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Arbeit 4.0 — Chancen und Risiken aus Sicht der Bundesärztekammer

Neue Herausforderungen in der Arbeitswelt

Die „digitale Revolution“ – Arbeit 4.0 genannt – schafft neue Märkte, Produkte und Arbeitszeitmodelle für Beschäftigte und Unternehmen. Dabei zählen nicht allein Wirtschaftswachstum und neue, hochautomatisierte und vernetzte Arbeitsplätze in der Industrie. Es geht vor allem darum, die Bedingungen für gute Arbeit in den Betrieben zu erhalten und zugleich die Beschäftigten auf die neuen komplexen Anforderungen insbesondere in der digitalen Arbeitswelt vorzubereiten.

Dieser Wandel der Arbeitswelt birgt Chancen und Risiken für die Gesundheit der Arbeitnehmer und für die soziale Sicherheit in sich, die derzeit nicht in ihrem Ausmaß verifizierbar sind. Die neuen Technologien, Werkstoffe und Produktionsverfahren bergen einerseits die Möglichkeit in sich, die Arbeitswelt sicherer und gesünder zu gestalten, andererseits entstehen auch neue Gefahrenpotenziale, wie neue Gefahrstoffe, Unfälle bei der Zusammenarbeit von Mensch und Roboter oder durch Stress infolge ständiger Erreichbarkeit, durch eine Informationsflut, durch Arbeitsverdichtung oder fehlende Eingriffsmöglichkeiten in komplexe Arbeitssysteme und neue Beschäftigungsformen. Die neuen technisch-organisatorischen Arbeitssysteme, wie die digitalen Produktions-, Distributions- und Dienstleistungsprozesse, weisen eine deutlich höhere Vielfalt als herkömmliche Arbeitsstrukturen auf. Daraus entstehen neue Beschäftigungsformen, die im Internet durchgeführt und koordiniert werden.

Die neuen Beschäftigungsformen zeichnen sich auch durch eine hohe Orts- und Zeitflexibilität aus. Der Arbeitsrhythmus muss mit den Bedürfnissen der Beschäftigten in Einklang gebracht werden. Das gilt für Unterschiede zwischen vereinbarten und tatsächlichen Arbeitszeiten, Teilzeitformen, Arbeit mit Arbeitszeitkonten, räumliche Mobilität oder Mehrfachbeschäftigung sowie Scheinselbstständigkeit. Die neuen Beschäftigungsformen wie Crowd- und Clickworking (siehe Kasten) oder Telearbeit erfordern neue Antworten auf die Frage, wie soziale Sicherheit und Arbeitsschutz organisiert werden können, wenn es keinen Arbeitgeber, keine feste Arbeitszeit oder keinen „stationären“ Arbeitsplatz gibt. Gesundheitsbewusstes Handeln der Beschäftigten, aber auch das Einhalten von gesundheitsgerechten Regeln beim Umgang mit den digitalen Medien, gewinnen vor diesem Hintergrund an Bedeutung.

Qualifizierung

Für die Beschäftigten ist wesentlich, mit diesen Anforderungen zu wachsen und Qualifikationen erlangen, die ein eigenverantwortliches und selbstschützendes Handeln ermöglichen. Dies erfordert nicht nur Bemühungen in der beruflichen Erstausbildung und Weiterbildung, sondern auch in der Gestaltung lernförderlicher Arbeit. Aufgrund der sich in einem großen Tempo verändernden Arbeitsgestaltung ist lebenslanges Lernen notwendig. Dies gilt auch für die Präventionsexperten im Betrieb.

Forschung

Mit Blick auf die technologischen Entwicklungen geht es vor allem darum, den digitalen Wandel aktiv mitzugestalten. Hier gilt es, insbesondere in Bezug auf „Ressourcen und Stressoren“, die Chancen und Risiken der Arbeit im 21. Jahrhundert auszumachen, indem zielgerichtet geforscht wird. Hier bedarf es der Finanzierung von Forschung durch zuständige Institutionen wie beispielsweise durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung oder durch die gesetzliche Unfallversicherung etc. Aufgrund der neuen Erkenntnisse durch eine intensivierte Forschung, werden Grundlagen geschaffen, die Betriebsärztinnen und Betriebsärzte – als die Kompetenz für Gesundheit – befähigen, angesichts dieser neuen Anforderungen die Arbeitgeber und Arbeitnehmer optimal in Bezug auf psychische und physische Gesundheit am Arbeitsplatz beraten zu können.

