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Zur Diskussion gestellt

IKKA-Score zur Vereinheitlichung der Beurteilung des individuellen Risikos durch SARS-CoV-2

Dr. med. Anna Wolfschmidt1

Dr. med. Uta Ochmann2

Prof. Dr. med. Dennis Nowak2

Prof. Dr. med. Hans Drexler1

1Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin

2LMU Klinikum München, Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin

 

Abstract

Objective: The assessment of an individual’s risk of developing a severe course of COVID-19 can prove to be an extremely difficult task for the physicians in charge. The presented score system is designed to allow for a standardisation of this risk assessment while simultaneously being clear and efficient enough to pave the way for its use in practice.

Methods: The IKKA-Score was developed in four steps. In step 1 we defined four occupational groups which determine the possible fields of activity. In step 2 we identified risk factors which are supposed to increase an individual’s need for protection in association with SARS-CoV-2. These were grouped into four score categories. In step 3 score points were allotted within the categories depending on the extent of the assumed need for protection. In step 4 each possible result in the final score was assigned to one of the occupational groups.

Results: The IKKA-Score is composed of four categories: Immunosuppression (I), Known severity of any pre-existing condition (II), Known risk factors as defined by the Robert Koch Institute (RKI) (III), and Age (IV). Within each of the categories a score is allotted by the physician depending on the extent of the respective risk factors. The final score results from the sum of the individual scores in each category. On the basis of the final score the employee is assigned to one of four occupational groups. Employers can specify possible fields of activity for members of each group on the basis of the company’s risk assessment. Table 2 presents the assignment to occupational groups and possible fields of activity using the examples of schools and hospitals as a workplace.

Conclusion: The IKKA-Score constitutes a system of practical support for physicians charged with assessing an individual’s risk in association with SARS-CoV-2. Its main strength lies in the fact that it enables physicians to standardise this risk assessment in a transparent and time-efficient manner while simultaneously taking into account recommendations by the German Federal Ministry of Labour and Social Affairs.

Keywords: SARS-CoV-2 – COVID-19 – risk assessment – score

 

Zusammenfassung

Zielstellung: Die Einschätzung des individuellen Risikos für einen schweren Verlauf der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) stellt hohe Anforderungen an die beurteilenden Ärztinnen und Ärzte. Das erarbeitete Score-System soll eine Hilfestellung zur Vereinheitlichung der Risikobeurteilung bieten, die übersichtlich und effizient genug ist, um einen Einsatz im Praxisalltag zu ermöglichen.

Methoden: Die Entwicklung des IKKA-Scores erfolgte in vier Schritten. In Schritt 1 wurden vier Tätigkeitsgruppen definiert, die die Einsatzmöglichkeiten der Beschäftigten festlegen. In einem zweiten Schritt wurden Risikofaktoren bestimmt, für die eine Erhöhung der SARS-CoV-2-assoziierten Schutzbedürftigkeit anzunehmen ist, und vier Score-Kategorien festgelegt. Schritt 3 umfasste die Zuordnung von Punktwerten je nach Ausmaß der anzunehmenden Schutzbedürftigkeit innerhalb der Score-Kategorien. Abschließend wurden in Schritt 4 die erzielten Summenwerten des IKKA-Scores den vier Tätigkeitsgruppen zugeordnet.

Ergebnisse: Der IKKA-Score setzt sich aus den vier Kategorien Immunsuppression (I), Krankheitsschwere bestehender Vorerkrankungen (II), Komorbiditäten/Risikofaktoren gemäß Robert Koch-Institut (RKI) (III) und Alter (IV) zusammen. In diesen Kategorien werden von der Ärztin/dem Arzt Punktwerte je nach Ausmaß der Risikofaktoren vergeben. Anhand der Score-Summe erfolgt die Zuteilung des/der Beschäftigten zu einer von vier Tätigkeitsgruppen. Von den personalverantwortlichen Vorgesetzten können den Tätigkeitsgruppen auf Basis der Gefährdungsbeurteilung risikoadaptiert Einsatzmöglichkeiten zugewiesen werden. Tabelle 2 enthält exemplarische Zuordnungen der vier Tätigkeitsgruppen zu Einsatzmöglichkeiten an den Arbeitsplätzen „Schule“ und „Krankenhaus“.

