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Ideen zur Weiterentwicklung des Mutterschutzes aus arbeitsmedizinischer Sicht

Uta Ochmann

doi:10.17147/asu-1-417822

Ideas for the further development of maternity protection from an occupational health perspective

Maternity protection at work – the protection goals are clearly formulated in the current Maternity Protection Act: The health of the mother and child should not be endangered and at the same time the mother should not suffer any disadvantages. Is this an antagonism or at least a balancing act? Can implementation succeed? Are further measures necessary?

Kernaussagen

  • Mutterschutz ist Teil des Arbeitsschutzes: je besser der Arbeitsschutz, desto weniger ­Mutterschutz ist zusätzlich erforderlich.
  • Mutterschutz am Arbeitsplatz kann durch individuelle Anpassung von Gefährdungsbeurteilung und Schutzmaßnahmen verbessert werden.
  • Wichtig ist zuzuhören, möglichst evidenzbasiert aufzuklären sowie einzuordnen und danach zu einer individuellen gemeinsamen Strategie zu kommen.
  • Pauschale Bewertungen aus Bequemlichkeit und Forderungen von „Null-Risiken“ aus ­Unsicherheit sollten vermieden werden.
  • Ideen zur Weiterentwicklung des Mutterschutzes aus arbeitsmedizinischer Sicht

    Mutterschutz am Arbeitsplatz – die Schutzziele sind im aktuellen Mutter­schutzgesetz klar formuliert: Die Gesundheit der Mutter und des Kindes soll nicht gefährdet werden und gleichzeitig soll die Mutter keine Benachteiligungen erleiden. Ist dies ein Antagonismus oder zumindest eine Gratwanderung? Kann eine Umsetzung gelingen? Sind weitergehende Maßnahmen nötig?

    Ursprünge des Mutterschutzrechts in Deutschland

    In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schreitet die Industrialisierung fort, die Arbeitszeiten sind lang, die Arbeitsbedingungen menschenunwürdig, Kinderarbeit ist die Regel und Arbeitsschutz ist unbekannt. Die Löhne sind niedrig, Krankheiten und Arbeitsunfälle haben finanzielle Ausfälle und Existenzkrisen ganzer Familien zur Folge. Beengte Wohnverhältnisse und schlechte hygienische Bedingungen tragen zu einer hohen Säuglings- und Müttersterblichkeit bei. Etwa 25 % der lebendgeborenen Kinder sterben im ersten Lebensjahr und ebenso sterben ungefähr fünf Mütter von 1000 lebendgeborenen Kindern.

    Arbeiterbewegungen und die Sozialgesetzgebung unter Bismarck entstehen. Neben Einführung von Krankenversicherungs-, Unfallversicherungs- sowie Alters- und Invalidenversicherungsgesetz regelt die Gewerbeordnung eine Arbeitsbefreiung für Mütter für drei Wochen nach der Entbindung und ein Arbeitsverbot für Kinder unter 12 Jahren. Es folgen das Nachtarbeitsverbot für Frauen und Kinder sowie eine Begrenzung der Arbeitszeiten. Die Entlohnung hängt jedoch hinterher; für Krankheits- und Mutterschutzzeiten gab es maximal 50 % des Lohns.

    Mutterschutz heute

    Seit diesen Anfängen eines Mutterschutzrechts sind Arbeitsschutz und Mutterschutz miteinander verwoben. Daran hat sich bis heute kaum etwas geändert. Mittlerweile sind Arbeitszeiten und Bezahlung während Freistellungen umfänglich geregelt, so dass in der heutigen Zeit beim Mutterschutz die Auswirkungen von etwaigen Expositionen gegenüber Arbeitsstoffen, von Arbeitsbedingungen und von psychischen Belastungen im Vordergrund stehen. Im Arbeitsschutz werden Arbeitsplätze und Tätigkeiten im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung bewertet, für die Bewertung gibt es zahlreiche Vorgaben wie Arbeitsplatzgrenzwerte, verfahrens- und stoffspezifische Kriterien sowie Handlungsanleitungen und Empfehlungen. Für eine praxisnahe Umsetzung und insbesondere für eine Entscheidung, für welche Beschäftigten eine arbeitsmedizinische Pflicht- oder Angebotsvorsorge notwendig sind, muss der Arbeitgebende diese Gefährdungsbeurteilung individualisieren.

