Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch
Vorstellung eines wohnortnahen Rehabilitationskonzeptes

Ganztägige ambulante psycho-somatische Rehabilitation

Entstehungskontext

In Düsseldorf wurde im Sommer 2005 auf Initiative der Deutschen Rentenversicherung im Rahmen einer bereits bestehenden ambulanten Rehabilitationseinrichtung für Orthopädie, Neurologie und Geriatrie eine neue Abteilung für Psychosomatik eröffnet. Träger der Facheinrichtung ist die Allgemeine Hospitalgesellschaft (AHG), ein Klinikkonzern, der bundesweit 42 Facheinrichtungen für Suchttherapie, Soziotherapie und Psychosomatik betreibt.

Im Zusammenhang mit einer guten Ent-wicklung der Fallzahlen, der Therapiekon-zepte, mehrerer Ausweitungen der Räumlichkeiten, der Ausbildung von Kooperationen zu Unternehmen der Region, der Kostenträger und der Entwicklung neuer, z. T. präventiver Konzepte, ist seit 01. 01. 2010 aus der ursprünglichen Abteilung für Psychosomatik eine eigenständige Klinik geworden. Ganztägige ambulante Rehabilitation im Fachbereich Psychosomatik wird seit 1998 angeboten und ist der stationären Reha gleichgestellt. Im Gegensatz zur stationären psychosomatischen Rehabilitation führt die ambulante Reha ein Schattendasein: Bedauerlicherweise gibt es im ganzen Bundesgebiet nur etwa ein Dutzend Einrichtungen die wohnortnah psychosomatische Komplextherapie anbieten.

Der Rehabilitationsauftrag

Die sozialgesetzgeberische Aufgabe sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich ist bei bestehenden krankheitswertigen psychischen Belastungen, deren Verschlimmerung zu verhindern, Chronifizie-rung zu vermeiden, Belastungen zu reduzieren und die Teilhabefähigkeit am gesellschaftlichen Leben der Betroffenen wieder herzustellen. Teilhabefähigkeit bezieht sich auf Teilhabe am beruflichen, sozialen, kulturellen und auch religiösen Leben in der Gemeinschaft.

Entstehung rehabilitationsbedürftiger psychischer Leiden

Nach unseren Erfahrungen wirken sich psychosomatische Erkrankungen in vielen Fällen im zwischenmenschlichen Bereich aus. Aus vielfältigen Gründen weisen viele psychosomatisch Erkrankte ein Bindungs- und Beziehungsverhalten auf, dass einer-seits ihre biografisch erworbenen, seelischen Verwundungen schützen soll (sozialer Rückzug, Misstrauen, unsicheres So-zialverhalten, leichte Kränkbarkeit), jedoch andererseits erneute Kränkungen und Verwundungen durch aktuelle Sozialpartner hervorbringt. Mitunter entsteht aus diesen Zusammenhängen ein Teufelskreislauf, der schließlich nach immer wiederkehrend fru-strierenden privaten und beruflichen Beziehungserfahrungen zu einer Haltung von Resignation und Vorwürflichkeit und zur Einnahme einer Opferhaltung führt, aus der dann nach entsprechend langer Arbeitsunfähigkeit im mittleren Lebensalter eine Versorgungswunsch im Sinne eines Rentenbegehrens entsteht.

So ist es auch nicht verwunderlich, dass ein Großteil der Patientinnen und Patienten zumindest belastungs- und krankheitsauslösend mit Arbeitsplatzkonflikten zur Behandlung kommen. Die in den letzten Jahren zunehmende Arbeitsverdichtung, das ubiquitär verbreitete und zum Teil maßlose Streben nach materiellem Gewinn für den Preis unmenschlicher und menschenunwür-diger Arbeitsverhältnisse und Arbeitsbe-ziehungen wirkt auf die genannten Zusam-menhänge in desolater Weise synergistisch, so dass die erheblichen und in Zunahme begriffenen Arbeitsunfähigkeitszeiten und die genauso zunehmen Frühberentungen aufgrund psychischer Erkrankungen hier ihre Begründung erfahren.