Schlussfolgerung: Mit dem IKKA-Score wird Ärztinnen und Ärzten eine Entscheidungshilfe für die Beurteilung des individuellen Risikos durch SARS-CoV-2 zur Verfügung gestellt. Die Stärke des IKKA-Scores liegt in der Vereinheitlichung der Risikobeurteilung unter möglichst großer Übersichtlichkeit und geringem Zeitaufwand sowie in der Berücksichtigung bereits existenter Empfehlungen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS).

Schlüsselwörter: SARS-CoV-2 – COVID-19 – Risikobewertung – Score

 

Einleitung

Im Rahmen der SARS-CoV-2-Epidemie hat es sich als erforderlich erwiesen, bestimmte Menschen mit einem erhöhten Risiko für einen schweren Verlauf einer COVID-19-Erkrankung besonders zu schützen. Diese besondere Schutzbedürftigkeit erstreckt sich auf alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens und nimmt daher auch im Setting Arbeitsplatz eine besondere Rolle ein. Betriebe haben nach verschiedenen Rechtsgrundlagen eine Fürsorgepflicht für ihre Beschäftigten. Die Schwierigkeit für die personalverantwortlichen Vorgesetzten liegt im Kontext der SARS-CoV-2-Epidemie in der Beurteilung, für welche ihrer Mitarbeitenden eine besondere Schutzbedürftigkeit angenommen werden muss und welches Ausmaß die jeweilige Schutzbedürftigkeit erreicht. Das Robert Koch-Institut (RKI) führt zwar in seinem Steckbrief zur Corona-Virus-Krankheit 2019 (COVID-19) Personengruppen auf, bei denen ein erhöhtes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf bestehen kann, betont jedoch gleichzeitig, dass es sich dabei lediglich um eine Orientierungshilfe handle (Robert Koch-Institut 2020).

Die Einschätzung des individuellen Risikos eines/einer Beschäftigten kann sich im Einzelfall als äußerst komplex darstellen. Sie erfordert zum einen medizinische Expertise zur Beurteilung des Schweregrads der zur Risikoerhöhung führenden Erkrankung, zum andern aber auch die genaue Kenntnis der Expositionsmöglichkeiten am Arbeitsplatz und der zugehörigen Gefährdungsbeurteilung inklusive festgelegter Hygiene- und Arbeitsschutzmaßnahmen. Eine Einschätzung des vorliegenden Erkrankungsbildes und seiner Auswirkungen kann nur mit detaillierten Informationen zum Krankheitsverlauf, zur Medikation und zu gegebenenfalls vorhandenen Komorbiditäten vorgenommen werden. Hierfür sind in erster Linie die behandelnden Ärztinnen und Ärzte die Ansprechpersonen. Betriebsärztliche Hauptaufgabe ist der Abgleich zwischen der Einschätzung der behandelnden Ärztinnen und Ärzte und den Expositionsverhältnissen am Arbeitsplatz. In Abhängigkeit von Einsatzstunden und personellen Kapazitäten könnten alternativ auch Betriebsärztinnen und -ärzte bei Vorlage von detaillierten aktuellen Befundberichten die Einschätzung des individuellen krankheitsbedingten Risikos vornehmen. Da eine solche Beurteilung weitreichende Konsequenzen für die betroffenen Beschäftigten haben kann, müssen unabhängig von der/vom befundenden Ärztin/arzt hohe Maßstäbe angelegt werden: Die Einschätzung muss einheitlich und auf der Grundlage belastbarer Daten aus aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen erfolgen, sie muss eine klare Zuordnung zu möglichen Tätigkeitsbereichen ermöglichen und sie muss transparent, reproduzierbar und nachvollziehbar für alle in den Prozess Involvierten sein.

