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Die von Pflegenden unterschiedlicher ­Pflegeeinrichtungen wahrgenommene ­Belastung bei der Arbeit

M. Schütte1

J. Petersen2

(eingegangen am 30.01.2023, angenommen am 03.02.2023)

The perceived workload of nurses belonging to different care facilities

Aim: The study aimed to determine the workload of nurses working in outpatient care, inpatient long-term care and care in a hospital or rehabilitation facility. Of interest were the frequency of occurrence of different workload characteristics and the identification of workload characteristics in which the facilities differ from each other. The study used data from the 2018 BIBB/BAuA Employment Survey, from which 17 items were selected. The items belong to one of the following categories: work content, work organisation, social relationships and work environment.

Methods: The mean values show that “good cooperation with colleagues” and “help or support from colleagues and the direct supervisor” are rated overall as occurring frequently in all three care facilities. The items “strong deadline or performance pressure”, “constantly recurring work processes”, “simultaneous supervision of different tasks”, the need to “work quickly”, “working while standing up”, “lifting and carrying of heavy loads” and the “occurrence of emotionally stressful situations” were also rated as occurring frequently. Variance analyses were then conducted and with a grouping factor (type of care facility) and the size effect measure was calculated omega-squared.

Results: The item “disturbances and interruptions at work” gave the highest omega square of 0.146, indicating a moderate effect size. The other items resulted in small effect sizes. A discriminance analysis shows that the item “disturbances and interruptions at work” has highest relevance for the differentiation of the facilities, while the greatest differences is between “outpatient care” and “care in hospitals and rehabilitation facilities”.

Conclusions: Based on the results, conclusions are drawn concerning work design measures.

Keywords: workload – nurses – care facility – work design

doi:10.17147/asu-1-257911

ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2023; 58: 180–184

Die von Pflegenden unterschiedlicher Pflegeeinrich­tungen wahrgenommene Belastung bei der Arbeit

Ziel und Datenbasis: Ziel der Untersuchung war, die Belastung von Pflegenden zu ermitteln, die in der ambulanten Pflege, der stationären Langzeitpflege und der Pflege in einem Krankenhaus oder einer Reha-Einrichtung tätig sind, wobei die Auftretenshäufigkeit von Belastungsmerkmalen als auch die Identifikation solcher belastungsbezogenen Merkmale interessierte, in denen sich die Einrichtungsarten unterscheiden.

Methode: Die Studie basiert auf den Daten der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2018, aus der für die Auswertung 17 Items herangezogen wurden, die sich den Kategorien Arbeitsinhalt, Arbeitsorganisation, soziale Beziehungen sowie Arbeitsumgebung zuordnen lassen. Die für jedes Item berechneten mittleren Ratingwerte zeigen, dass eine „gute Zusammen­arbeit mit Kollegen“ sowie „Hilfe bzw. Unterstützung von Kollegen und dem direkten Vorgesetzten“ in allen drei Pflegeeinrichtungen als häufig vorkommend eingeschätzt werden. Ebenfalls als häufig auftretend werden „starker Termin- oder Leistungsdruck“, „ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge“, die „gleichzeitige Betreuung verschiedener Aufgaben“, die Notwendigkeit, „schnell arbeiten zu müssen“, das „Arbeiten im Stehen“, das „Heben und Tragen schwerer Lasten“ und das „Auftreten gefühlsmäßig belastender Situationen“ beurteilt. Anschließend wurden Varianzanalysen mit einem Gruppierungsfaktor (Art der Pflegeeinrichtung) durchgeführt und das Effektstärkemaß Omega-Quadrat berechnet.

Ergebnisse: Für das Item „Störungen und Unterbrechungen bei der Arbeit“, ergab sich mit 0,146 das höchste Omega-Quadrat, also eine mittlere Effekt­stärke. Die übrigen Items erreichten kleine Effektstärken. Eine Diskriminanzanalyse zeigt, dass erneut das Item „Störungen und Unterbrechungen bei der Arbeit“ für die Differenzierung der Einrichtungen die höchste Relevanz hat. Die „ambulante Pflege“ unterscheidet sich von der „Pflege in Krankenhäusern und Reha-Einrichtungen“ am deutlichsten.

