D ie Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) mahnt in ihrer Begrüßungsrede, „psychische Gesundheit am Arbeitsplatz ist kein Randthema mehr, denn 2012 waren in Deutschland psychische Störungen für mehr als 53 Millionen Krankheitstage verantwortlich“. Eines würde feststehen: Stresserkrankungen seien teuer: Die Arbeitsunfähigkeitstage hätten 2011 zur Produktionsausfallkosten in Werte von 5,9 Milliarden Euro geführt. Bereits 41 % der Frühberentungen haben psychische Ursachen. Die Betroffenen seien im Durchschnitt erst 48 Jahre alt. Dies kann nicht hingenommen werden, so Frau von der Leyen. Sie fordert auf der Veranstaltung in Berlin von den deutschen Unternehmen, ihre Beschäftigten vor zu viel Stress zu schützen.
„Leider machen sich noch viel zu wenige Unternehmer und Führungskräfte Gedanken, wie sie ihre Belegschaft vor Stress und Burn-Out schützen können“, sagt von der Leyen. Dass es nicht am Willen mangele, zeige die Tatsache, dass die Unternehmen hervorragend seien, wenn es um den Schutz vor körperlichen Gefahren gehe. „Jetzt ist es höchste Zeit, dass wir auch bei den psychischen Belastungen vorankommen. [...] Psychische Erkrankungen müssen entmystifiziert, psychische Probleme, wie Angstzustände der Beschäftigten müssen offen angesprochen werden und die Diskussion zur Enttabuisierung in der Gesellschaft muss breit geführt werden“, betont Ursula von der Leyen. Die geplante Unterzeichnung einer gemeinsamen Erklärung zur psychischen Gesundheit bei der Arbeit von Bundesministerium, Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und Gewerkschaftsbund scheiterte vorerst, weil sich die Sozialpartner nicht darauf einigen konnten, ob es eine detaillierte „Anti-Stress-Verordnung“ geben soll.
Stressreport 2012 der BAuA
Auf dem Kongress wird auch der neue „Stressreport Deutschland 2012“ von Isabel Rothe, der Präsidentin der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), vorgestellt. Sie weist darauf hin: „Arbeit stellt sehr viel Positives, Bereicherndes und Sinnstiftendes für jeden Einzelnen dar. Sie wirkt schützend und stabilisierend auf die Psyche. Es muss aber das richtige Maß gefunden werden, damit die Anforderungen, das Tempo oder auch ermüdende Routinen nicht zur Belastung werden, die die Seele ausbrennen lassen. Oft sind gerade Menschen gefährdet, die ihren Beruf mit viel Leidenschaft ausüben.“
Der vorliegende Stressreport 2012 sei die umfassendste Datenquelle zu diesem Thema. Seine ausführlichen Analysen helfen nicht nur, die beruflich bedingten Anforderungen und Belastungen für die Seele besser zu verstehen. Er zeige auf, welche Ressourcen den Beschäftigten helfen, mit Stress auf gesunde Weise umzugehen. Das reiche von eigenen Handlungsspielräumen beim Planen der Arbeit über ein gutes Betriebsklima bis hin zur Unterstützung durch Vorgesetzte. „Psychische Belastungen identifizieren und die Beschäftigten frühzeitig davor schützen“, diese Botschaft soll in Zeiten zunehmender Fachkräfteengpässe auf offene Ohren stoßen.
