Einleitung
Der Zusammenhang zwischen psychischer Gesundheit und einem gut gestalteten Arbeitsplatz ist ein zentrales gesellschaftliches Thema geworden. Verschiedene Aspekte sind dabei zu beachten: Zum einen können schlechte Arbeitsbedingungen krank machen, zum anderen kann Arbeit auch vor psychischer Erkrankung schützen und letztlich die Lebensqualität psychisch erkrankter Menschen verbessern. Für die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) ergeben sich daraus drei zentrale Handlungsfelder:
- psychosoziale Risikofaktoren am Arbeitsplatz reduzieren,
- psychisch erkrankten Arbeitnehmern rasch ein Behandlungsangebot machen und die Wiedereingliederung am Arbeitsplatz erfolgreich gestalten sowie
- Arbeit für Menschen mit chronischen psychischen Erkrankungen auch am ersten Arbeitsmarkt ermöglichen.
Die vorliegende Fragestellung fokussiert ins-besondere die beiden erstgenannten Handlungsfelder. Der wichtige Diskurs um psychi-sche Gesundheit in der Arbeitswelt und eine systematische gestufte Versorgung für Mitarbeiter mit psychischer Erkrankung wird sich jedoch auch positiv auf die Bereitschaft von Arbeitgebern und Mitarbeitern auswirken, Menschen mit schweren psychischen Erkran-kungen am Arbeitsplatz zu inkludieren.
Die Grundlage zur Förderung der psychischen Gesundheit am Arbeitsplatz bildet eine sachliche Diskussion der psychosozialen Risikofaktoren. Die öffentliche Burn-out-Debatte hat einerseits die Sensibilität für psychische Gesundheit in der Arbeitswelt erhöht. Mangels einer gemeinsamen Sprache sind jedoch auch missverständliche Sichtweisen entstanden, die einer pragmatischen Zusammenarbeit der Akteure zum Schutz der psychischen Gesundheit entgegenstehen. Es gilt klarzustellen:
- Burnout ist kein Synonym für Depressionen bei Erwerbstätigen.
- Burnout ist keine Erkrankung und somit nicht primäre Aufgabe des Gesundheitssystems.
- Nicht jede Form von psychischer Krise und Erkrankung im Zusammenhang mit einer Arbeitsbelastung sollte man Burnout nennen.
Eine Versachlichung der Diskussion mit einem differenzierten Burnout-Konzept verspricht klare Aufgabenbereiche der betrieblichen Akteure, Politik, Krankenkassen und nicht zuletzt des Gesundheitssystems abzugrenzen und Schnittstellen zu definieren.
Begriffsbestimmung Burnout-Syndrom
Historisch prägte der New Yorker Psychotherapeut Herbert Freudenberger den Begriff Burnout in den 70er Jahren. In seinem Aufsatz „Staff burnout“ (1974) beschrieb er einen Zustand, den er bei Beschäftigten in sozialen Berufen beobachtete, die sich in ihrer Arbeit übermäßig engagiert hatten. Die „Ausgebrannten“ fühlten sich unter anderem müde, überfordert, lustlos und durch körperliche Beschwerden beeinträchtigt. Rund 40 Jahre später existiert trotz derzeit jährlich mehr als ca. 1000 neuen Publikationen zu diesem Thema in der Fachwelt keine einheitliche Definition. Leitsymptom des Burnout-Zustands ist ein andauerndes Erschöpfungserleben, das in kausalem Zusammenhang mit einer längeren Belastung, etwa einer Arbeitsbelastung, gebracht wird. Darüber hinaus sind mehr als 160 verschiedene Beschwerden als Symptom eines Burnouts genannt. Diese lassen sich folgenden drei Dimensionen zuordnen:
- 1. Emotionale Erschöpfung als basale Dimension: Sie umfasst das Gefühl der Überfor-derung und des Ausgelaugtseins bezüglich der eigenen psychischen und körperlichen Reserven. Damit verbundene Symptome sind Müdigkeit und Niedergeschlagenheit sowie das Auftreten von Anspannungszuständen. Häufig können Schlafstörungen und eine Unfähigkeit, sich in der Freizeit zu entspannen, beobachtet werden. An körperlichen Beschwerden werden Magen-Darm-Sym-ptome, Kopf- und Rückenschmerzen und eine vermehrte Anfälligkeit für In-fekte genannt.
