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Unfallversicherungsschutz im Homeoffice oder bei Telearbeit

Einleitung

Dank heutiger Kommunikationstechnologien nutzen Selbständige1 und Arbeitnehmer zunehmend die Möglichkeit, ihre Erwerbstätigkeit ganz oder teilweise von zu Hause aus zu erledigen. Die damit einhergehende Individualisierung der Arbeitsgestaltung, das vermehrte Überlappen privater Lebensbereiche mit betrieblichen Funktionsaufgaben sowie die Vermischung eigenwirtschaftlicher und dienstlicher Zielstellungen haben Abgrenzungsprobleme beim gesetzlichen Unfallversicherungsschutz zur Folge. Das Sonderentschädigungssystem der gesetzlichen Unfallversicherung bietet im Homeoffice oder bei der Telearbeit keinen Versicherungsschutz rund um die Uhr. Nicht jede Tätigkeit oder jeder Weg, der auch betrieblichen Zwecken dient, ist versichert. Primär entscheidet sich nach der sog. Handlungstendenz des Telearbeiters im Einzelfall, ob die unfallbringende Verrichtung wesentlich betrieblichen Belangen diente und sie daher für das Unfallereignis einen Versicherungsschutz begründet.

Versicherungsschutz in privaten Räumen

Verrichten Versicherte zu Hause betriebliche Aufgaben, so ist grundsätzlich nur die eigentliche Arbeit versichert. Befinden sich Wohnung und Betriebsstätte im selben Haus (z. B. Telearbeitsplatz mit ausgestattetem Arbeitszimmer oder Büro des Unternehmers im Privathaus) umfasst der Schutz innerhalb der Arbeitsräume sämtliche betriebliche Risiken einschließlich der Wege. Der Versicherungsschutz beginnt aber erst mit dem Erreichen der Räume, Wege und Treppen, die wesentlich dem Unternehmenszweck gewidmet sind und endet wieder bei deren Verlassen.

Zwar können versicherte Tätigkeiten auch außerhalb der zweckgewidmeten Räume in privaten Lebensbereichen anfallen, wie z. B. Archivieren von dienstlichen Unterlagen im privaten Keller. Fraglich ist indes, ob auch die Wege zu oder in diesen Räumen geschützt sind. Ebenso wie für Wege zwischen getrennt liegenden Arbeitsräumen wurde diese Frage in früherer Rechtsprechung nach der Intensität der Nutzung dieser Privatbereiche zu betrieblichen Zwecken entschieden. Nur falls der Unfallort ständig, also nicht nur gelegentlich für betriebliche Zwecke genutzt wurde, konnte Unfallversicherungsschutz bejaht werden.

Rechtsprechung noch zeitgemäß?

Die Abhängigkeit des Wegeschutzes in eigenen Räumen von der Häufigkeit der betrieblichen Nutzung führt nicht nur bei zufälligen Stolperunfällen zu unbefriedigenden Ergebnissen. Ohne Berücksichtigung des konkreten Zwecks, dem der Weg im Moment des Unfalls dient, dürfte der Telearbeiter außerhalb des eigentlichen Arbeitszimmers kaum jemals die Kriterien der überwiegenden Nutzung erfüllen können. Unfallfolgen auf Wegen in der eigenen Wohnung vom oder zum Homeoffice könnten dergestalt kaum jemals entschädigt werden, selbst wenn der Weg ausschließlich betrieblich veranlasst war (Diensttelefon klingelt, Weg zur Haustür, um Arbeitsmaterialien entgegenzunehmen usw.). Der Nutzungsschwerpunkt einer im Unfallmoment begangenen Fläche (Treppe, Flure, anderer Wohnraum) dürfte stets im privaten Lebensbereich zu verorten sein.

Die Tätigkeit im Homeoffice wäre mithin deutlich benachteiligt gegenüber der herkömmlichen Leistungserbringung in Räumen des Arbeitsgebers oder auf der Arbeitsstätte. Denn dort sind Betriebswege zwischen den Arbeitsräumen, zur Außentür der Arbeitsstätte, ja sogar Wege zu Pausenräumen, zur Kantine oder zur Toilette versichert, ohne dass es auf spezifische örtliche oder inhaltliche Gefahrenmomente ankäme. Diese Ungleichbehandlung muss nicht sein.

Betriebsbann versus Wohnungsbann

Im Unternehmen gibt es unbestritten keinen Betriebsbann. Unternimmt eine grundlegend versicherte Person innerhalb des Unternehmens und während der Arbeitszeit einen Weg zu privaten Zwecken (z. B. Weg zur Kollegin, um sich für abends zu verabreden), treten örtliche und zeitliche Komponenten des Tuns vollständig in den Hintergrund. Die Beurteilung des Versicherungsschutzes richtet sich ausschließlich nach der (hier privatwirtschaftlichen) Handlungstendenz. Dieser Weg ist trotz seiner räumlichen Belegenheit im Unternehmen und trotz der zeitlichen Beziehung zur Arbeit kein Betriebsweg. Ein Unfall wäre unversichert.