 

Zielstellung

Um diesen Maßstäben Rechnung tragen zu können, war es das Ziel des Autorenteams eine Beurteilungshilfe in Form eines Score-Systems zu entwickeln, das eine weitestgehende Vereinheitlichung der Beurteilung des individuellen Risikos durch SARS-CoV-2 gewährleisten kann und gleichzeitig übersichtlich und effizient genug ist, um einen Einsatz im Praxisalltag zu ermöglichen. Dabei sollte das gewählte Score-System drei zentrale Elemente sinnvoll miteinander verbinden:

1. die Evaluierung der individuellen Risikofaktoren von Beschäftigten auf Basis der Einzelfallbetrachtung,

2. die Schematisierung und Vereinheitlichung der Risikobeurteilung durch die Vergabe von Score-Punkten und

3. die Nutzung der Score-Summe für die einheitliche Zuordnung zu Risiko-/Tätigkeitsgruppen.

 

Methoden

In einem ersten Schritt wurden vier Tätigkeitsgruppen definiert, die die jeweiligen Einsatzmöglichkeiten der Beschäftigten festlegen. Die gewählte Anzahl von vier Gruppen entstand dabei in Anlehnung an die vierstufige Einteilung gefährdender Tätigkeiten durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und stellt einen Kompromiss aus sinnvoller Risikoabstufung und praktischer Umsetzbarkeit dar (Ausschuss für Arbeitsmedizin beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2020). Die Einteilung wurde wie folgt vorgenommen:

·         Tätigkeitsgruppe 1: Diese Beschäftigten weisen bezüglich SARS-CoV-2 eine individuelle Risikokonstellation auf, aus der keine erhöhte Schutzbedürftigkeit resultiert. Auch Tätigkeiten mit einer sehr hohen Gefährdung gemäß BMAS können ausgeführt werden.

·         Tätigkeitsgruppe 2: Diese Beschäftigten weisen bezüglich SARS-CoV-2 eine individuelle Risikokonstellation auf, die eine leicht erhöhte Schutzbedürftigkeit zur Folge hat. Tätigkeiten mit einer sehr hohen Gefährdung gemäß BMAS können nicht ausgeführt werden. Tätigkeiten mit einer geringen, mittleren oder hohen Gefährdung gemäß BMAS sind möglich.

·         Tätigkeitsgruppe 3: Diese Beschäftigten weisen bezüglich SARS-CoV-2 eine individuelle Risikokonstellation auf, die eine mittelgradig erhöhte Schutzbedürftigkeit zur Folge hat. Tätigkeiten mit einer sehr hohen Gefährdung oder einer hohen Gefährdung gemäß BMAS können nicht ausgeführt werden. Tätigkeiten mit einer geringen oder mittleren Gefährdung gemäß BMAS sind möglich.

·         Tätigkeitsgruppe 4: Diese Beschäftigten weisen bezüglich SARS-CoV-2 eine individuelle Risikokonstellation auf, die eine stark erhöhte Schutzbedürftigkeit zur Folge hat. Tätigkeiten mit einer sehr hohen, hohen oder mittleren Gefährdung gemäß BMAS können nicht ausgeführt werden. Nur Tätigkeiten mit einer geringen Gefährdung gemäß BMAS sind möglich.

Im zweiten Schritt erfolgte eine Sichtung der internationalen Literatur, um die Auswahl derjenigen Risikofaktoren festzulegen, die eine Erhöhung der SARS-CoV-2-assoziierten Schutzbedürftigkeit bedingen. Dabei zeigte sich eine weitgehende Übereinstimmung mit den vom Robert Koch-Institut definierten Risikogruppen (Robert Koch-Institut 2020). Es herrscht jedoch mittlerweile ein breiter wissenschaftlicher Konsens, dass die reine Existenz einer Vorerkrankung nicht automatisch zu einer Prädisposition für einen schweren Verlauf von COVID-19 führt. Vielmehr ist die Gesamtkonstellation zu beachten, das heißt die Einflussnahme verschiedener Faktoren wie Dauer und Schweregrad der Vorerkrankung, Therapie und mögliche Komorbiditäten und deren potenzielle Wechselwirkungen (Ausschuss für Arbeitsmedizin beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2020; Kaifie-Pechmann et al. 2020; Robert Koch-Institut 2020).