- 2. Zynismus / Distanzierung / Depersonalisation: Aus dem häufig idealisierten Verhältnis zur Arbeit, die meist mit positiven Erwartungen begonnen wurde, entwickelt sich zunehmend Frustration mit anschließender Distanzierung von der Arbeit. Dies ist i. d. R. verbunden mit Schuldzuweisungen für die verändert erlebte Arbeit und einer Verbitterung gegenüber den Arbeitsbedingungen. Diese Frustration führt schließlich zu einer Abwertung der Arbeit und zum Zynismus, der sich oft auch gegen Arbeitskollegen und Klientel richtet. Dies wiederum bedingt beim Betroffenen Schuldgefühle. Häufig wird auch ein Gefühlsverlust (Depersonalisation) beobachtet.
- 3. Verringerte Arbeitsleistung: In der Selbst-einschätzung besteht der Eindruck einer nachhaltigen Minderung der Arbeitsleistung, Kompetenz und Kreativität, unter anderem als Folge von Konzentra-tionsstörungen und Arbeitsunzufrieden-heit.
Mit dem Maslach-Burnout-Inventar (MBI) steht neben vielen anderen Instrumenten eine Selbstbeurteilungsskala mit 25 Items zur Erfassung von Burnout-Beschwerden zur Verfügung. Ziel dieses Inventars ist nicht die „Diagnose“ eines Burnout-Syndroms, sondern die Quantifizierung des subjektiven Ausmaßes der Beschwerden.
DGPPN-Konzept zur Burnout-Klassifikation
Zur Bewertung der verfügbaren äußerst heterogenen epidemiologischen Daten (Berger et al. 2012b) hält die DGPPN eine einheitliche Kodierpraxis gemäß der ICD-10 für un-erlässlich. Angestrebt war eine Systematik die es ermöglicht, die im Zusammenhang mit Arbeitsbelastung auftretenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu differenzieren.
Die Zusammenhänge zwischen psycho-sozialen Belastungen am Arbeitsplatz, Burn-out und psychischen und somatischen Erkrankungen sind in Abb. 1 dargestellt.
Arbeitsüberforderung
Sowohl individuelle wie auch arbeitsplatzseitige Faktoren tragen zu unterschiedli-chen Anteilen zur Entstehung eines subjektiv erlebten Zustands einer „Arbeitsüberforderung“ bei (Abb. 1, Schritt 1). Dieser wird als „Stress“ mit den psychischen und somatischen Begleitreaktionen erlebt. Lohmann-Haislah (2013) identifiziert als besonders belastende Arbeitsplatzfaktoren starken Termin- und Leistungsdruck und häufige Arbeitsunterbrechungen. Andere empirische Untersuchungen an Angestelltenpopulationen nennen als relevante arbeitsplatzseitige Faktoren hohe Arbeitsintensität, fehlende Kontrolle und fehlende Anerkennung durch Vorgesetzte (Rau et al. 2010). Zu beachten ist, dass vorstehende Konstellationen sowohl durch die Arbeits-organisation bedingt sein können, aber auch durch eine mangelnde Passung von Beschäftigtem an die am jeweiligen Arbeits-platz geforderten Aufgaben. Als individuelle Faktoren gelten hohe eigene Erwartung, Perfektionismus und fehlende Erholungszeiten. Es können vorübergehend die genannten Beschwerden auftreten, wie Erschöpfungsgefühl, Depersonalisation und eine gewisse Leistungsminderung. Diese klingen in der Regel in arbeitsfreien Phasen wie an Wochenenden ab.
Burnout als Risikozustand
Erst bei andauernden Beschwerden und Einschränkungen von mehreren Wochen bis Monaten, die durch Regeneration, beispielsweise Urlaubszeiten, nicht mehr rück-läufig sind, sollte der Begriff „Burnout“ verwendet werden (Abb. 1, Schritt 2). Zu beachten ist, dass die Kriterien für eine manifeste Erkrankung hier oft noch nicht erfüllt sind, was durch die Konsultation eines Arztes abgeklärt werden sollte. Der Arzt sollte diesen Risikozustand erkennen und gemäß der in Deutschland gültigen ICD-10 als Z 73 kodieren („Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung“). Das Kapitel Z der ICD-10 führt Faktoren auf, die den Gesundheitszustand beeinflussen und zur Inanspruchnahme des Gesundheits-systems führen, ohne dass eine Krankheit vorliegt.
