In der flachen Hierarchie der KMU (kleine oder mittelständische Unternehmen) ist die Unternehmensleitung entscheidender Impulsgeber, Orientierungspunkt und Vorbild für die gesamte Belegschaft. Zu einem gesunden Betriebsklima gehören die offene Kommunikation auf Augenhöhe, die gegenseitige Wertschätzung, Fairness und Vertrauen. Ein klares Bekenntnis der Unternehmensführung zu Gesundheit und Sicherheit ist unabdingbare Voraussetzung für die Einführung und Etablierung eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM).
Die Grundlagen der Prävention am Arbeitsplatz wurden bereits im Jahr 1974 mit dem Arbeitssicherheitsgesetz geschaffen und 1996 im Arbeitsschutzgesetz fortgeschrieben. Hier setzt auch im Kleinbetrieb die erfolgreiche Prävention an: Unter sachkundiger Betreuung von Sicherheitsfachkraft und Betriebsarzt werden die Arbeitsbedingungen und Produktionsstätten so gestaltet, dass Gefahren gebannt und Gesundheitsschäden möglichst vermieden werden. Auch im Kleinbetrieb beginnt – wie bei den großen Vorbildern – die Prävention mit einer fachgerechten Gefährdungsbeurteilung und dem unternehmerischen Willen, erkannte Gefahren zu entschärfen und gezielt in Sicherheit und Gesundheit zu investieren. Andernfalls läuft der Unternehmer Gefahr, durch Unfallfolgen, Ausfallzeiten und Betriebsstörungen finanzielle Einbußen zu erleiden. Untersuchungen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin aus den Jahren 2014 und 2017 lassen jedoch leider erkennen, dass gerade in KMU noch nicht flächendeckend eine Betreuung durch Betriebsärzte und Sicherheitsfachkräfte sichergestellt ist.
Gefährdungsbeurteilung als Basis
Hilfestellung zur Identifikation von Teilbereichen mit Veränderungsbedarf im Unternehmen bieten in vielen Fällen die Checklisten zur Gefährdungsbeurteilung der Unfallversicherungsträger. Auch der „Kurz-Check“ aus der Kampagne „kommmitmensch“ der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) ist eine gute, kostenfreie Möglichkeit, um sich einen ersten Eindruck über sechs Handlungsfelder zu verschaffen (s. „Weitere Infos“). Dort werden zudem praxisnahe Handlungshilfen angeboten, die meist auf die Beteiligung der Mitarbeiter setzen. Die Belegschaft als „Experten“ ihrer eigenen Arbeitsplätze auf diesem Weg mitzunehmen und sie regelmäßig mit Ideen-Treffen an der kontinuierlichen Verbesserung zu beteiligen, ist ein wichtiger Erfolgsfaktor. Hierzu kann z.B. die gemeinsame Auswahl einer erforderlichen persönlichen Arbeitsschutzausrüstung gehören oder der großzügige Umgang mit Angebots- und Wunschvorsorge, um für den fachlichen Rat des Betriebsarztes die Hemmschwelle zu senken. Auf einer so entstandenen Vertrauensbasis ist es dem Betriebsarzt möglich, ergonomische und physiologische Ratschläge zu geben und frühzeitig präventiv einzugreifen. Die medizinische Beratung samt „Lotsenfunktion“ durch den Arzt vor Ort im Betrieb ist in der Praxis sehr gefragt. Dies beweist die Achtsamkeit und das hohe Interesse vieler Mitarbeiter an ihrer eigenen Gesundheit und erleichtert dem Betriebsarzt die Beratung in der Primärprävention.