Daher darf es umgekehrt keinen „Wohnungsbann“ geben. Ein betrieblich veranlasster Weg aus dem Heimbüro darf nicht bereits wegen seiner Belegenheit innerhalb der Wohnung unversichert sein. Auch im primär privaten Lebensbereich sollte der Versicherungsschutz dem Zweck des Weges folgen. Ist dieser nach objektivierter Betrachtung rechtlich wesentlich den betrieblichen Belangen zugeordnet, ist der Weg ein Betriebsweg, dessen allgemeine Wegerisiken vom Versicherungsschutz umfasst sind.

Umdenken in der Rechtsprechung?

Die jüngste Entscheidung des Bundessozialgerichtes zu diesem Thema (Urteil des BSG vom 05. 07. 2016 – AZ: B 2 U 2/15 R) lässt auf ein Umdenken in diese Richtung hoffen. Der Senat hatte dort über einen Wegeunfall im persönlichen Lebensbereich einer Telearbeiterin zu entscheiden. Aufgrund einer Dienstvereinbarung mit ihrem Arbeitgeber wurde ihr im Dachgeschoss ihres Wohngebäudes ein Telearbeitsplatz eingerichtet. Die Arbeitsmittel wurden vom Dienstherrn zur Verfügung gestellt, die häusliche Arbeitsstätte von der Telearbeiterin kostenlos bereitgestellt. Der Weg vom Homeoffice zu den übrigen Wohnräumen führte über eine Treppe, auf der sie umknickte und eine Fußfraktur erlitt. Sie hatte zur Küche gehen wollen, um Wasser zu holen. Krankheitsbedingt musste sie viel trinken und am Arbeitsplatz waren die Wasservorräte ausgegangen.

Die Unfallkasse und das Sozialgericht lehnten einen Arbeitsunfall mit der Begründung ab, der Weg zur Nahrungsaufnahme sei nur dann vom Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung umfasst, wenn er durch die Notwendigkeit geprägt sei, persönlich am Beschäftigungsort anwesend zu sein. Dies sei im von der Klägerin beherrschten privaten Bereich, in dem sie nur privaten Risiken ausgesetzt sei, nicht der Fall. Das Landessozialgericht trat dem entgegen. Es habe sich um einen versicherten Betriebsweg gehandelt, da der Ort, an dem sich der Unfall ereignet habe, wesentlich auch Betriebszwecken gedient habe. Die Klägerin habe ihren Arbeitsplatz ausschließlich über diese Treppe erreichen können. Das Begehen der Treppe habe zum Unfallzeitpunkt auch im inneren Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit gestanden. Das Handlungsziel der Klägerin sei auf die Aufrechterhaltung der Arbeitskraft gerichtet gewesen.

Das Bundessozialgericht verneinte zwar ein betriebliches Handlungsziel und bestätigte das klageabweisende Urteil, bezweifelte aber, ob weiter an der bisherigen Rechtsprechung festgehalten werden könne, die zur Feststellung eines Betriebswegs im häuslichen Bereich auf das Ausmaß der Nutzung des konkreten Unfallorts für betriebliche Zwecke abstellt. Im konkret zu entscheidenden Fall konnte das offen bleiben, weil nach Meinung des Senats bereits die Handlungstendenz privatwirtschaftlich war und der Weg daher nicht auf einen gesetzlich versicherten Tatbestand ausgerichtet war. Zum Zeitpunkt des Unfalls sei die Arbeitnehmerin nicht im unmittelbaren Betriebsinteresse tätig gewesen. Sie sei die Treppe hinabgestiegen, um in der Küche Wasser zum Trinken zu holen. Sie wollte also ihren persönlichen Trinkbedarf decken und demnach einer typischen eigenwirtschaftlichen Tätigkeit nachzugehen. Es sei nicht festgestellt, dass gerade die versicherte Tätigkeit ein besonderes Durstgefühl verursacht hätte oder die Klägerin unabhängig von ihrer Erkrankung betriebsbedingt veranlasst gewesen wäre, sich Wasser zu besorgen.

Wege des Telearbeiters zur Nahrungsaufnahme oder Toilette

Trotz der Ablehnung im Einzelfall besteht nach den Gründen des Urteils die berechtigte Hoffnung, dass der Senat bei zukünftigen Sachverhalten Versicherungsschutz auf Wegen eines Telearbeiters auch außerhalb des Homeoffice bejahen wird, sofern ein betriebsbezogenes Handlungsziel objektiviert werden kann. Dies wird allerdings in häuslicher Umgebung nicht für Wege zur Nahrungsaufnahme oder zur Toilette greifen.

