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Hausärztliche Versorgung und ­Arbeitsmedizin als Teamplay

Andrea Kaifie-Pechmann

doi:10.17147/asu-1-417810

Primary care and occupational medicine as team play – opportunities and challenges of sector-connecting care in the living environment

Cross-sectoral healthcare plays a central role in providing people with holistic and continuous care. In particular, the cooperation between general practitioners and occupational physicians plays a crucial role here.

Kernaussagen

  • Die enge Zusammenarbeit zwischen Hausärztinnen/-ärzten und Arbeitsmedizinerinnen/­-medizinern ermöglicht eine ganzheitliche Betreuung, die auch berufliche Gesundheitsaspekte integriert und präventive Maßnahmen auf allen Ebenen fördert.
  • Die sektorenverbindende Zusammenarbeit bietet das Potenzial, arbeitsbedingte Gesundheitsprobleme im Austausch frühzeitig zu erkennen.
  • Eine reibungslose Zusammenarbeit über die elektronische Patientenakte kann helfen, kommunikative, und organisatorische Barrieren zu überwinden und die Gesundheitsversorgung nachhaltiger zu gestalten.
  • Hausärztliche Versorgung und Arbeitsmedizin als Teamplay – Chancen und Herausforderungen der sektorenverbindenden Versorgung in der Lebenswelt

    Die sektorenverbindende Versorgung im Gesundheitswesen spielt eine zentrale Rolle, um den Menschen eine ganzheitliche und kontinuierliche Betreuung zu bieten. Besonders die Zusammenarbeit zwischen Hausärztinnen/-ärzten und Arbeitsmedizinerinnen/-medizinern spielt hier eine entscheidende Rolle.

    Es vergeht kaum ein Tag in der betriebsärztlichen Praxis, in der nicht der Kontakt zur Hausärztin oder zum Hausarzt gesucht wird. Sei es der Zufallsbefund einer schmerzlosen Hämaturie, der erhöhte Hba1c-Wert bei
    einem vorher nicht bekannten Diabetes mellitus oder die auffälligen Blutdruckwerte unter einer leistungsphysiologischen Diag­nostik. Die hausärztliche Vorstellung zur weiteren Diagnostik und gegebenenfalls die Einleitung einer Therapie wird hier regelmäßig empfohlen. Oftmals ist eine Rückmeldung notwendig. Die enge Verzahnung dieser beiden Disziplinen in der täglichen Praxis bietet große Vorteile in der Versorgung, die letztlich den Beschäftigten oder den Patien­tinnen und Patienten – je nach Perspektive – auf verschiedenen Ebenen dient.

    Hausärztliche Versorgung und ­Arbeitsmedizin – Unterschiede und Gemeinsamkeiten

    Die hausärztliche Versorgung ist unbestritten eine der Grundsäulen des Gesundheitswesens. Hausärztinnen und Hausärzte begleiten Menschen über Jahre und Jahrzehnte hinweg. Sie kennen meist nicht nur die Patientin oder den Patienten und die medizinische Historie, sondern auch die Lebensumstände mit ihren individuellen Herausforderungen. Hausärztliche Versorgung ist und war schon immer ganzheitlich. Hausärztinnen/-ärzte sind, und das ist auch primäres Ziel im Gesundheitswesen, erste Ansprechpersonen bei gesundheitlichen Problemen. Sie kennen nicht nur die Patientinnen und Patienten gut, sondern nehmen auch eine Vorreiterrolle für alle drei Ebenen der Prävention (Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention) ein und sind ebenso verantwortlich für die Therapie von Krankheiten. In der hausärztlichen Praxis laufen alle Fäden der medizinischen Versorgung zusammen – unabhängig von der Lebenswelt.

    Die Arbeitsmedizin hingegen konzentriert sich im Wesentlichen auf den Schutz und die Förderung der Gesundheit von Beschäftigten in der Lebenswelt Arbeit. Arbeitsmedizinerinnen und -mediziner bewerten Gesundheitsgefahren am Arbeitsplatz, führen arbeitsmedizinische Vorsorgen durch und beraten Unternehmen sowie Beschäftigte in Fragen der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes. Mit der Arbeitsmedizinischen Regel (AMR) 3.3 „Ganzheitliche arbeitsmedizinische Vorsorge unter Berücksichtigung aller Arbeitsbedingungen und arbeitsbedingten Gefährdungen“ soll analog der hausärztlichen Versorgung ein ganzheitlicher Versorgungsansatz, wenn auch mit dem Schwerpunkt Arbeitswelt, verfolgt werden. Neben der Berücksichtigung aller potenziell gesundheitsschädigender Einflüsse am Arbeitsplatz und dem Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit, dient die ganzheitliche Vorsorge auch der Initiierung von Präventionsprogrammen, wie beispielsweise Angeboten betrieblicher Gesundheitsförderung. Dabei stellt die Arbeitswelt das größte Präventionssetting dar. Mit etwa 46 Millionen Beschäftigten können Betriebsärztinnen und -ärzte auch die Menschen mit Präventionsangeboten erreichen, die über keine hausärztliche Versorgung verfügen.