Dieser Grundsatz wurde daher auch für das zu entwickelnde Score-System übernommen. Der Score listet keine einzelnen Erkrankungen auf, sondern kondensiert die Beurteilung des gesundheitlichen Zustandes auf zwei zentrale Kriterien: Vorliegen und Schweregrad einer Immunsuppression (Kategorie I des Scores) und Schweregrad bestehender Vorerkrankungen (Kategorie II des Scores). Aufgrund der Vielzahl möglicher relevanter Erkrankungsbilder/Therapien und deren Ausprägungen entschied sich das Autorenteam – im Sinne der pragmatischen Umsetzbarkeit und der Nutzung vorliegender Evidenz – in Kategorie I und II Bezug auf bereits existente Arbeiten zu nehmen, die in Form tabellarischer Übersichten Hilfestellungen für die entsprechende Einschätzung geben. In Kategorie I (Immunsuppression durch Erkrankung oder Therapie) orientiert sich die Score-Einteilung dabei an Tabelle 2 der Arbeit von Wiedermann et al. (2016) zu Impfungen bei Immundefekten/Immunsuppression und an der Einteilung gemäß Tabelle 9 ff. der Arbeitsmedizinischen Empfehlung zum Umgang mit aufgrund der SARS-CoV-2-Epidemie besonders schutzbedürftigen Beschäftigten des BMAS (Ausschuss für Arbeitsmedizin beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2020). In Kategorie II (Krankheitsschwere bestehender Vorerkrankungen/verminderte Ressourcen zur Überwindung von COVID-19) wird ebenfalls die Einteilung gemäß Tabelle 9 ff. der Arbeitsmedizinischen Empfehlung zum Umgang mit aufgrund der SARS-CoV-2-Epidemie besonders schutzbedürftigen Beschäftigten des BMAS der Beurteilung zugrunde gelegt. An den entsprechenden Stellen des Scores wird direkt auf die jeweiligen Tabellen verwiesen. Da die genannten Tabellen jedoch ebenfalls nicht abschließend alle denkbaren Krankheitsbilder und deren Ausprägungen erfassen können, besteht in den Kategorien I und II ausdrücklich die Möglichkeit, die Einstufung auch basierend auf einer Einzelfallentscheidung vorzunehmen, wenn sich Hinweise auf eine entsprechend hohe Schutzbedürftigkeit ergeben.

Der aktuelle wissenschaftliche Kenntnisstand legt zwar nahe, wie oben beschrieben eine Differenzierung nach Schweregrad der Vorerkrankung vorzunehmen, er erlaubt es jedoch nicht, Vorerkrankungen ohne entsprechenden Schweregrad als vollständig irrelevant für die Beurteilung zu erachten. Vor allem die Kombination verschiedener Vorerkrankungen beziehungsweise das Vorliegen mehrerer Komorbiditäten kann ebenfalls zu einer Erhöhung des SARS-CoV-2-bezogenen Risikos führen (Sapey et al. 2020; Giannouchos et al. 2020; Van Gerwen et al. 2020; Giorgio Rossi et al. 2020). Dem Score-System wurde daher eine weitere Kategorie (Kategorie III) hinzugefügt, die diejenigen vom RKI gelisteten Risikofaktoren berücksichtigt, die gemäß der Kriterien von Kategorie I und II nicht als ausreichend schwerwiegend für eine Risikoerhöhung in der jeweiligen Kategorie eingestuft werden.

