Maßnahmen (Geurtsen et al. 2016):

  • Ernährungslenkung
  • Entfernung von Zahnbelag
  • Fluoridierungsmaßnahmen
  • Regelmäßige Zahnarztbesuche
  • Fissurenversiegelung (Versiegelung der risikobehafteten Vertiefungen der Zähne mit Kunststoff)
  • Als effizienteste Maßnahme hat sich bisher die Fluoridierung erwiesen, wobei die Kombination verschiedener Fluoridierungsmaßnahmen (z. B. Kochsalz, Zahnpasta, Gelee) am effektivsten ist (Marinho 2009).

    Um eine flächendeckende Umsetzung dieser Maßnahmen schon im Kindesalter zu ermöglichen und die Zahngesundheitskompetenz der Bevölkerung nach und nach zu verbessern, wurde 1988 die Gruppenprophylaxe mit § 21 im SGB V gesetzlich verankert und um Leistungen zur Individualprophylaxe (§ 22 SGB V, z. B. Fissurenversiegelung) ergänzt.

    Die zahnmedizinische Gruppenprophylaxe ist das reichweitenstärkste Präventionsprogramm für Kinder und Jugendliche in Deutschland und trägt wesentlich zur Verbesserung der Chancengleichheit bei. Ein Konzept, das von den Krankenkassen als Best-Practice-Modell für eine effektive Gruppenprophylaxe angesehen wird, ist das „Marburger Modell“, das Anfang der 80er Jahre in Marburg entwickelt wurde. Es bietet eine aufsuchende, bedarfsorientierte, settingbezogene Präventionsstrategie (im zahnmedizinischen Fachjargon: Prophylaxe) für Kinder von 0 bis16 Jahren im gesamten Landkreis Marburg-Biedenkopf (Born 2008). Das Modell sieht, wie in § 21 SGB V gefordert, Maßnahmen zu Zahnputztraining, Ernährungsberatung, Fluoridierung und zahnärztlicher Untersuchung vor. In Schulen mit einer hohen Kariesprävalenz wird eine sogenannte Intensivprophylaxe mit engmaschigeren Intervallen zu Gesundheitsinformation und Fluoridierung umgesetzt. Außerdem werden in Kindergärten mit erhöhter Kariesprävalenz zusätzlich zu den normal stattfindenden Untersuchungen ebenfalls Fluoridierungen angeboten. Es werden Multiplikatoren wie zum Beispiel Hebammen und Tagesmütter geschult sowie Beratungen im Rahmen von Eltern-Cafés oder Krabbelgruppen durchgeführt. Das Marburger Modell wurde mehrmals evaluiert und weiterentwickelt (Pieper et al. 2015, 2013, 2011; Momeni et al. 2005). Die Vorteile liegen in einer effektiven und effizienten Fluoridtouchierung bei gleichzeitigem Angstabbau durch das minimal-invasive Vorgehen. Die Eltern werden per Brief über notwendige Behandlungen informiert; dadurch zeigt sich neben einem verbesserten Sanierungsgrad auch eine vermehrte Inanspruchnahme individualprophylaktischer Leistungen.

    Aktuelle Herausforderungen hinsichtlich der Gruppenprophylaxe in Deutschland

    Fluoridierungsrate

    Die Ergebnisse des Marburger Modells werden durch internationale Studien bestätigt. Die Wirksamkeit von Fluoridtouchierungsprogrammen ist erwiesen (Marinho et al. 2013). Dennoch ist eine flächendeckende Fluoridierung, wie von Gesetzgeber (§ 21 SGB V) und Krankenkassen (Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Krankenkassen 2000) gefordert, aktuell nicht gegeben. Die Fluoridierungsrate in der Gruppenprophylaxe in Grundschulen lag schon vor der Corona-Pandemie in Gesamtdeutschland bei nur 18 % (Deutscher Arbeitskreis für Jugendzahnpflege 2019), obwohl sie hinsichtlich Kosteneffi­zienz und Erreichbarkeit aller Schülerinnen und Schüler deutliche Vorteile gegenüber der Individualprophylaxe besitzt (Splieth 2006). Trotzdem scheint von manchen sogar ein weiterer Abbau gruppenprophylaktischer Maßnahmen gefordert zu werden, da die Gesamtwerte hinsichtlich der Mundgesundheit der 12-jährigen Schülerinnen und Schüler im internationalen Vergleich an der Spitze liegen (Splieth 2006). Dabei sollte jedoch bedacht werden: Karies ist gesamtgesellschaftlich nur kontrolliert und nicht beseitigt (Strippel 2018). Ein Abbau prophylaktischer Maßnahmen beinhaltet also das Risiko, dass auch infolge gesellschaftlicher Transformationsprozesse mit zum Beispiel verändertem Ernährungsverhalten die Kariesprävalenz wieder zunimmt beziehungsweise die gesundheitliche Chancengleichheit weiter reduziert wird.