    Obwohl beide Disziplinen, Arbeitsmedizin und Allgemeinmedizin, teilweise unterschiedliche Schwerpunkte haben, so überschneiden sich ihre Ziele vor allem in Hinblick auf präventive Maßnahmen in allen drei Präventionsdimensionen sowie der
    Förderung der allgemeinen Gesundheit. Durch die enge Zusammenarbeit dieser beiden Fachbereiche können diese verbessert und zielgerichteter eingesetzt werden.

    Chancen der sektorenverbindenden Versorgung

    Die sektorenverbindende Versorgung, vor allem aus präventionsmedizinischer Perspektive, bietet hierbei zahlreiche Chancen, insbesondere, wenn Allgemein- und Arbeitsmedizin ihre Kompetenzen weiter bündeln:

    Patientinnen und Patienten profitieren von einer umfassenden Versorgung, die sowohl private als auch berufliche Gesundheitsaspekte einbezieht. Berufstätige verbringen einen großen Teil ihres Tages am Arbeitsplatz. Erfolgt die hausärztliche Vorstellung aufgrund arbeitsbedingter Erkrankungen, beispielsweise mit Rückenschmerzen bei körperlich belastender Arbeit, so sollen diese Rückenschmerzen nicht nur mit Schmerzmitteln und eventuell begleitender Physiotherapie behandelt werden. Die Zusammenarbeit mit der/dem zuständigen Arbeitsmedizinerin/-mediziner ist essenziell, um die auslösenden Faktoren, die im beruflichen Kontext zu finden sind, zu identifizieren und Maßnahmen zur Entlassung am Arbeitsplatz zu veranlassen.

    Hierfür ist es allerdings erforderlich, dass der Informationsfluss von der Hausarztpraxis in den Betrieb gelangt. Neben dem direkten ärztlichen Austausch kann auch die elek­tronische Patientenakte (ePa) helfen, gezielt nach auslösenden Faktoren arbeitsbedingter Symptome und Erkrankungen zu suchen. In der aktuellen Versorgungsrealität allerdings erhält die Betriebsärztin/der Betriebsarzt, wenn überhaupt, die Information zu einer arbeitsbedingten Erkrankung oftmals erst, wenn aufgrund der Länge der Arbeitsunfähigkeit ein BEM-Verfahren (berufliches Eingliederungsmanagement) eingeleitet wurde. Die erfolgt in der Regel erst nach sechs Wochen Arbeitsunfähigkeit und stellt neben den medizinischen Konsequenzen mit dem Erhalt von Krankengeld oftmals auch eine finanzielle Notlage für die Beschäftigten dar.

    Auf der anderen Seite erfassen und bewerten Arbeitsmedizinerinnen und -mediziner Gesundheitsgefahren und können aufgrund der Arbeitsplatzsituation sowie der individuellen Konstitution der Beschäftigten oftmals gut einschätzen, wie hoch die Gefahr eines drohenden Gesundheitsschadens ist. In der arbeitsmedizinischen Vorsorge wird gezielt und ganzheitlich nach allen beruflich bedingten gesundheitlichen Risikofaktoren gesucht und Symptome, die auf die berufliche Belastung zurückzuführen sind, wie muskuloskelettale Beschwerden oder Atemwegbeschwerden, diagnostiziert werden. Durch die direkte Zusammenarbeit mit der Hausärztin oder dem Hausarzt können neben Maßnahmen am Arbeitsplatz auch frühzeitig therapeutische Schritte eingeleitet werden.