Die Politik werde die psychische Gesundheit am Arbeitsplatz weiter in den Fokus rücken. Sie ist Schwerpunktthema der neuen Arbeitsperiode der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA). Ziel aller müsse sein, die Resilienz – also die Widerstandsfähigkeit – nicht nur für den einzelnen Beschäftigten, sondern vor allem auch für die Unternehmen als Ganzes zu stärken, so lautet das Statement von Ursula von der Leyen. Nach dem Stressreport 2012 arbeitet jeder zweite Arbeitnehmer unter starken Termin- und Zeitdruck, informiert Frau Rothe. Von denen, die aufgrund des psychischen Drucks bei der Arbeit krank werden, gäben 70 % an, der Zeitdruck sei der Hauptbelastungsfaktor. 43 % der Beschäftigten glauben, der Druck habe zugenommen. Dazu zählen sie auch häufige Unterbrechungen durch E-Mail und Telefon sowie die Anforderungen, viele Dinge gleichzeitig erledigen zu müssen. In einfachen Berufen käme als Stressfaktor häufig die Monotonie der Arbeit dazu. Auch Umstrukturierungen und überlange Arbeitszeiten machen den Arbeitnehmern zu schaffen. Bemerkenswert angestiegen seien die Werte seit der letzten Erhebung aus dem Jahr 2006 nicht, sie seien aber auf hohem Niveau konstant geblieben. Frau Rothe mache aber die Dauerhaftigkeit der Belastung Sorgen.
Den Stressfaktoren stehen Ressourcen gegenüber
Den „Stressfaktoren“ stellte Rothe sog. „Ressourcen“ – also positive Arbeitsmerkmale – gegenüber. 80 % der Befragten berichten über ein gutes Kooperationsklima, 70 % freuen sich über genügend Handlungsspielräume, und 59 % der Befragten werden häufig von ihren Vorgesetzten unterstützt. Diejenigen, die diese Merkmale häufiger angeben, erkranken seltener – auch, wenn sie gleichzeitig unter Stressfaktoren leiden. Die Qualifikation der Führungskräfte sei bei der Prävention von stressbedingten Erkrankungen besonders wichtig, sagte Rothe. Wer gut vom Vorgesetzten unterstützt werde, erkranke seltener. Das Problem sei, dass auch Vorarbeiter und Manager häufig unter Stress wegen Arbeitsbedingungen litten und diese Unterstützung nicht leisten können.
Obwohl sich die Anforderungen und Ressourcen seit der letzten Befragung der BAuA in den Jahren 2005/6 kaum verändert haben, ist noch viel aufzubauen. Denn die Anforderungen aus 2005/6 wie Arbeitsinhalt und Arbeitsorganisation, befinden sich zum Teil auf hohem Niveau. Es zeigen sich auch erhebliche Unterschiede zwischen den Branchen, Berufen, Alter, Geschlecht, Position, Arbeitszeit sowie in den Anforderungen, Ressourcen, der Beanspruchung und Beanspruchungsfolgen.
Von der Leyen betonte, dass das Arbeitsschutzgesetz der Arbeitgeber bereits dazu verpflichte, den Mitarbeiter vor psychischen Erkrankungen zu schützen.
Schlussfolgerungen des Stressreports
Es wird im Stressreport geschlussfolgert, dass Handlungsbedarf und Gestaltungspotenzial auf Grundlage differenzierter Gefährdungsanalysen abgeleitet werden müssen. Denn Stressfaktoren führen nicht immer und automatisch zu hoher Beanspruchung und negativen Folgen für die Gesundheit. Insbesondere stehen die Höhe und die Kombination der Anforderungen, aber auch das Ausmaß vorhandener Ressourcen und deren Zusammenwirken eine bedeutsame Rolle zu.
Die Entwicklung gruppenspezifischer Anforderungsprofile und Ressourcenprofile sind deshalb von hoher Bedeutung. Bei der Arbeitsgestaltung sind nicht nur die potenziell negativen, sondern auch die positiven, protektiv wirkenden Arbeitsmerkmale zu berücksichtigen. Psychische und physische Faktoren müssen gleichermaßen berücksichtigt werden.
Konkret gefordert werden regelmäßige Überprüfungen, die in der Realität aber nur selten auch wirklich stattfinden. Zwar sieht das Gesetz sogar scharfe Sanktionen vor, bis hin zu Betriebsschließungen, doch eine Kontrolle der Maßnahmen, die von der Gewerbeaufsicht der Länder durchgeführt werden, findet quasi nicht statt. Begründet wird dieser Missstand damit, dass die Gewerbeaufsicht zu wenig Personal habe und sie vorwiegend beratend tätig werden sollen.