Das Menschenbild

Die hier sehr komprimiert und verkürzt dargestellten Zusammenhänge führen zu einer Reduktion der Umsetzung so genannter Basisbedürfnisse (Bindung, Autonomie, körperliches Wohlbefinden und Selbstwert-erhöhung).

Nach unserem Menschenbild ist die kon-struktive Umsetzung und Realisierung dieser Basisbedürfnisse jedoch von vornehmlicher Bedeutung in der Heilung, Reduktion und Verhinderung psychischen Leidens.

Das Veränderungsbild

Das Konzept des AHG Gesundheitszentrum richtet demnach sein gesamtes Behandlungskonzept auf die Vermittlung positiv emotional korrigierender Erfahrungen in der Umsetzung der genannten Grundbedürfnisse:

Rehabilitation, d. h. Wiederherstellung von Teilhabefähigkeit, bedeutet stets Lebensstilveränderung. Um eine nachhaltige Lebensstilveränderung hervorzubringen, reicht vielfach ein ausschließlich auf Lernen und Erkenntnis ausgerichtetes verhaltensmedizinisches Konzept nicht aus. In unserer Arbeit erleben wir, dass häufig diejenigen Patientinnen und Patienten hilfreich und nachhaltig profitieren, die während der Rehabilitation neue, positive und emotional intensiv erlebte Erfahrungen gemacht haben, die ihnen dazu verhelfen neue und hilfreiche Einstellungen und Sichtweisen zur eigenen Person, der Bewertung der Vergangenheit und einer optimistischen Einschätzung der Zukunft zu gewinnen. Aus diesen neuen und hilfreichen Einstellungen heraus entsteht dann Motivation neue Verhaltensweisen zu probieren, die dann entsprechende positive Antworten aus der Umwelt hervorbringen. Diese wirken wiederum als Verstärker der neuen Einstellung und auch des neuen Verhaltens.

Vorteile ganztägig ambulanter psychosomatischer Rehabilitation

Aus dem zuletzt Beschriebenen geht unmittelbar hervor, dass wohnortnahe Behand-lung einen unschätzbaren Vorteil gegenüber stationären Komplextherapien aufweist, nämlich die Einbeziehung von Sozialpart-nern sowohl im privaten wie auch im beruflichen Umfeld. Dies findet in der ganztägigen ambulanten Rehabilitation auf unterschiedlichen Ebenen statt:

  • Einerseits kehren die Patientinnen und Patienten allabendlich in ihr persönliches Umfeld zurück und berichten dort von ihren Therapieerfahrungen. Neue Verhaltensweisen können entsprechend fraktioniert während der gesamten, durchschnittlich sechs Wochen währenden Rehabilitation im Umfeld ausprobiert und angewendet werden. Diese neuen Verhaltensweisen sind vielfach von beziehungsförderlichem sorgendem und selbstsorgendem Verhalten geprägt. Die Patientinnen und Patienten bekommen alltäglich und auch für die Wochenenden Hausaufgaben auf, die die Umsetzung der bereits genannten vier Basisbedürfnisse beinhalten.
  • Ehepartner, Kinder, Eltern können im Rahmen von Familiengesprächen mit in die Behandlung einbezogen werden. Angehörigengruppen zur Information über die Behandlung und zur Beantwortung von Fragen, auch zur Reduktion von Ängsten und Befürchtungen können durchgeführt werden.
  • In Anbetracht der Gegebenheit, dass von denjenigen Patienten, die noch einen Arbeitsplatz haben mindestens 75 % einen Arbeitsplatzkonflikt aufweisen, liegt es auf der Hand, den Vorgesetzten, den Betriebsrat, das BEM-Management, die Schwerbehindertenvertretung zu einem Arbeitgebergespräch einzuladen mit dem Ziel, Konflikte beizulegen, Umsetzung bei Leistungswandlung zu initiieren, stufenweise Wiedereingliederung abzustimmen etc. Wir sind immer wieder erfreut und erstaunt, wie viele Arbeitgeber auch nach langer AU-Zeit bereit sind, einer solchen Einladung zu folgen.
  • Zwischenzeitlich bestehen zwischen unserer Klinik und insgesamt fünf großen Unternehmen enge Kooperationsvereinbarungen hinsichtlich der Durchführung von kostenfreien Vorgesprächen für Mitarbeiter, Durchführung von Rehabilitationsbehandlungen, Durchführung von Führungskräfteseminaren zu unterschiedlichen Themen: Vermittlung von Wissen zu psychosomatischen Leiden für die Früherkennung, Vermittlung von Verhaltenskompetenzen entsprechende Mitarbeiter anzusprechen und Behandlung in Anspruch zu nehmen, Vermittlung von emotionaler Führungskompetenz mit dem Ziel einen wertschätzenden und sorgenden Umgang mit Mitarbeitern zu fördern und Konflikte in einem frühen Stadium hilfreich und für beide Seiten befriedigend zu lösen. Zwei der Unternehmen besuchen regelmäßig unsere Einrichtung und ver-mitteln Patientinnen und Patienten, die ihren Arbeitsplatz bereits verloren haben Fähigkeiten für die Bewerbung durch Vorträge, Bewerbungstrainings, Individualberatung. Mitunter entstehen bei diesen Begegnungen auch neue Arbeits-verhältnisse. Durch diese Kooperationen werden auf indirekte Art und Weise ca. 25 000 Beschäftigte in unserer Region erreicht.

