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Evaluation of Biomonitoring Findings
Einleitung
Laut Arbeitsmedizinischer Regel (AMR) 6.2 versteht man „unter Biomonitoring … in der Arbeitsmedizin die Untersuchung biologischen Materials von Beschäftigten zur quantitativen Bestimmung von Gefahrstoffen, deren Metaboliten oder von biochemischen bzw. biologischen Parametern“ (AfAMed 2014). Erst durch die ärztliche Bewertung wird aus dem Messergebnis eines Labors ein medizinischer Befund. Oft wird ein Messwert, der über dem Referenzwert liegt, von Laien und von einigen Ärztinnen und Ärzten als pathologisch oder gar als Intoxikation interpretiert. Die Interpretation von arbeitsmedizinischen Biomonitoring-Ergebnissen ist daher fachspezifischer Standard für die Arbeits- und Betriebsmedizin.
Biomonitoring in der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV)
Biomonitoring ist Bestandteil der arbeitsmedizinischen Vorsorge, soweit dafür arbeitsmedizinisch anerkannte Analyseverfahren und geeignete Werte zur Beurteilung zur Verfügung stehen (ArbMedVV, BMAS 2019, s. „Weitere Infos“). Dabei haben die Ärztinnen oder Ärzte die Befunde des arbeitsmedizinischen Biomonitorings schriftlich festzuhalten und die Beschäftigten darüber zu beraten, was einen fachlich sicheren Umgang mit Beurteilungswerten in biologischem Material erfordert. Diese Werte können toxikologisch, statistisch deskriptiv oder risikobasiert abgeleitet sein (➥ Tabelle 1). Gibt es für bestimmte Verfahren keine Werte zur Beurteilung, wie beispielsweise für die Metallausscheidung im Urin nach Gabe eines Chelatbildners, sind die resultierenden Untersuchungsergebnisse nicht zu interpretieren und demzufolge kein Biomonitoring nach ArbMedVV.
Beurteilungswerte in biologischem Material gelten nur für die Matrix, für die sie abgeleitet wurden (z. B. Blut, Serum, Plasma, Erythrozyten, Hämoglobin, Urin). Eine korrekte Probenahme in geeigneten Probenahmegefäßen ist dafür unabdingbar. So kann eine hämolytische Blutprobe eine sachgerechte Interpretation des Untersuchungsergebnisses unmöglich machen. Beurteilungswerte im Urin werden Kreatinin-bezogen oder mit Literbezug abgeleitet, wobei die Konzentration des Urins auch bei den literbezogenen Werten beachtet werden muss. Bei Kreatininkonzentrationen unter 0,3 oder über 3,0 g
pro Liter Urin ist eine Interpretation der Untersuchungsergebnisse nicht mehr möglich und die Probenahme muss wiederholt werden. Das Biomonitoring unterliegt als Ausübung der Heilkunde den Bestimmungen des ärztlichen Berufsrechts und daher auch der ärztlichen Schweigepflicht. Die Untersuchung wird primär zur Beurteilung des Gesundheitsrisikos der Beschäftigten durchgeführt, vergleichbar einer Blutzuckerbestimmung oder einer Bestimmung der Blutlipide. Wie bereits im Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG) von 1973 festgeschrieben, müssen Ärztinnen und Ärzte die im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen gewonnenen Ergebnisse auswerten und die Schlussfolgerungen an die für den Gesundheitsschutz Zuständigen weitergeben. Ein Einzelbefund darf nur mit explizitem Einverständnis der Untersuchten weitergegeben werden.
