Einleitung
Arbeit sichert den Lebensunterhalt und sorgt für die Absicherung im Alter, bei Krankheit, Unfall und im Pflegefall. Der weit überwiegende Teil des deutschen Sozialstaats wird über lohnbezogene Sozialbeiträge finanziert. Über die Sicherung des Lebensunterhalts hinaus kann Arbeit aber auch eine Quelle von Lebenssinn, Selbstvertrauen oder Zufriedenheit sein. In der Regel hat Arbeit einen positiven Einfluss auf die Gesundheit und die persönliche Entwicklung des Einzelnen. Zudem strukturiert Arbeit über weite Teile des Lebens den Ablauf des Alltags und ermöglicht den Kontakt mit Arbeitskolleginnen und -kollegen oder Kunden sowie soziale Anerkennung.
Die jährlich erhobenen Daten des Sozioökonomischen Panels zeigen, dass Erwerbstätige signifikant zufriedener sind als arbeitslos gemeldete Personen (Enste u. Ewers 2014). Das psychische Wohlbefinden ist gemäß einer Studie des Robert Koch-Instituts bei Erwerbstätigkeit in Vollzeit am höchsten. Es folgen Teilzeiterwerbstätigkeit und geringfügige Beschäftigung; das psychische Wohlbefinden von Hausfrauen und -männern liegt nur geringfügig über dem von Arbeitslosen (Thielen u. Kroll 2013).
Der Anteil der arbeitsfähigen Bevölkerung, der am Arbeitsmarkt teilhaben konnte, hat in den letzten 70 Jahren geschwankt und insbesondere in den alten Bundesländern und nach der Wiedervereinigung mehrere Höhen und Tiefen durchlebt. Zurzeit verzeichnen wir eine Rekordbeschäftigung. Aber Ängste bleiben, dass Veränderungen in der Arbeitswelt, wie insbesondere die Digitalisierung, zum nächsten Tief führen könnten, sollten Roboter und Algorithmen die Arbeit übernehmen. Zumindest in Bezug auf die Digitalisierung sind sie unbegründet: In Zukunft werden zwar einige Berufsbilder verschwinden. Allerdings entstehen neue Berufe bzw. bestehende entwickeln sich weiter, so dass in der Summe sogar leicht positive Beschäftigungseffekte prognostiziert werden (Arntz et al. 2018).
Anders als beim Arbeitsmarkt ist im Themenfeld Arbeit und Gesundheit in den letzten 70 Jahren ein durchgängiger Aufwärtstrend zu beobachten und neue technische Möglichkeiten lassen optimistisch in die Zukunft blicken, Arbeit noch besser und sicherer zu gestalten als sie ohnehin schon ist.
Neben dem technischen Fortschritt (der einen Wegfall gefährlicher Arbeit und eine immer sicherere Gestaltung von Arbeit ermöglicht) tragen die Erkenntnisse unterschiedlicher Disziplinen wie der Arbeitswissenschaft, Arbeitspsychologie und der Arbeitsmedizin zum Aufwärtstrend bei. Auch in entsprechenden Gesetzen wie z.B. dem Arbeitssicherheitsgesetz und dem SGB V ist z.B. die Arbeitsmedizin, sowohl ihre Erkenntnisse als auch ihre Medizinerinnen und Mediziner, in den letzten 70 Jahren zunehmend verankert worden. Betriebsärzte sind wichtige Partner der Arbeitgeber bei allen Fragen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes im Betrieb. Die Rolle der Betriebsärzte in den Unternehmen hat sich hierbei in den letzten 70 Jahren ebenfalls weiterentwickelt – von einem Fokus auf arbeitsmedizinische Untersuchungen hin zu präventiven Aspekten und einer Schlüsselrolle für Gesundheit innerhalb der Unternehmen und auch außerhalb, z.B. bei der Zusammenarbeit mit verschiedenen Sozialversicherungszweigen und der hausärztlichen Versorgung. Bedingung hierfür ist allerdings, dass genügend Betriebsärzte für diese Aufgaben zur Verfügung stehen.