    Erfolgt die Einleitung von therapeutischen Maßnahmen – unabhängig davon, ob die Ursache primär beruflich oder außerberuflich verursacht wurde –, so kann diese einen Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit haben. Bei Rückenschmerzen, die stärkerer Analgetika bedürfen, kann die Schmerztherapie einen Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit haben. Auch bei einem neu eingestellten Diabetes mellitus mit einer Medikation, die potenziell Hypoglykämien auslösen kann, kann die Nebenwirkung eine Bedrohung für den Beschäftigten oder das Umfeld darstellen (z. B. LKW-Fahrerin/-Fahrer). Auch bei therapeutischen Maßnahmen ist deshalb die Zusammenarbeit von Allgemeinmedizin und Arbeitsmedizin wichtig, um den gesundheitlichen Zustand und Auswirkungen von Erkrankung und Therapie in der Lebenswelt Arbeit ganzheitlich zu berücksichtigen.

    Wird nach längerer Arbeitsunfähigkeit die Rückkehr an den Arbeitsplatz geplant, so erfolgt die stufenweise Wiedereingliederung in der Regel über das sogenannte Hamburger Modell. Der Stufenplan wird hierbei von der/dem Haus- oder Fachärztin/-arzt ausgefüllt. Um die berufliche Einsatzfähigkeit zu planen, ist es ebenso wichtig zu identifizieren, 1) welche Faktoren primär zur Auslösung des Krankheitsereignisses geführt haben und/oder 2) welche Faktoren die Wiedereingliederung erschweren oder sogar unmöglich machen könnten. Die hier notwendige Abstimmung zwischen Hausärztin/-arzt und Arbeitsmedizinerin/-mediziner sollte obligatorisch sein.

    Herausforderungen der sektoren­verbindenden Versorgung

    Der gerade genannte Punkt zeigt auf, wo die Herausforderungen in der Zusammenarbeit liegen. Die gesetzlichen Grundlagen, wie beispielsweise zu einer verpflichtenden Zusammenarbeit zwischen Allgemein- und Arbeitsmedizin, gerade bei der beruflichen Wiedereingliederung, sollten geschaffen werden. Das Ziel der Arbeitsmedizin liegt in der Gesunderhaltung am Arbeitsplatz – dies gilt auch für leistungsgewandelte Beschäftigte. Dies kann aber nur dauerhaft umgesetzt werden, wenn auch die arbeitsmedizinische Perspektive, die in der Erkennung und Bewertung beruflicher Gesundheitsgefahren liegt, mit einbezogen wird.

    Eine reibungslose Zusammenarbeit setzt einen guten Informationsfluss voraus. Die Grundlage hierfür wird gerade in Form der elektronischen Patientenakte umgesetzt. Leider werden Arbeitsmedizinerinnen und -mediziner nur als „Opt-in“-Lösung berücksichtigt. Dies kann zu einem Versiegen des Informationsflusses führen und unnötige Doppeluntersuchungen sind die Folge. Eine neu aufgetretene oder sogar chronifizierte arbeitsbedingte Erkrankung wird therapiert, ohne die Ursachen zu erkennen und zu beseitigen. Daraus kann eine langfristige Arbeitsunfähigkeit resultieren; eine Wiedereingliederung kann erschwert oder unmöglich sein. Gerade unter diesen Gesichtspunkten ist der gleichberechtigte Zugriff auf die ePA notwendig. Und auch für die Arbeitsmedizin gilt die ärztliche Schweigepflicht – vor allem dem Arbeitgeber gegenüber.

    Fazit

    Die Zusammenarbeit zwischen Hausärztin­nen/-ärzten und Arbeitsmedizinerinnen/-medizinern als Teamplay bietet die Chance, die Gesundheit der Bevölkerung ganzheitlicher und effizienter zu fördern. Durch sektorenverbindende Ansätze können sowohl präventive als auch therapeutische Maßnahmen besser aufeinander abgestimmt werden. Damit diese Zusammenarbeit jedoch erfolgreich ist, müssen kommunikative, organisatorische und finanzielle Hürden überwunden werden. Vor allem mit der elektronischen Patientenakte könnten Datenaustausch und Kommunikation zwischen den beiden Disziplinen erleichtert werden. Die Zukunft der Gesundheitsversorgung liegt in der Vernetzung verschiedener Disziplinen – Hausärztinnen/-ärzte und Arbeitsmedizinerinnen/-mediziner können hierbei eine Schlüsselrolle spielen.

    Interessenkonflikt: Die Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

    Kontakt

    Prof. Dr. med. Andrea Kaifie-Pechmann
    Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umwelt­medizin, FAU Erlangen-Nürnberg; Henkestraße 9–11; 91054 Erlangen

    Foto: FAU/Georg Pöhlein

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