Da das Alter in mehreren multivariaten Analysen nach Adjustierung für andere Einflussgrößen als bedeutsamster signifikanter Risikofaktor mit einer deutlich erhöhten Hazard Ratio (HR) insbesondere für ein Versterben an COVID-19 bestehen bleibt, wird es im Score-System nicht unter den übrigen Risikofaktoren in Kategorie III aufgeführt, sondern stellt eine separate Kategorie (Kategorie IV) im Score-System dar (Docherty et al. 2020; Boulle et al. 2020; Fried et al. 2020; Van Gerwen et al. 2020; Berenguer et al. 2020; Parra-Bracamonte et al. 2020; De Cássia Menezes Soares et al. 2020).

Somit setzt sich das Score-System aus den vier Kategorien Immunsuppression, Krankheitsschwere bestehender Vorerkrankungen, Komorbiditäten/Risikofaktoren nach RKI und Alter zusammen und wird daher als IKKA-Score bezeichnet.

Schritt drei umfasste die Zuordnung von Punktwerten innerhalb der Score-Kategorien. In den Kategorien I und II wurde in Anlehnung an die zugrunde gelegten Tabellen aus den Arbeiten von Wiedermann et al. (2016) und des BMAS (Ausschuss für Arbeitsmedizin beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2020) eine dreiteilige Abstufung gewählt. Stufe 1 entspricht der Einschätzung, dass keine Immunsuppression (Kategorie I) beziehungsweise keine besondere Schutzbedürftigkeit gemäß BMAS (Kategorie II) vorliegt und wird jeweils mit 0 Punkten bewertet. Stufe 3 entspricht maximaler Schutzbedürftigkeit aufgrund hochgradiger Immunsuppression (Kategorie I) oder schwerwiegender Vorerkrankung (Kategorie II) und wird mit jeweils 10 Punkten bewertet. Stufe 2 entspricht einer mindestens leicht erhöhten Schutzbedürftigkeit und wird mit 4 Punkten bewertet. In Kategorie III wird pro weiterem vorhandenen Risikofaktor 1 Score-Punkt vergeben, um einen anzunehmenden additiven Effekt bei Vorliegen multipler Komorbiditäten zu berücksichtigen. In Kategorie IV (Alter) wurde eine den Kategorien I und II entsprechende numerische Bewertung für die jeweiligen drei Stufen gewählt: <50 Jahre: 0 Punkte, 50–59 Jahre: 4 Punkte und ≥60 Jahre: 10 Punkte. Somit wird im Rahmen der Score-Erhebung für ein Alter ab 50 Jahren eine mindestens leicht erhöhte Schutzbedürftigkeit angenommen, für ein Alter ab 60 Jahren eine stark erhöhte Schutzbedürftigkeit. Diese Zuordnung geschah nicht rein willkürlich, sondern in Berücksichtigung der Höhe der Hazard Ratios (HR) für COVID-19-assoziiertes Versterben für die jeweiligen Altersgruppen im Vergleich zur Höhe der HR bei Vorliegen anderer Risikofaktoren in multivariaten Analysen (Docherty et al. 2020; Boulle et al. 2020).

Die Zuordnung der vier Tätigkeitsgruppen zu den erzielten Summenwerten des IKKA-Scores stellte den letzten Schritt der Score-Entwicklung dar. Da ein Punktwert von 10 innerhalb der einzelnen Score-Kategorien bereits eine maximale Schutzbedürftigkeit aufgrund der bestehenden Risikokonstellation definiert, erfolgt mit einer Summe von mindestens 10 Score-Punkten automatisch eine Eingruppierung in Tätigkeitsgruppe 4. Der Summenbereich zwischen 0 und 9 wurde annähernd gleichmäßig auf die übrigen 3 Tätigkeitsgruppen verteilt: Tätigkeitsgruppe 1: 0–3 Punkte, Tätigkeitsgruppe 2: 4–6 Punkte, Tätigkeitsgruppe 3: 7–9 Punkte. Hierbei wurde berücksichtigt, dass mit einem Punktwert von 4 entsprechend der Einteilung innerhalb der Kategorien I, II und IV eine mindestens leicht erhöhte Schutzbedürftigkeit anzunehmen ist (Tätigkeitsgruppe 2). Bei Vorliegen von mindestens drei weiteren Risikofaktoren gemäß RKI (Kategorie III) oder einer zusätzlichen moderaten Risikoerhöhung der Stufe 2 aus einer jeweils anderen Kategorie erfolgt der Übergang in die Tätigkeitsgruppe 3. Erhöht sich die Anzahl der festgestellten Risikofaktoren weiter, erfolgt ab einer Summe von 10 Punkten die Zuweisung zur Tätigkeitsgruppe 4. Diese Zuordnung von Summenwerten zu Tätigkeitsgruppen konnte in Ermangelung ausreichender Erfahrungswerte aufgrund des erst seit kurzem bekannten Erkrankungsbildes COVID-19 nicht evidenzbasiert erfolgen. Sie beruht daher zu einem gewissen Grad auf einer frei gewählten Bewertung durch die AutorInnen und repräsentiert einen Kompromiss aus wissenschaftlicher Kenntnislage und der Maxime praktischer Anwendbarkeit.

