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Gefährdungen durch psychische Belastung

Psychische Belastung: Neue GDA-Empfehlungen

Mental Stress: New Recommendations of the GDA

Berücksichtigung psychischer Belastung ist arbeitsschutzgesetz­liche Pflicht

Das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) verpflichtet Arbeitgebende dazu, die Arbeit so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst geringgehalten wird (§ 4 Abs. 1 ArbSchG). Dabei ist auch die Gefährdung durch „psychische Belastungen“ bei der Arbeit zu berücksichtigen (§ 5 Abs. 3 Nr. 6 ArbSchG). In der betrieblichen Arbeitsschutzpraxis ist zwar vielerorts die Bereitschaft und der gute Wille gewachsen, Gefährdungen durch psychische Belastungen mit in den Blick zu nehmen. Allerdings besteht nach wie vor Unsicherheit bei den damit verbundenen Beurteilungs- und Gestaltungsfragen: Wann genau ist von einer Gefährdung durch psychische Belastung auszugehen? Wie sollten Arbeitsaufgaben, Arbeitsorganisation, Arbeitszeitarrangements, soziale Beziehungen bei der Arbeit, Arbeitsmittel und Umgebungsbedingungen konkret gestaltet sein, um eine Gefährdung durch die psychische Belastung bei der Arbeit zu vermeiden?

Empfehlungen des GDA-Arbeits­programms „Psyche“

Um hier die Orientierung und Handlungssicherheit sowohl für die betriebliche Arbeitsschutzpraxis als auch für die Aufsicht und Beratung zu verbessern, hat das GDA-Arbeitsprogramm „Psyche“ seine „Empfehlungen zur Berücksichtigung psychischer Belastung in der Gefährdungsbeurteilung“ weiterentwickelt. Die im August 2022 veröffentlichte Broschüre konkretisiert nunmehr Gestaltungsziele zum Schutz vor Gefährdungen durch psychische Belastung, benennt die zu berücksichtigenden Vorschriften und Regeln des Arbeitsschutzes und verweist in einem umfangreichen Serviceteil auf relevante Wissensgrundlagen und Handlungshilfen der GDA-Träger (GDA-Psyche 2022).

Die Empfehlungen richten sich an Betriebe aller Branchen und Betriebsgrößenklassen. Sie beschreiben einen Korridor, innerhalb dessen die Gefährdungsbeurteilung unter Berücksichtigung der spezifischen Gegebenheiten und Anforderungen der jeweiligen Branche, Tätigkeit, Betriebsgröße sowie Beschäftigungs- und Arbeitsformen erfolgen sollte.

Die Empfehlungen wurden durch Vertreterinnen und Vertreter von Bund, Ländern und Unfallversicherungsträgern gemeinsam mit Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden erarbeitet und abgestimmt. Sie repräsentieren damit einen Konsens wichtiger arbeitsschutzpolitischer Akteure und stellen auch eine wesentliche Richtschnur für die Beratung und Überwachung durch die staatlichen Arbeitsschutzbehörden und Unfallversicherungsträger dar.

Fachliche Grundlagen

Die GDA-Empfehlungen berücksichtigen zum einen bestehende Vorschriften und Regeln des Arbeitsschutzes (➥ Tabelle 1), zum anderen aber auch vorliegende Bestandsaufnahmen wissenschaftlicher Erkenntnisse über Gefährdungen durch psychische Belastung, die unter anderem im Rahmen der Initiative Gesundheit und Arbeit (iga, s. Rau 2015) und im Rahmen des Projekts der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) zur „Wissenschaftlichen Standortbestimmung Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt“ (BAuA 2017; Rothe et al. 2017) durchgeführt wurden. Einbezogen werden weiterhin einschlägige Normen ergonomischer Arbeitsgestaltung, hier insbesondere die DIN EN ISO 6385:2016 und die DIN EN ISO 10075-2:2000. Formale Anforderungen an die Umsetzung einer Gefährdungsbeurteilung wurden im Einklang mit der GDA-Leitlinie „Gefährdungsbeurteilung und Dokumentation“ formuliert (NAK 2017).

Gefährdungen durch psychische ­Belastung

Psychische Belastung ist die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf Menschen zukommen und diese psychisch (Denken, Fühlen, Wahrnehmen) beeinflussen. Psychische Belastung gehört genauso wie körperliche Belastung zu jeder Tätigkeit dazu. Sie kann anregend und aktivierend wirken sowie Lernprozesse und Kompetenz­entwicklung der Beschäftigten befördern. Je nach Art, Intensität und Dauer sowie in Abhängigkeit der persönlichen Voraussetzungen der Arbeitenden kann sie aber auch zu Stressreaktionen, Ermüdung oder herabgesetzter Wachsamkeit führen und langfristig gesundheitsbeeinträchtigende Wirkungen haben. In den GDA-Empfehlungen wird auf der oben beschriebenen fachlichen Grundlage konkretisiert, bei welchen Arbeitsanforderungen und -bedingungen von einer Gefährdung durch psychische Belastung – also von der Möglichkeit eines Schadens für die Gesundheit der Beschäftigten – auszugehen ist. Konkret genannt werden hier unter anderem (GDA-Psyche 2022, S. 8 ff.):