70 Jahre Arbeit und Gesundheit – ein Rückblick
Arbeits- und Gesundheitsschutz
Das heute als selbstverständlich erachtete Niveau im Arbeits- und Gesundheitsschutz ist keineswegs von der Gründung der Bundesrepublik an so gewesen. Der Arbeits- und Gesundheitsschutz wurde in der Bundesrepublik stetig weiterentwickelt, was unter anderem an einer ständig wachsenden Zahl von Gesetzen, Vorschriften, Richtlinien und Regeln abzulesen ist. Auch in der DDR wurde ein Regelwerk geschaffen, das sich an der UdSSR orientierte. Nach der Wiedervereinigung ist das Regelwerk inzwischen so komplex geworden, dass es einer Vorauswahl und Aufbereitung der relevanten Aspekte für die Anwendung in der Praxis bedarf. Diese Aufarbeitung leisten beispielsweise die Branchenregeln der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (s. „Weitere Infos“). Parallel zur Weiterentwicklung des Regelwerks und einem immer besseren Arbeitsschutz in den Betrieben sind immer mehr gefährliche Arbeiten und Arbeitsumgebungen weggefallen. Im Bereich der gewerblichen Wirtschaft konnten sowohl die Zahl der Arbeitsunfälle insgesamt als auch die Unfallquote (Arbeitsunfälle je 1 Million Arbeitsstunden) seit der Wiedervereinigung halbiert werden. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland bei den Arbeitsunfällen und tödlichen Arbeitsunfällen deutlich unter dem EU-Durchschnitt.
Einen wesentlichen Beitrag für diese positiven Entwicklungen leisten die Unternehmen im Rahmen des gesetzlich verpflichtenden Arbeits- und Gesundheitsschutzes, der der Vermeidung betrieblich bedingter Ursachen von Krankheiten und Unfällen dient. Nicht nur Großunternehmen, sondern auch fast 90% der Klein- und Kleinstbetriebe weisen dem Arbeits- und Gesundheitsschutz nach Ansicht sowohl der Inhaberinnen und Inhaber als auch der Beschäftigten eine hohe Bedeutung zu (Sczesny et al. 2014), auch wenn es bei der Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung noch Luft nach oben gibt.
Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM)
Im Jahr 2004 kam das BEM als Pflicht für Arbeitgeber hinzu. Es hat das Ziel, eine gesundheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit zu überwinden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen und den Arbeitsplatz zu erhalten. Ein BEM kann zudem zur erfolgreichen Inklusion von Menschen mit Behinderungen beitragen. Angesichts des demografischen Wandels kann ein gut gestaltetes BEM somit einen Beitrag zur Fachkräftesicherung leisten und Fehlzeiten sowie Lohnfortzahlungskosten reduzieren. Welche Maßnahmen im Rahmen eines BEM eingesetzt werden, hängt vom konkreten Einzelfall ab, für dessen Beratung und Unterstützung Betriebsärzte eine zentrale Rolle spielen.
Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF)
Ein weiterer Baustein im Themenfeld Arbeit und Gesundheit, der in den letzten Jahrzehnten Fahrt aufgenommen hat, ist die betriebliche Gesundheitsförderung. Im Jahr 2007 wurden die Kann-Leistungen der Krankenkassen zur betrieblichen Gesundheitsförderung für diese verpflichtend und 2016 mit dem Präventionsgesetz noch einmal ausgeweitet. Unternehmen beteiligen sich zunehmend freiwillig mit vielfältigen Maßnahmen an der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe der Gesundheitsförderung. Die Anzahl der Unternehmen, die BGF-Maßnahmen in ihrem Betrieb durchführten, ist gemäß einer repräsentativen Erwerbstätigenbefragung von 38% im Jahr 2006 auf 44% im Jahr 2012 gestiegen (Beck u. Lenhardt 2016). Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels stehen die Unternehmen im Wettbewerb um geeignete Beschäftigte und Auszubildende und können diese auch durch geeignete Gesundheitsangebote gewinnen und binden. Die Palette der von den Unternehmen durchgeführten Maßnahmen ist breit und reicht von Bewegungs-, Entspannungs- und Ernährungsangeboten bis hin zur Erstellung von Gesundheitsberichten und Seminaren zur gesundheitsgerechten Mitarbeiterführung.