Anders als Beschäftigte in Betriebsstätten außerhalb der eigenen Wohnung unterliegen Mitarbeiter im Homeoffice keinen betrieblichen Anwesenheitsvorgaben oder räumlichen Zwängen, die es rechtfertigen könnten, die Gefahren dieser Wege als betrieblich veranlasst zu werten. Zu Recht betont der Senat, dass die betrieblichen Interessen dienende Arbeit der Wohnung eines Versicherten außerhalb des konkreten Arbeitszimmers nicht den Charakter der häuslichen Lebenssphäre nimmt. Die der privaten Wohnung innewohnenden Risiken habe nicht der Arbeitgeber zu verantworten und vermöge der Versicherte selbst am besten zu beherrschen. Kraft seiner Verfügungsmacht über die Wohnung könne er in der privaten Sphäre durch entsprechendes Verhalten Risiken weitgehend beseitigen oder zumindest reduzieren. In der häuslichen Lebenssphäre bestünde keine betriebliche Gefahrengemeinschaft, in der sich ein betriebsbezogenes Haftungsrisiko verwirklichen könne.

Wege des Telearbeiters außerhalb der Wohnung

Auch außerhalb der eigenen Räume oder des Eigenheims hat die Gestaltungsfreiheit des Tele- oder Heimarbeiters ihren Preis. Diskutiert wird derzeit noch, ob der Weg des Telearbeiters zur Nahrungsaufnahme in ein Restaurant oder zur Versorgung mit Nahrungsmitteln für den alsbaldigen Verzehr ab seiner Haustür bzw. bis dort zurück als versicherter Weg anerkannt werden kann.

Das BSG hat in der Entscheidung vom 18.06.2013 – B 2 U 7/12 R – angedeutet, dass möglicherweise bei einem Arbeitnehmer, der in Vollzeit als Heim- oder Telearbeiter tätig wird, aus Gleichheitsgründen zu akzeptieren sei, dass – wie bei allen anderen Arbeitnehmern – jedenfalls ein solcher Weg täglich als versichert akzeptiert werden könnte, wenn die eigenen Räume hierzu verlassen würden. In derselben Entscheidung wurde allerdings der Versicherungsschutz eines Arbeitnehmers für die Wege zwischen seinem Homeoffice und einem Restaurant verneint, wo er neben dem Essen weiter gearbeitet hatte. Eine wesentliche Rolle mag hier die Uhrzeit des Essens nach 22 Uhr gespielt haben sowie der Umstand, dass der Arbeitnehmer über ein Büro in der Geschäftsstelle des Arbeitgeber verfügte und nur außerhalb der Bürozeiten zusätzlich das Homeoffice nutzte. Jedenfalls urteilte der Senat, dass die zu beliebigen Uhrzeiten vorgenommenen Wege aus einem in der eigenen Wohnung befindlichen, zusätzlichen Heimbüro zur privaten, nicht dienstlich veranlassten Nahrungsaufnahme nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehen.

Schließlich wird dem Heim- und Telearbeiter beim Verbringen von Kindern zur Tagesmutter oder Kindertagesstätte ein Versicherungsschutz, wie er anderen Arbeitnehmern zu Gute kommt, verweigert. Der Grund liegt darin, dass § 8 Abs. 2 Nr. 3 SGB VII zwar den Weg der Eltern, die ihre Kinder wegen der beruflichen Tätigkeit fremder Obhut anvertrauen, schützen will, dies aber auf Umwege bzw. Wegeverlängerungen des normalen Arbeitswegs begrenzt. Wer im Homeoffice für seinen Arbeitgeber arbeitet, hat keinen nach § 8 Abs. 2 SGB VII versicherten Weg zu oder von der Arbeitsstätte, also auch keinen Versicherungsschutz beim Verbringen der Kinder. Angesichts des hochrangigen Verfassungsschutzes, den Familien bzw. die Eltern-Kind-Beziehung aus Art. 6 Grundgesetz genießen, ist die sachlich nicht begründete Schlechterstellung von Telearbeitern kritisch zu sehen. Bei verfassungskonformer Interpretation des gesetzgeberischen Willens könnte den heimarbeitenden Eltern durch analoge Anwendung des § 8 Abs. 2 Nr. 3 SGB VII geholfen werden.

Abschließend ist angesichts der komplexen Rechts- und Tatsachenfragen jedem Versicherten, der bei betrieblicher Tätigkeit in häuslicher Umgebung oder auf Wegen dorthin verunglückt, zu raten, eine Unfallanzeige zu veranlassen und sich vorsorglich beim Durchgangsarzt vorzustellen. Dies gilt auch bei nur gelegentlicher oder einmaliger Arbeit in häuslicher Umgebung. Sollte der Unfallversicherungsträger einen Arbeitsunfall verneinen, ist eine kritische, fachkundige Prüfung der Ablehnungsgründe anzuraten. Nicht zuletzt wegen der noch zu erwartenden Weiterentwicklung der Rechtsprechung können im Einzelfall Widerspruch und Klage geboten sein.

Fußnoten

1 Es ist von der jeweiligen Branche abhängig, ob Selbstständige Pflichtversicherungsschutz in der Gesetzlichen Unfallversicherung genießen. Ebenso wie Unternehmer haben sie aber stets die Möglichkeit, eine freiwillige Versicherung zu beantragen.

    Autor

    Reinhard Holtstraeter

    Rechtsanwalt

    Lorichsstraße 17

    22307 Hamburg

    mail@ra-holtstraeter.de

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