    Sanierungsgrad

    Bei den jährlichen Reihenuntersuchungen wird teilweise festgestellt, dass trotz Elterninformation keine Sanierung der kindlichen Karies erfolgt. Dies betrifft besonders Kinder der Hochrisikogruppe. Auch in der DAJ-Studie von 2017 wurde festgestellt, dass besonders der Sanierungsgrad der Milchzahnkaries verbesserungswürdig ist. Auffällige zahnmedizinische Befunde, die über einen längeren Zeitraum bestehen, können ein erster Hinweis auf Vernachlässigung des Kindes sein und werden in der Kinderschutzleitlinie als Frühindikator aufgeführt (Kinderschutzleitlinienbüro 2019). Verschiedene Kreise und das Bundesland Brandenburg haben dafür spezielle Controlling-Programme eingeführt (Brandenburgisches Gesundheitsdienstgesetz § 6 Abs. 3), um über gesonderte Anschreiben an die Eltern Unterstützung und Beratung anzubieten und dadurch die zahnärztliche Versorgung und gesundheitliche Chancengleichheit der Kinder zu verbessern.

    Im Sinne des Kinderschutzes ist es nötig, sich damit auseinanderzusetzen, wie in den jeweiligen Gesundheitsämtern beziehungsweise Bundesländern ein Controlling-Programm gestaltet sein sollte und etabliert werden könnte.

    Verbesserung der Gesundheitskompetenz und Reduktion der sozialen Ungleichheit

    Gleichzeitig sollte in der Gruppenprophylaxe über neue Konzepte zur Verbesserung der Gesundheitskompetenz und der Reduktion sozialer Ungleichheit nachgedacht werden.

    Denn wie beim Marburger Modell auch (Weber 2010) zeigen Übersichtsarbeiten, dass die gefundenen Effekte gesundheitserzieherischer und verhaltensmodifizierender Maßnahmen in der Gruppenprophylaxe sehr heterogen sind und es aktuell kein valides Konzept zur Verbesserung der Gesundheitskompetenz gibt (de Silva et al. 2016; Meyer-Lückel u. Schiffner 2009). Als erfolgversprechend haben sich Konzepte erwiesen, die eine aufsuchende, früh beginnende Betreuung (Meyer et al. 2009) und/oder angeleitete Zahnputzübungen, besonders unter Einbeziehung der Eltern oder der Lehrerinnen und Lehrer, aufweisen (Pine et al. 2007, 2004; Ekstrand 2005; Trummler u. Weiss 2000; Guindy et al. 2000). Auch Techniken der motivierenden Gesprächsführung scheinen erfolgversprechend zu sein (Weinstein et al. 2006). Neuere Ansätze sehen zukünftig auch Potenzial in der Nutzung von Apps zur Mundgesundheitsförderung (Xiao et al. 2021), jedoch werden bei allen verhaltensmodifizierenden Methoden Kosteneffizienz und Nachhaltigkeit strittig diskutiert.

    Dennoch sind Ansätze zur Verhaltens­modifikation beziehungsweise Steigerung der Gesundheitskompetenz ein wichtiger Faktor, um eine intrinsische Motivation bei den Heranwachsenden zu erzielen, sie zu einer effektiven Mundhygiene zu befähigen und dadurch die Erfolge von Gruppen- und Individualprophylaxe auch im Erwachsenenalter zu erhalten (Pieper et al. 2011). Hier sollten anhand des bereits bestehenden Wissens neue Konzepte zusammen mit Fachleuten für Gesundheitskommunikation, pädagogischen Fachkräften sowie Erzieherinnen und Erziehern entwickelt, wissenschaftlich begleitet und evaluiert werden, um effizientere Konzepte zur Verhaltensmodifikation in der Gruppenprophylaxe zu entwickeln.