Arbeit der Zukunft – ein Ausblick
Die Arbeit der Zukunft wird, wie bereits in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten, vor allem durch den demografischen Wandel und die Digitalisierung bestimmt. Fachkräftemangel und ältere Belegschaften erfordern mehr Anstrengungen zur Sicherung der Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit. Der Wunsch nach mehr Flexibilisierung von Seiten der Kunden, Beschäftigten und Unternehmen führt zu neuen Herausforderungen, aber auch zu neuen Erkenntnissen im Arbeits- und Gesundheitsschutz. Die Digitalisierung wird immer präsenter in den Unternehmen und bringt neue Gestaltungsmöglichkeiten mit sich. Laut einer Studie des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (2017) nutzen 43% der Unternehmen Cloud Computing; 67% geben an, ihre internen Prozesse hoch oder äußerst hoch digitalisiert zu haben. Auch 3D-Drucker, die Nutzung von Big Data, Industrie 4.0 sowie künstlicher Intelligenz nehmen langsam zu.
Neben dem wirtschaftlichen Potenzial bringt die Digitalisierung aber auch viele Möglichkeiten für eine gute Arbeitsgestaltung und die weitere Reduzierung von Gesundheits- und Unfallrisiken für Beschäftigte mit sich. Einige neuere Technologien, zum Beispiel innovative Hebehilfen oder Exoskelette, dienen explizit dem Zweck, ungünstige körperliche Anstrengungen zu reduzieren. Auch Mensch-Maschine-Kollaborationen können entsprechend gestaltet werden. So können z.B. Drohnen Schäden am Dach, Brände oder Unfallbereiche aus der Luft begutachten und somit die Risiken für Dachdecker und Feuerwehrleute reduzieren. Arbeiten, die für den Menschen gefährlich oder monoton sind, können von Servicerobotern wie z.B. Reinigungsrobotern für Tanks erledigt werden. Serviceroboter können Hol- und Bringdienste übernehmen und somit die Beschäftigten zeitlich und körperlich entlasten. Montagearbeiten können zwischen Roboter und Mensch je nach Belastung aufgeteilt werden oder es kann sogar ein gemeinsamer Arbeitsprozess so gestaltet werden, dass die physische Belastung für den Menschen optimal gestaltet werden kann. Auch bei der Gestaltung psychischer Belastung bringt die Digitalisierung neue Möglichkeiten mit sich: Algorithmen machen durch die Übernahme oft einseitiger Routinetätigkeiten die Arbeit für den einzelnen Menschen abwechslungsreicher und erhöhen dabei dessen Produktivität (z.B. Chatbots). Schließlich können Sinnesbeeinträchtigungen durch innovative Sprach-, Seh- und Hörhilfen oder kompetenzfördernde Assistenzsysteme kompensiert werden.
Insbesondere ältere Beschäftigte und Menschen mit Behinderung könnten von dieser Entwicklung profitieren. Assistenzsysteme könnten ältere oder motorisch eingeschränkte Beschäftigte dabei unterstützen, länger in körperlich fordernden Bereichen zu arbeiten. Arbeiten im Homeoffice bietet mobilitätseingeschränkten Menschen neue Chancen.
Der technologische Wandel der Arbeitswelt stellt Arbeitgeber und Beschäftigte natürlich auch vor neue Herausforderungen. Das bestehende Arbeitsschutzsystem ist gut aufgestellt, um die Arbeitswelt im Zeitalter der Digitalisierung sicher und gesund gestalten zu können. Die heute geltenden Arbeitsschutzvorschriften – insbesondere das Arbeitsschutzgesetz, das Arbeitsschutzziele definiert und nicht detaillierte Maßnahmen vorgibt – sind flexibel genug und werden auch neuen Arbeitsformen und Arbeitsbedingungen gerecht. Allerdings ist teilweise eine an der modernen Arbeitswelt orientierte Interpretation und Übersetzung dieser grundlegenden Ziele erforderlich. Bei der Geschwindigkeit des digitalen Wandels ist es entscheidend, dass das Gestaltungswissen, die Verbreitung guter Praxis und niederschwellige Handlungshilfen mit dem Wandel Schritt halten.