 

Ergebnisse

Anwendung des IKKA-Scores

Der IKKA-Score setzt sich aus den vier Kategorien Immunsuppression (I), Krankheitsschwere bestehender Vorerkrankungen (II), Komorbiditäten/Risikofaktoren nach RKI (III) und Alter (IV) zusammen (Tabelle 1). In diesen Kategorien werden von der beurteilenden Ärztin/ vom beurteilenden Arzt Punktwerte je nach Ausmaß der entsprechenden Risikofaktoren vergeben. Aus den Punktwerten wird abschließend eine Summe gebildet. Gemäß dieser Summe des IKKA-Scores erfolgt die Zuteilung des/der Beschäftigten zu einer von vier Tätigkeitsgruppen.

Von den personalverantwortlichen Vorgesetzten können den Tätigkeitsgruppen auf Basis der Gefährdungsbeurteilung risikoadaptiert Einsatzmöglichkeiten zugewiesen werden. Diese risikoadaptierte Zuordnung muss betriebsspezifisch in Kenntnis der Verhältnisse vor Ort (z.B. Lüftungsmöglichkeiten, Raumgröße und Anzahl der Personen im Raum) erfolgen und erlaubt daher keine verallgemeinernden Vorgaben. Zur Verdeutlichung enthält Tabelle 2 exemplarische Zuordnungen der vier Tätigkeitsgruppen zu Einsatzmöglichkeiten am Arbeitsplatz „Schule“ und am Arbeitsplatz „Krankenhaus“. Die gewählten Darstellungen orientieren sich dabei an den gültigen Arbeitsschutzstandards und berücksichtigen geltendes Recht (Arbeitsschutzausschüsse beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2020; Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus 2020; Bundesrepublik Deutschland 1996).

Diskussion

Seit Beginn der SARS-CoV-2-Pandemie wurden mehrere Score-Modelle publiziert, die eine Einschätzung des individuellen Risikos für einen schweren Verlauf im Falle einer COVID-19-Erkrankung ermöglichen sollen. Die meisten dieser Modelle wurden auf Basis von Kollektiven hospitalisierter COVID-19-Patientinnen und Patienten erstellt und berücksichtigen neben soziodemografischen Faktoren und Komorbiditäten auch klinische Parameter, wie zum Beispiel Laborparameter oder die Atemfrequenz (Liang et al. 2020; Ji et al. 2020; Galloway et al. 2020; Wu et al. 2020; Zhao et al. 2020; Knight et al. 2020). Da diese klinischen Parameter erst bei Vorliegen einer SARS-CoV-2-Infektion erhoben werden können, sind diese „klinischen“ Score-Modelle nicht in einem primärpräventiven Setting anwendbar.

