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Alkohol in der Arbeitswelt

Abgrenzung Therapie und Arbeitsrecht – Fürsorgeplicht

Nach wie vor ist Alkohol die Droge Nummer eins. Nach dem jüngsten Jahrbuch Sucht ist das deutsche Alkoholproblem un-gebremst (so Großmann in Jahrbuch Sucht, Herausgeber Deutsche Hauptstelle für Sucht-fragen, 2014, Seite 7). Alkohol ist auch das zentrale Problem bei Suchtfragen am Arbeitsplatz. Hierbei geht es nicht um Früherkennung im Sinne einer Therapie, sondern um sachgerechten Umgang mit der Alkoholproblematik. Nicht alles, was rechtlich möglich wäre, ist therapeutisch sinnvoll und nicht alles, was therapeutisch sinnvoll wäre, ist rechtlich möglich. Therapie und Arbeitsrecht sind zu differenzieren. Der Arbeitgeber ist weder Sittenwächter noch Therapeut des Arbeitnehmers. Wohl aber trifft den Arbeitgeber eine Fürsorgepflicht, die bereits in § 618 BGB statuiert ist und sich im übrigen auch aus den Grundsätzen von Treu und Glauben nach § 242 BGB er-gibt. Ergänzend hierzu gelten sämtliche Arbeitsschutzbestimmungen einschließlich der Regeln der Berufsgenossenschaften und Unfallverhütungsvorschriften zum Schutz des Arbeitnehmers im Arbeitsverhältnis. Exemplarisch seien die Grundsätze der Prä-vention (BGV A 1) genannt. Danach darf ein Unternehmer Mitarbeiter, die erkennbar nicht in der Lage sind, ihre Arbeit ohne Gefahr für sich oder andere auszuführen, nicht beschäftigen, auf der anderen Seite dürfen nach § 15 Abs. 2 Versicherte – also Arbeitnehmer – sich nicht durch den Konsum von Alkohol, Drogen oder anderen berauschenden Mitteln in einen Zustand versetzen, durch den sie sich selbst oder andere gefährden können. Auch das Arbeitsschutz-gesetz sowie das Arbeitssicherheitsgesetz sind Ausgestaltungen der allgemeinen Fürsorgepflicht.

Ein absolutes Alkoholverbot ist – mit wenigen Ausnahmen – gesetzlich nicht statuiert. Aus der Verpflichtung, die Arbeits-leistung zu erbringen folgt jedoch, dass der Arbeitnehmer bei seiner Tätigkeit frei von jeglichen Drogen und psychoaktiven Substanzen sein muss, die seine Leistungs-fähigkeit einschränken oder ein Verhalten verursachen, durch das der Betriebsfrieden gestört wird.

Grundrechte im Arbeitsverhältnis – Persönlichkeitsrecht

Grundsätzlich gelten auch im Arbeitsverhältnis die Grundrechte, so vor allem das Persönlichkeitsrecht aus Artikel 2 Grundgesetz. Mit der Begründung des Arbeits-verhältnisses entsteht so ein Spannungs-feld aus Autonomie des Arbeitnehmers einerseits und Weisungsrecht und Kontrolle des Arbeitgebers andererseits. Dieser Interessenkonflikt – Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers einerseits und Weisungsrecht des Arbeitgebers andererseits – bestimmt die gesamte Betrachtung Recht und Sucht im Arbeitsverhältnis. Bei der Frage der Zulässigkeit eines absoluten – betrieblichen – Alkoholverbotes ist argumentiert worden, das Bier zur Mittagspause könne – von sicherheitsrelevanten Arbeitsplätzen abgesehen – nicht verwehrt werden, da es zur „freien Entfaltung der Persönlich-keit“ gehöre. Diese Diskussion dürfte in-zwischen überholt sein, weil einerseits die Alkoholforschung gezeigt hat, dass auch schon geringe alkoholische Beeinflussung zu nicht unerheblichen Ausfällen führen kann, und andererseits, weil die Anforderungen an den Arbeitsplätzen generell gestiegen sind.

Ein absolutes Alkoholverbot am Arbeitsplatz verstößt nicht gegen Grundrechte. Es gibt, wie es das Bundesverfassungsgericht zutreffend festgestellt hat, kein „Recht auf Rausch“. Ein solches Recht sei nicht als zen-traler Sektor menschlicher Selbstbestimmung geschützt (Bundesverfassungsgericht Beschluss vom 09. 03. 1994 in NJW 1994 Seite 1577 ff.). Dies gilt – erst recht – am Arbeitsplatz. Die Intimsphäre, das informa-tionelle Selbstbestimmungsrecht des Arbeitnehmers darf jedoch durch den Arbeit-geber nicht verletzt werden. Die Betriebs-partner – Arbeitgeber und Betriebsrat – haben kein Recht, in die private Lebensführung der Arbeitnehmer einzugreifen.