Folgekrankheiten
Burnout, respektive Z 73, stellt einen Risiko-zustand für somatische und psychische Folge-erkrankungen wie Hypertonie, Tinnitus oder Depressionen, Angsterkrankungen, Medika-mentenabhängigkeit dar (Abb. 1, Schritt 3). Die diagnostische Klärung dieser typischen Folgestörungen ist unerlässlich, da sie das Rational zur Therapie bestimmen. Falls eine Erkrankung infolge eines Burnouts eingetreten ist, ist sie selbstverständlich ebenfalls zu kodieren und durch die Zusatzkodierung Z 73 der Zusammenhang mit einer Arbeitsüberforderung zu dokumentieren. Dies ist für die Therapie aber vor allem für die berufliche Wiedereingliederung und Rückfallprophylaxe von hoher Relevanz.
Somatische und psychische Erkrankungen
Wie Abb. 1 weiter verdeutlicht, kann es um-gekehrt aber auch zu einem Burnout-Er-leben kommen, wenn eine körperliche oder psychische Erkrankung besteht und sich auf die Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz auswirkt (Abb. 1, Schritt 4). Beispielhaft sind hierfür Multiple Sklerose, beginnende Demenz, Tumorerkrankungen oder Psychosen zu nennen. Sie können etwa durch eine verminderte Konzentration und andere kognitive Einschränkungen zu einer reduzierten Leistungsfähigkeit, Überforderung und Insuffizienzerleben führen.
Vor dem Hintergrund dieser Strukturierung wird deutlich, dass die oben zitierten Klarstellungen praktische Implikationen für eine adäquate Versorgung haben und eine Missachtung das Risiko einer Fehlversorgung birgt.
- Burnout ist kein Synonym für Depressionen bei Erwerbstätigen
- Das Label „Burnout“ wird gemeinhin als weniger stigmatisierend empfunden, als die Diagnose einer Depression. Dies mag mit der historischen Entwicklung des Begriffes zusammenhängen: Menschen mit Burnout hatten sich nach Freudenber-ger vormals stark eingesetzt und die Erschöpfung wird somit weniger auf persönliches Versagen attribuiert. Es handelt sich bei Burnout jedoch um einen Risikozustand und bei der Depression um eine Erkrankung, die ohne Behandlung schwerwiegende Einschränkungen haben kann. Wird eine depressive Stö-rung, die unter anderem auch Burnout-ähnliche Beschwerden umfasst, als Burn-out verharmlost, werden die notwendigen leitlinienentsprechende Behandlungsmaßnahmen nicht eingeleitet. Dadurch steigt u. a. das Chronifizierungsrisiko.
- Burnout ist keine Erkrankung und somit nicht primäre Aufgabe des Gesundheitssystems
- In der Entstehung des Risikozustands Burnout spielen Arbeitsplatzfaktoren wie Lage und Planbarkeit der Arbeitszeiten, Organisation der Arbeitsabläufe, klar definierte Ansprechbarkeiten etc. eine ursächliche Rolle. Wenden sich Beschäftigte mit reinen Burnout-Beschwerden an einen ambulanten Arzt, verspricht eine Krankschreibung zwar kurzfristige Entlastung, die Quelle des Problems je-doch bleibt bestehen. Bei Rückkehr an den Arbeitsplatz ist zu erwarten, dass die Beschwerden persistieren. Zudem besteht bei langen Arbeitsunfähigkeitszeiten ohne entsprechende Intervention das Risiko, dass die Betroffenen Vermei-dungsverhalten und Arbeitsplatzangst entwickeln und zu einer Chronifizierung der Beschwerden beitragen. Eine gute Zusammenarbeit an den Schnittstellen zwischen ambulantem Behandler, Betriebsarzt und ggf. Vorgesetzen im Betrieb ist daher entscheidend.
