Einleitung
Die öffentliche Diskussion zur Gestaltung und Verabschiedung eines „Gesetzes zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention“, kurz Präventionsgesetz, hat deutlich gemacht: Es besteht ein breit getragener Konsens darüber, dass die Stärkung von Prävention und Gesundheitsförderung nicht nur für die Lebensqualität, sondern auch zur ökonomischen Stabilisierung unserer Gesellschaft und unseres Gesundheitswesens unverzichtbar sind. Hierzu bedarf es einer an bestehende Settingansätze angepassten Systematik von Prävention und Gesundheitsförderung, die sowohl die Verantwortung des einzelnen Menschen als auch die seiner Lebens- und Arbeitswelt – also ein Zusammenspiel zwischen Verhaltens- und Verhältnisprävention – fördert und fordert. (Letzel et al. 2016).
Nach diversen Entwürfen für ein „Präventionsgesetz“ unter anderem in den Jahren 2005, 2008 und 2013 ist nach über zehnjähriger politischer Diskussion am 20. Juli 2015 das Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention (Präventionsgesetz – PrävG) im Bundesrat als Artikelgesetz verabschiedet worden (s. „Weitere Infos“). Insbesondere führt das PrävG zu Änderungen der Sozialgesetzbücher (SGB) V (Gesetzliche Krankenversicherung), SGB VI (Gesetzliche Rentenversicherung), SGB VII (Gesetzliche Unfallversicherung), SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfe) und SGB XI (Soziale Pflegeversicherung) sowie des Infektionsschutzgesetzes und des Jugendarbeitsschutzgesetzes. Das PrävG trat am 25. Juli 2015 in Kraft, die wesentliche Umsetzung erfolgte zum 1. Januar 2016. Das PrävG beinhaltet eine Vielzahl von Chancen, aber auch Risiken für die Arbeitsmedizin in Deutschland.
Ziele des Präventionsgesetzes
Die wesentlichen Ziele des PrävG sind unter anderem:
- Stärkung der Prävention und Gesundheitsförderung in den Lebenswelten (z. B. Kitas, Schulen, Pflegeheimen etc.),
- Stärkung der betrieblichen Gesundheitsförderung und Verzahnung mit dem Arbeitsschutz,
- Einbeziehung aller Sozialversicherungsträger,
- Verbesserung der Kooperation und Koordination zwischen Sozialversicherungsträgern, Ländern, Kommunen etc.,
- Stärkung der Früherkennungsuntersuchungen bei Kindern und Erwachsenen,
- Erhöhung der Impfquoten in Deutschland.
Das Präventionsgesetz sieht Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen zur Verhinderung und Verminderung von Krankheitsrisiken (primäre Prävention) und zur Förderung des selbstbestimmten gesundheitsorientierten Handelns (Gesundheitsförderung) vor. Hierbei sollen Leistungen zur verhaltensbezogenen Prävention, zur Gesundheitsförderung und Prävention in Lebenswelten sowie im betrieblichen Umfeld erbracht werden. Im Präventionsgesetz ist vorgesehen, dass der Spitzenverband Bund der Krankenkassen einheitliche Handlungsfelder und Kriterien, Zielgruppen, Qualitätsstandards und Gesundheitsziele für die Gesundheitsförderung und Prävention festlegt. Auffallend ist, dass die Arbeitswelt – die an anderer Stelle erwähnt wird – bei der Aufzählung der Lebenswelten fehlt, obwohl es sich hierbei letztendlich um die einzige Lebenswelt handelt, für die bereits ein flächendeckendes System der Prävention und Gesundheitsförderung existiert (Hammer u. Zwingmann 2016).
Das PrävG präzisiert seine Gesundheitsziele relativ genau; im Einzelnen werden in § 20 SGB V unter anderem vorgegeben:
- Diabetes mellitus Typ 2: Erkrankungsrisiko senken, Erkrankte früh erkennen und behandeln,
- Brustkrebs: Mortalität vermindern, Lebensqualität erhöhen,
- Tabakkonsum reduzieren,
- gesund aufwachsen: Lebenskompetenz, Bewegung, Ernährung,
- gesundheitliche Kompetenz erhöhen, Souveränität der Patientinnen und Patienten stärken,
- depressive Erkrankungen: verhindern, früh erkennen, nachhaltig behandeln,
- gesund älter werden,
- Alkoholkonsum reduzieren.