Schlussfolgerungen: Aus den Ergebnissen werden Schlussfolgerungen zu Ansatzpunkten für arbeitsgestalterische Maßnahmen gezogen.

Schlüsselwörter: Arbeitsbelastung – Pflegepersonal – Pflegeeinrichtung – Arbeitsgestaltung

Einleitung

Ist im Zeitraum von 2011 bis 2021 die Anzahl von Pflegenden auch gestiegen (DESTATIS, ohne Jahr) und zwar von 661.179 auf 814.042 (Pflegeheime, 23 % Zuwachs) beziehungsweise von 290.714 auf 442.860 (ambulante Pflegedienste, 52 % Zuwachs), muss mit einem weiter zunehmenden Bedarf an Pflegenden gerechnet werden: Nach aktuell vorliegenden Prognosen könnten – im Vergleich zu 2017 – bis zum Jahr 2030 etwa 130.000 Pflegende mehr notwendig werden (Schwinger et al. 2020).

Ein wesentlicher Grund für diesen Mehrbedarf dürfte die wachsende Anzahl pflegebedürftiger Menschen in der sozialen Pflegeversicherung darstellen, die nach Schätzungen des Bundesministeriums für Gesundheit – von 4,5 Millionen im Jahr 2020 auf etwa 5,1 Millionen im Jahr 2030 steigen wird. Gleichzeitig liegt – basierend auf den Daten der AOK aus dem Jahr 2017 – der Krankenstand bei pflegenden Berufen mit 7,4 % über dem aller anderen Berufe (5,3 %), wobei hier allerdings zwischen den einzelnen Pflegeberufen Unterschiede bestehen (Drupp u. Meyer 2020). Insgesamt ist das Krankengeschehen unter anderem von den jeweiligen Arbeitsbedingungen abhängig (Drupp u. Meyer 2020), so dass neben der Attraktivität der Pflegeberufe und der Sicherung von Nachwuchskräften die im Pflegebereich vorhandene Arbeitsbelastung intensiv diskutiert wird (z. B. Kühnel et al. 2020).

Bisher liegen verschiedene, der Belastung von Pflegenden nachgehende Studien vor. So erfolgte auf der Grundlage der für die Jahre 2012 bis 2017 vorhandenen Daten des DGB-Index (Deutscher Gewerkschaftsbund) eine Analyse der Arbeitsbedingungen in der Alten- und Krankenpflege, wobei die Ergebnisse nur die über den Zeitraum von sechs Jahren gemittelten Antworten der Beschäftigten wiedergeben (Schmucker 2020). Daneben existieren weitere Erhebungen, die ausschließlich zum Beispiel die speziell in der ambulanten Pflege gegebenen Arbeitsbedingungen betrachten (Büscher u. Horn 2010; Suchta 2016) oder speziell auf die Zusammenhänge etwa von Belastung, Beanspruchung und Gesundheitskompetenz der Pflegenden eingehen (Janson u. Rathmann 2020). Andere Untersuchungen ziehen zwar einen Vergleich zwischen den verschiedenen Einsatzbereichen Pflegender, thematisieren jedoch ebenfalls besondere Aspekte wie Gewalterfahrungen (Schaller et al. 2021) oder die Arbeitsfähigkeit (Ehegartner 2020) von Pflegenden.

Aktuelle Untersuchungen zu der bei unterschiedlichen Pflegeeinrichtungen gegebenen Arbeitsbelastung liegen bisher kaum vor, die aber notwendig sind, um Gestaltungsbedarfe identifizieren zu können.

Ziel der Untersuchung und Datenbasis

Die vorliegende Untersuchung verfolgt dementsprechend das Ziel, der Belastung in verschiedenartigen Pflegeeinrichtungen nachzugehen, wobei sowohl die Auftretenshäufigkeit von Belastungsmerkmalen interessiert als auch die zwischen den Einrichtungen bestehenden Unterschiede in den Arbeitsbedingungen.