  • ein unzureichender Einfluss auf Arbeits­inhalte, -mittel, -abläufe, -menge, -tempo und -ziele;
  • Ungleichgewichte von Arbeitsmenge, Aufgabenvielfalt und -komplexität sowie verfügbarer Zeit (zu hohe Arbeitsinten­sität, Zeitdruck);
  • unklare Kompetenzen, fehlende Befugnisse, widersprüchliche Arbeitsanforderungen;
  • häufige oder langandauernde Unterbrechungen und Störungen sowie fehlende Nachvollziehbarkeit der Arbeitsabläufe;
  • fehlende Anerkennung und soziale Unterstützung durch Führungskräfte und Kolleginnen/Kollegen;
  • destruktives Verhalten durch Führungskräfte und Kolleginnen/Kollegen (Herabwürdigung, Bloßstellen, Beschimpfen, soziale Ausgrenzung, Diskriminierung, Belästigung);
  • häufige Streitigkeiten, Konflikte, Aggressionen oder Gewalt;
  • ein unzureichendes Pausenregime, Arbeit an Sonn- und Feiertagen, ungünstig gestaltete Schichtarbeit und Dienstpläne;
  • ….
  • Gestaltungsziele

    Zum Schutz vor Gefährdungen durch psychische Belastung sind die Arbeitsinhalte und -aufgaben, die Arbeitsorganisation, die Arbeitszeit, die sozialen Beziehungen bei der Arbeit, die Arbeitsumgebungsbedingungen sowie die Verwendung von Arbeitsmitteln zu gestalten. Auf der oben beschriebenen fachlichen Grundlage wurden mit den GDA-Empfehlungen hierfür branchen- und tätigkeitsübergreifend relevante Gestaltungsziele konkretisiert (GDA-Psyche 2022, S. 8 ff.). Von Bedeutung sind demnach unter anderem:

  • ein angemessener Grad an Handlungs- und Entscheidungsspielraum der Beschäftigten in Bezug auf Tempo, Vorgehensweise und Vorrang von Aufgaben;
  • ein ausgewogenes Verhältnis von Arbeitsmenge und -zeit;
  • klar definierte Aufgaben, Zuständigkeiten und Befugnisse der Beschäftigten;
  • die Vermeidung häufiger oder langandauernde Unterbrechungen und Störungen bei der Arbeit;
  • Anerkennung und soziale Unterstützung durch Führungskräfte und Kolleginnen/Kollegen;
  • entsprechend der arbeitszeitgesetzlichen Vorgaben klar begrenzte und dokumentierte Arbeitszeiten;
  • die Sicherstellung ausreichender Pausen-, Ruhe- und Erholungszeiten;
  • für die Beschäftigten vorhersehbare und planbare Arbeitszeiten sowie deren Mitsprache bei der Arbeitszeitgestaltung;
  • die Berücksichtigung aktueller arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse bei der Gestaltung von Schichtarbeit (Vorwärtswechsel der Schichten, nicht mehr als drei Nachtschichten hintereinander, möglichst ein freier Abend in der Woche);
  • Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten vor destruktiven Verhaltensweisen (Herabwürdigung, Bloßstellen, Beschimpfen, soziale Ausgrenzung, Diskriminierung, Belästigung) von Führungskräften oder Kolleginnen/Kollegen;
  • Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten vor Gewalt, Aggressionen, Bedrohungen und Übergriffen durch andere Personen bei der Arbeit;
  • Unterstützungs- und Bewältigungsmöglichkeiten im Umgang mit emotional belastenden und traumatischen Ereignissen bei der Arbeit;
  • ….
  • Weiterentwicklung des ­Vorschriften- und Regelwerks

    Mit der Broschüre des GDA-Arbeitsprogramms „Psyche“ steht eine verbesserte Hand­lungshilfe für die betriebliche Praxis zur Verfügung

    Mit der Broschüre des GDA-Arbeitsprogramms „Psyche“ steht eine verbesserte Hand­lungshilfe für die betriebliche Praxis zur Verfügung