Toxikologisch abgeleitete Grenzwerte in biologischem Material
Toxikologisch abgeleitet werden in Deutschland der Biologische Arbeitsstoff-Toleranzwert (BAT-Wert) und der Biologische Leitwert (BLW) der Ständigen Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe der Deutschen Forschungsgemeinschaft (MAK- und BAT-Werte-Liste; DFG 2023) sowie der Biologische Grenzwert (BGW) des Ausschusses für Gefahrstoffe AGS (TRGS 903; AGS 2023a), für die EU der Biological Limit Value (BLV) und in den USA die Biological Exposure Indices (BEI) der ACGIH (American Conference of Governmental Industrial Hygienists). Dabei ist zu beachten, dass alle diese Werte an der mittleren Belastung der Exponierten abgeleitet sind. Bei mehreren Untersuchungen einer einzelnen Person darf die mittlere Konzentration des Parameters diesen Wert nicht überschreiten. Messwerte oberhalb des toxikologisch abgeleiteten Grenzwerts müssen arbeitsmedizinisch-toxikologisch bewertet werden. Aus einer alleinigen Überschreitung des BAT-Werts kann nicht notwendigerweise eine gesundheitliche Beeinträchtigung abgeleitet werden. Ab wann eine Überschreitung eines Werts eine akute Gesundheitsgefahr darstellt, kann der jeweiligen Begründung des Werts entnommen werden, die seit Jahren im Open Access zur Verfügung stehen (s. „Weitere Infos“). So kann eine (mehrfache) Überschreitung eines Grenzwerts nicht akut lebensbedrohlich sein (z. B. Quecksilber). Allerdings gibt es auch Arbeitsstoffe, deren Grenzwerte wegen ihrer akuten Wirkung als Höchstwerte abgeleitet wurden, da eine Überschreitung nicht tolerierbar ist (z. B. Kohlenmonoxid, Vitamin-K-Antagonisten und Acetylcholinesterase-Hemmer). Hier darf der BAT-Wert zu keinem Zeitpunkt überschritten werden. Werte unterhalb der Beurteilungswerte geben bei bestimmungsgemäßem Umgang keinen Anlass zur Sorge, auch wenn der Referenzwert um ein Vielfaches überschritten wird (z. B. Lösemittel wie Toluol oder Xylole im Blut oder deren Metaboliten im Urin). Das Minimierungsgebot besteht unabhängig von der Einhaltung von Grenzwerten immer.
Für die Allgemeinbevölkerung werden vom Umweltbundesamt toxikologisch begründete Humanbiomonitoringwerte (HBM I und HBM II) abgeleitet, die auch besonders empfindliche Bevölkerungsgruppen, wie Babys, Kleinkinder, Schwangere und Greise, schützen sollen. Diese HBM-Werte ermöglichen die Beurteilung der beruflichen Biomonitoring-Ergebnisse oberhalb der Referenzwerte für die Hintergrundbelastung, aber unterhalb der arbeitsmedizinischen Grenzwerte, auch wenn sie nicht als arbeitsmedizinische Grenzwerte heranzuziehen sind.
Risikobasierte Grenzwerte in biologischem Material
In Deutschland gibt es keine rechtsverbindlichen Grenzwerte für krebserzeugende Arbeitsstoffe. Für den Arbeitsschutz werden nach dem Konzept der Expositions-Risiko-Beziehungen (ERB) Toleranz- und Akzeptanzrisiken für die Erkrankung an einem Karzinom abgeleitet (AGS 2023b). Liegen wissenschaftlich fundierte Beziehungen zwischen den jeweiligen Luftkonzentrationen und den Konzentrationen in biologischem Material vor, dann können Äquivalenzwerte in biologischem Material zum Toleranzrisiko und Akzeptanzrisiko abgeleitet werden. Der Biomonitoring-Befund, der neben der Luftkonzentration unter anderem auch vom Verhalten, der Anwendung des persönlichen Körperschutzes und der Hautresorption beeinflusst wird, erlaubt daher die Aussage, in welchem Risikobereich eine Person durch ihre Exposition liegt.