Des Weiteren legt das Präventionsgesetz verpflichtend für die gesetzlichen Krankenkassen Mindestwerte für Leistungen für die Gesundheitsförderung und Prävention fest. Hiernach müssen ab 1. Januar 2016 pro Versichertem und Jahr insgesamt mindestens € 7,– für Leistungen für die Gesundheitsförderung und Prävention erbracht werden, hiervon mindestens € 2,– für die Gesundheitsförderung und Prävention in Lebenswelten und mindestens € 2,– für die betriebliche Gesundheitsförderung.
Das PrävG sieht zudem folgende Ergänzung des § 20a des SGB V vor: „Die Krankenkassen fördern mit Leistungen zur Gesundheitsförderung in Betrieben (betriebliche Gesundheitsförderung) insbesondere den Aufbau und die Stärkung gesundheitsförderlicher Strukturen. Hierzu erheben sie unter Beteiligung der Versicherten und der Verantwortlichen für den Betrieb sowie der Betriebsärzte und der Fachkräfte für Arbeitssicherheit die gesundheitliche Situation einschließlich ihrer Risiken und Potenziale und entwickeln Vorschläge zur Verbesserung der gesundheitlichen Situation sowie zur Stärkung der gesundheitlichen Ressourcen und Fähigkeiten und unterstützen deren Umsetzung […].“
Des Weiteren wird durch das PrävG in den §§ 132e und 132 f SGB V die Versorgung mit Schutzimpfungen und die Vorsorge durch Betriebsärzte mittels Selektivvertragsgestaltung gestärkt. So wird in § 132 f unter anderem Folgendes aufgeführt: „Die Krankenkassen oder ihre Verbände können in Ergänzung zur vertragsärztlichen Versorgung und unter Berücksichtigung der Richtlinien nach § 25 Absatz 4 Satz 2 mit geeigneten Fachärzten für Arbeitsmedizin oder den über die Zusatzbezeichnung „Betriebsmedizin“ verfügenden Ärzten oder deren Gemeinschaften Verträge über die Durchführung von Gesundheitsuntersuchungen […], über Maßnahmen zur betrieblichen Gesundheitsförderung, über Präventionsempfehlungen, Empfehlungen medizinischer Vorsorgeleistungen und über die Heilmittelversorgung schließen, soweit diese in Ergänzung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge erbracht werden.“
Arbeitsmedizinische Prävention
Die Arbeitsmedizin ist primär ein präventivmedizinisches Fach und dies ist entsprechend unter anderem in der Definition der Arbeitsmedizin durch die wissenschaftliche Fachgesellschaft (Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin e. V., DGAUM) so festgeschrieben (s. Infokasten links). Um dies in der Außendarstellung noch weiter zu verdeutlichen, hat die DGAUM bereits 2013 empfohlen, den Facharzt „Arbeitsmedizin“ in einen Facharzt „Arbeitsmedizin und Prävention“ umzubenennen (Letzel et al. 2013, s. „Weiter Infos“). Es ist zu hoffen, dass der Deutsche Ärztetag bei der Verabschiedung der novellierten (Muster-) Weiterbildung (voraussichtlich 2016 bzw. 2017) erfolgen wird, diesem Vorschlag folgen wird.
Die arbeitsmedizinische Prävention umfasst Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung, der Primärprävention, der Sekundärprävention, der Tertiärprävention sowie der quartären Prävention. Durch das PrävG werden insbesondere die in Abb. 1 rot umrandeten Bereiche angesprochen.
Unter der betrieblichen Gesundheitsförderung versteht man hierbei alle gemeinsamen Maßnahmen von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Gesellschaft zur Verbesserung von Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz. Ziele der betrieblichen Gesundheitsförderung sind u. a. die Verbesserung der Arbeitsorganisation, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen, die Förderung einer aktiven Mitarbeiterbeteiligung sowie die Stärkung der persönlichen Gesundheitskompetenzen.
Die Primärprävention im betrieblichen Umfeld zielt auf die Verhütung von gesundheitlichen Schäden hin und kann in verhaltens- und verhältnispräventive Maßnahmen untergliedert werden.
Die Sekundärprävention befasst sich mit der Früherkennung von Risikofaktoren und adversen Effekten bzw. gesundheitlichen Störungen. Die arbeitsmedizinische Vorsorge nach der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV; s. auch „Weitere Infos“) hat sowohl die Sekundärprävention (Vorsorge bzw. Vorsorgeuntersuchungen) als auch die Primärprävention (Beratung) im Fokus.