Der Analyse liegen die Daten der BIBB-(Bundesinstitut für Berufsbildung)/BAuA-(Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)-Erwerbstätigenbefragung 2018 zugrunde (zur Stichprobe und zum methodischen Vorgehen ausführlich Gensicke u. Tschersich 2019). Die Befragten sind dabei aufgefordert, die wahrgenommene Häufigkeit von arbeitsbezogenen Belastungsmerkmalen über vierstufige Ratingskalen (häufig = 1, manchmal = 2, selten = 3, nie = 4) einzuschätzen. Konkret in die Auswertung einbezogen wurden insgesamt 17 Items, die sich grob den Kategorien Arbeitsinhalt, Arbeitsorganisation, soziale Beziehungen sowie Arbeitsumgebung zuordnen lassen.

Stichprobenbeschreibung

Basierend auf den BIBB/BAuA-Daten ließen sich drei Stichproben bilden, nämlich Pflegende im „ambulanten Bereich“ (n = 117), in „Krankenhäusern und Reha-Einrichtungen“ (n = 343) sowie in „Einrichtungen der stationären Langzeitpflege – Altenpflegeheime“ (n = 151).

In allen drei Gruppen überwiegt der Frauenanteil mit 85–91 % (➥ Tabelle 1). Der größte Anteil der Befragten ist zwischen 35 und 54 Jahre alt (45–54 %) und arbeitet in Vollzeit (53–64 %).

Auswertung und Ergebnisse

Ausgehend von den separat für jede Gruppe berechneten Mittelwerten der 17 Items zeigt sich allgemein, dass die durchschnittlich wahrgenommene Häufigkeit der erfassten arbeitsbezogenen Merkmale zwischen 1 (häufig) und 3 (selten) variiert (➥ Tabelle 2).

Tabelle 2:  Mittelwerte und Effektstärken der Items pro StichprobeTable 2: Mean item values and effect sizes per sample

Tabelle 2: Mittelwerte und Effektstärken der Items pro Stichprobe
Table 2: Mean item values and effect sizes per sample

Insgesamt wird die „gute Zusammenarbeit mit Kollegen“ sowie die „Hilfe bzw. Unterstützung von Kollegen und dem direkten Vorgesetzten“ in allen drei Pflegeeinrichtungen als häufig vorkommend eingeschätzt. Dasselbe gilt auch für „starken Termin- oder Leistungsdruck“, „ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge“, die „gleichzeitige Betreuung verschiedener Aufgaben“, die Notwendigkeit, „schnell arbeiten zu müssen“, das „Arbeiten im Stehen“, das „Heben und Tragen schwerer Lasten“ und das „Auftreten gefühlsmäßig belastender Situationen“. Dagegen tritt in allen drei Pflegeeinrichtungen eine „in allen Einzelheiten vorgeschriebene Arbeitsdurchführung“ nach den Einschätzungen der Befragten nur manchmal auf.

Uneinheitliche mittlere Ratings finden sich beim Item „Störungen und Unterbrechungen bei der Arbeit“, aber auch beim „Arbeiten an der Grenze der Leistungsfähigkeit“, die in der ambulanten Pflege – im Vergleich zu den anderen beiden Pflegeeinrichtungen – nur manchmal und nicht häufig vorkommen. Ebenfalls inhomogene durchschnittliche Beurteilungen zeigen sich beim „Arbeiten in Zwangshaltungen“ sowie dem Vorhandensein von „Zeit- und
Leistungsvorgaben“, von denen die in einem stationären Krankenhaus Beschäftigten nur manchmal betroffen sind, die in den beiden anderen Pflegeeinrichtungen Tätigen jedoch häufig. Weiterhin geben ambulant Pflegende an, häufig „Lob und Anerkennung vom direkten Vorgesetzten“ zu erhalten, wohingegen dies in einem stationären Krankenhaus und in der stationären Altenpflege nur manchmal erfolgt. Von „Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit und Zugluft“ sind in
einem stationären Krankenhaus Beschäftigte selten und die Pflegenden der anderen zwei Einrichtungen manchmal betroffen.

