Einleitung
Der Klimawandel wird sich weltweit – mit großen regionalen Unterschieden – auf alle Lebensbereiche auswirken. Der „Lancet Countdown on Health and Climate Chance 2020“ sieht die globale Erwärmung als die größte Gesundheitsgefahr des 21. Jahrhunderts (Watts et al. 2021). Die gesundheitlichen Folgen des Klimawandels stellen auch für die Arbeits- und Umweltmedizin eine Herausforderung dar. So, wie die Arbeitsmedizin schon immer auf die Veränderungen in der Arbeitswelt reagieren musste, müssen jetzt wissenschaftlich basierte Handlungsempfehlungen für die Prävention der gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels erarbeitet werden. Im Fokus der Umweltmedizin stehen die besonders gefährdeten vulnerablen Gruppen (Seniorinnen, Senioren, Säuglinge und Kleinkinder, Personen mit Erkrankungen wie Allergien und Herzkreislauferkrankungen), die Arbeitsmedizin hat die Gefährdung der gesunden Erwachsenen zu betrachten.
Der Klimawandel wird in zunehmendem Maße die physikalischen, biologischen, chemischen und psychischen Belastungen in der Arbeits- und Umwelt verändern. Am bedeutsamsten dürfte dabei die Erwärmung selbst sein. Die prognostizierten Klimaveränderungen gehen für Deutschland von bis zu fünf zusätzlichen Hitzewellen für Norddeutschland und bis zu 30 zusätzlichen Hitzewellen in Süddeutschland aus. Die Durchschnittstemperatur könnte bis zu 3,7 Grad Celsius ansteigen (zit. nach Eckert 2019). In einem alternativen Szenario, nach Abschmelzen der Nordpolkappe und Versiegen des Golfstroms, würde die Durchschnittstemperatur in Deutschland zwar weniger ansteigen oder sogar sinken, die Extremwetterlagen im Sommer dürften dadurch kaum beeinflusst werden. Zu den heißen Sommern kämen dann aber extrem kalte Winter.
Änderungen der physikalischen Belastungen in Arbeits- und Umwelt durch den Klimawandel
Wärme
An vielen Arbeitsplätzen, die nicht den klassischen Hitzearbeitsplätzen zuzuordnen sind, haben Beschäftigte bereits in mehreren Sommern des 21. Jahrhundert bei hohen Temperaturen (d. h. über den in der technischen Regel für Arbeitsstätten genannten 26 °C) arbeiten müssen, da man in unseren Breitengraden bislang nicht auf hohe Temperaturen über viele Tage hinweg eingestellt war. So kommt es beispielsweise in Verwaltungsgebäuden, Schulen und Kliniken, die hierzulande in der Regel nicht klimatisiert sind, bei einer längerdauernden Hitzewelle zu hohen Innenraumtemperaturen während der Arbeitszeit. Die Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin e.V. (DGAUM) hat 2012 eine Leitlinie zur „Arbeit unter klimatischer Belastung: Hitze“ federführend erarbeitet, da Arbeit unter Hitzebelastung eine ausgeglichene Wärmebilanz des menschlichen Körpers stört und dadurch die Gesundheit gefährdet. Diese Gefährdung kann in Innenräumen, im Freien und im Bergbau auftreten. Bei der anstehenden Überarbeitung dieser Leitlinie wird man beachten müssen, dass der Kreis, der von hohen Temperaturen am Arbeitspatz betroffenen Beschäftigten kontinuierlich zunehmen wird, da eine flächendeckende Klimatisierung von Innenräumen wegen des hohen Energiebedarfs hierzulande wohl auf große Widerstände stoßen würde. An vielen Arbeitsplätzen wird daher künftig eine Hitzebelastung in die Gefährdungsbeurteilung zu integrieren sein. Betriebsärztinnen und -ärzte sollten dabei immer in die Gefährdungsbeurteilung (ArbSchG § 5) und die Beratung der Beschäftigten und der Arbeitgebenden aktiv einbezogen werden.
Prävention
Technische Maßnahmen: Nach dem TOP- (technisch, organisatorisch, persönlich) Prinzip muss zuallererst versucht werden, die Hitzebelastung durch technische Möglichkeiten zu reduzieren. Ist dies nicht oder nicht ausreichend möglich, sollte geprüft werden, ob besonders betroffene Arbeitsbereiche durch eine angepasste Arbeitsorganisation in Zeiten größter Hitze gemieden werden können (z. B. Verlagerung der Arbeit in die Morgenstunden). Eine Kleiderordnung (Anzug, Krawatte, Kostüm), die aktuellen klimatischen Bedingungen angepasst werden könnte (legere Sommerkleidung), existiert heutzutage wohl nur noch in wenigen Bereichen.