Die Tertiärprävention zielt auf die Schadensrevision. Im beruflichen Umfeld stehen hier die berufliche Rehabilitation sowie die berufliche Weidereingliederung im Mittelpunkt. Das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) kann ein wichtiger Bestandteil der Tertiärprävention sein (BMAS 2015, s. „Weitere Infos“).
Eine große Herausforderung für die zukünftige Weiterentwicklung der Prävention wird die quartäre Prävention sein. Unter der Prämisse „primum non nocere“ wird es zukünftig Aufgabe der quartären Prävention sein, unnötige (präventiv-)medizinische Maßnahmen sowie eine Übermedikalisierung unserer Gesellschaft zu vermeiden.
Generelle Überlegungen zum Entwicklungsbedarf der betrieblichen Prävention und Gesundheitsförderung in Deutschland aus Sicht der Arbeitsmedizin wurden u. a. in den 14 Thesen der DGAUM zusammengestellt (Letzel et al. 2016, s. „Weitere Infos“).
Chancen und Risiken des PrävG für die Arbeitsmedizin
Den Betriebsärzten und Betriebsärztinnen kommt durch das PrävG eine wichtige Lotsenfunktion und neutrale Beratungsrolle für das Thema Gesundheit im Betrieb zu. Aufgrund der fachlichen Expertise kann es hierdurch zu einer engeren Verzahnung von präventiver und kurativer Medizin kommen. Aus Sicht der Arbeitsmedizin kann das PrävG für das Fach Chancen eröffnen, vor möglichen Risiken muss jedoch gewarnt werden (s. Infokasten nächste Seite).
Mögliche Chancen des PrävG für die Arbeitsmedizin
Mit derzeit etwa 43 Millionen Beschäftigten ist das betriebliche Umfeld der größte Settingansatz für die Prävention und Gesundheitsförderung in Deutschland. Der Gesetzgeber hat erkannt, dass gut organisierte arbeitsmedizinische Einrichtungen bestehen, die neben der betrieblichen Prävention und Gesundheitsförderung auch für allgemeine Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung gut genutzt werden können. Die Nutzung dieser Strukturen durch die Vorgaben des PrävG kann in Zukunft zu einer Förderung der allgemeinen und speziellen Präventionskultur in den Betrieben und damit zu einer Stärkung der Arbeitsmedizin führen. Über die bestehenden betrieblichen Strukturen können Personen besser erreicht werden, die noch nicht manifest erkrankt sind, aber bereits relevante Risikofaktoren oder Frühstadien einer Erkrankung aufweisen und selbst nicht zum Arzt gehen beziehungsweise selbst nicht an allgemeinen, von den gesetzlichen Krankenkassen angebotenen Präventionsmaßnahmen teilnehmen.
Im Bereich der betrieblichen Prävention legt das PrävG insbesondere einen Schwerpunkt auf die kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU). Eine nationale Präventionsstrategie und Präventionskultur, wie sie das PrävG vorsieht, kann gerade in diesem Bereich niederschwellige Zugangswege für eine betriebliche Gesundheitsförderung sowie ein betriebliches Gesundheitsmanagement bahnen.
Derzeit besteht ein Optimierungsbedarf für die Ausgestaltung der Schnittstellen zwischen der kurativen Medizin und der betrieblichen Prävention. Die Ursachen für eine teilweise suboptimale Kooperation zwischen den einzelnen Bereichen sind vielfältig und u. a. durch unterschiedliche Konzepte, Zuständigkeiten, Tätigkeitsfelder und Tätigkeitsinhalte bedingt. Die entsprechenden ärztlichen Aufgaben werden zudem in unterschiedlichen Gesetzen und Verordnungen verankert. So sind die Aufgaben der kurativen Medizin primär in den Sozialgesetzbüchern V (Gesetzliche Krankenversicherung) und VI (Gesetzliche Rentenversicherung) und der präventiven Medizin in den Sozialgesetzbüchern VII (Gesetzliche Unfallversicherung) und bezüglich des betrieblichen Eingliederungsmanagements im SGB IX (Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen) aufgeführt. Weite Vorgaben der betrieblichen Prävention finden sich u. a. im Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG), im Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) und in der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV). Des Weiteren sind das Verständnis und die Kenntnisse der betrieblichen Prävention in der Ärzteschaft sehr unterschiedlich ausgeprägt, was auch damit zu tun hat, dass bereits im Studium entsprechende Inhalte nicht ausreichend qualitätsgesichert vermittelt werden: Nicht an allen Medizinischen Fakultäten gibt es einen arbeitsmedizinischen Lehrstuhl. Es ist zu erwarten, dass durch das PrävG das Verständnis für die betriebliche bzw. arbeitsmedizinische Prävention verbessert und damit auch die Schnittstelle zwischen kurativer und präventiver Medizin optimiert wird.
