Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch

Die Bedeutung der Betriebsmedizin für eine gesundheitsförderliche Arbeitszeitgestaltung

Das PDF dient ausschließlich dem persönlichen Gebrauch! - Weitergehende Rechte bitte anfragen unter: nutzungsrechte@asu-arbeitsmedizin.com.

The significance of occupational health for healthy work time management – Remarks from the perspective of state supervision

Company working hours are characterised by a variety of interrelationships. Unfortunately, the resulting working time models are not always desirable from a health protection perspective. To optimally promote the health of employees, occupational medicine should more actively utilize its significant potential in work schedule design.

Kernaussagen

  • Die gesundheitsgerechte Arbeitszeitgestaltung in den Unternehmen ist eine komplexe ­Angelegenheit.
  • Die Auswirkungen dysfunktionaler Arbeitsgestaltung und deren Langzeitfolgen sind ­häufig nicht bekannt.
  • Den Betriebsärztinnen und -ärzten kommt hierbei eine besondere Rolle und Bedeutung zu.
  • In der Überwachungspraxis ist die aktive Beratung durch die Betriebsärztinnen und -ärzte zum Thema Arbeitszeit leider zu selten zu erkennen.
  • Die Bedeutung der Betriebsmedizin für eine gesundheitsförderliche Arbeitszeitgestaltung – Anmerkungen aus der Perspektive der staatlichen Aufsicht

    Betriebliche Arbeitszeit wird durch vielfältige Zusammenhänge geprägt. Leider sind die entstehenden Arbeitszeitmodelle unter Gesundheitsschutzaspekten nicht immer wünschenswert. Um die Gesundheit der Beschäftigten optimal zu fördern, sollte die Betriebsmedizin ihr bedeutendes Potenzial in der Arbeitszeitgestaltung aktiver einbringen.

    Entwicklung des Umgangs mit den gesetzlichen Arbeitszeitvorschriften in den Betrieben

    Arbeitszeit wird in den Betrieben erfahrungsgemäß eher kontrovers diskutiert. Einerseits ist die Anwesenheit der Beschäftigten sehr wichtig für den Erfolg des Unternehmens, andererseits werden die Auswirkungen dysfunktionaler Arbeitszeitmodelle – zumindest gemäß der Ergebnisse von Revisionen der Autorin in der betrieblichen Praxis – nicht ernst genommen. Es scheint eine einseitige Wahrnehmung der Belastungen durch die Arbeitszeit und deren Gestaltung zu entstehen, die aufgabenfokussiert erfolgt und den Menschen mit seiner Physiologie tendenziell außer Acht lässt.

    Beim Thema Arbeitszeit, insbesondere auch im Kontext der psychischen Belastungen, hat sich der betriebliche Umgang mit den gesetzlich vorgegebenen Grenzen in den Betrieben in den letzten 25 Jahren verändert. Anfangs wurde §  3 des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) in seiner ursprünglichen Intention umgesetzt, mit dem Ergebnis, im Wesentlichen eine regelmäßige Arbeitszeit von 8 Stunden werktäglich einzuhalten beziehungsweise zu gestalten und die 10-Stunden-Grenze nur in Ausnahmefällen als tatsächliches Flexibilitätspotenzial zu erreichen oder gar zu überschreiten. Wurde die Grenze überschritten, haben sich die meisten Betriebe nach einer Kontrolle um die Ursachenforschung und eine Organisationsänderung bemüht, die im Anschluss in einem Schreiben an die Behörde nachgewiesen wurden. Auch wurde in den Betrieben an die Beschäftigten kommuniziert, dass die Überschreitung des 10-Stunden-Grenzwerts oder die Unterschreitung der Ruhezeit in vielfacher Hinsicht nicht sinnvoll sei.

    In Revisionen wird wiederholt festgestellt, dass die Einhaltung einer 10-Stunden-Arbeitszeit heute dagegen als maßgeblich erachtet wird. In einigen Fällen wird sogar deutlich, dass geringe Abweichungen von dieser Grenze als unbedenklich eingestuft werden, was von Unternehmen als Argument für eine Reform des Arbeitszeitgesetzes angeführt wird.