Ganztägige ambulante Rehabilitation im Fachbereich Psychosomatik und Nachsorge

Entsprechend unserer hausinternen Erhebungen aus unserer Basisdokumentation ergibt sich als Altersschwerpunkt unseres Klientels 44 Lebensjahre. Dysfunktionale Erlebens- und Verhaltensweisen haben sich demnach über viele Jahre entwickelt und sind während einer Rehabilitationsbehandlung im Sinne eines intensiven therapeutischen Impulses gut zu modifizieren und zu verändern. Eine nachhaltige Lebensstilveränderung durch belastbare, neue, flexible und angemessene Bewertungs, Erlebens- und Verhaltensweisen bedarf jedoch umfangreicher Nachsorgeangebote, die wir im AHG Gesundheitszentrum durch die wohnortnahe Behandlung auch gestalten und anbieten können: Intensive Rehabilitations-nachsorge (IRENA), finanziert durch die Rentenversicherungen, ermöglicht entlassenen Rehabilitanden aus unserer Klinik, aber auch aus stationären Einrichtungen, die Teilnahme an wöchentlich stattfindenden, therapeutisch geleiteten Nachsorgegruppen für insgesamt ein halbes Jahr nach der Reha. Darüber hinaus tagen in unserer Einrichtung ca. 14 Selbsthilfegruppen, innerhalb derer sich ehemalige Patientinnen und Pa-tienten zusammenfinden, um weiter an ihrem Genesungsweg zu arbeiten, Ehemaligen-Wochenenden zur Auffrischung von Reha-inhalten, Reha-Sportangebote runden das Nachsorgeangebot ab, das sich nicht in Kon-kurrenz zur ambulanten Richtlinienpsycho-therapie versteht, sondern im Gegenteil als hilfreiche Ergänzung. Die wohnortnahe Behandlung ermöglicht hier eine Aufrecht-erhaltung der therapeutischen Beziehung zwischen Komplextherapie und Nachsorge, ein sicherlich wichtiger Aspekt zur Förderung regelmäßiger Teilnahme an der Nachsorge und auch zur begleiteten Reintegration in das berufliche und private Umfeld.