Statistisch-deskriptiv abgeleitete Beurteilungswerte in biologischem Material
Statistisch deskriptiv abgeleitet werden für berufliche Belastungen der Biologische Arbeitsstoff-Referenzwert (BAR) in Deutschland und der Biological Guidance Value (BGV) in der EU. Mit diesen Werten kann geklärt werden, ob überhaupt eine zusätzliche berufliche Belastung vorliegt. Der BAR wird am 95. Perzentil einer nicht beruflich mit diesem Arbeitsstoff belasteten, repräsentativen Bevölkerungsgruppe abgeleitet. Per definitionem haben daher 95 % aller Untersuchten Werte unterhalb, aber 5 % Werte oberhalb des Referenzwerts. Anders als bei Normwerten physiologischer Parameter, ist eine Überschreitung eines Referenzwerts aber nicht automatisch als „pathologischer“ Wert zu bezeichnen. Umgekehrt kann aber auch bereits der Referenzwert in einem Bereich liegen, der mit gesundheitsschädlichen Effekten verbunden ist. So lag der Blutbleispiegel der deutschen Allgemeinbevölkerung ohne berufliche Bleibelastung in den 1980er Jahren infolge der Verwendung bleihaltigen Benzins bei 300 µg Blei/l Blut. Der Grenzwert am Arbeitsplatz liegt aufgrund neurotoxischer Effekte derzeit bei 150 µg Blei/l Blut. Erfreulicherweise hat die Einführung des bleifreien Benzins dazu geführt, dass die Hintergrundbelastung der Allgemeinbevölkerung und damit auch der Biologische Arbeitsstoff-Referenzwert über die Jahre deutlich abgesunken ist (aktuell bei 30 µg Blei/l für Frauen und bei 40 µg Blei/l für Männer).
Weitere Beurteilungswerte in biologischem Material, die deskriptiv abgeleitet werden, sind die Expositionsäquivalente für krebserzeugende Arbeitsstoffe (EKA) der DFG, Beziehungen zwischen der Konzentration des Arbeitsstoffes in der Luft am Arbeitsplatz und der Stoffkonzentration in biologischem Material, aus denen abgeleitet werden kann, „welche innere Exposition bei ausschließlich inhalativer Stoffaufnahme erwartet werden kann“ (DFG 2023).
Fazit
Für die Beurteilung von Biomonitoring-Ergebnissen im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge liegen zahlreiche Beurteilungswerte in biologischem Material vor, die in der AMR 6.2 Biomonitoring (AfAMed 2014) aufgeführt sind und über das Biomonitoring-Auskunftssystem der BAuA (s. „Weitere Infos“) – einschließlich der zugrundeliegenden Begründungen – abgerufen werden können. Diese Beurteilungswerte erlauben die fundierte ärztliche Beurteilung eines Gefahrstoff-Biomonitorings.
Interessenkonflikt: Das Autorenteam gibt an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.
doi:10.17147/asu-1-335675
Weitere Infos
AfAMed – Ausschuss für Arbeitsmedizin: Bekanntmachung von Arbeitsmedizinischen Regeln hier: AMR 6.2 Biomonitoring. Dortmund: BAuA, 2014
https://www.baua.de/DE/Angebote/Regelwerk/AMR/pdf/AMR-6-2.pdf?__blob=pu…
AGS – Ausschuss für Gefahrstoffe: Technische Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) 903. Biologische Grenzwerte (BGW). Dortmund: BAuA, 2023a
https://www.baua.de/DE/Angebote/Regelwerk/TRGS/pdf/TRGS-903.pdf?__blob=…
AGS – Ausschuss für Gefahrstoffe: Technische Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) 910. Risikobezogenes Maßnahmenkonzept für Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen. Dortmund: BAuA, 2023b
https://www.baua.de/DE/Angebote/Regelwerk/TRGS/pdf/TRGS-910.pdf?__blob=…
BAuA – Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: Biomonitoring-Auskunftssystem
www.baua.de/Biomonitoring-Auskunftssystem
BMAS – Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV), 2008
https://www.gesetze-im-internet.de/arbmedvv/BJNR276810008.html
DFG – Deutsche Forschungsgemeinschaft: MAK- und BAT-Werte-Liste 2023. Maximale Arbeitsplatzkonzentrationen und Biologische Arbeitsstofftoleranzwerte. Ständige Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe, Mitteilung 59, 2023. Düsseldorf: German Medical Science
https://doi.org/10.34865/mbwl_2023_deu
The MAK Collection for Occupational Health and Safety
https://series.publisso.de/de/pgseries/overview/mak/dam/allContents