Kostenkontrolle und Ressourcen
Während Großunternehmen ihr Betriebliches Gesundheitsmanagement in ihren betrieblichen Strukturen und Prozessen gestalten, lenken und entwickeln, fehlen in KMU dafür manchmal Zeit, Geld und Personal. Aber auch KMU brauchen eine klare Bedarfsanalyse, einen kühlen Blick auf ihre finanziellen Ressourcen und ein erklärtes Ziel, um ihre Maßnahmen zum Erfolg für das Unternehmen werden zu lassen. Hier können Betriebsarzt und Sicherheitsfachkraft mit ihrem Blick auf die betrieblichen Notwendigkeiten und Möglichkeiten („Arbeitsschutz mit Augenmaß“) wertvolle Hilfestellung leisten. Selbstverständlich muss man aber auch von ihnen eine strukturelle und strategische Vorgehensweise im BGM erwarten. Auch im kleinen Rahmen gelten die Regeln des PDCA-Zyklus (Plan – Do – Check – Act) und die konsequente Evaluation der empfohlenen Maßnahmen, da auch in KMU die sichtbaren Erfolge Voraussetzung für die Fortsetzung der Maßnahmen sind.
Mit konsequenter Verhältnis- und Verhaltensprävention entwickelt sich über Jahre – auch in KMU – eine Sicherheits- und Präventions-„kultur“, die einen fruchtbaren Boden für weitere Maßnahmen darstellt. Die Gesundheit der Mitarbeiter spielt auch in kleinen und mittelständischen Unternehmen eine tragende Rolle, denn gerade in KMU leisten die Mitarbeiter einen entscheidenden Beitrag zum Unternehmenserfolg. Ist dieses gemeinsame Verständnis gewachsen, verfolgt Betriebliches Gesundheitsmanagement auch im Kleinbetrieb mit dem durch Betriebsarzt und Sicherheitsfachkraft gut beratenen Unternehmer die gleichen Ziele. Management – in funktionalem wie in institutionellem Sinne – beinhaltet Wirksamkeit, Systematisierung, Professionalisierung, zielgerichtete Steuerung und effizientes und ökonomisches Handeln, das sich eng an den Bedürfnissen des Alltags orientieren muss. Wer Sicherheit und Gesundheit in der täglichen Arbeit zum festen Bestandteil macht, kann sich zeitraubende Diskussionen um das Tragen einer Schutzbrille oder den Einbau einer Sicherheitseinrichtung ersparen: Sichere und gesunde Arbeitsbedingungen führen zu verbesserter Wirtschaftlichkeit und einem positiven Image.
Durch seinen direkten Kontakt zur Geschäftsführung hat der externe Betriebsarzt auch die Chance, dem BGM bei der Unternehmensleitung Nachdruck zu verleihen. Seine Erfahrung aus vergleichbaren Projekten ermöglichen ihm zudem die Abschätzung für finanzielle und zeitliche Ressourcen sowie die Beratung bei der Festlegung der Prioritäten. Während Führungskräfte manchmal lediglich ihre bereichsfixierte Sicht auf die Belastungen der Arbeit haben, liefert die objektive Beurteilung des Betriebsarztes hier ergänzend wertvolle Informationen.
„Präventionsteams“ arbeiten auch in KMU
In überbetrieblichen Diensten sind heute qualifizierte Ergonomen, Bewegungstherapeuten, Arbeitswissenschaftler, Psychologen und Sozialarbeiter niedrigschwellig verfügbar, die das Unternehmen weit über die medizinischen und sicherheitstechnischen Belange hinaus unterstützen können. Typische Beispiele für gezielte Gesundheitsförderung in frühen Phasen des BGM in KMU sind z.B. Arbeitsplatz- und Ergonomieberatungen, Schulungen zum Heben und Tragen oder Hinweise auf Entspannungsverfahren und Ernährungstipps für Adipositas und Schichtarbeit. Idealerweise gelingt es, für solche Beratungen auf das interdisziplinäre Präventionsteam überbetrieblicher Dienste zurückzugreifen. Voraussetzung für eine Delegation von Teilaufgaben sind fundierte fachliche Kenntnisse, Erfahrungen im betrieblichen Alltag und eine anerkannte Ausbildung der anderen Professionen. Die Planung der Durchführung, das Zusammenführen der Ergebnisse und die Ergebnisauswertung gehören aber in jedem Fall in die Hand des Betriebsarztes.