    Das Konzept der Gefährdungsbeurteilung nach Mutterschutzgesetz geht den gleichen Weg. Während im Rahmen der anlassunabhängigen Gefährdungsbeurteilung Arbeitsplätze und Tätigkeiten grundsätzlich bezüglich potenzieller Gefährdungen, die aufgrund von Schwangerschaft oder Stillen zusätzlich auftreten oder eine andere Wertigkeit bekommen, ermittelt werden müssen, muss im konkreten Fall einer Schwangeren oder Stillenden individuell zusammengestellt werden, welche Tätigkeiten an welchen Arbeitsplätzen zu welchen Gefährdungen führen können und welche zusätzlichen Schutzmaßnahmen umzusetzen sind. Dies ist dann die anlassbezogene Gefährdungsbeurteilung. Wird der Gedanke des gemeinsamen Wegs von Arbeitsschutz und Mutterschutz weiterverfolgt, resultiert die Aussage, dass bei Optimierung des Arbeitsschutzes weniger Mutterschutz zusätzlich notwendig ist.

    1. Leitsatz:

    Mutterschutz ist Teil des Arbeitsschutzes, je besser der Arbeitsschutz, desto weniger Mutterschutz ist zusätzlich erforderlich.

    Sicherlich kann und soll durch diese Vorgehensweise der Mutterschutz nicht vollständig ersetzt werden; es werden Grenzen der Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit erreicht und es wird auch künftig Arbeitsplätze und Tätigkeiten geben, die trotz allen Bemühens für Schwangere nicht ermöglicht werden können.

    Mutterschutz: strikte Vorgaben oder Individualität?

    Das Mutterschutzgesetz gilt für abhängig beschäftigte Personen; der Gesetzesgeber schränkt zum Schutz des Kindes das Selbstbestimmungsrecht der Mutter ein, damit das Kind durch inadäquate Weisungen der Arbeitgeber nicht gefährdet werden kann. Im Mutterschutzgesetz werden unverantwortbare Gefährdungen verboten, aber auch konkret unzulässige Tätigkeiten und Arbeitsbedingungen benannt.

    Der Begriff der „unverantwortbaren Gefährdung“ beinhaltet die Möglichkeit einer an eine einzelne Person angepassten Beurteilung. Die Entscheidung, welche Gefährdung in welcher Konstellation verantwortbar oder unverantwortbar ist, sollte die individuelle Situation sowie die Fertigkeiten und spezifischen Kenntnisse der Schwangeren oder Stillenden berücksichtigen.

    Unzulässige Tätigkeiten und Arbeitsbedingungen sind hingegen pauschal anzuwenden, es gibt keinen individuellen Spielraum.

    2. Leitsatz:

    Mutterschutz am Arbeitsplatz kann durch individuelle Anpassung von Gefährdungsbeurteilung und Schutzmaßnahmen verbessert werden.

    Erfolgreicher Mutterschutz durch individuelle Gefährdungsbeurteilung?

    Die angedachte sehr individuelle Vorgehensweise im Mutterschutz erfordert jedoch auch ein Neu- oder Umdenken der für den Mutterschutz verantwortlichen Personen. Die Vorgesetzten müssen akzeptieren, dass eine Schwangere nicht automatisch die gleichen Tätigkeiten übernehmen kann wie eine Schwangere im Vorjahr. Ein „Wieso wollen Sie das nicht machen, Ihre Kollegin hat das während der Schwangerschaft doch auch gemacht?“ darf es nicht geben. Betriebsärztinnen und -ärzte müssen entsprechend beraten.

    Ein Neu- oder Umdenken betrifft auch die Schwangeren und Stillenden selbst. Ein Beschäftigungsverbot bei vollen Bezügen kann sehr verlockend sein, insbesondere wenn die subjektive Risikowahrnehmung zu Ängsten führt. Die Corona-Jahre haben diese Entwicklung entscheidend beeinflusst: Eine berufliche Tätigkeit mit erhöhtem Publikumsverkehr oder Patientenkontakt wurde als unverantwortbar gefährlich eingestuft, pauschale Beschäftigungsverbote ohne individuelle Einschätzung waren die Folge. Der Mythos, dass eine berufliche Tätigkeit in der Schwangerschaft grundsätzlich gefährlich ist, ist oftmals geblieben. Hier sind eine Aufklärung durch die Ärzteschaft (Gynäkologinnen und Gynäkologen, aber auch Betriebsärztinnen und Betriebsärzte) und durch die Vorgesetzten sowie auch eine Offenheit der Schwangeren und Stillenden gefragt.

    Eine individuelle Vorgehensweise hat auch Limitierungen. Sie kann nicht dahin führen, dass sich die Schwangere frei aussuchen kann, welche Tätigkeiten sie übernehmen möchte und welche nicht, denn schließlich bestehen auch während der Schwangerschaft weiterhin arbeitsvertragsrechtliche Pflichten.