    Den weiteren Ausführungen soll vorangestellt werden, dass Feststellungen einer Aufsichtsbehörde naturgemäß ihren Schwerpunkten aus Betrieben beziehen, in denen der Arbeitsschutz nicht optimal gelebt wird. So wird jeder Beschwerde nachgegangen, Anträge werden bearbeitet und es werden Betriebe mit den dann verbliebenen Ressourcen aufgesucht. Dies wurde auch vom Gesetzgeber und der Regierung erkannt, so dass die Anzahl an Revisionen derzeit erhöht wird, gerade auch in Nordrhein-Westfalen. Das heißt, die Befunde, die den folgenden Aussagen zugrunde liegen, spiegeln nicht unbedingt einen Querschnitt der Betriebe wider, aber doch eine vorhandene betriebliche – und betriebsärztliche – Realität. Aufgrund der weit verbreiteten Betreuung durch überbetriebliche Dienste ist anzunehmen, dass die betriebsärztliche Praxis bezüglich Arbeitszeit in den betreuten Unternehmen kaum variiert.

    Mögliche Ursachen für die fest­gestellte betriebliche Realität

    Die Gründe für den festgestellten ungünstigen Umgang mit der Arbeitszeitgestaltung ist sicherlich multifaktoriell und lässt sich nicht einfach einer Ursache zuschreiben. Im Rahmen von Revisionen wurden folgende Hauptgründe festgestellt, die jedoch nicht alle gleichzeitig universell in allen Betrieben auftreten.

  • Der gesellschaftliche Diskurs zur Arbeitszeit in einer globalisierten Wirtschaft
  • Diese aktuellen Positionen zur werktäglichen Arbeitszeit spiegeln den veränderten gesellschaftlichen Diskurs zur Arbeitszeit wider. Die Arbeitszeitgestaltung in Unternehmen wird maßgeblich von den wahrgenommenen Anforderungen des globalen Wettbewerbs beeinflusst. Unternehmen trugen vor, sich durch fiskalische und arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen mit Standortnachteilen konfrontiert zu sehen. Gleichzeitig besteht bei Beschäftigten ein wachsender Wunsch nach selbstbestimmtem Arbeiten und einer
    besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf, insbesondere angesichts der zunehmenden Berufstätigkeit beider Elternteile. Mit flexiblen Arbeitszeitmodellen soll diese Doppelbelastung ausgeglichen werden. Dabei werden jedoch die möglichen gesundheitlichen Auswirkungen insbesondere sehr hoher Flexibilisierung oft vernachlässigt.

  • Unbekannte Flexibilisierungsmöglichkeiten des Arbeitszeitgesetzes
  • Die vorhandenen Flexibilitätsmöglichkeiten des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) sind oft nicht bekannt. Es ist immer wieder überraschend, wie viele Betriebe der Ansicht sind, das ArbZG sei unflexibel und wie erstaunt sie darüber sind, wenn die vielfältigen vorhandenen Flexibilitätsmöglichkeiten aufgezeigt werden.

  • Das Arbeitszeitgesetz ist „klein, aber fein“, das heißt, es ist hochgradig auslegungsbedürftig.
  • Der Inhalt unbestimmter Rechtsbegriffe darf nicht einfach in der Alltagssemantik ausgelegt werden, sondern ist vor dem Gesamthintergrund der gesetzlichen Anforderungen (auch des mitgeltenden Arbeitsschutzgesetzes) und der Einordnung in die allgemeine Zielsetzung zum Gesundheitsschutz zu verstehen. Spannend ist auch die unterschiedliche Wahrnehmung der Auslegung des gleichen Sachverhalts in verschiedenen Rechtsbereichen. So wird die Aufzeichnung der Arbeitszeit im Rahmen von Vertrauensarbeitszeit als Vertrauensbruch dargestellt oder erlebt. Allerdings sind der Autorin keine Betriebe bekannt, die die Dokumentation des auszugebenden Budgets durch Beschäftigte als Vertrauensbruch angesehen hätten. Warum eigentlich nicht?

  • Die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe ist stark vom Richterrecht geprägt.
  • Ein guter Teil dieser Auslegung ist als Richterrecht1 für den Alltag entstanden und daher nicht unmittelbar in der betrieblichen Praxis bekannt, insbesondere in Kleinunternehmen. Sich diese Auslegung zusammenzusuchen, ist anerkanntermaßen nicht einfach. Ein technisches Regelwerk, wie in den meisten klassischen Bereichen des Arbeitsschutzrechts, existiert im Bereich der Arbeitszeit nicht.