Um genauer Aufschluss über den Einfluss der Pflegeeinrichtungen auf die Beurteilungen zu erhalten, wurden – für jedes Item einzeln – Varianzanalysen mit einem Gruppierungsfaktor durchgeführt und als Maß für die Effektstärke Omega-Quadrat (fester Effekt) berechnet. Dieser Parameter hat den Vorteil, dass er bei der Berechnung des durch den Faktor jeweils aufgeklärten Varianzanteils die Anzahl und Größe der Gruppen berücksichtigt und somit auch bei ungleichen Stichprobenumfängen einsetzbar ist. Dabei lässt sich Omega-Quadrat numerisch in die Klassen kleiner (0,01), mittlerer (0,10) und großer (0,25) Effekt einteilen (Cohen 1988). Die Ergebnisse zeigen, dass die Art der Pflegeeinrichtung keinen Effekt auf die Einschätzungen der Items „Arbeiten im Stehen“, „Arbeitsdurchführung in allen Einzelheiten vorgeschrieben“, „gefühlsmäßig belastende Situationen“ sowie „Heben und Tragen von Lasten“ hat (Omega-Quadrat: 0,000). Ein mittlerer und damit hier auch der stärkste Effekt (Omega-Quadrat: 0,146) resultiert für „Störungen und Unterbrechungen bei der Arbeit“, die in stationären Krankenhäusern häufiger wahrgenommen werden als in den beiden anderen Einrichtungen. Bei den übrigen Merkmalen nimmt Omega-Quadrat Werte zwischen 0,001 und 0,052 an, was einem kleinen Effekt entspricht.

Im Weiteren erfolgte die Durchführung einer sogenannten Diskriminanzanalyse, die Auskunft über die Relevanz der eingeschätzten belastungsbezogenen Merkmale für die Differenzierung der drei betrachteten Pflegeeinrichtungen gibt. Dabei blieben die in den Varianzanalysen entweder keine oder nur marginale Effektstärken (Omega-Quadrat von 0,000 bis 0,004) erreichenden Items unberücksichtigt, da von ihnen kein substanzieller Beitrag zur Trennung der drei Gruppen zu erwarten ist. Die Auswertung führte zu zwei Diskriminanzfunk­tionen, von denen die erste 91,9 % und die zweite 8,1 % des gesamten Diskriminanzpotenzials erfasst. Die Bedeutung der Items für die Gruppentrennung lässt sich aus den berechneten Korrelationen der Fragen mit den Werten der Diskriminanzfunktion (Strukturmatrix) ableiten (➥ Tabelle 3). Auf der ersten Diskriminanzfunktion ergibt sich danach numerisch der größte absolute Zusammenhang für das Item „Störungen und Unterbrechungen bei der Arbeit“ (0,599), das somit am stärk­sten zur Differenzierung der Gruppen beiträgt (vgl. Tabelle 3).

Tabelle 3:  Itemstrukturkoeffizienten für die erste DiskriminanzfunktionTable 3: Item structure-coefficients for the first discriminance-function

Tabelle 3: Itemstrukturkoeffizienten für die erste Diskriminanzfunktion
Table 3: Item structure-coefficients for the first discriminance-function

Die Art der Trennung kann über die Position des jeweiligen Gruppenzentroids im Diskriminanzraum beschrieben werden, das für „stationäre Krankenhäuser“ einen Wert von –0,502 annimmt und damit vor allem von der „ambulanten Pflege“ abweicht, deren Wert 1,145 beträgt. Die stationäre Altenpflege liegt mit 0,305 zwischen diesen beiden Einrichtungsarten. Auf eine detaillierte Untersuchung der zweiten Diskriminanzfunktion wird hier, aufgrund ihres geringen aufgeklärten Varianzanteils, verzichtet.

Mit der abschließend vorgenommenen Berechnung sogenannter Klassifizierungsfunktionen sollte Aufschluss darüber gewonnen werden, in welchem Maße die Zuordnung der befragten Pflegenden auf Grundlage ihrer individuellen Itemeinschätzungen zu ihren ursprünglichen Gruppen gelingt. Von den insgesamt 576 Pflegenden lassen sich insgesamt 351 (60,9 %) korrekt ihrer tatsächlichen Einrichtung wieder zuordnen (➥ Tabelle 4). Dabei kann die Zugehörigkeit der in einem stationären Krankenhaus und in der ambulanten Pflege Beschäftigten zu 67 % und die der in der stationären Altenpflege Tätigen zu 44 % richtig prognostiziert werden.