    Gibt es die richtige Risiko­bewertung?

    Der Leitfaden zum Mutterschutzgesetz führt als Bezugsmaß für den Mutterschutz am Arbeitsplatz das allgemeine Lebensrisiko an. In der Gefährdungsbeurteilung sind nur die über dem allgemeinen Lebensrisiko liegenden Gefährdungen zu bewerten. Aber wie ist das allgemeine Lebensrisiko zu definieren?

    Die subjektive Risikobewertung wird vom Glauben, von Ängsten und Wünschen sowie Lebenserfahrungen und dem soziokulturellem Hintergrund beeinflusst. Die Irrtümer einer subjektiven Risikobewertung sind wiederholt beschrieben: Unfassbare Ereignisse mit hoher Medienpräsenz, Risiken, denen man unfreiwillig ausgesetzt ist oder die zu einer persönlichen Betroffenheit führen, sowie unbekannte, neue oder nicht beeinflussbare Risiken werden meist überschätzt. Autofahren wird beispielsweise im Vergleich zu Flugreisen als in der Regel weniger gefährlich bewertet. Risiken, bei denen ein persönlicher Nutzen besteht, und Ereignisse, deren Auswirkungen zeitlich verzögert auftreten, werden oftmals unterschätzt. Dies trifft zum Beispiel für Alkoholkonsum und Übergewicht zu.

    Die objektive Risikobewertung wird der subjektiven gegenübergestellt. Das objektive Risiko wird durch die Formel Risiko = Schadenshöhe × Eintrittswahrscheinlichkeit definiert. Hilft dies weiter bei der Beantwortung der Frage „Wie viel Sicherheit ist sicher?“

    Die Eintrittswahrscheinlichkeit und das Schadensausmaß können bei einem Teil der Fragestellungen durch Auswertung von Statistiken und Daten aus epidemiologischen und tierexperimentellen Studien ermittelt werden. Aber dies ist nicht mit der Entscheidung gleichzusetzen, welches Risiko zu akzeptieren oder zumutbar ist. Im Arbeitsschutz gibt es für krebserzeugende Arbeitsstoffe die Risikoschwellen mit 4 : 1000 und 4 : 100.000 Krebsfällen, die über ein Berufsleben zusätzlich in der Arbeitswelt akzeptiert werden. Das Umweltbundesamt führt bei krebserzeugenden Stoffen im Innenraum ein theoretisches Risiko von 1 : 100.000 auf. Dies sind Konventionen, in die auch das nicht in Zahlen zu fassende gesellschaftlich akzeptierte Risiko und damit auch wieder eine subjektive Bewertung einfließen.

    Für viele Stoffe liegen keine gesundheitsbasierten Grenzwerte vor, es wird auch mit Leit- oder Richtwerten und mit dem Acronym ALARA (As Low As Reasonably Achievable) gearbeitet. Für viele Fragestellungen wird es in absehbarer Zeit keine Studien oder Daten geben. Im realen Leben braucht es aber auch Vorgehensweisen, wenn die Wissenschaft (noch) keine Antwort geben kann. In diesem Spannungsfeld muss auch die Risikobewertung im Mutterschutz gesehen werden. Die subjektive Bewertung der Schwangeren und Stillenden sollte bekannt sein. Eine objektive Risikobewertung, wenn vorhanden, sollte genutzt werden, auch zur Relativierung von Ängsten und Vor­behalten. Das wird manchmal gelingen, manchmal nicht, wie das Beispiel von Impfgegnerinnen und -gegnern zeigt. Aber Maßnahmen wie die Masernimpfpflicht werden im Mutterschutz nicht funktionieren.

    3. Leitsatz:

    Wichtig ist zuzuhören, möglichst evidenzbasiert aufzuklären sowie einzuordnen und danach zu einer individuellen gemeinsamen Strategie zu kommen. Pauschale Bewertungen aus Bequemlichkeit und Forderungen von „Null-Risiken“ aus Unsicherheit sollten vermieden werden.

    Was wäre noch für einen erfolg­reichen Mutterschutz wichtig?

    Zunächst sei die Problematik von in der Embryonalentwicklung toxischen Arbeitsstoffen mit langer Halbwertszeit angeführt. Hier ist das Meiden der Exposition zum Zeitpunkt der Feststellung einer Schwangerschaft nicht hinreichend. Durch die bis zu diesem Zeitpunkt gemäß Arbeitsschutzvorgaben zulässige Exposition kann die innere Belastung der Schwangeren und damit des ungeborenen Kindes über einige Wochen höher als in der Allgemeinbevölkerung sein (s. Beispielkasten „Grenzen des Mutterschutzgesetzes“).

