Die politische Relevanz des Themas zeigte sich erst kürzlich bei der Festrede des amtierenden Bundesratspräsidenten und Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Michael Müller, auf dem Festakt zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 2018. Michael Müller äußerte sich unter anderem wie folgt:
„ ... Wir alle erleben, dass sich Deutschland, Europa und die Welt in einem großen Wandlungsprozess befinden. Digitalisierung, Globalisierung und Klimawandel – alles Veränderungen von großer Tragweite und so grundlegend, dass wir uns ihnen nicht entziehen können.
Ich setzte als Bundesratspräsident große Hoffnungen in diese Entwicklung und sehe, welchen Schub das allein in Berlin freisetzt. Die Digitalisierung ist hier Wachstumstreiber in unglaublich vielen Bereichen. Längst sprechen wir in Berlin von der „digitalen Hauptstadt“.
Die Erforschung und Entwicklung innovativer Technologien, die Gründung von Start-ups, die Digitalisierung der Bildung – das alles steht immer mehr im Fokus und verschiebt den Kompass. Ja, es ist ein Schnellzug, der da durch unsere Gesellschaft fährt. Aber, wir müssen aufspringen und diesen Prozess aktiv gestalten, und ich bin der festen Überzeugung, dass uns das auch gelingt.
Bei diesem Wandel ist es enorm wichtig, in alle Richtungen zu denken. Wir müssen neben der wirtschaftlichen auch die soziale Dimension im Auge haben. Denn während die einen euphorisch die Chancen der Digitalisierung feiern, sind andere verhalten, manchmal auch verängstigt. Wir müssen beachten, dass die Digitalisierung tief in alle Lebensbereiche eindringt und dabei positive wie negative Effekte entfaltet. Die Sorgen müssen wir ernst nehmen, aber das darf uns nicht lähmen! Es geht vielmehr darum, Antworten zu finden, die sich im Einklang mit der Entwicklung befinden. ...“
Neben der Euphorie, die die Digitalisierung in unserem Land auslöst, müssen auch die Begleitumstände – sowohl im Positiven als auch im Negativen – berücksichtigt werden. Daher ist es sehr zu begrüßen, dass in der zitierten Rede auch hierauf einhergegangen wird. Wichtig erscheint es, dass die Digitalisierung kein Naturphänomen ist, das der Mensch über sich ergehen lassen muss, sondern dieses auch mitgestalten kann und muss. Außer dem technisch Machbaren sind dabei auch ethische Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Neben der „Gesellschaft 4.0“ und der „Industrie 4.0“ bzw. „Arbeit 4.0“ bedarf es dringend auch einer „Ethik 4.0“, damit der Mensch mit der „Welt 4.0“ in Einklang leben kann und nicht zum „Menschen 4.0“ degradiert wid.
Der Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, der sich mit den Wechselbeziehungen zwischen der Arbeit auf der einen Seite sowie der Gesundheit und Krankheit auf der anderen Seite beschäftigt, muss die Digitalisierung begleiten. Es ist daher sehr zu begrüßen, dass sich die aktuelle Novemberausgabe von ASU mit dieser Thematik beschäftigt.
Sicherheit und Gesundheit in der digitalen Arbeitswelt hat dringenden Forschungsbedarf. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) hat als Ressortforschungseinrichtung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales diese Thematik bereits seit längerem in ihrem Portfolio. Lars Adolph stellt in seinem Beitrag die aktuellen Forschungsarbeiten sowie die Weiterentwicklung der entsprechenden Forschungsschwerpunkte der BAuA zu dieser Thematik vor.
Die Digitalisierung ermöglicht und erleichtert die Nutzung der Telemedizin in der Arbeitsmedizin. Christoph Oberlinner stellt u.a. aus Sicht eines Großunternehmens der Chemischen Industrie dar, wie im Rahmen einer firmeninternen Initiative „BASF 4.0“ das Themenfeld „Telemedizin“ umgesetzt wird.
Zunehmend werden digitale Assistenzsysteme, wie z. B. Datenbrillen oder Exoskelette, in der Arbeitswelt eingesetzt. Eine ergonomische Gestaltung ist hierbei eine Grundvoraussetzung für die Akzeptanz der Nutzer sowie für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit. Irina Böckelmann und Annemarie Minow zeigen in ihrem Beitrag wichtige Aspekte der Nutzung digitaler Assistenzsysteme auf.
Bei der Digitalisierung und deren Auswirkungen auf die betriebsärztliche Betreuung sind datenschutzrechtliche Gesichtspunkte unbedingt zu beachten. Patrick Aligbe gibt zusammen mit den betriebsärztlichen Koautoren Edgar Zimmer und Joachim Stork in ihrem Beitrag Hinweise zu rechtlichen, technischen und organisatorischen Aspekten des Datenschutzes einer arbeitsmedizinischen Betreuung in einer digitalen Arbeitswelt.
Ergänzt werden die Praxisartikel der November-Ausgabe von ASU mit wissenschaftlichen Beiträgen u.a. von Peter Angerer et al. zur Gefährdungsbeurteilung für die digitalisierte Arbeit.
Die aktuelle Ausgabe von ASU zeigt einmal mehr, dass die moderne Arbeitswelt immer neue und zugleich vielfältige Herausforderungen an die Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) und das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) stellt. Unter Berücksichtigung der Digitalisierung und der damit verbundenen Chancen und Risiken sowie Belastungen und Beanspruchungen muss die Einführung der neuen Technologie engmaschig – sowohl in der täglichen Praxis als auch in der Forschung – begleitet werden.
Autor
Prof. Dr. med. Dipl.-Ing. Stephan Letzel
Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin
Universitätsmedizin Mainz
Obere Zahlbacher Str. 67
55131 Mainz