Arbeitsmedizinische Vorsorge: Wird bei der Gefährdungsbeurteilung festgestellt, dass Tätigkeiten „mit extremer Hitzebelastung, die zu einer besonderen Gefährdung führen können“ ausgeführt werden, ist nach der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbmedVV) eine arbeitsmedizinische Pflichtvorsorge angezeigt. Es wäre sinnvoll, für die allgemeinen Gefährdungen durch die Hitzebelastung am Arbeitsplatz ein Vorsorgeangebot auszusprechen, da im Gegensatz zum Privatbereich viele Kompensationsmöglichkeiten am Arbeitsplatz bei hohen Temperaturen nicht möglich sind (z. B. Unterbrechen der Arbeit, Duschen, Entkleiden).
Beratung: Die Beratung soll wissenschaftlich fundiert sein und leitliniengerecht gegebenenfalls folgende Punkte ansprechen:
Eine Hitzeexposition wird dadurch deutlich länger mit Zeichen geringerer Beanspruchung bzw. auch höhere klimatische Belastungen ohne Dekompensation toleriert (Piekarski u. Zerlett 1993). Diese Anpassungsvorgänge benötigen aber Zeit (mindestens 10 Tage) und sind nicht von Dauer.
Belastung mit ultravioletter (UV) Strahlung
In Deutschland arbeiten etwa zwei bis drei Millionen Beschäftigte einen Großteil ihrer Arbeitszeit im Freien. Das Plattenepithelkarzinom der Haut durch natürliche UV-Strahlung ist die am häufigsten angezeigte und anerkannte bösartige Berufskrankheit. Die Präventionsmaßnahmen zur Verhütung UV-induzierter arbeitsbedingter Erkrankungen sind nach wie vor unzureichend. Durch den Klimawandel selbst wird sich die Intensität der UV-Strahlung nicht ändern. Es wird aber mehr warme Tage insbesondere im Frühjahr geben, an denen Beschäftigte ungenügenden textilen Lichtschutz tragen, weil häufig eine gefährdende UV-Exposition mit hohen Temperaturen assoziiert wird (Wong et al. 2015). Die UV-Belastung Mitte April ist identisch mit der im August. Bei hohen Temperaturen im August setzt man sich aber schon wegen der Hitze weniger der UV-Strahlung aus, weil die begleitende Sonnenwärmestrahlung dann als unangenehm empfunden wird. Diese Zusammenhänge müssen Teil der arbeitsmedizinischen Beratung sein.
Änderungen der biologischen Belastungen in Arbeits- und Umwelt durch den Klimawandel
Der Klimawandel wird Einfluss auf die Fauna und Flora hierzulande haben. In Deutschland werden Überträger von Infektionskrankheiten, wie Malaria, Dengue-Fieber und Chikungunya vorkommen, vielleicht sogar heimisch werden und auch hier zu entsprechenden Infektionen führen. Flächendeckende endemische Erkrankungen sind angesichts der hygienischen Verhältnisse und der Kulturlandschaft in Deutschland aber eher nicht zu befürchten.
Der Klimawandel hat schon jetzt einen deutlich erkennbaren Einfluss auf die Allergenexposition. Neophyten als Allergenquellen, die nur in wärmeren Gefilden wachsen (z. B. Olivenbaum), sind noch nicht heimisch geworden. Das Auftreten von Neophyten, wie beispielsweise der Ambrosia, die ursprünglich nur in Nordamerika vorkam, ist nicht Folge des Klimawandels, sondern des Einschleppens dieser Pflanzen. Wie heimische Pflanzen gedeihen sie aber unter den geänderten klimatischen Bedingungen oftmals besser, blühen länger und gegebenenfalls auch intensiver (höhere Pollenproduktion). Dies wird dazu führen, dass Personen mit einer Soforttypallergie gegen Pollen länger und unter Umständen auch intensivere Beschwerden haben (Ludwig et al. 2021). In Deutschland haben ca. 20 bis 30 % der Bevölkerung eine Pollenallergie. Bei längerer und intensiverer Exposition könnte die Zahl der Betroffenen weiter zunehmen. Betroffen sind besonders jüngere Menschen und daher auch viele Berufstätige, die durch die Symptomatik und zum Teil auch durch die erforderliche Medikation bei der Arbeit beeinträchtigt werden.
Änderungen der chemischen Belastungen in Arbeits- und Umwelt durch den Klimawandel
Der Einfluss des Klimawandels auf die Belastungen mit Gefahrstoffen ist vielfältig und wenig systematisch untersucht. Eine erhöhte Exposition bei höheren Temperaturen am Arbeitsplatz ist durch den von der Temperatur abhängigen Dampfdruck nicht gasförmiger Arbeitsstoffe und der wärmeabhängigen Hautresorption (Kilo et al. 2020) zu erwarten. Ein größeres Atemminutenvolumen bei hoher Temperatur trägt zur gesteigerten pulmonalen Aufnahme bei, wenn das Luft-Blut-Verteilungsverhältnis eines gasförmigen Arbeitsstoffes auf Seiten des Blutes liegt.