    Im Hinblick auf das Risikofaktorenmodell zur Mundgesundheit und aktuelle Konzepte zu einer nachhaltigen Verhaltensänderung (Michie et al. 2011; s. ➥ Abb. 2), muss jedoch klar sein, dass die Schwerpunkte einer effektiven Gruppenprophylaxe verstärkt auf verhältnispräventive Maßnahmen gerichtet werden sollten. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) verweist in einem Grundsatzpapier zur oralen Gesundheit auf die zugrunde liegenden sozialen und wirtschaftlichen Determinanten, die zu gesundheitlicher Ungleichheit führen, und mahnt, „die Ursachen, nicht die Symptome in Angriff zu nehmen“ (Kwan u. Petterson 2010). Dabei sollten die Konzepte nicht nur allein auf die Förderung einer (zahn)gesunden Ernährung in Kita und Schule, sondern auf eine verstärkte interprofessionelle Zusammenarbeit mit allen Multiplikatoren im Bildungs- und Erziehungsbereich ausgerichtet werden. Der Ausbau von Ganztagsschulen könnte so genutzt werden, um beispielsweise in Schulen mit erhöhter Kariesprävalenz vermehrt regelmäßige Zahnputzübungen zu etablieren und/oder insgesamt das Thema (Zahn)Gesundheit – wie schon vielfach gefordert (Bundesärztekammer 2023; Sachverständigenkommission Dreizehnter Kinder- und Jugendbericht 2009) – stärker in Lehrplan und Schulkonzept einzubauen. Zudem sollte in Quartieren mit hohem Anteil von Menschen mit niedrigem SES die Zusammenarbeit mit Kinderärztinnen und -ärzten, niedergelassenen Zahnärztinnen und -ärzten sowie anderen Multiplikatoren oder der mancherorts schon vorhandenen Präventionskoordination genutzt werden, um ganzheitlich gesundheitsförderliche Lebenswelten zu schaffen und so Synergieeffekte zu generieren. Wenn der Öffentliche Gesundheitsdienst sich als umsetzendes und koordinierendes Organ effektiver Präventionsstrategien versteht, muss er für eine Prävention eintreten, die nicht nur risikogruppenorientierte Strategien verfolgt und umsetzt, sondern sich auch für breite bevölkerungsorientierte Strategieansätze stark macht, wie Reduktion des Zuckerkonsums durch zum Beispiel eine Zuckersteuer (Heilmann u. Ziller 2021), gesetzliche Verankerung von Mundgesundheitsmaßnahmen auch im Kita-Bereich und verstärkte Maßnahmen im Bildungsbereich. Denn die Kombination aus gerichteter Risikofaktorenstrategie, die vermehrt Settings mit höherem Risiko in den Blick nimmt, und Bevölkerungsstrategie wird als aussichtsreichste Option zur Verbesserung gesundheitlicher Chancengleichheit benannt (Watt 2005).

    Folgen der Corona-Pandemie

    Die weiter oben geforderte vermehrte inter­professionelle Zusammenarbeit hat auch deshalb eine hohe Bedeutung, weil durch die Corona-Pandemie vermeintlich etablierte Präventionsmaßnahmen zum Erliegen kamen und insgesamt das Risiko einer schlechteren kind­lichen (Mund)Gesundheit infolge der Pandemie besteht. Dafür spricht, dass die Gruppenprophylaxe während der rund drei Jahre dauernden Pandemie fast vollständig zum Erliegen kam. Die Kinder zeigten während der Pandemie ein ungesünderes Mundhygiene- und Ernährungsverhalten (Koletzko et al. 2021) und es wurden weniger Vorsorgeunter­suchungen durchgeführt (Heidemann et al. 2022). Ein weiteres Problem ist, dass sich manche Kindertagesstätten mit der Wiederaufnahme der Zahnputzübung in den Gruppen schwertun. Hier ist Unterstützung von Nöten, um frühzeitige Übung und Gewohnheitsbildung in den Kitas wieder zu etablieren. Gleichzeitig können die Daten der Reihenuntersuchungen und eine detaillierte Gesundheitsberichterstattung als Grundlage dienen, um die Mundgesundheit nach der Pandemie zu bewerten und die Konzepte der Gruppenprophylaxe zu überarbeiten, auch um in Hinblick auf zukünftige Pandemien gerüstet zu sein.

    Pflegebedürftige Menschen als neue Aufgabe des zahnärztlichen ÖGD?

    Die Corona-Pandemie hat gezeigt: Den (Zahn-)Ärztinnen und Ärzten des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) obliegt als wichtige Aufgabe der Gesundheitsschutz der Bevölkerung und insbesondere der Schutz vulnerabler Gruppen. Der demografische Wandel mit stetig steigenden Zahlen an Pflegebedürftigen hat eine wachsende vulnerable Gruppe geschaffen, bei der Defizite hinsichtlich der Mundgesundheit festzustellen sind (Nitschke u. Micheelis 2016).

    Ebenso wie bei Kindern zeigt sich bei vielen Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderung, dass sie ihre Mundgesundheit nicht (mehr) allein aufrechterhalten können. 43 % aller Pflegebedürftigen haben eine stark reduzierte oder keine Mundhygienefähigkeit mehr. Sie sind auf Hilfe bei der Mundhygiene angewiesen. Damit einhergehend ist auch der Behandlungsbedarf bei diesen Gruppen höher, der Versorgungsgrad jedoch niedriger als bei Patientinnen und Patienten ohne Pflegegrad (Nitschke u. Micheelis 2016).