Durch die generell gute medizinische Versorgung in Deutschland geht in der Bevölkerung zunehmend die Sensibilität für die Notwendigkeit von Impfungen verloren. Wichtige und von der Ständigen Impfkommission (STIKO) empfohlene Impfungen werden nicht mehr in ausreichendem Umfang durchgeführt und führen zu Infektionsgefährdungen in der Bevölkerung. Nachdem das PrävG die zusätzlichen Durchführungen von Impfungen, die nicht durch berufliche Faktoren induziert sind, durch Betriebsärzte und Betriebsärztinnen und deren Abrechnung über die Krankenkassen ermöglicht, besteht zum einen die Chance, in Deutschland den Impfschutz deutlich zu verbessern, zum anderen wird hierdurch die Wahrnehmung der ärztlichen Kompetenz der Betriebsärzte und Betriebsärztinnen gefördert. Ähnliches gilt auch für weitere präventive Maßnahmen im betrieblichen Setting, wie z. B. Gesundheitsuntersuchungen durch Betriebsärzte/Betriebsärztinnen, die in Ergänzung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (z. B. Check-up) erbracht werden.
Auch im Rahmen allgemeiner alters-, geschlechter- und zielgruppengerechter ärztlicher Gesundheitsuntersuchungen zur Erfassung und Bewertung gesundheitlicher Risiken und Belastungen, zur Früherkennung von bevölkerungsmedizinisch bedeutsamer Krankheiten und eine darauf abgestimmte präventionsorientierte Beratung (§ 25 und § 132 SGB V) werden die arbeitsmedizinischen Kompetenzen gefragt sein. Sie werden zu einer Ausweitung arbeitsmedizinischer Aufgaben zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen führen und damit die Arbeitsmedizin in den Unternehmen und Betrieben weiter stärken.
Ein großer Vorteil arbeitsmedizinischer Prävention und Gesundheitsförderung für das Gesundheitswesen wird sein, dass im Bereich der Arbeitsmedizin keine finanziellen Interessen an einer weiterführenden Behandlung auffälliger Befunde bestehen und somit präventive Maßnahmen auf das medizinisch Erforderliche und Notwendige begrenzt bleiben und unter den Gesichtspunkten der quartären Prävention (s. oben) keine unnötigen Präventionsmaßnahmen eingeleitet werden, um daraus finanzielle kurative Vorteile zu erzielen.
Insgesamt bietet das neue PrävG vielfältige Möglichkeiten, um die arbeitsmedizinische Prävention und Gesundheitsförderung im Betrieb zu stärken.
Mögliche Risiken des PrävG für die Arbeitsmedizin
Den aufgezeigten Chancen des PrävG stehen auch einige Risiken und Gefahren gegenüber.
Das PrävG erschließt der Arbeitsmedizin zukünftig neue Geschäftsfelder über die Möglichkeit, Leistungen direkt mit den Krankenkassen abzurechnen (Einzelheiten sind hier noch nicht abschließend geregelt). Insbesondere bei fest angestellten Betriebsärzten und -ärztinnen ist zu klären, wie diese zusätzlichen Einnahmemöglichkeiten mit den finanziellen Leistungen der Arbeitgeber verrechnet werden sollen. Im schlechtesten Fall könnten die neuen Einnahmequellen durch das PrävG dazu führen, dass originäre arbeitsmedizinische Aufgaben (z. B. arbeitsmedizinische Beratungen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, Unterstützung des Arbeitgebers bei der Gefährdungsbeurteilung) zu Gunsten von Leistungen nach dem PrävG vernachlässigt werden.
Man wird ebenfalls drauf achten müssen, dass es durch das PrävG nicht zu einer Verschiebung beziehungsweise Fehlentwicklung von Aufgaben des Betriebsarztes/der Betriebsärztin im Unternehmen zum „Hausarzt“ bzw. zur „Hausärztin im Betrieb“ kommt. Dies könnte unter anderem zu datenschutzrechtlichen Problemen führen, außerdem kann sich hieraus eine Konkurrenzsituation zu den niedergelassenen kurativ tätigen Ärzten und Ärztinnen entwickeln, die den Erfolg präventiver und gesundheitsfördernder Maßnahmen gefährdet. § 132 f SGB V (Versorgung mit Gesundheitsuntersuchungen durch Betriebsärzte) bedarf in diesem Zusammenhang einer relativ strengen Auslegung. Deshalb wären entsprechende Präzisierungen hilfreich, welche Maßnahmen zwingend zur betrieblichen Gesundheitsförderung und Prävention von Betriebsärzten/ Betriebsärztinnen zählen, um frühzeitig Fehlentwicklungen vorzubeugen.