  • Um das zentrale Ziel des ArbZG – eine gesundheitsgerechte Arbeitszeitgestaltung – zu definieren, müssen arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigt werden.
  • Um unbestimmte Rechtsbegriffe korrekt auszulegen, sind Kenntnisse in der Arbeitswissenschaft und über die Effekte von Arbeits- und Erholungszeiten auf die Gesundheit essenziell. Daher ist die Betriebsmedizin gemäß § 3 Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG) für diese Aufgabe zuständig. Arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse sind in der betrieblichen Praxis schwer zugänglich, da sie oft außerhalb des üblichen Rahmens von Arbeitsschutzrichtlinien und Technischen Regeln veröffentlicht werden. Die Richtlinie zur Nacht- und Schichtarbeit, die gesicherte arbeitswissenschaftliche Ergebnisse zusammenfasst, wurde lange kontrovers in ihrer Bedeutung diskutiert. Nach einer klaren Neufassung steht ihre Bedeutung als gesicherte Erkenntnis nun außer Frage. Leider ist die Anwendung für nicht-medizinisch vorgebildete Praktikerinnen und Praktiker nicht immer eindeutig, da die Richtlinie zum Teil sich widersprechende Aussagen enthält, die optimiert oder fallbezogen verwendet werden müssen. Das prominenteste Beispiel ist sicher die Erkenntnis, dass Nachtschichten so früh wie möglich beendet sein sollen und Frühschichten so spät wie möglich beginnen sollen. In der Praxis hat sich daraus der Kompromiss eines Schichtwechsels um 6:00 Uhr früh herauskristallisiert.

    Abseits der Nacht- und Schichtarbeit, beispielsweise bei Fragen zur Wirkung von Kurzpausen auf kognitive Belastungen, müssen Betriebsärztinnen und -ärzte häufig eigenständig nach Antworten suchen. Zur Unterstützung ihrer Arbeit können sie Expertinnen und Experten der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (DGAUM) oder der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) konsultieren.

  • Eine dysfunktionale Arbeitszeitgestaltung erzeugt Langzeitwirkungen, die nicht intuitiv sind.
  • Die negativen Folgen dysfunktionaler Arbeitszeitmodelle manifestieren sich oft erst nach Jahren, was gemäß den Aussagen revidierter Betriebe dazu führt, dass die Notwendigkeit adäquater Regelungen aufgrund vermeintlicher „eigener Erfahrung“ heruntergespielt wird. Treten die Langzeitauswirkungen dann auf, sind sie entsprechend der Forschungsergebnisse meist nicht oder nur schwer rückgängig zu machen oder zu kompensieren. Ein gutes Beispiel ist die Nachtarbeit. Die Nachtarbeit fällt den Beschäftigten immer leichter, je länger sie hintereinander in Nachtschichten arbeiten. Diese wahrgenommene Erleichterung ist aber das Anzeichen für die (langfristig) gesundheitsschädliche Wirkung der Nachtschichtfolgen, da sich das Hormonsystem umstellt und die Ausschüttung der zeitrelevanten Hormone, wie das Wachstumshormon, Serotonin oder Melatonin, nun genau zur entgegengesetzten Tageszeit erfolgt. Der ständige Wechsel der Ausschüttungszeitpunkte (bei der Wahrnehmung regelmäßiger Nachtdienste) führt zu einer langfristigen Störung der körper­lichen Zeitregulation.

  • Die Wünsche der Beschäftigten selbst sind manchmal dysfunktional.
  • Bei der Einführung gesundheitsgerechter Arbeitszeitmodelle muss die jeweils einführende Person im Zweifelsfall gegen die Beschäftigten arbeiten. Wenn in einem Betrieb gesundheitsgerechte Schichtmodelle eingeführt werden, kann dies bei der Belegschaft zu massivem Widerstand führen. Die Beschäftigten nehmen häufig nicht wahr, dass die aus ihrer Sicht „optimale“ Gestaltung eines Schichtdienstes oder der werktäglichen Arbeitszeit auch für die Schnittstelle Familie/Beruf nicht gesundheitsgerecht ist. Kurzfristige, wahrnehmbare Effekte werden priorisiert und die Langzeitwirkungen außer Acht gelassen oder bagatellisiert. Die Auswirkungen auf die Psyche und Stimmung sind so schleichend, dass sie nicht mit der veränderten Arbeitszeitgestaltung in Ver­bindung gebracht werden.

    Die Aufklärung über die Wirkungsmechanismen – und dass diese nicht unmittelbar wahrnehmbar sind – ist daher ein wesentliches Element in einem Änderungsprozess von Arbeitszeitmodellen im Betrieb, aber auch in der alltäglichen Akzeptanz vorhandener Modelle.