Suchtkontrolle

Der Interessenkonflikt setzt sich fort bei der Kontrolle des Suchtmittelkonsums. Wegen des verfassungsmäßig garantierten Grund-rechts auf körperliche Integrität und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, insbesondere des informationellen Selbstbestimmungsrechts ist weder eine allgemeine Alkoholkontrolle noch ein generelles Drogenscreening zulässig. Eine gesetzliche Grundlage für derartige Eingriffe existiert im Arbeitsrecht nicht. Der Arbeitnehmer kann nicht zu einer Mitwirkung an einer Atemalkoholanalyse – „Pusten“ – gezwungen werden, da hierdurch ebenfalls sein Persönlichkeitsrecht verletzt würde (vgl. z. B. Urteil des BAG vom 16.09.1999 in AP Nr. 159 zu § 626 BGB mit Anmerkung Fleck; derselbe Suchtkontrolle am Arbeitsplatz in BB 1987 Seite 2029 ff.).

Selbstverständlich kann sich der Arbeit-nehmer freiwillig Drogenscreenings oder Alkoholuntersuchungen unterziehen, beispielsweise auch, um sich zu entlasten. Völlig unabhängig von Kontrollmaßnahmen trägt der Vorgesetzte die Verantwortung dafür, dass seine Mitarbeiter in der Lage sind, ihre Arbeit auszuüben, ohne sich oder andere zu gefährden.

Arbeitsrechtliche Sanktionen – Kündigung

Aus dem Schutz der Intimsphäre des Arbeitnehmers ergibt sich, dass alle Sanktionen oder Maßnahmen arbeitsrechtlicher Art ihm gegenüber erst dann einsetzen können, wenn sich Handlungen aus der Privatsphäre in das Arbeitsverhältnis übertragen. Eine Einschränkung aus dem Bereich der Freizeit ergibt sich für den Arbeitsplatz beispielsweise dann, wenn der Berufskraftfahrer wegen einer Trunkenheitsfahrt in der Freizeit seinen Führerschein verliert. Es ist Sache der Lebensführung des Arbeitnehmers, ob und welche Drogen er jedenfalls außerhalb der Dienstzeit und ohne Auswirkungen auf den Dienst zu sich nimmt. Es ist lediglich geschuldet, nüchtern am Arbeitsplatz zu erscheinen, die sog. Punktnüchternheit, so-weit sie vereinbart ist oder sich aus der Natur des Arbeitsverhältnisses ergibt.

Das zentrale Problem arbeitsvertraglicher Pflichtverletzungen ist die Kündigung. Entgegen der früheren Rechtsprechung hat das Bundesarbeitsgericht in seiner grundlegenden Entscheidung vom 01. 06. 1983 festgestellt, dass es keinen Erfahrungssatz dahingehend gebe, eine Alkoholabhängigkeit sei in der Regel selbst verschuldet (vgl. BAG vom 01. 06. 1983 – 5 AZR 536/80 –, in NJW 1983, Seite 2659 ff.). Beruht die Pflichtverletzung auf Alkoholabhängigkeit im Sinne einer Krankheit, ist eine verhaltensbedingte Kündigung mangels Verschuldens des Arbeitnehmers sozialwidrig, also ungerechtfertigt. Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung vom 09. April 1987 ausdrücklich bestätigt, dass die Kündigung wegen Alkoholsucht nach den für die krankheitsbedingte Kündigung geltenden Grundsätzen zu beurteilen ist (BAG Urteil vom 09. 04. 1987 in NJW 1987, Seite 2956 f). Diese Grundsätze der personenbedingten Kündigung gelten auch für einen Rückfall, da die Alkoholkrankheit eine Rezidiverkrankung ist. Das Bundesarbeitsgericht hat dies in einer jüngeren Entscheidung vom 20. Dezember 2012 nach diesseitiger Auffassung bestätigt (2 AZR 32/11, NJW-Spezial 2013, S. 243; vgl. auch Fleck/Körkel, Der Rückfall alkoholabhängiger Arbeitnehmer als Kündigungsgrund in BB 1995, Seite 722, m.w.N.).

Betriebsvereinbarungen, Stufenprogramme

Inzwischen ist in vielen Unternehmen betriebliche Suchtarbeit etabliert. Eine solche Arbeit ist ohne Vertrauen sinnlos. Hier kommt es wesentlich auf die Schweigepflicht bzw. das Schweigerecht des Suchthelfers gegenüber dem Arbeitgeber an, da die gesetzliche Regelung zur Schweigepflicht nur für den in § 203 Strafgesetzbuch umfassten Personenkreis gilt, nach § 203 Abs. 1 Ziffer 4 deshalb nur für Berater für Suchtfragen in einer externen Beratungsstelle. Schon deshalb, aber auch um allgemeine Bestimmungen zum Umgang mit alkoholgefährdeten oder -kranken Mitarbeitern zu treffen, ist eine Regelung in Be-triebsvereinbarungen, insbesondere in so genannten Interventions- und Stufenprogrammen angezeigt. Sie stehen für Transparenz und sorgen für Gleichbehandlung. Es gilt das Diskriminierungsverbot nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz.

Prävention lohnt sich sowohl für das Unternehmen und erst recht für die betroffenen Menschen. 

    Autor

    Dr. jur. Jürgen Fleck

    Kaiserdamm 15

    14057 Berlin

    kanzlei@frs-rechtsanwaelte.de

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