Der in dieser Arbeit vorgestellte IKKA-Score wurde hingegen explizit für eine primärpräventive Anwendung, insbesondere im Arbeitsschutz, konzipiert. Er berücksichtigt den aktuellen wissenschaftlichen Konsens zur Risikoerhöhung bei Vorliegen bestimmter Risikofaktoren und ermöglicht eine Vereinheitlichung der Beurteilung durch die Zuweisung von Punktwerten (Ausschuss für Arbeitsmedizin beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2020; Kaifie-Pechmann et al. 2020; Robert Koch-Institut 2020).

In einem zweiten Schritt erfolgt auf Basis der erreichten Score-Summe die Zuordnung zu einer Tätigkeitsgruppe, die die jeweiligen Einsatzmöglichkeiten am Arbeitsplatz festlegt. Der Score ist dabei so gestaltet, dass einerseits möglichst alle krankhaften Veränderungen und Konstellationen mit anzunehmender Risikoerhöhung erfasst werden können, andererseits aber ein gewisses Maß an Übersichtlichkeit und Effizienz gewahrt bleibt, um einen Einsatz im Praxisalltag der beurteilenden Ärztinnen und Ärzte realistisch zu machen.

Die numerische Einteilung und Zuordnung der Punktwerte/Summenwerte konnten aufgrund der begrenzten wissenschaftlichen Kenntnislage zu COVID-19 nur sehr eingeschränkt evidenzbasiert erfolgen und beruhen daher im Wesentlichen auf einer Einschätzung des Autorenteams. Der Score muss gegebenenfalls im zeitlichen Verlauf an neue wissenschaftliche Erkenntnisse angepasst werden. Die Autorinnen und Autoren begrüßen ausdrücklich Stellungnahmen, Ergänzungen und Änderungsvorschläge weiterer Expertinnen und Experten, um eine Schärfung und Weiterentwicklung des Scores auf Basis eines möglichst breiten Konsenses zu erzielen.

Das erarbeitete Score-System berücksichtigt weder soziopolitische noch gesellschaftlich-ethische Überlegungen, sondern beruht auf einer rein medizinischen Einschätzung. Die Möglichkeit einer soziopolitischen oder gesellschaftlich-ethischen Problematik, wie sie zum Beispiel aus der altersbasierten Zuweisung einer Schutzbedürftigkeit resultieren kann, ist dem Autorenteam bewusst; sie kann jedoch aus wissenschaftlich-medizinischer Sicht nicht die Beurteilungsgrundlage eines Krankheitsrisikos bilden und fand daher keinen Eingang in das Score-System.

 

Schlussfolgerung

Mit dem IKKA-Score wird Ärztinnen und Ärzten eine Entscheidungshilfe für die Beurteilung des individuellen Risikos einer Patientin/eines Patienten durch SARS-CoV-2 in einem primärpräventiven Setting zur Verfügung gestellt. Die Stärke des IKKA-Scores liegt in der Vereinheitlichung der Risikobeurteilung unter möglichst großer Übersichtlichkeit und geringem Zeitaufwand für das damit befasste ärztliche Fachpersonal sowie in der Berücksichtigung bereits existenter Empfehlungen des BMAS. Er bietet die Chance großer Transparenz und Nachvollziehbarkeit sowohl für Ärztinnen und Ärzte als auch für Patientinnen und Patienten beziehungsweise Beschäftigte und Unternehmen und kann somit zu mehr Verständnis, Akzeptanz und Kooperation auf allen Seiten beitragen.

 

Literatur

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Interessenkonflikt: Alle Autorinnen und Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

 

Darlegung der Autorenschaft: AW – Konzeption, schriftlicher Entwurf der Publikation, UO – Beitrag zum schriftlichen Entwurf der Publikation, kritische Durchsicht inklusive Einbringung wichtigen intellektuellen Inhalts, DN – kritische Durchsicht inklusive Einbringung wichtigen intellektuellen Inhalts, HD – Beteiligung an der Konzeption, kritische Durchsicht inklusive Einbringung wichtigen intellektuellen Inhalts

 

Kontakt:

Dr. med. Anna Wolfschmidt

Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin

Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Henkestr. 9–11

91054 Erlangen

Anna.Wolfschmidt@fau.de