  • Fehlen des Themas Arbeitszeit in den Unterweisungen nach § 12 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG)
  • Obwohl die Arbeitszeitgestaltung, die Auswirkungen dysfunktionaler Arbeitszeiten und die Bedeutung gesundheitsgerechter Arbeitszeiten für die Beschäftigten von großer Relevanz sind, werden diese Themen nicht in die Unterweisungen gemäß § 12 ArbSchG aufgenommen. Viele Betriebe nehmen das Thema Arbeitszeit offenbar losgelöst vom allgemeinen Arbeitsschutz wahr und bringen es – trotz expliziter Nennung in § 5 ArbSchG – nicht mit der allgemeinen Gefährdungsbeurteilung für die Betrachtung von Wechselwirkungen und Maßnahmengestaltung in Verbindung. Arbeitszeit in der Gefährdungsbeurteilung beschränkt sich meist ausschließlich auf Aussagen zur Einhaltung der Grenzen des ArbZG und zur Urlaubsgestaltung. Da Unterweisungen anhand der in der Gefährdungsbeurteilung festgestellten Gefährdungen durchgeführt werden sollen, wird die Wirkung von Arbeitszeitmodellen in der Regel nicht als Unterweisungsthema betrachtet. Eine wesentliche Möglichkeit der Sensibilisierung der Beschäftigten für die Wirkung der Arbeitszeitgestaltung auf die Gesundheit und die Stimmung und damit auch auf das private Leben der Beschäftigten wird vertan.

  • Unmittelbare Auswirkung geänderter Arbeitszeitmodelle auf die Betriebsorga­nisation und die Personalzuweisung
  • Die zeitliche Dimension der Arbeit ist ein entscheidender Faktor. Jede Anpassung von Arbeitszeitmodellen hat daher unweigerlich Auswirkungen auf das Privatleben der Beschäftigten und ihrer Familien. Zusätzlich beeinflusst die Arbeitszeit die Arbeitserledigung und die betriebliche Organisation, einschließlich der Personalressourcen. Diese Aspekte stellen erhebliche Herausforderungen bei Veränderungen dar.

    Die Notwendigkeit betrieblicher Arbeitsschutzexpertise zur Abmil­derung dieser Auswirkungen

    Die Praxis zeigt leider, dass sich viele Betriebsärztinnen und Betriebsärzte nicht intensiv mit dem Thema Arbeitszeit auseinandersetzen. Weder aktiv noch reaktiv schlagen sie Maßnahmen zur Arbeitszeitgestaltung vor, die zur Entlastung der Beschäftigten beitragen könnten. Folglich findet das Thema Arbeitszeit in der Regel keine Berücksichtigung in den Vereinbarungen zur betriebsspezifischen Betreuung nach Vorschrift 2 der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV).

    Betriebsärztliche Expertise für gesunde Arbeitszeitgestaltung: Chancen und Potenziale

    Die betriebsärztliche Expertise ist ein wertvoller Schlüssel zur Gestaltung gesunder Arbeitszeiten. Um dieses Potenzial voll auszuschöpfen, ist eine stärkere Einbindung der Betriebsärztinnen und -ärzte in die Arbeitszeitgestaltung wünschenswert.

    Wenn Betriebsärztinnen und -ärzte selbst nicht über die nötige Zeit oder Expertise verfügen, können sie durch gezielte Impulse und die Einbeziehung externer Fachleute mit Spezialkenntnissen im Bereich Arbeitszeit einen wichtigen Beitrag leisten. Diese Expertinnen und Experten können im Rahmen der betriebsspezifischen Betreuung nach DGUV Vorschrift 2 hinzugezogen werden.

    Insbesondere bei der Einführung oder Änderung von Schichtplänen ist die betriebsärztliche Beteiligung essenziell, um arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse angemessen zu berücksichtigen und so die Gesundheit der Beschäftigten zu schützen.

    Die Bearbeitung von Anträgen auf Verlängerung der werktäglichen Arbeitszeit verdeutlicht die Notwendigkeit, den präventiven Ansatz der Arbeitsmedizin zu berücksichtigen. Es ist wichtig, gesunde Arbeitszeitmodelle für alle Beschäftigten zu gestalten und so ihre Gesundheit langfristig zu erhalten.

    Die pauschale Feststellung, dass eine Untersuchung der Beschäftigten keine Gründe gegen eine Ausweitung der Arbeitszeit ergeben habe, ist nicht zielführend. Stattdessen sollten betriebsärztliche Stellungnahmen die potenziellen Belastungen durch verlängerte Arbeitszeiten und geeignete Ausgleichsmaßnahmen, wie zusätzlche Pausenzeiten oder die Reduzierung klassischer Gefährdungen, z. B. durch zusätzliche Hebehilfen oder die Reduzierung der Gefahrstoffexposition, berücksichtigen. Die Forderung nach zusätzlichen Pausenzeiten als häufigste getroffene Maßnahme ist sicherlich ein wirksames Instrument zur Kompensation von Belastun­gen, sie ist aber nicht immer als alleinige Maßnahme ausreichend. Jedoch ist es auch ohne dass ein Antrag auf Verlängerung der Arbeitszeit vorliegt, ebenso wichtig, die Arbeitszeit selbst als schützendes Gestaltungsmerkmal zu nutzen.