Tabelle 4:  Zuordnung der Pflegekräfte zu ihrer tatsächlichen Gruppe auf Basis der KlassifikationsfunktionTable 4: Classification of nurses to their actual group based on the classification function

Tabelle 4: Zuordnung der Pflegekräfte zu ihrer tatsächlichen Gruppe auf Basis der Klassifikationsfunktion
Table 4: Classification of nurses to their actual group based on the classification function

Diskussion und Schlussfolgerung

Die Pflegeeinrichtungen haben Einfluss auf die subjektiv wahrgenommene Belastung der Pflegenden, der allerdings fast ausschließlich klein bleibt, mit Ausnahme des Merkmals „Störungen und Unterbrechungen bei der Arbeit“, für das sich eine mittlere Effektstärke ergab. Dieses Item trägt – wie die diskriminanzanalytischen Ergebnisse zeigen – auch am stärksten zur Trennung der drei Gruppen bei und ist – ausgehend von den für die Zentroide ermittelten Werten – vor allem in stationären Krankenhäusern und weniger in der ambulanten Pflege ein Belastungsschwerpunkt. Die stationäre Altenpflege bleibt hier indifferent, was die für diese Gruppe im Rahmen der Reklassifizierung resultierende deutlich geringere Trefferquote mit erklären dürfte.

Allgemein sollte das Vorliegen kleiner Effekte nicht zu der Schlussfolgerung führen, dass sie für die Ableitung von Hinweisen auf Gestaltungsschwerpunkte keine Relevanz haben. So können entsprechende Maßnahmen zum Beispiel dann durchaus lohnend sein, wenn der mit ihnen verbundene Durchführungsaufwand nicht hoch ist.

Die sozialen Beziehungen bei der Arbeit werden von den Pflegenden durchgängig positiv eingeschätzt, da in allen drei Einrichtungen von einer häufig auftretenden guten Zusammenarbeit und Unterstützung durch Kolleginnen und Kollegen sowie Vorgesetzte berichtet wird, so dass hier kein nennenswerter Gestaltungsbedarf besteht.

Weiterhin entsprechen die im Rahmen dieser Studie gewonnenen Befunde auch den Ergebnissen anderer Untersuchungen. So berichten beispielsweise auch Büssing et al. (2004), dass Störungen und Unterbrechungen in der ambulanten Pflege eine geringere Bedeutung haben, als in stationären Pflegebereichen. Als Gründe hierfür werden genannt:

  • die Alleinarbeit in der ambulanten Pflege, die mit selteneren Unterbrechungen durch Kolleginnen und Kollegen verbunden ist,
  • eine geringere Ausstattung mit technischen Geräten, die eine sofortige Reaktion nötig machen würden oder
  • das Fehlen einer sogenannten Patientenklingel, durch die Pflegende in stationären Bereichen ihre aktuelle Tätigkeit unterbrechen müssen.
  • Das Risikoobservatorium für Trends und Risiken in der Arbeitswelt der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung sieht – im Zusammenhang mit „Arbeitsverdichtung und Verantwortungsausweitung“ – in Störungen und Unterbrechungen einen Risikofaktor für Pflegende (Flaspöler u. Neitzner 2019). Zwar können Störungen und Unterbrechungen in ansonsten monotonen Arbeitstätigkeiten Abwechslung bieten (Baethge u. Rigotti 2010), jedoch werden sie auch mit zahlreichen negativen Aspekten, wie der Verringerung der Arbeitsproduktivität, der Gefährdung der Patientensicherheit, zum Beispiel durch Medikationsfehler, oder psychosomatischen Beschwerden bei Pflegenden in Verbindung gebracht (Bailedy et al. 2001; Sassaki et al. 2019; Weigl et al. 2017). Störungen und Unterbrechungen, die nach vorliegender Analyse, insbesondere von Pflegenden in Krankenhäusern und Reha-Einrichtungen erlebt werden, tragen somit zur wahrgenommenen Belastung Pflegender bei (Yu u. Lee 2022; Rohwer et al 2021). Hinsichtlich möglicher Gestaltungsoptionen muss unterschieden werden, welche Unterbrechungen gegebenenfalls notwendig sind, da sie sich beispielsweise aus der Interaktion mit der Patientin oder dem Patienten ergeben und welche als vermeidbar angesehen werden können (Freitas 2021). Es wird diskutiert, dass eine Stärkung des Bewusstseins bei Pflegenden selbst, ärztlichen Kolleginnen und Kollegen und insbesondere bei Besuchenden für die negativen Folgen von Unterbrechungen während der Durchführung pflegerischer Tätigkeiten, sich positiv auswirken könnte (Yu u. Lee 2022). Daneben gibt es die Überlegung, durch zusätzliches Personal, das zum Beispiel administrative Aufgaben, wie die Beantwortung von Telefonanrufen, übernimmt, für Entlastung zu sorgen (Yu u. Lee 2022). Weiterhin dürfte die Häufigkeit von Störungen und Unterbrechungen in der stationären Pflege durch abgestimmte Besuchszeiten, feste ärztliche Visitezeiten oder klare Verantwortlichkeiten bei Patientennotrufen zu verringern sein.