Das freiwillige Engagement von Arbeitgebern für die Gesundheit ihrer Beschäftigten wurde in diesem Jahr mit dem „Gesetz zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften“ unnötig ausgebremst. Das Einkommenssteuergesetz sieht nun vor, dass arbeitgeberseitige verhaltenspräventive Maßnahmen nur dann für Beschäftigte steuerfrei sind, wenn diese vorab durch die Krankenkassen zertifiziert wurden. Diese Ergänzung sollte rückgängig gemacht werden. Statt das Engagement der Unternehmen zu erschweren, sollte die gesetzliche Regelung zur Steuerbefreiung von Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung praxisgerechter ausgestaltet werden.
Neben der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers und seinem freiwilligen Engagement darüber hinaus gilt aber auch, dass jeder einzelne Beschäftigte mit Eigenverantwortung und -initiative die Herausforderungen des Wandels der Arbeit angehen muss. Der Arbeitgeber kann zwar ein geeignetes Gerät für mobiles Arbeiten stellen, auf eine geeignete Sitzposition, Blendfreiheit, Pausen etc. muss der Beschäftigte selbst an seinem gewählten Arbeitsort achten. Sowohl bei der Gestaltung der eigenen Arbeitszeit, dem Erwerb von Erholungskompetenzen als auch einer gesunden Arbeitsgestaltung beim mobilen Arbeiten kann der Arbeitgeber lediglich unterstützen, indem er seine Beschäftigten befähigt, die mit der Digitalisierung einhergehenden neuen Freiheiten auch gesundheitsgerecht zu nutzen. Auch über den Aspekt der Gesundheit hinaus wird Weiterbildung ein entscheidender Faktor sein, um mit dem digitalen Wandel Schritt zu halten.
Fazit
Arbeit ist die Basis für den Lebensunterhalt des Einzelnen und die Finanzierung des Sozialstaats. Darüber hinaus kann Arbeit einen positiven Beitrag zur Gesundheit leisten. Der Arbeits- und Gesundheitsschutz hat in den letzten 70 Jahren dafür Sorge getragen, dass Unfall- und Gesundheitsrisiken bei der Arbeit deutlich reduziert werden konnten.
Der Wandel der Arbeit, insbesondere neue Technologien, aber auch Weiterbildung und Flexibilisierung bieten weiteres Potenzial, um Arbeit ausgehend von einem bereits hohen Niveau noch besser und sicherer zu gestalten. Damit dieses Potenzial ausgeschöpft werden kann, müssen viele einen Beitrag leisten:
Literatur
Arntz M, Gregory T, Zierahn U: Digitalisierung und die Zukunft der Arbeit: Makroökonomische Auswirkungen auf Beschäftigung, Arbeitslosigkeit und Löhne von morgen. Mannheim: Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), 2018.
Barth C, Hamacher W, Eickholt C: Arbeitsmedizinischer Betreuungsbedarf in Deutschland. Berlin: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 2014.
Beck D, Lenhardt U: Betriebliche Gesundheitsförderung in Deutschland: Verbreitung und Inanspruchnahme. Ergebnisse der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragungen 2006 und 2012. Das Gesundheitswesen 2016; 78: 56–62.
Bundesministerium für Wirtschaft und Energie: Monitoring-Report Wirtschaft DIGITAL, 2017.
Enste D, Ewers M: Lebenszufriedenheit in Deutschland: Entwicklung und Einflussfaktoren. IW-Trends 2014; 41: 43–58.
Sczesny C, Keindorf S, Droß P, Jasper G: Kenntnisstand von Unternehmen und Beschäftigten auf dem Gebiet des Arbeits- und Gesundheitsschutzes in KMU. Berlin: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 2014.
Thielen K, Kroll L: Alter, Berufsgruppen und psychisches Wohlbefinden, Bundesgesundheitsblatt 2013; 56: 359–366.
Weitere Infos
Futurework
BDA kompakt, Betriebsärztemangel
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