    Die beschriebenen Konkretisierungen der GDA-Empfehlungen sollen die Orientierung und Handlungssicherheit der betrieblichen Akteure darüber zu verbessern, wie Arbeit nach gegenwärtigem Stand des Wissens gestaltet sein sollte, um eine Gefährdung durch psychische Belastung bei der Arbeit zu vermeiden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering zu halten (vgl. § 4 ArbSchG). Für einige ausgewählte Aspekte und Tätigkeiten (z. B. für die Gestaltung von Arbeitszeit, für das Einrichten und Betreiben von Arbeitsstätten, für die Verwendung von Arbeitsmitteln oder für Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen) sind diesbezügliche Gestaltungsanforderungen bereits in Vorschriften und Regeln des Arbeitsschutzes spezifiziert (s. Tabelle 1). Für viele andere Aspekte ist dies bislang nicht der Fall. Wie eine im Rahmen des GDA-Arbeitsprogramms „Psyche“ durchgeführte Bestandsaufnahme zeigte, sind beispielsweise Gefährdungen, die sich aus sozialen Beziehungen bei der Arbeit (z. B. destruktives Führungsverhalten, mangelnde soziale Unterstützung), aus Interaktions- und Emotionsarbeit (z. B. Konfrontation mit emotional stark berührenden Ereignissen bei der Arbeit) und aus der Arbeitsorganisation (z. B. Missverhältnisse von Arbeitsmenge und -zeit, mangelnde Vorhersehbarkeit und Planbarkeit von Arbeitszeit) ergeben, im Vorschriften- und Regelwerk bislang weitgehend unreflektiert (Beck u. Schöneich-Kühn 2023). Zudem mangelt es den bestehenden Vorschriften und Regeln zu psychischer Belastung an Einheitlichkeit, insbesondere in Bezug auf die Definition und Verwendung zentraler Begriffe (psychische Belastung, Gefährdung) sowie in Bezug auf Anforderungen an die Gefährdungsermittlung und -beurteilung (angemessene Methoden, erforderliche Fachkunde).

    Zur entsprechenden Weiterentwicklung des Vorschriften- und Regelwerks hat das GDA-Arbeitsprogramm „Psyche“ den Vorschlag unterbreitet, den Ausschuss für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit (ASGA) zu bitten, grundlegende Anforderungen zum Umgang mit psychischer Belastung in einer staatlichen Arbeitsschutzregel zu definieren. Die im Rahmen des GDA-Arbeitsprogramms „Psyche“ konsentierten Empfehlungen zur „Berücksichtigung psychischer Belastung in der Gefährdungsbeurteilung“ können hierfür eine wichtige Grundlage darstellen.

    Interessenkonflikt: Autor und Koautorin bestätigen, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

    doi:10.17147/asu-1-257878

    Quellen und Weitere Infos

    BAuA – Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: Projekt Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt. 2017
    https://www.baua.de/DE/Themen/Arbeit-und-Gesundheit/Psychische-Gesundhe…

    Beck D, Schöneich-Kühn C: Vorschriften und Regeln zur Berücksichtigung psychischer Belastung in der Gefährdungsbeurteilung. Ergebnisse einer Bestandsaufnahme. sicher ist sicher 2023; 74: 6–10
    https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Aufsaetze/artikel3534.html

    GDA Psyche – GDA-Arbeitsprogramm Psyche: Berücksichtigung psychischer Belastung in der Gefährdungsbeurteilung – Empfehlungen zur Umsetzung in der betrieblichen Praxis. Stand: 15. Juni 2022. Berlin: GDA-Arbeitsprogramm Psyche
    https://www.gda-portal.de/DE/Downloads/pdf/Psychische-Belastung-Gefaehr…

    NAK – Nationale Arbeitsschutzkonferenz: Leitlinie Gefährdungsbeurteilung und Dokumentation. Stand: 22. Mai 2017. Berlin: Geschäftsstelle der Nationalen Arbeitsschutzkonferenz
    https://www.gda-portal.de/ DE/Downloads/pdf/Leitlinie-Gefaehrdungsbeurteilung.pdf

    Rau R: Risikobereiche für ­psychische Belastungen. iga.Report 2015, 31
    https://www.iga-info.de/fileadmin/redakteur/Veroeffentlichungen/iga_Rep…

    Rothe I, Adolph L, Beermann B et al.: Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt - Wissenschaftliche Standortbestimmung. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 2017
    https://www.baua.de/dok/8708776

    Kernaussagen

  • Im Rahmen des aktuellen GDA-Arbeitsprogramms „Psyche“ wurden Gestaltungsempfehlungen zum Schutz vor Gefährdungen durch psychische Belastung konkretisiert.
  • Mit den „Empfehlungen zur Berücksichtigung psychischer Belastung in der Gefährdungs­beurteilung“ steht eine verbesserte Handlungshilfe für die betriebliche Praxis zur Verfügung.
  • Die Bestandsaufnahme bestehender Vorschriften und Regeln zur Berücksichtigung „psychischer Belastung“ im Arbeitsschutz macht einen Koordinations- und Weiterentwicklungsbedarf deutlich.
  • Kontakt

    Dr. David Beck
    Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA)
    Nöldnerstraße 40–42, 10317 Berlin

    Esin Tașkan
    Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie (BG RCI)
    Kompetenz Center Gesundheit im Betrieb
    Lortzingstraße 2, 55127 Mainz

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