    Hier wird ein Dilemma aufgezeigt: Sollen Frauen, die in einem Alter sind, in dem sie Kinder bekommen könnten, nicht mehr mit Bleiexposition beschäftigt werden dürfen? Folge wäre eine Benachteiligung von Frauen, die keine Kinder haben können oder möchten. Sollen alle Arbeitsplätze so gestaltet werden, dass keinerlei Bleiexposition über die allgemeine Umweltexposition auftritt? Dies würde sicherlich zu einer Verlagerung von Arbeitsplätzen in andere Länder führen, in denen dann die dortigen Frauen exponiert und gegebenenfalls gefährdet würden.

    Die Europäische Union hat sich mit dem Thema befasst und im März 2024 die Richtlinie hinsichtlich der Grenzwerte für Blei und seine anorganischen Verbindungen aktualisiert. Es wird nun empfohlen, dass der Blutbleispiegel bei Frauen im gebärfähigen Alter die Referenzwerte der Allgemeinbevölkerung, die nicht arbeitsbedingt Blei ausgesetzt ist, im jeweiligen EU-Mitgliedstaat nicht überschreitet. Liegen keine nationalen Referenzwerte vor, wird empfohlen, dass der Blutbleispiegel bei Frauen im gebärfähigen Alter den biologischen Leitwert von 4,5 μg/100 ml nicht überschreitet. Das Thema ist hierdurch zumindest offiziell adressiert, eine Lösung des Dilemmas ist es nicht.

    Als zweiter Punkt ist die Reproduktions­toxizität grundsätzlich zu betrachten. Der Begriff „Reproduktionstoxizität“ beinhaltet neben der Entwicklungstoxizität auch die Beeinträchtigung von Fruchtbarkeit bei Mann und Frau. Das derzeitige Mutterschutzgesetz deckt den Zeitraum ab Meldung der Schwangerschaft bis Ende der Stillzeit ab. Reproduktionstoxische Arbeitsstoffe sind wegen der Entwicklungstoxizität verboten, die Aspekte der Beeinträchtigung der Fruchtbarkeit sind nicht berücksichtigt. Das risikobezogene Maßnahmenkonzept der Technischen Regel für Gefahrstoffe (TRGS) 910 bezieht sich nur auf krebserzeugende, nicht auf keimzellmutagene oder reproduktionstoxische Gefahrstoffe. Hier wäre eine Konkretisierung der Gefährdungsbeurteilung für reproduktionstoxische Gefahrstoffe durch den Arbeitsschutz wünschenswert.

    Abschließend sei als dritter Punkt ein kurzer Blick über das Thema „Mutterschutz am Arbeitsplatz“ hinaus erlaubt: Die Geburtenrate in unserer Gesellschaft nimmt immer weiter ab, aktuell liegt sie bei 1,35 Kindern je Frau. Dieser Entwicklung liegen vielfältige Ursachen und komplexe Zusammenhänge zugrunde. Die Arbeitswelt ist dabei sicherlich nur ein kleiner Baustein. Familienfreundlichkeit in der Gesellschaft und auch am Arbeitsplatz kann einen positiven Einfluss auf die Entscheidung zur Familiengründung haben. Unterstützen kann hier eine offene Kommunikation über Mutterschutzprozesse im Betrieb, in Ausbildungsstätten und (Hoch-)Schulen, aber auch die Flexibilität von Aus- und Weiterbildungsplänen sowie die rechtzeitige Planung von Mutterschutz- sowie Elternzeiten und Rückkehr in den Betrieb mit
    Stillmöglichkeiten. Neben finanziellen Erwägungen können auch Sorgen um einen Karriereknick ausschlaggebend sein. Die Arbeitgebenden können und sollen nicht die Defizite der Politik abmildern. Es braucht im
    Interesse beider Seiten eine bessere Verzahnung miteinander, um zum Beispiel mit flexiblen Arbeitszeiten für Mütter und Väter, mit
    betriebsnahen, arbeitszeitfreundlichen Kinderbetreuungsmodellen und auch mit finan­ziellen Anreizen eine Grundlage für eine familienfreundliche Gesellschaft zu schaffen, die alle Beteiligten integriert und darüber eine Benachteiligung der Mütter verhindern kann.▪

    Interessenkonflikt: Die Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

    Beispiel

    zur individuellen Gefährdungsbeurteilung im Arbeitsschutz

    Lärmmessungen im Betrieb ergeben, dass die Maschinen in einer Werkstatt Lärm über 85 dB (A) erzeugen, eine weitere technische Lärmreduktion ist nicht umsetzbar. Dieser Bereich wird vorschriftsgemäß als Lärmbereich ausgewiesen und Gehörschutz zur Verfügung gestellt. Damit ist die Aufgabe aber noch nicht beendet: Der Arbeitgeber muss ermitteln, welche seiner Beschäftigten sich wie lange in der Werkstatt aufhalten, um die jeweilige individuelle Lärmexposition zu ermitteln und gegebenenfalls arbeitsmedizinische Vorsorgen veranlassen.