Scheitern der Anti-StressVerordnung des DGB
Um die Anforderungen an die Betriebe bei der Gefährdung der psychischen Gesundheit klarzustellen, will der Deutsche Gewerkschaftsbund eine „Anti-Stress-Verordnung“ – eine Initiative der IG Metall – auf den Weg bringen, ähnlich wie die „Lärm-und Vibrationsverordnung“, die den physischen Arbeitsschutz präzisiert. Doch die Arbeitgeber sind dagegen – daran ist auch die gemeinsame Erklärung gescheitert. Eine solche Verordnung sei „weder sinnvoll noch notwendig“, sagte Arbeitgeberpräsident Hundt. „Wir brauchen keine neue Rechtsvorschrift, sondern eine verbesserte Umsetzung der erforderlichen Maßnahmen. Ferner betont er, „ Arbeit ist nicht Grund allen Übels, sondern schafft auch Selbstbestätigung.“ Er spiele zwar psychische Erkrankungen im und durch den Betrieb nicht herunter, aber psychische Störungen entwickeln sich bereits in der Kindheit und Jugend vor dem 5. bis 7. Lebensjahr. Jeder Einzelne müsse etwas für seine psychische Gesundheit tun.
Für Dieter Hundt ist es ein Skandal, wenn psychisch Kranke über 3 Monate auf einen Therapieplatz warten, denn ein frühes Erkennen und Behandeln von Betroffenen sei sehr wichtig und helfe den Betroffenen die Krankheit schnell zu überwinden und so wieder ohne unnötige Verzögerung in den Arbeitsprozess integriert zu werden. Je länger die Arbeitsunfähigkeitszeit dauert, umso schwerer ist die Rückkehr an den Arbeitsplatz. Hundt räumte ein, dass die Arbeitgeber sich „fest in der Pflicht sähen, Arbeit so zu gestalten, dass davon möglichst keine Gefährdung für die psychische Gesundheit ausgeht“.
„Arbeitgeber-Blockade“ wird vom DGB bedauert
DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach sprach von einer „Arbeitgeber-Blockade“ und forderte eine „Anti-Stress-Verordnung“, ferner klare Regeln für die Führungskräfte und beim Erstellen der Gefährdungsbeurteilung sowie bessere Beratung durch die Berufsgenossenschaften und der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung sowie mehr Mitbestimmung und Sanktionen gegen diejenigen Unternehmen, die das Arbeitsschutzgesetz nicht einhalten“.
Von der Leyen steht einer Verordnung offen gegenüber, sieht aber die Notwendigkeit, die Inhalte genauer zu klären – Inhalte, zu den beide Sozialpartner stehen könnten. Im Rahmen der Veranstaltung war auch genug Zeit, in der intensiv über diese Thematik diskutiert wurde.
Bedauert wurde am Rande der Veranstaltung, dass eine bereits erarbeitete Broschüre des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (Ausschuss für Arbeitsmedizin) „Psychische Gesundheit im Betrieb“, die die Kompetenz der Betriebsärzte herausstellt, nicht ausgelegt und vorgestellt wurde. Denn Betriebsärztinnen und Betriebsärzte haben bei der Lösung dieser Herausforderung eine wichtige Rolle einzunehmen und Strukturen auch mit Hausärzten und Fachärzten für Psychiatrie aufzubauen. Hier steckt eine große Chance für die Betriebe.
Autorin
Dr. med. A. E. Schoeller
Fachärztin für Arbeits-/Umweltmedizin, Bereichsleiterin des Dezernats V – Versorgung und Kooperation mit GesundheitsfachberufenBundesärztekammer, Berlin
Weitere Infos
Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie (GDA)
http://www.gda-portal.de/de/Startseite.html
Anti-Stress-Verordnung; zu beziehen unter
https://www.igmetall.de/im-betrieb/arbeits--und-sozialrecht/gute-arbeit-braucht-klare-regeln
Stressreport Deutschland 2012; zu beziehen unter