Physische und psychische Belastungen bei Beschäftigten in der Kranken- und Altenpflege sind ein aktuelles Thema. Angesichts der demografischen Entwicklung in Deutschland fehlen Pflegekräfte; Qualifizierungsprogramme werden durch die Bundesregierung gefördert. Mit Fragen des Arbeitsschutzes im Gesundheitsdienst wie beispielsweise der Gewaltprävention in der Pflege oder der psychischen Belastung in der palliativen Versorgung hat sich zuletzt das ASU-Schwerpunktheft 1/2018 beschäftigt.
Die vorliegende Ausgabe von ASU – Zeitschrift für medizinische Prävention – nimmt die Belastung mit gefährlichen Einwirkungen durch Gefahrstoffe und Krankheitserreger in Einrichtungen des Gesundheitsdienstes in den Blick. Auch heute gilt es, die Beschäftigten nicht nur vor Infektionskrankheiten, sondern auch vor stoffbedingten Schädigungen zu schützen. Über einige der Gefahrstoffe wird seit langer Zeit teilweise kontrovers diskutiert, andere Belastungen werden auch heute von den Betroffenen nicht wahrgenommen.
Jeder Medizinstudent kennt den beißenden und stechenden Geruch im Anatomiesaal durch Formaldehyd, das seit mehr als hundert Jahren zur Konservierung von Organen und zur Flächen-/Instrumentendesinfektion eingesetzt wird. Trotz vieler Versuche, Alternativen zu finden, bleibt der Einsatz gerade bei der Gewebefixation erforderlich. In Pathologien sind Grenzwertüberschreitungen die Regel. Die Wirksamkeit der technischen Maßnahmen war nach Untersuchungen der Unfallversicherungsträger häufig nicht ausreichend, um die Einhaltung des AGW sicherzustellen. Mögliche Ersatzstoffe im Bereich der Flächen- und Instrumentendesinfektion werden in Deutschland nicht flächendeckend eingesetzt. Udo Eickmann präsentiert dieses Thema am Beginn des Schwerpunktheftes aus seiner langjährigen Erfahrung.
Endogene Disruptoren, also Stoffe, die das Hormonsystem negativ beeinflussen, sind in der Umwelt inzwischen überall gegenwärtig, meist in niedriger Konzentration. Ihnen wird eine Fülle gesundheitlicher Folgeerkrankungen zugesprochen. Benzophenone und Parabene werden in der Kosmetikindustrie als UV-Filter bzw. Konservierungsmittel eingesetzt, Bisphenol A ist Ausgangstoff für die Produktion von Kunststoffen und findet sich in Thermopapier, Kathetern oder Konservendosenbeschichtungen. Wie sind die Auswirkungen für die Beschäftigten im Gesundheitswesen einzuschätzen? Ab welcher Konzentration ist mit Folgeerkrankungen zu rechnen? Johannes Gerding und Eberhard Nies geben hierzu den Stand des Wissens wider.
Arzneimittel werden nicht als Gefahrstoffe wahrgenommen. Verpackungen sind von der gefahrstoffrechtlichen Einstufungs-, Verpackungs- und Kennzeichnungspflicht ausgenommen. Es finden sich keine Gefahrenpiktogramme oder H- oder P-Sätze. Die Beschäftigten im Gesundheitswesen müssen deshalb über die von Arzneistoffen ausgehenden Risiken und notwendige Schutzmaßnahmen informiert werden. André Heinemann und Bernd Roßbach bereiten die Erkenntnisse so praxisgerecht auf, dass ihre Informationen konkret in die Präventionsarbeit der Betriebsärzte und Fachkräfte einfließen kann.
Ursula Peschke blickt in ihrem Beitrag kenntnisreich über das Gesundheitssystem hinaus und stellt den aktuellen Stand der Berufskrankheit BK 1101 „Erkrankungen durch Blei und seine Verbindungen“ vor. Die früher sehr häufige Berufskrankheit mit den typischen Folgen einer chronischen Bleivergiftung wie Bleikoliken oder Lähmungen ist heute fast nicht mehr existent. Besondere Belastungen treten derzeit bei Reinigungs- und Instandhaltungsarbeiten, besonders bei der Entfernung von bleihaltigem Korrosionsschutz, auf. Durch Entwicklung bleihaltiger Stäube, beispielsweise bei Umbauarbeiten in Krankenhäusern, können auch Gewerke belastet werden, die nicht unmittelbar selbst die genannten Tätigkeiten ausführen.
Im wissenschaftlichen Teil stellt Johannes Gerding eine Literaturrecherche zu Gefährdungen bei beruflichem Umgang mit monoklonalen Antikörper (mAbs) vor. Durch den großen Erfolg bei der Behandlung verschiedenster Erkrankungen haben sich mAbs inzwischen fest etabliert. Aufgrund der allgemeinen Stoffeigenschaften (Molekülgröße) werden sie bei dermaler oder inhalativer Exposition nicht bzw. sehr schlecht resorbiert. Bei gesundheitsdienstlichen Tätigkeiten ist das Risiko der Aufnahme relevanter Stoffmengen gering. Angesichts der verbreiteten Anwendung ist eine Verständigung auf Schutzmaßnahmen für gesundheitsdienstliche Tätigkeiten mit mAbs bei der nächsten Überarbeitung der TRGS 525 sinnvoll und wünschenswert.
Bei der Nachsorge von Nadelstichverletzungen (NSV) wurden in den vergangenen Jahren unterschiedliche Vorgehensweisen von den Berufsgenossenschaften und Unfallkassen (Unfallversicherungsträger = UVT) empfohlen. Johanna Stranzinger stellt das zwischen der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) und den Unfallkassen Berlin, Baden-Württemberg (UK BW), Nord (UK Nord) und Nordrheinwestfalen (UK NRW) abgestimmte Konsensuspapier vor, in dem neue Diagnostik- und Therapiemöglichkeiten für Hepatitis B, Hepatitis C und HIV berücksichtigt werden.
Bei Reinigungskräften im Krankenhaus sind Selbstschutz (Arbeitssicherheit) und Fremdschutz (Patientensicherheit) eng verbunden. Monika Eigenstetter untersucht bei einer Befragung von Reinigungskräften in 9 Krankenhäusern in Nordrhein-Westfalen, wie sich Kompetenzen der Reinigungskräfte auf Arbeitssicherheit und Hygiene auswirken. Unzureichendes Equipment und geringes Verständnis für angemessene Reinigungsabläufe haben negative Auswirkungen auf die Effektivität der Reinigung und den Selbstschutz der Reinigungskräfte. Weniger als die Hälfte der Reinigungskräfte geben die richtigen Antworten über die Wirkung von Reinigungs- und Desinfektionsmitteln. Gefahrstoffsymbole werden nur von etwa 50% richtig zugeordnet. Obwohl die Reinigungskräfte in großer Zahl berichten, gut verständlich von ihren Vorgesetzten unterwiesen worden zu sein, sind die resultierenden Kenntnisse oft nicht ausreichend, um sich und andere verständig vor Gefahren schützen zu können.
Die Beiträge der vorliegenden Ausgabe zeigen einmal mehr, dass Gefahrstoffe und Infektionskrankheiten weiterhin ein aktuelles Thema im Arbeits- und Gesundheitsschutz sind. Den Autoren und Autorinnen sei an dieser Stelle für ihre interessanten Artikel gedankt.
Für die Autorinnen
Dr. med. Jutta Kindel
Ärztin für Innere Medizin
und Arbeitsmedizin
Berner Weg 16 d
22393 Hamburg