Wie in nahezu allen hochqualifizierten Berufen wird derzeit ebenfalls in der Medizin und damit auch in der Arbeitsmedizin über das Problem des Nachwuchsmangels teilweise sehr kontrovers diskutiert. Sicherlich wird in der Arbeitsmedizin die zusätzliche Übernahme von Aufgaben nach dem PrävG diese Diskussion weiter „anheizen“. Die nahe Zukunft wird daher zeigen müssen, ob und wie sich diese zusätzlichen Aufgaben auf die arbeitsmedizinische Versorgungssituation der Beschäftigten in den Betrieben auswirken wird. Unabhängig davon wurden in den letzten Jahren mehrere Initiativen, beispielsweise Gründung des Aktionsbündnisses zur Förderung des arbeitsmedizinischen Nachwuchses (siehe „Weitere Infos“) ergriffen, um die arbeitsmedizinische Versorgung der arbeitenden Bevölkerung auch in Zukunft adäquat sicherzustellen.
Durch das PrävG könnte es dazu kommen, dass betriebsärztliche Aufgaben mit Leistungen nach dem PrävG vermischt werden. Für die Beschäftigten im Betrieb wird es zukünftig sehr wichtig sein zu wissen, in welchem medizinischen System sie sich gerade befinden und was Pflichtaufgaben des Betriebsarztes bzw. der Betriebsärztin sind und was freiwillige Angebote nach dem PrävG darstellen. Der/die Betroffene muss als Klient bzw. Klientin jeweils wissen, in welchem „Präventionssystem“ er/sie sich befindet. Gelingt es nicht, hier klare Regelungen und Strukturen zu schaffen, ist zu befürchten, dass aufgrund von Schnittstellenproblemen die Arbeitsmedizin und damit die Prävention und Gesundheitsförderung im Betrieb Schaden nimmt.
Ein weiteres Problem könnte auch eine Ungleichbehandlung von Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen und von Versicherten privater Krankenkassen, die derzeit nicht den Vorgaben des PrävG unterliegen, sein. Dies könnte zu unterschiedlichen Ansätzen in der arbeitsmedizinischen Prävention und Gesundheitsförderung führen, was gegebenenfalls erhebliche Verwerfungen im Betriebsfrieden nach sich ziehen und letztendlich der Arbeitsmedizin schaden könnte.
Für eine gute medizinische Versorgung von Beschäftigten ist es dringend erforderlich, dass im Einzelfall die Zusammenarbeit – selbstverständlich unter Einhaltung der ärztlichen Schweigepflicht und nur mit Zustimmung des/der Betroffenen – zwischen den kurativ tätigen Ärzten/Ärztinnen und dem/der zuständigen Betriebsarzt/Betriebsärztin gut funktioniert. Es muss daher besonders darauf geachtet werden, dass sich aus dem PrävG keine unüberwindbare Konkurrenzsituation zu den niedergelassenen, kurativ tätigen Ärztinnen und Ärzten ergibt.
Ausblick
Das Gesundheitssystem in Deutschland braucht eine effiziente und nachhaltige Präventionsstrategie und Präventionskultur. Dass PrävG und die hierin verankerte Arbeitsmedizin kann einiges zur Förderung der allgemeinen und speziellen Prävention und Gesundheitsförderung beitragen. Wie an einzelnen Punkten aufgezeigt, kann das PrävG neben Chancen auch mit Risiken für die Arbeitsmedizin verbunden sein. Eine wichtige Aufgabe der arbeitsmedizinischen Verbände (u. a. DGAUM, VDBW, BsAfB) wird es sein, dies frühzeitig zu erkennen und konsensual möglichen Fehlentwicklungen entgegen zu wirken.
Literatur
Hammer T, Zwingmann B: Das neue Präventionsgesetz und seine Bedeutung für die Arbeitswelt. ErgoMed/Prakt Arb Med 2016; 40: 8–12.
Letzel S, Nesseler T, Drexler H: 14 Thesen zum Stand und zum Entwicklungsbedarf der betrieblichen Prävention und Gesundheitsförderung. Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2016; 51: 316–319.