    Daneben ist mit zu berücksichtigen, dass in der vorliegenden Untersuchung die Beschäftigten aller drei pflegerischen Einrichtungen weitgehend ähnlich von „starkem Termin- oder Leistungsdruck“, „ständig wiederkehrenden Arbeitsvorgängen“, der „gleichzeitigen Betreuung verschiedener Aufgaben“, der Notwendigkeit, „schnell arbeiten zu müssen“, „Arbeiten im Stehen“, „Heben und Tragen schwerer Lasten“ und dem „Auftreten gefühlsmäßig belastender Situationen“ berichten. Auch hinsichtlich dieser Arbeitsmerkmale ist somit Gestaltung wichtig, um negative Auswirkungen auf die Beschäftigten zu verhindern. Dabei werden in der Literatur, je nach Anforderung, unterschiedliche Interventionen diskutiert.

    Zeit- und Leistungsdruck ist ein weitreichendes Problem in Pflege­berufen, das mit Stressreaktionen, psychosomatischen Beschwerden und Burnout in Zusammenhang steht (Cœugnet et al. 2016; Dall‘Ora 2020; Höge 2009). Als eine grundlegende Ursache hierfür wird die unzureichende Personalausstattung gesehen (Büscher
    2022; Dall‘Ora 2020), die dementsprechend auch einen wichtigen Gestaltungsansatz darstellt, um Arbeitsprozesse zu entzerren.

    Um physische Anforderungen, wie das Heben und Tragen schwerer Lasten, für Pflegende zu reduzieren und damit auch Muskel-Skelett-Erkrankungen vorzubeugen, wird ein ganzheitlicher Ansatz aus verschiedenen Interventionsmaßnahmen, wie dem Einsatz technischer (z. B. Mobillifter) oder anderer Hilfsmittel (z. B. Gleitmatte, Rutschbrett), die Anwendung schonender Arbeitstechniken (z. B. Kinästehtik) und zudem die Qualifizierung zur Anwendung derartiger Hilfsmittel und die Überzeugung für die Bedeutung der Maßnahmen, empfohlen (Henkel 2004). Unter welchen Bedingungen digitale Technologien wie etwa Robotik zur Reduktion der Arbeitsbelastung etwa beim Heben und Tragen von Patientinnen und Patienten beitragen kann, wird derzeit diskutiert (Deutscher Ethikrat 2020).

    Um den Umgang mit gefühlsmäßig belastenden Situationen zu erleichtern, werden regelmäßige Supervisionen vorgeschlagen, die kollegialen Austausch ermöglichen (Wittich 2009).

    Die Arbeitsbedingungen in der Pflege wurden bisher vor allem unter dem Aspekt der Arbeitsbelastung für Pflegende diskutiert. Dabei sollte nicht unberücksichtigt bleiben, dass suboptimale Arbeitsbedingungen Pflegender auch Einfluss auf die Versorgungsqualität Pflegebedürftiger haben (Schmucker 2020).