- Nicht jede Form von psychischer Krise und Erkrankung im Zusammenhang mit einer Arbeitsbelastung ist ein Burnout
- Die oben aufgeführte Strukturierung ver-deutlicht zwei gänzlich unterschiedliche Ätiologien. Burnout-Beschwerden können eine mitverursachende Rolle in der Entwicklung einer Erkrankung spie-len (Abb. 1, Schritt 3). Burnout-ähnliche Symptome können aber auch bei einer unabhängig von der Arbeit auftretenden psychischen oder somatischen Grunderkrankung auftreten. Im Sinne des Vul-nerabilitäts-Stress-Modells stellt eine etwaige erhöhte Arbeitsbelastung zum Zeitpunkt des Auftretens der Beschwerden lediglich einen Auslöser dar. Die Beschwerden können dadurch von den Betroffenen oder deren Umfeld leicht als „Pseudo-Burnout“ missinterpretiert werden (Abb. 1, Schritt 4). Die Differenzierung hat jedoch praktische Implikationen für die Behandlung und darf somit nicht durch eine „Pseudodiagnose Burnout“ verdeckt werden.
Dies unterstreicht mit Nachdruck die Notwendigkeit einer trennscharfen Begriffsver-wendung, sorgfältiger Differenzialdiagnos-tik und einer interdisziplinären Zusammenarbeit. Zuletzt sollen praktische Implikationen für die Zusammenarbeit im Betrieb abgeleitet werden.
Prävention und Intervention – Kooperation im Betrieb
Auf dem Feld der Prävention und Therapie von arbeitsbezogenen psychischen Störungen müssen Sozialpartner, Politik, Krankenkassen, Renten- und Unfallversicherungsträger und Betriebsärzte sowie Behandler ihre Zusammenarbeit optimieren, um eine effizientere Versorgung zu gewährleisten. Hierzu sind unterschiedliche Interventions-maßnahmen für einerseits Mitarbeiter in einer prämorbiden Phase mit Burnout-Syndrom ohne weitere Diagnose und andererseits solche mit manifester Erkrankung und Burnout-Risikozustand vorzuhalten. Entsprechend sind für die erste Gruppe vorrangig präventive Angebote von Bedeutung ( Abb. 2, Säulen I, II und III) und für Mit-arbeiter, die eine Erkrankung mit begleiten-dem Burnout-Syndrom entwickelt haben eine evidenzbasierte Therapie der entsprechenden Grunderkrankung und Wiederein-gliederung durch Einrichtungen des Gesund-heitswesens und gegebenenfalls der Rehabilitation (Abb. 2, Säulen IV und V).
- I Wissen über psychische Gesundheit am Arbeitsplatz vermitteln
- Säule I beschreibt zunächst allgemein die Förderung der psychischen Gesund-heit, wie sie im Rahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements exis-tiert. In Präventionskursen beispielsweise sollte Wissen über seelische Gesundheit und psychische Erkrankung genauso selbstverständlich vermittelt werden, wie über gesunder Ernährung oder Bewegung etc. Edukativ sollten Risiken von Stress und Bewältigungsmöglichkeiten vermittelt werden sowie Basiswissen zu psychischen Erkrankungen und ihren Symptomen, um Sensibilität von Mitarbeitern und Führungskräften für psy-chische Erkrankungen zu erhöhen, Früh-erkennung zur fördern und Stigmatisierung abzubauen.
- II Psychosoziale Risiken erkennen
- Ein unabdingbares Element der Prävention sind Maßnahmen des Arbeitsschutzes, wie die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung (Abb. 2, Säule II). Diese gehört spätestens seit Ende 2013 zu den Pflichten des Arbeitgebers und muss gemäß §§ 4 ff Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) für alle Arbeitsplätze in dokumentierter Form im Betrieb vorliegen. Detaillierter Angaben zur Ausgestaltung der Pflicht, etwa im Rahmen einer Verordnung, sind durch den Gesetzgeber in Deutschland noch nicht geregelt. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz sowie die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie stellen weiterführende Informationen zur Verfügung (Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie (GDA) 2012, Bundesanstalt für Arbeits-schutz und Arbeitsmedizin 2014). Kooperationen sollten hier durch Erfahrungs- und Wissensaustausch erfolgen und Betriebsärzte bezüglich psychoso-zialer Risikofaktoren am Arbeitsplatz über ein fundiertes Wissen verfügen, ggf. sind hier curriculare Qualifizierungsangebote zu entwickeln.