Fußnoten
1 Teile dieses Artikels stammen aus dem ASU Newsletter 1/2016: S. Letzel und T. Nesseler: Chancen und Risiken des Präventionsgesetzes für die Arbeitsmedizin (s. „Weitere Infos“)
Info
Arbeitsmedizin und Prävention – Definition der DGAUM
Das Gebiet Arbeitsmedizin und Prävention umfasst als präventivmedizinisches Fach die Wechselbeziehungen zwischen Arbeits- und Lebenswelten einerseits sowie Gesundheit und Krankheiten andererseits. Im Mittelpunkt steht dabei der Erhalt und die Förderung der physischen und psychischen Gesundheit und Leistungsfähigkeit des arbeitenden Menschen, die Gefährdungsbeurteilung der Arbeitsbedingungen, die Vorbeugung, Erkennung, Behandlung und Begutachtung arbeits- und umweltbedingter Risikofaktoren, Erkrankungen und Berufskrankheiten, die Verhütung arbeitsbedingter Gesundheitsgefährdungen, einschließlich individueller und betrieblicher Gesundheitsberatung, die Vermeidung von Erschwernissen und Unfallgefahren sowie die berufsfördernde Rehabilitation.
Info
Chancen und Risiken des PrävG für die Arbeitsmedizin
Chancen des PrävG für die Arbeitsmedizin (u. a.):
- Nutzung des größten Präventionssettings für die Prävention und Gesundheitsförderung
- Förderung der Präventionskultur im betrieblichen Umfeld
- Nutzung bestehender Präventionsstrukturen (Betriebsarzt als Gesundheitslotse und neutraler Berater)
- Schaffung niederschwelliger Zugänge für betriebliche Gesundheitsförderung (besonders für kleine und mittlere Unternehmen [KMU])
- Engere Verzahnung der kurativen und präventiven Medizin
- Nutzung der Kompetenz von Betriebsärzten bei der Durchführung von „allgemeinen“ Gesundheitsuntersuchungen (z. B. Check-up) und Impfungen
- Besseres Zusammenspiel von Verhaltens- und Verhältnisprävention
- Keine finanziellen Interessen an der Behandlung von Auffälligkeiten, die im Rahmen von Gesundheitsuntersuchungen erkannt werden
Risiken des PrävG für die Arbeitsmedizin (u. a.):
- Vernachlässigung originärer arbeitsmedizinischer Aufgaben
- Zusätzliche finanzielle Interessen durch Erbringung von Leistungen nach dem PrävG
- Mögliche Fehlentwicklung vom Betriebsarzt zum hin „Hausarzt im Betrieb“
- Gegebenenfalls unklare Strukturen im betrieblichen Alltag können zu einer Desorientierung und Verunsicherung der Beschäftigten führen (Vermischung von betriebsärztlichen Aufgaben und Aufgaben nach dem PrävG)
- Ressourcenfrage bei zusätzlichen Aufgaben für Betriebsärztinnen und Betriebsärzte
- Ungleichbehandlung von unterschiedlich Versicherten (z. B. gesetzliche vs. private Krankenversicherung)
- Konkurrenzsituation zu niedergelassenen Ärzten und Ärztinnen
Weitere Infos
Letzel S, Nesseler T: Chancen und Risiken des Präventionsgesetzes für die Arbeitsmedizin (2016)
Letzel S et al.: 14 Thesen zum Entwicklungsbedarf der betrieblichen Prävention und Gesundheitsförderung, 2016
www.dgaum.de/fileadmin/PDF/Stellungnahmen_Positionspapiere/Arbeitsmedizin_4.0_Broschüre_final.pdf
Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention (Präventionsgesetz, PrävG). Bundesgesetzblatt 2015, Teil I, Nr. 31
Letzel S et al.: Novellierung der (Muster-)Weiterbildungsordnung (2013)
www.dgaum.de/fileadmin/PDF/ArtikelLetzel_ASU_2013-05_262-267.pdf
DGAUM: Definition Arbeitsmedizin und Prävention (2015)
www.dgaum.de/arbeitsmedizin-amp-betriebsmedizin/
Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV)
www.gesetze-im-internet.de/arbmedvv/
BMAS: Schritt für Schritt zurück in den Job (2015)
Aktionsbündnis Arbeitsmedizin
Autor
Prof. Dr. med. Dipl.-Ing. Stephan Letzel
Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin
Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Obere Zahlbacher Straße 67
55131 Mainz