    Aus diesen Gründen könnte zukünftig auch die Zahngesundheit von Menschen mit Behinderung und/oder Pflegebedürftigkeit ein Aspekt der Arbeit von Zahnärztinnen und -ärzten im ÖGD sein. Aus den genannten Defiziten würden sich zwei Handlungsaufträge ergeben: Zum einen sollte die Verbesserung der zahnmedizinischen Pflegekompetenz von Pflegefachkräften wie auch Angehörigen in Angriff genommen werden, damit sie hinsichtlich der Unterstützung der Pflegebedürftigen bei der Mundhygiene sensibilisiert, befähigt und motiviert werden. Zahnärztinnen und -ärzte des ÖGD könnten zum Beispiel mittels niedrigschwelliger und praxisnaher Schulungen die Prävention im stationären und ambulanten Bereich stärken. Hier sind mit dem Expertenstandard zur Mundgesundheit in der Pflege (Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege 2023) sowie unterstützenden Angeboten durch engagierte Organisationen (www.mund-pflege.net, o.D.) bereits passende Arbeitsmaterialien vorhanden.

    Zum anderen könnten kommunale Zahnärztinnen und Zahnärzte beim Aufbau von Versorgungspfaden und Präventionsketten Hilfestellung leisten. So könnten sie die verschiedenen Sektoren (stationär/ambulant, Pflege/Medizin/Zahnmedizin) durch koordinierende und steuernde Maßnahmen untereinander besser vernetzen und dadurch niedrigschwellige Präventions- und Versorgungsstrukturen mit reduzierter Schnittstellenproblematik ermöglichen.

    Fazit

    Die Zahnärztlichen Dienste des öffentlichen Gesundheitsdienstes haben eine Schlüsselrolle in der Umsetzung und Weiterentwicklung effizienter zahnmedizinischer Präventionsstrategien. Sie sind zum einen an der Umsetzung der Gruppenprophylaxe federführend beteiligt und gleichzeitig auch mit einer koordinierenden Funktion bezüglich Gesundheitsschutzes und Gesundheitsförderung der Bevölkerung beauftragt.

    Die obigen Ausführungen belegen, dass die settingorientierte Gruppenprophylaxe wichtig zur Verbesserung der gesundheitlichen Chancengleichheit ist, jedoch noch Verbes­serungsbedarf hinsichtlich der flächendeckenden Umsetzung, der Forcierung verhältnis­präventiver Strategien sowie der Entwicklung und Evaluation neuer Methoden und Maßnahmen zur Verbesserung der Gesundheitskompetenz vulnerabler Gruppen besteht.

    Hier gilt es, die verschiedenen Gesundheitsprofessionen und Multiplikatoren stärker zu vernetzen, um den Wissenstransfer untereinander zu verbessern und dadurch gemeinsam neue Konzepte zu entwerfen, Synergieeffekte zu schaffen und effektivere Konzepte für Hochrisikogruppen zu entwickeln. Auch eine effektive Gesundheitsberichterstattung und Evaluation von Maßnahmen, zum Beispiel durch eine Zusammenarbeit mit der Präventions- und Versorgungsforschung, sollte vorangebracht werden. Eine bessere interprofessionelle Zusammenarbeit mit evidenzbasierten Konzepten könnte letztendlich auch ermöglichen, mit vereinter Stimme zu sprechen und mehr Gehör hinsichtlich der Reduktion kommerzieller und anderer Risikofaktoren zu erhalten, um so auch populationsbasierte Präventionsstrategien voranzutreiben.

    Interessenkonflikt: Die Autorinnen geben an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.

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    Abb. 2:   Das COM-B-Modell (nach Michiee et al. 2011)

    Abb. 2: Das COM-B-Modell (nach Michiee et al. 2011)

    Kernaussagen

  • Die zahnmedizinische Gruppenprophylaxe ist ein kostengünstiges und bewährtes Konzept zur Verbesserung der gesundheitlichen Chancengleichheit von Kindern und Jugendlichen.
  • Handlungsbedarf besteht hinsichtlich einer Verbesserung von Fluoridierungsrate, Sanierungsgrad und Gesundheitskommunikation, um die Risikogruppen noch besser zu erreichen. Zudem sollten die vorhandenen Konzepte stärker auf die Umsetzung verhältnispräventiver Maßnahmen in den Settings Kita und Schule ausgerichtet werden.
  • Gleichzeitig stellen Pflegebedürftige eine wachsende vulnerable Gruppe dar, die hinsichtlich der Mundgesundheit Unterstützung benötigt. Ebenso wie bei der Gruppenprophylaxe wären hier koordinierende, vernetzende und unterstützende Fähigkeiten der zahnärztlichen Dienste gefragt, um die Pflege im stationären wie häuslichen Setting mundgesundheitsförderlicher zu gestalten.
  • Koautorinnen

    Kontakt

    Dr. med. dent. Esther Hörschgen, MPH
    Landkreis Marburg-Biedenkopf; Fachbereich Gesundheitsamt; Schwanallee 23, 35037 Marburg

    Foto: privat

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