BGM – Umsetzungsinstrument für die Präventionsmedizin

Bei diesen komplexen Anforderungen ist Präventionsmedizin im Rahmen eines betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) am besten umsetzbar. BGM koordiniert unternehmerische und gesamtgesellschaftliche Interessen und wird auch im Hinblick auf die Umsetzung des Präventionsgesetzes in der Lebenswelt „Betrieb“ eine besondere Rolle spielen. Die Aufgaben des Gesundheitsmanagements – die Gesundheit der Beschäftigten zu erhalten und zu fördern – ist unmittelbar mit der betriebs„ärztlichen“ Kompetenz und ebenso mit der Intention der europäischen Arbeitsschutzgesetzgebung eng verknüpft. Betriebliches Gesundheitsmanagement dient der Minimierung arbeitsbedingter körperlicher und psychosozialer Risiken im Unternehmen als „Präventions-Setting“ und wirkt sich auf die Gesamtgesellschaft aus.

BGM – Rolle des Betriebsarztes

Unter unternehmerischen Aspekten ist eine Beauftragung des den Arbeitgeber ohnehin beratenden Betriebsarztes zur Durchführung des Gesundheitsmanagements nur konsequent, um redundante Aufgabenzuordnungen zu vermeiden und um die am Gesundheitsmanagement beteiligten interdisziplinär ausgerichteten Akteure effizient zu koordinieren. Dabei kann der Betriebsarzt im betrieblichen Gesundheitsmanagement viele Rollen einnehmen – sowohl die Rolle des Leistungserbringers als Betriebsarzt und „Präventionsdienstleisters“, aber ebenso die Rolle des Gesundheitsmanagers als Koordinator, Stratege, Risikomanager und Vermittler zwischen Unternehmensführung und unterschiedlichen Interessengruppen, beispielsweise Betriebsrat, externen Professionen und Leistungserbringern der betrieblichen Gesundheitsförderung. Diese Rolle wird der Betriebsarzt in insbesondere kleineren Unternehmen in einer Person einnehmen, in größeren Unternehmen sind die Strukturen größer und komplexer, so dass es klare Rollenzuweisungen gibt.

Fazit

Zur Bewältigung „der digitalen Revolution – Arbeit 4.0“ müssen neben intensiver Präventions- und Gesundheitsforschung insbesondere verstärkte Anstrengungen gemacht werden zur Qualifizierung der Akteure im BGM. Es geht aber auch darum, die gesamtgesellschaftliche Entwicklung einer Kultur der Prävention anzustoßen, die Sicherheit und Gesundheit zu einem selbstverständlichen Teil des Handelns der Menschen macht. Hierbei haben Betriebsärzte als die Kompetenz für Gesundheit eine Schlüsselstellung inne. Der Betriebsarzt als Koordinator und Gesundheitsmanager integriert die im Themenfeld Arbeits- und Gesundheitsschutz interdisziplinär agierenden Akteure unter dem gemeinsamen Ziel „Erhalt und Förderung von Gesundheit und Beschäftigungsfähigkeit“. So gelingt es, den von der WHO geforderten Paradigmenwechsel herbeizuführen: von einem tradierten, auf die Verminderung unfallversicherungsrechtlicher Aspekte ausgerichteten Arbeitsschutz in eine zukunftsfähige Arbeits- und Gesundheitsschutzsystematik.

    Info

    Crowd- und Clickworking

    Crowdworking bezeichnet die Auslagerung traditionell interner Teilaufgaben an eine Gruppe freiwilliger User, beispielsweise über das Internet. Diese Bezeichnung ist an den Begriff Outsourcing angelehnt, der die Auslagerung von Unternehmensaufgaben und -strukturen an Drittunternehmen beschreibt.

    Der Begriff Clickworking stammt ursprünglich aus einem Projekt der NASA, bei dem viele wissenschaftlicher Laien im Internet Fotoaufnahmen der Marsoberfläche auswerteten. Mittlerweile werden auch Internetnutzer als Clickworker bezeichnet, die nach dem Crowdsourcing-Prinzip Aufgaben und Projekte für Unternehmen bearbeiten, ohne bei diesen fest angestellt zu sein.

    Der Begriff Clickworker ist inzwischen auch in der Wirtschaft verbreitet. Internetnutzer arbeiten als Clickworker freiberuflich und meist nebenbei für Unternehmen. Die Clickworker erledigen dabei vor allem inhaltliche und innovative Aufgaben wie Texterstellung und Design, aber auch andere Dienstleistungen wie Datenrecherche und Informationsverifizierung.

    Clickworker und Unternehmen, die Arbeitsaufträge weitergeben möchten, finden sich auf speziellen Crowdsourcing-Plattformen zusammen. Da der Arbeitsaufwand und die Entlohnung keineswegs korrelieren und der Mindestlohnsatz nicht erfüllt wird, steht Crowdworking in der Kritik.

    Für die Autoren

    Dr. med. Udo Wolter

    Präsident der Landesärztekammer BrandenburgVorstandsmitglied und Vorsitzender der Arbeitsgruppe „Arbeitsmedizin“ der Bundesärzekammer

    Herbert-Lewin-Platz 11

    10623 Berlin

    praesident@laekb.de

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