- Die DGPPN empfiehlt eine regelhafte Zusammenarbeit an der Schnittstelle zum nächsten Arbeitsbereich Säule II: Individuelle Unterstützung belasteter Arbeitnehmer, d. h. indizierte Prävention, einzuführen. So könnten im Betrieb Strukturen oder Gremien eingerichtet werden, an die sich belastete Arbeitnehmer wenden können oder an die ein Vorgesetzter bei Bedarf verweisen kann. Als Anregung könnten z. B. die sog. Si-cherheitskomitees in Dänemark dienen. Diese sind je nach Größe des Betriebs mit geschulten Arbeitnehmervertretern, Betriebsmedizinern und Arbeitgebervertretern besetzt (Hofmann 2014). Das Gremium versteht sich als unabhängiges Organ, das anlassbezogen eine Überprüfung der Gefährdung vornimmt. Ein hoher Krankenstand in einer Abteilung oder Umstrukturierungsprozesse können Anlass zu einer Überprüfung nicht nur einzelner Arbeitsplätze, sondern größerer Bereiche sein.
- III Gezielte Maßnahmen zur Unterstützung belasteter Mitarbeiter ableiten
- Ergibt sich aus den psychosozialen Be-lastungen das Risiko für negative Beanspruchungsfolgen, sollten die Übergänge hin zum nachfolgenden Arbeitsbereich (Säule III) fließend sein. Bei Feststellung eines Burnout-Risikozustands sollte Betriebsmediziner oder Fachkräfte für Arbeitssicherheit mit dem Beschäftigten und Vorgesetzen zusammen über eine Anpassung des Arbeitsumfelds beraten. Hier werden verhältnispräventive Maßnahmen wie Optimierung der Arbeitsprozesse oder Schulungsmaßnahmen für Mitarbeiter von Maßnahmen der Verhaltensprävention wie individuelle Unterstützung in Form von Zeitmanagement- und Entspannungskursen oder Weiterqualifizierungen unterschieden. Das Arbeitsschutzgesetz fordert, dass Maßnahmen der Verhältnisprävention vorrangig vor individuellen Maßnahmen zu ergreifen sind. Im Einzelfall kann jedoch auch die Weitervermittlung an eine Sozial- oder Suchtberatung notwendig sein. Große Konzerne halten für ihre Mitarbeiter mit sog. Employee Assistance Programmen (EAP) über externen Anbietern rasche Beratung vor. Da für diesen zum Gesundheitssystem parallelen Sektor keine Qualitätsstandards existieren, ist die jeweilige Kompetenz, beispielsweise behandlungsbedürftige Erkrankung (wie eine Depression) von präventionsbedürftigen Risikozuständen (z. B. Burnout) zu differenzieren, unklar.
- IV Rasche und sorgfältige Diagnostik und störungsspezifische, gestufte Behandlung durch Einrichtungen des Gesundheitswesens in Abstimmung mit Akteuren am Arbeitsplatz
- Wie oben ausgeführt ist die sorgfältige Differenzialdiagnostik zur Abklärung von Beschwerden Grundlage einer erfolgreichen Behandlung. Dies sollte durch die Regelversorgung flächendeckend vorgehalten werden. Leider bestehen je nach Region derzeit im ambulanten Bereich lange Wartezeiten für einen Termin beim Facharzt oder Psychologischen Psychotherapeuten; un-akzeptable Wartezeiten führen häufig zu raschen Einweisungen in Akut- oder Reha-Kliniken. Im Bereich der ambulanten und stationären Akutbehandlung und Rehabilitation sind daher derzeitige Strukturen und Vorgehensweisen dringend zu überprüfen. Lange Phasen von Krankschreibung oder Hospitalisierung zur vermeintlichen Entlastung der betroffenen Arbeitnehmer ohne eine gezielte rasche Therapie bergen das Risiko einer weiteren Angst vor dem Arbeitsplatz und sind unter Umständen kon-traindiziert. Dies gilt vor allem bei Vorliegen von Burnout-Beschwerden ohne Bestehen einer eigentlichen Krankheit. In der Behandlung von psychischen Er-krankungen, die in Zusammenhang mit einer Belastung oder einem Konflikt am Arbeitsplatz stehen, sollte diese entsprechend im therapeutischen Prozess aufgegriffen werden. Ansonsten besteht das Risiko, dass die Belastungsgrenze nach der Rückkehr an den Arbeitsplatz rasch erneut überschritten wird. Hierfür ist auch eine sorgfältige Begleitung des Wiedereinstiegs an den Arbeitsplatz not-wendig.