    Beispiel

    für den 1. Leitsatz

    Lärm über 60 dB(A), zum Beispiel regelhaft in Kindertagesstätten und Klassenzimmern auftretend, kann auch unterhalb des im Arbeitsschutz definierten Lärmbereichs (≥ 80 dB(A)) negative gesundheitliche Effekte haben, insbesondere stressassoziierte, extraaurale Wirkungen wie vermehrte Ausschüttung von Stresshormonen und Steigerung des Blutdrucks. Schwangere vor Stress zu schützen, ist eine gute Idee, aber auch andere Beschäftigte würden von einer Stressreduktion durch Lärmdämmung an Wänden und Decken profitieren. Somit könnte der Betrieb erwägen, eine Lärmdämmung unabhängig von dort tätigen Schwangeren einzubauen.

    Beispiele

    für individuellen Mutterschutz

    Verbot der Arbeitszeit zwischen 20:00 und
    6:00 Uhr:
    Ein zu vermeidender Stressor ist die Chronodisruption, also der Unterschied zwischen dem vom Körper eigentlich gewünschten Tag-Nacht-Rhythmus und dem vom Wecker aufgezwungenen Rhythmus. Aus diesem Grund ist Nachtarbeit für Schwangere verboten. Ein Arbeitsbeginn um 6:00 Uhr ist aber erlaubt. Junge Menschen sind eher Spättypen, sogenannte Eulen, die gerne lange schlafen und spät zu Bett gehen. Eine Schwangere, die chronobiologisch ein Spättyp ist, hat somit mindestens vier Stunden Chronodisruption, wenn sie um 5:00 Uhr morgens aufstehen muss. Abends wäre sie bis 24:00 Uhr wach, könnte also auch ohne Chronodisruption in einer Spätschicht bis 22:00 Uhr arbeiten.

    Mit der Formulierung „wenn die Schwan­gere einverstanden ist“ bei der Entscheidung über Arbeiten an Sonn- und Feiertagen hat der Gesetzesgeber das Selbstbestimmungs- und Mitspracherecht der Mütter erweitert. Wäre es nicht an der Zeit, auch weitere pauschale Verbote und unzulässigen Tätigkeiten im Gesetzestext zu überdenken, beispielsweise die unkomplizierte Beschäftigung bis 22:00 Uhr ohne kostenpflichtige Genehmigungsverfahren?

    Ein weiteres Beispiel ist das Gefährdungsprofil für Nadelstichverletzungen bei kleineren chirurgischen Eingriffen, das auch vom Ausbildungsstand der durchführenden Ärztinnen und Ärzte abhängt. Für eine in der Einarbeitung befindliche schwangere Ärztin kann daher eine unverantwortbare Gefährdung resultieren, für eine diese Operationen seit einigen Jahren regelmäßig durchführende Ärztin möglicherweise nicht.

    Beispiel

    für Grenzen des Mutterschutz­gesetzes

    Eine Exposition gegenüber Blei ist bis zu einem Blutbleiwert von 150 µg/l für eine erwachsene Person nicht gesundheitsschädlich und nach Arbeitsschutz zulässig. Blei ist entwicklungstoxisch ohne Schwellenwert, eine berufliche Exposition ist nach Mutterschutzgesetz verboten. Eine Schwangerschaft kann frühestens in der 5. Schwangerschaftswoche (SSW) festgestellt werden, das ungeborene Kind ist dann drei Wochen alt. Wenn die Schwan­gere einen Blutbleiwert von 150 µg/l hat und dann in der 5. SSW ihre berufliche Bleiexposition einstellt, hätte sie bei einer Halbwertszeit von etwa vier Wochen erst acht Wochen später einen Blutbleiwert in der Größenordnung des Referenzwertes. Das ungeborene Kind unterliegt also in den ersten elf Wochen seines Lebens einer erhöhten Bleiexposition.

    Kontakt

    Dr. med. Uta Ochmann
    Klinikum der Ludwig-Maximilian-Universität München; Betriebsärztlicher Dienst; Goethestraße 31; 80336 München

    Foto: LMU München/Steffen Hartmann

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