Wie ein solches „Präventionsteam“ erfolgreich im Betrieb arbeiten kann, wurde von Kirsch (2015) in einem Modellprojekt aufgezeigt. Der Betriebsarzt erkennt dabei den Bedarf, kann Teilbereiche der Betreuung an weitere Experten delegieren und erhöht gleichzeitig die Zufriedenheit des Kunden. Dabei bleibt der Betriebsarzt für die Gesundheitsthemen weiterhin als Prozesseigner federführend, wird aber hinsichtlich seiner Kapazitäten entlastet und der Kunde gleichzeitig besser betreut, beispielsweise durch Sportwissenschaftler, die authentisch zu eigenverantwortlichem Verhalten im Umgang mit den physischen Anforderungen motivieren. Viele gute Anregungen hierfür enthält die Website www.gda-bewegt.de der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) zur Vermeidung von Muskel-Skelett-Erkrankungen (s. „Weitere Infos“).
Oft sind es aktuelle Themen wie ein betriebliches Eingliederungsmanagement, bei dem zugedachte Hilfsmittel und Aktionen sich nicht nur im Eingliederungsfall, sondern auch für die übrige Belegschaft bewähren können. Weitere praxisnahe Hilfestellungen für die Mitarbeiter wie „Aktive Pause“ oder „Gesunder Rücken“ zählen häufig zu den zusätzlichen Kundenwünschen, weil oft hier auch erste Hinweise auf Ausfalltage der Mitarbeiter auftreten.
Ohne Anstoß von außen tun sich KMU meist schwer mit der psychischen Gefährdungsbeurteilung. Die scheinbar überschaubare Belegschaft erschwert einerseits eine anonyme Herangehensweise, andererseits tauchen aber auch in den Gesundheitsberichten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aufgrund der geringen Fallzahlen keine detaillierten Informationen hierzu auf, da dies Rückschlüsse auf einzelne Mitarbeiter zuließe. Dennoch ist das Thema hier ebenfalls relevant und muss vom Betriebsarzt objektiv bearbeitet werden. In Einzelfällen kann hier die Unterstützung durch Psychologen eine wertvolle Hilfe sein.
Aktuell entsteht auch in KMU eine Kultur der Vielfalt (Diversity). Es gilt, Sprachbarrieren zu beseitigen und Ausprägungen anderer Kulturen zu akzeptieren und zu integrieren. Hierbei helfen u.a. die Integrationsberater der Arbeitsagenturen und der IHK. Mit einem gesunden „Wir“-Gefühl, das die Unternehmenskultur sehr positiv beeinflusst, wird auch dieser Wandel im Unternehmen zum Erfolg. Klare persönliche Kommunikation erleichtert dabei die Integration.
Präventionsgesetz als Chance
Der Weg des BGM in KMU verläuft somit von unten nach oben. Aus Einzelmaßnahmen werden über die Jahre Programme. Erfolgreiches wird fortgeführt und Neues manchmal mutig ausprobiert: Mit dem Präventionsgesetz stehen gerade den KMU viele kostenlose zertifizierte Angebote der Krankenkassen zur Verfügung, die die betriebliche Gesundheitsförderung weiter unterstützen können. Erste-Hilfe-Kurse, die neben der Belegschaft auch den Familienangehörigen angeboten werden können, und Sportangebote der vielleicht firmeneigenen, steuerlich geförderten „Sportgemeinschaft“ erweitern das Angebot.