    Ein Beispiel aus einer Revision zeigt, dass Unternehmen oft nicht alle Möglichkeiten zur Entlastung ihrer Beschäftigten in Betracht ziehen. Hier war die gemeinsame Entwicklung eines optimierten Schichtmodells mit der/dem Betriebsärztin/Betriebsarzt, einschließlich belastungsorientierter Kurzpausen und einer angepassten Pausengestaltung nach § 4 ArbZG, eine sinnvolle Maßnahme.

    Wege zur Stärkung der betriebs­ärztlichen Rolle

    Die Gründe für die aktuelle Situation sind vielfältig und bieten Anlass zur Reflexion. Ein prägender Faktor ist die Konzentration auf medizinische Tätigkeit, die durch die derzeitigen geringen betriebsärztlichen Kapazitäten vorgegeben wird. Hier liegt jedoch auch eine Chance: Durch gezielte Maßnahmen in der betriebsärztlichen Ausbildung könnte sichergestellt werden, dass die Arbeitszeitgestaltung einen höheren Stellenwert erhält. Dies würde dazu beitragen, das Bewusstsein für die Bedeutung dieses Themas zu schärfen. Es ist jedoch bemerkenswert, dass selbst im Kernbereich der betriebsärztlichen Tätigkeit, der Untersuchung von Nachtarbeitenden gemäß § 6 Abs. 3 ArbZG, noch Verbesserungspotenzial besteht. Dies zeigt, dass es möglich ist, die betriebsärztliche Tätigkeit in diesem Bereich weiter zu stärken und somit einen positiven Beitrag zur Gesundheit der Beschäftigten zu leisten.

    Fazit

    Aus der Sicht der beratenden und überwachenden Tätigkeit der staatlichen Arbeitsschutzverwaltung wäre eine verstärkte aktive betriebsärztliche Präsenz und Betreuung ausgesprochen wünschenswert. Die Anforderungen an die Betriebe und die Beschäftigten steigen und die Gefahr einer Überlastung der Beschäftigten wird aus verschiedenen Gründen immer wahrscheinlicher. Eine verstärkte betriebsärztliche Tätigkeit in diesem Aufgabenfeld würde präventiv manche Belastung verhindern oder moderieren, was die staatliche Aufsicht mit ihrem im Wesentlichen punktuellen und korrigierenden Ansatz nicht erreichen kann. Ausgeruhte und in ihrem Leistungsrahmen beschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind nicht nur für die Arbeitsergebnisse in den Betrieben ein Gewinn, sondern aufgrund höherer psychischerer Ausgeglichenheit auch für deren Familien.

    Aus der 25-jährigen Erfahrung der Autorin in der betrieblichen Überwachung lässt sich festhalten, dass in den aufgesuchten Betrieben Betriebsärztinnen und -ärzte sich nur selten aktiv an der Gestaltung der Arbeitszeit beteiligen oder bestimmte Arbeitszeitmodelle und -gestaltungsmerkmale als entlastende Maßnahme vorschlagen. Leider wird viel Potenzial für eine gesundheitsgerechte Arbeitsgestaltung nicht genutzt. Es wäre interessant, die Ursachen für die geringe betriebsärztliche Präsenz bei dem Thema herauszuarbeiten, um dann – hoffentlich mögliche – Abhilfe zu schaffen.▪

    Interessenkonflikt: Die Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Als Beitrag aus der Perspektive der staatlichen Aufsicht spiegelt der Artikel die Berufserfahrung der Autorin bei der Behörde, bei der sie beschäftigt ist und die diesen Artikel freigegeben hat.

    Kontakt

    Dipl.-Phys. Eva Aich
    Dezernentin in der Bezirks­regierung Düsseldorf; Dezernat 57; Postfach 300865; 40408 Düsseldorf

    Foto: privat

    Jetzt weiterlesen und profitieren.

    + ASU E-Paper-Ausgabe – jeden Monat neu
    + Kostenfreien Zugang zu unserem Online-Archiv
    + Exklusive Webinare zum Vorzugspreis

    Premium Mitgliedschaft

    2 Monate kostenlos testen