    Viele Arbeitsmerkmale sind unter dem Aspekt menschengerechter Arbeitsgestaltung in den drei pflegerischen Bereichen anpassungswürdig. Für den Bereich des Krankenhauses und der Reha-Einrichtungen erscheint es sinnvoll, ausgehend von den erhaltenen Befunden, die Reduktion von Störungen und Unterbrechungen zunächst anzustreben. Dabei sollte jedoch die Gestaltung anderer Arbeitsmerkmale, wie etwa die Reduktion von Zeit- und Leistungsdruck oder der physischen Belastung nicht vernachlässigt werden.

    Interessenkonflikt: Das Autorenteam gibt an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.

    Literatur

    Baethge A, Rigotti T: Arbeitsunterbrechungen und Multitasking: Ein umfassender Überblick zu Theorien und Empirie unter besonderer Berücksichtigung von Altersdifferenzen. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 2010.

    Bailedy B, Konstan J, Carlis J: The effects of interruptions on task performance, annoyance, and anxiety in the userinterface. In: IFIP TC13 International Conference on Human-Computer Interaction, 2001.

    Büscher A, Horn A: Bestandsaufnahme zur Situation in der ambulanten Pflege – Ergebnisse einer Expertenbefragung. Veröffentlichungsreihe des Instituts für Pflegewissenschaft an der Universität Bielefeld (IPW). Bielefeld: Institut für Pflegewissenschaft an der Universität Bielefeld (IPW), 2010.

    Büscher A, Schröder D, Gruber EA: Die Personalsituation in der ambulanten Pflege. Eine qualitative Studie zu aktuellen und zukünftigen Herausforderungen. Pflege 2022; 35: 269–277.

    Büssing A, Glaser J, Höge T: Psychische und physische Belastungen in der ambulanten Pflege: Ein Screening zum Arbeits- und Gesundheitsschutz. Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie 2004; 48: 165–180.

    Cohen J: Statistical power analysis fort he behavioral sciences. 2. Aufl. Hillsdale NJ: Erlbaum, 1988.

    Cœugnet S, Forrierre J, Naveteur J, Dubreucq C, Anceaux F: Time pressure and regulations on hospital-in-the-home (HITH) nurses: An on-the-road study. Appl Ergonom 2016; 54: 110–119.

    Dall’Ora C, Ball J, Reinius M, Griffiths P: Burnout in nursing: a theoretical review. Human Resources for Health 2020; 18: 41.

    DESTATIS: Personal in Pflegeheimen und ambulanten Pflegediensten.
    https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Pflege… (abgerufen am 30.01.2023).

    Deutscher Ethikrat: Robotik für gute Pflege. Stellungnahme 2020. https://www.ethikrat.org/publikationen/publikationsdetail/?tx_wwt3shop_… (abgerufen am 15.01.2023).

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    Flaspöler E, Neitzner I: Sicherheit und Gesundheit: Trends in der Pflege. Pflegez 2019; 72: 61–64.

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    Gensicke M, Tschersich N: BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2018 – Methodenbericht. München: Kantar Public, 2019. https://www.bibb.de/dokumente/pdf/a12_kantar_methodenbericht_etb1718_fi… (abgerufen am 31.01.2022).

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    Suchta C, Stadler P: Arbeits- und Gesundheitsschutz in der ambulanten Pflege. Vertiefungsaktion der gewerbeärztlichen Dienste in Bayern im Rahmen des GDA-Arbeitsprogramms „Psyche“, 2016.

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    Yu EJ, Lee EN: Development and validation of a nursing work interruption scale. Int J Environ Res Public Health 2022; 19: 13487.

    Kontakt

    Prof. Dr. Martin Schütte

    Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin

    Nöldnerstraße 40/42, 10317 Berlin

    schuette.martin@baua.bund.de

    Julia Petersen

    Bundesanstalt für Arbeitsschutz Arbeitsmedizin

    Fabricestraße 8, 01099 Dresden

    petersen.julia@baua.bund.de

    Das PDF dient ausschließlich dem persönlichen Gebrauch! - Weitergehende Rechte bitte anfragen unter: nutzungsrechte@asu-arbeitsmedizin.com.