Alle Experten sind sich einig: Erfolge im BGM sind kurzfristig nicht messbar. Es bedarf einer mehrjährigen intensiven Kampagne in jedem Unternehmen, bei der zunächst das Gefühl der Zugehörigkeit im Unternehmen gestärkt wird und schließlich die Mitarbeiterbindung und ein Füreinander im Betrieb zu beobachten ist. Kontinuität zahlt sich aus: Die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens ist mehr als nur die Summe seiner Mitarbeiter. Mit gesunder Führung, einer vertrauensvollen Unternehmenskultur und einer motivierten Belegschaft ist das Unternehmen auf der Erfolgsspur.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich für kleine und mittelständische Betriebe folgendes Fazit ziehen: Die erfolgreiche Basis zum Aufbau des BGM in KMU ist eine vertrauensvolle Zusammenarbeit des Betriebsarztes mit der Geschäftsführung und Betriebsleitung, der Arbeitnehmervertretung und den Kollegen der Sicherheitstechnik. Dieses Vertrauen wächst mit langjähriger und intensiver Zusammenarbeit, mit Geduld und Engagement. Strategische Planung am individuellen Bedarf und konsequente Evaluation der empfohlenen Maßnahmen sind auch in KMU unerlässlich. Die niedrigschwellige Einbindung weiterer Gesundheitsexperten für spezielle Angebote ermöglichen überbetrieblichen Diensten für KMU vergleichbare Angebote, die sonst nur in Großunternehmen zum Einsatz kommen. Mit gezieltem Einsatz der Fördermaßnahmen nach dem Präventionsgesetz sind heute auch KMU in der Lage, attraktive Programme anzubieten.
Interessenkonflikt: Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.
Literatur
Barth C, Hamacher W, Eickholt C: Arbeitsmedizinischer Betreuungsbedarf in Deutschland. 1. Aufl. Projektnummer: F 2326. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), 2014.
Barth C, Eickholt C, Hamacher W, Schmauder M: Bedarf an Fachkräften für Arbeitssicherheit in Deutschland. 1. Aufl. Projektnummer: F2388. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), 2017.
Kirsch F: Die zukunfts- und praxisorientierte Gestaltung der betriebsärztlichen Betreuung – ein Modellprojekt. ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2015; 50: 810–817.
Info
Grundlagen vor der Einführung von BGF-Maßnahmen in KMU
- Beratung zur Gefährdungsbeurteilung einschließlich Beurteilung der psychischen Belastungsfaktoren
- Regelmäßige Betriebsbegehungen
- Arbeitsschutzausschuss-Sitzungen
- Erstellung von Anforderungsprofilen für Arbeitsplätze
- Arbeitsmedizinische Vorsorge
- Empfehlungen zur Arbeits(mittel)gestaltung und ihre Umsetzung
- Beratung des Arbeitgebers in allen Fragen des betrieblichen Gesundheitsschutzes (Verhältnisprävention)
- Beratung der Arbeitnehmer zu gesundheits- und sicherheitsgerechtem Verhalten/Arbeiten (Verhaltensprävention)
- Regelmäßige „offene“ Sprechstunde– Blutdruckmessangebot– Impfpasskontrollen
- Statistische Auswertung von – Arbeitsunfällen – betriebsärztlichen Daten – Arbeitsunfähigkeitsquoten
- Ableitung notwendiger Maßnahmen aus den (Gesundheits-)Berichten der Krankenkasse
- Regelmäßige Hinweise zur Kosten-Nutzen-Relation der eingeleiteten Maßnahmen
Info
Beispiele für BGF-Maßnahmen in KMU
- Informationen – Gespräche – Aktionen zur Arbeitsgestaltung und zur Gesundheitsförderung auf allen betrieblichen Ebenen, z.B. auch Firmenevents
- Vorträge – Kurse – Seminare zu Gesundheitsthemen wie Ernährung – Stressbewältigung – rückengerechtes Arbeiten – Raucherentwöhnung – Umgang mit Alkohol – Fitness im Alltag
- Moderation von Gesundheitszirkeln
- Ärztliche Untersuchung und individuelle Gesundheitsberatung
- Beiträge des Betriebsarztes in Hausmitteilungen und Intranet
- Screening-Untersuchungen/Früherkennungsmaßnahmen und kleine Check-ups (Hochdruck-, Melanom-, Cholesterin-Vorsorge)
- Grippe-Impfaktion
- Impfpass-Check, reisemedizinische Beratung
- Betriebsklimaanalyse
Weitere Infos
DGUV: Kurzcheck
https://www.dguv.de/de/praevention/kampagnen/praev_kampagnen/ausblick/index.jsp
Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie
Für die Autoren
Vera Dedic
Dipl. Sportwissenschaftlerin, BGM-Beraterin
ias Aktiengesellschaft
Lothstraße 19
80797 München