- V Nachhaltige Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess in Abstimmung mit den relevanten Akteuren
- Auf gemeinsamen Fachveranstaltungen wird das isolierte Arbeiten der Sektoren Betrieb, Gesundheitswesen und Rehabilitation beklagt und die zersplitterte Finanzierung häufig als Hemmnis der Zusammenarbeit angeführt. Hier ist aus Sicht der DGPPN dringender Handlungsbedarf: Ein paralleles Arbeiten von Krankenkassen, Renten- und Unfallversicherungsträgern, betrieblichen Akteuren sowie der ambulanten und stationären Versorgung muss unbedingt überwunden werden. Die Zusammenarbeit sollte idealerweise regelhaft, z. B. in Programmen oder Bündnissen organisiert sein – mindestens jedoch ist eine Abstimmung auf individueller Ebene anzustreben. Beispielhaft kann hier das Verfahren der gestuften Wiedereingliederung genannt werden (das sog. Hamburger Modell), was für die Wiedereingliederung nach psychischer Erkrankung in vielen Fällen sinnvoll ist. Hier ist bundesweit einheitlich gesetzlich geregelt, dass eine schriftliche Vereinbarung von Arbeitnehmer, Arbeit-geber und Vertragsarzt abgestimmt und unterzeichnet werden muss. Um das Ri-siko für eine Wiedererkrankung möglichst zu minimieren und die Erhaltung der Gesundheit der Beschäftigten zu fördern, müssen zusätzlich jedoch die bestehenden Risikofaktoren am Arbeits-platz beseitigt werden. Dies erfordert die Kenntnisse und die Bereitschaft zur Mitarbeit durch Vorgesetzte und ggf. Kollegen, Mitarbeitervertretungen und Betriebsärzten ebenso wie Arbeitnehmer und Behandler. Eine Abstimmung – wenn auch ressourcenintensiv – kann auch für andere Mitarbeiter des Unternehmens eine präventive Wirkung ent-falten. Entsprechende Kooperationsprojekte sollten evaluiert werden, denn angesichts des demografischen Wandels muss es ein übergeordnetes Ziel sein, die Beschäftigungsfähigkeit von Mitarbeitern bis in das hohe Alter zu erhalten.
Literatur
Berger M, Linden M, Schramm E, Hillert A, Voder-holzer U, Maier W: Mitteilungen der DGPPN: Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) zum Thema Burnout. Nervenarzt 2012; 83: 537–543.
Berger M, Schneller C, Maier W: „Arbeit, psychische Erkrankungen und Burn-out: Konzepte und Ent-wicklungen in Diagnostik, Pravention und Therapie. [Work, mental disorders and burnout: concepts and developments in diagnostics, prevention and therapy]. Nervenarzt 2012; 83: 1364–1372.
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Hrsg.): Gefährdungsbeurteilung psychischer Be-lastung. Erfahrungen und Empfehlungen. Berlin: BAuA, 2014.
Rau R, Morling K, Rösler U: Is there a relationship between major depression and both objectively assessed and perceived demands and control? Work and Stress 2010; 24: 88–106.
Weitere Infos
Hofmann M (2014): Gefährdungs-beurteilung durch den Arbeitgeber bezüglich psychischer Belastungen am Arbeitsplatz. Ein innereuropäischer Vergleich.
Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie (GDA) (2012): Leitlinie Beratung und Über-wachung bei psychischer Belastung am Arbeitsplatz. Nationale Arbeitsschutzkonferenz. Berlin.
www.gda-portal.de/de/Betreuung/Leitlinie-PsychBelastung.html
Lohmann-Haislah A (2013): Stressreport Deutschland 2012. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Dortmund, Berlin, Dresden.
www.baua.de/de/Publikationen/Fachbeitraege/Gd68.pdf?__blob=publicationFile&v=17
Für die Autoren
Dipl.-Psych. C. Schneller
Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde
DGPPN-Geschäftsstelle
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