Infolge des Klimawandels werden auch bestimmte Gefahrstoffe in größerer Menge eingesetzt werden. Beispielhaft seien UV-Filter und Pestizide genannt. Jedes Jahr werden schätzungsweise 6000 Tonnen Sonnenschutzmittel in die Umwelt eingebracht,
was zu einer nachweisbaren Belastung der Umwelt führt (Ramos et al. 2015). Der Klimawandel wird einen intensiveren Pflanzenschutz erfordern, wodurch die beruflichen und außerberuflichen Belastungen zunehmen werden. Nach einer Studie des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) werden Europas Gewässer in Zukunft stärker mit Insektenvernichtungsmitteln belastet sein als bisher. Daneben führen mehr Sonnentage auch zu mehr Tagen mit hoher Ozonbelastung in der Luft.
Änderung der psychischen Belastungen in der Arbeits- und Umwelt durch den Klimawandel
Allgemeine Umweltängste haben bestimmte Menschen immer schon belastet. Ob der Klimawandel hier zu spezifischen Belastungen führt, ist Gegenstand wissenschaftlicher Forschung (Traidl-Hoffmann 2020). Sicher aber ist, dass es zunehmend Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gibt, die von Naturkatastrophen unmittelbar betroffenen werden, wie beispielweise beim historischen Unwetter im Ahrtal 2021. Dadurch verursachte, berechtigte existenzielle Ängste der Betroffenen führen zu einer hohen psychischen Belastung, die sich auch unmittelbar auf die Arbeitsfähigkeit und Arbeitsleistung auswirkt.
Interessenskonflikte: Beratung politischer Gremien (Bund, AGS, Ärztlicher Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten, Länderministerien) und der DGUV (Bamberger Empfehlungen) und der DGF (MAK-Kommission) im Ehrenamt. Forschungsunterstützung durch (alphabetisch): BAUA, Bayerische Ministerien (Arbeit, Gesundheit, Umwelt, Wissenschaft), BG ETEM, BG HM, BMBF, BMG, Chemie-Wirtschaftsförderungsgesellschaft, Environment and Health Fund, Jerusalem, Israel, DFG, DGUV, Harvard School of Public Health, Boston, USA, Hessisches Regierungspräsidium Darmstadt, UMCA/Selenium and Tellurium REACH Consortium, Umweltbundesamt, VBG. Vortragshonorare (alphabetisch): Akademien für Arbeits- Sozial- und Umweltmedizin, Bayerische Landesärztekammer, Kongressveranstalter RG, Unfallversicherungsträger. Erstattung von Gutachten für Gerichte und Unfallversicherungsträger.
Literatur
Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin: S1-Leitlinie „Arbeit unter klimatischer Belastung: Hitze“, AWMF Registernummer 002-039.
Eckert N: Klimawandel: Ernstfall für die Gesundheit. Dtsch Ärztebl 2019; 116: A-2174.
Gatto M, Cabella R, Gherardi M: Climate change: the potential impact on occupational exposure to pesticides. Ann Ist Super Sanità 2016; 52: 374–385.
Kilo S, Wick J, Mini Vijayan S et al.: Impact of physiologically relevant temperatures on dermal absorption of active substances – an ex-vivo study in human skin. Toxicol in Vitro 2020; 68: 104954.
Ludwig A, Bayr D, Pawlitzki M, Traidl-Hoffmann C: Der Einfluss des Klimawandels auf die Allergenexposition: Herausforderungen für die Versorgung von allergischen Erkrankungen. In: Günster C et al. (Hrsg.): Versorgungs-Report Klima und Gesundheit. Berlin: Medizinisch-Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 202, S. 133–143.
Günster C, Klauber J, Robra B-P, Schmuker C, Schneider A (Hrsg.): Versorgungs-Report Klima und Gesundheit. Berlin: MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 2021.
Piekarski C, Zerlett G: Schädliche Einwirkungen und Noxen aus der Umwelt – Physikalische Einwirkungen. In: Classen M, Diehl V, Kochsiek K (Hrsg.): Innere Medizin. 2. Aufl. München: Urban & Schwarzenberg, 1993, S. 865–876.
Ramos S, Homem V, Alves A, Santos L: Advances in analytical methods and occurrence of organic UV-filters in the environment – A review. Sci Total Environ 2015; 526: 278–311.
Traidl-Hoffmann C: Klima und Gesundheit: Klimaresilienz – Weg der Zukunft. Dtsch Arztebl 2020; 117: A-1556/B-1332.
Watts N, Amann M, Arnell N et al.: The 2020 report of The Lancet Countdown on health and climate change: responding to converging crises. REVIEW 2021; 397: 129–170.
Wong C, Liu W, Gies P, Nixon R: Think UV, not heat! Australas J Dermatol 2015; 56: 275–278.
doi:10.17147/asu-1-182137
Kernaussagen
werden viele Beschäftigte mit Soforttypallergien gegen Umweltallergen stärker bei der Arbeit beeinträchtigen.
Kontakt
Das PDF dient ausschließlich dem persönlichen Gebrauch! - Weitergehende Rechte bitte anfragen unter: nutzungsrechte@asu-arbeitsmedizin.com.