Ganztägige ambulante Rehabilitation im Fachbereich Psychosomatik und Prävention

Die Erhebungen aus unserer Basisdokumentation erbrachten unter anderem auch, dass mit zunehmender Tendenz hinsichtlich des Beobachtungszeitraumes von drei Jahren (2009, 2010, 2011) die Arbeitsunfähigkeitszeiten vor Beginn der Rehabilitation kontinuierlich zugenommen haben. Im Jahr 2011 waren 62 % unserer Patienten länger als 6 Monate vor Beginn der Rehabilitation arbeitsunfähig. Im klinischen Kontext kön-nen alltäglich individuell sogar noch deutlich längere Arbeitsunfähigkeitszeiten fest-gestellt werden. Nicht selten sind die Patien-ten 1 Jahr bis 1,5 Jahre krankgeschrieben oder auch bereits seit Längerem ausge-steuert. Bedauerlicherweise sind die genannten Patientinnen und Patienten oft auch nicht in ambulanter Richtlinienpsychotherapie. Diese Gegebenheit richtet in erster Linie einen vielfach nicht wieder gut zu machenden Schaden an den Patienten selbst an, da das psychosomatische Leiden in diesen langen, unbehandelten Zeiträumen chronifiziert und damit für eine aussichtsreiche Behandlung immer schwerer zugänglich wird. Zugleich entstehen nach un-serem Dafürhalten in unverantwortlicher Weise vermeidbare finanzielle Belastungen für das Gesundheitssystem. Zur Abhilfe bieten wir zwischenzeitlich ein Konzept an, das sich auf Patientinnen und Patienten ausrichtet, die aufgrund eines psychosomatischen Leidens erst seit sechs Wochen arbeitsunfähig sind (Lohnfortzahlung des Unternehmens). Diese Patientinnen und Patienten erhalten seit Herbst diesen Jahres in unserer Klinik ein frührehabilitatives und frühinterventionelles Behandlungsangebot mit dem Namen PAULI: Psychosomatik, Auffangen, Unterstützen, Leiten, Intergieren. Im Rahmen dieses Konzepts, das in Zusammenarbeit mit der AOK Rheinland Hamburg, der Deutschen Rentenversicherung Rheinland und unserem Gesundheitszentrum entstanden ist, werden Betroffene an drei Vormittagen in der Woche zu einer Komplextherapie eingeladen, um die strukturarme Zeit der Krankschreibung sinnvoll zu nutzen und um auf eine sich anschließende Komplextherapie vorbereitet zu werden. Gegebenfalls kann ein Teil der PAULI-Patienten auch direkt nach der Behandlung in das Berufsleben zurück geführt werden, da wir hypothetisieren, dass eine frühzeitige Behandlung psychosomatischer Leiden eine kürzere und weniger umfangreiche Therapie zur Erreichung von Arbeitsfähigkeit ermöglicht.

Ein zweites, präventives Angebot wird vorrausichtlich ab dem kommenden Jahr in unserer Einrichtung umgesetzt. Es wendet sich an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer großer Unternehmen, bei denen die Werks- und Betriebsärzte die Entstehung eines psychosomatischen Leidens im Zusammenhang mit vermuteten betrieblichen oder privaten Belastungen erkennen. Dieses Behandlungskonzept betrifft also Menschen im Arbeitsfähigkeitsstatus und orientiert sich in seiner inhaltlichen Ausrichtung an Plan Gesundheit, einem Konzept, dass in einer früheren Ausgabe dieser Zeitschrift umfänglich vorgestellt wurde. Im Rahmen eines sog. „Setting-Ansatzes“ sollen die Betroffenen zu einem konstruktiven und sorgenden Umgang mit ihrem Körper und ihren Sozialpartnern eingeladen werden. 

    Autor

    Matthias Gasche

    Facharzt für Psychotherapeutische Medizin und Sozialmedizin

    Chefarzt des AHG Gesundheitszentrums Düsseldorf

    Helmholtzstraße 17

    40215 Düsseldorf

    mgasche@ahg.de

    Jetzt weiterlesen und profitieren.

    + ASU E-Paper-Ausgabe – jeden Monat neu
    + Kostenfreien Zugang zu unserem Online-Archiv
    + Exklusive Webinare zum Vorzugspreis

    Premium Mitgliedschaft

    2 Monate kostenlos testen