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Künstliche Intelligenz: Probleme der Arbeitsgestaltung, gewerkschaftliche Positionen und Regelungsansätze

doi:10.17147/asu-1-411958

Artificial intelligence: problems of work design, trade union positions and regulatory approaches

The impact of artificial intelligence on the quality of working conditions has not yet been sufficiently researched, even though there is knowledge about the increased strain associated with digital transformation and assessments of previous measures, or the lack thereof, in occupational health and safety. The widespread adoption of AI may lead to a worsening of psychological strain in the workplace. The quantity and quality of the measures must be improved and the influence on the technology and its introduction in the companies must be increased for the employees.

Künstliche Intelligenz: Probleme der Arbeitsgestaltung, gewerkschaftliche Positionen und Regelungsansätze

Die Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz auf die Qualität der Arbeitsbedingungen sind noch nicht ausreichend untersucht, auch wenn Kenntnisse zu Fehlbeanspruchungen, die mit der digitalen Transformation einhergehen, und Einschätzungen zu bisher ausgebliebenen oder auch ergriffenen Maßnahmen im Arbeits- und Gesundheitsschutz vorliegen. Durch den zunehmenden Einsatz von KI können sich insbesondere die psychischen Fehlbeanspruchungen verschärfen. Quantität und Qualität der Maßnahmen müssen sich verbessern und der Einfluss auf die Technik und deren Einführung in den Betrieben muss für die Beschäftigten erhöht werden.

Digitalisierung und KI im ­Dienstleistungssektor

Im Jahr 2022 fand eine zweite Index-Befragung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) mit dem Schwerpunkt Digitalisierung, teils mit den gleichen, teils mit neuen Fragen statt. Die Gewerkschaft ver.di hat auf dieser Basis eine zweite Sonderauswertung für den Dienstleistungssektor erstellt (Roth 2023). Nach dieser Sonderauswertung sehen sich inzwischen 86 % der Beschäftigten im Dienstleistungssektor in ihrer Arbeit von der Digitalisierung betroffen, insgesamt 68 % in hohem oder sehr hohem Maß.

Die sich fortsetzende Digitalisierung zeigt sich unter anderem in der vermehrten Anwendung der so genannten KI. Mit dem DGB-Index Gute Arbeit im Jahr 2022, in dem nach der Anwendung von KI in der Arbeitswelt gefragt wurde, gaben im Dienstleitungssektor 21 % der Befragten an, in unterschiedlichem Ausmaß mit KI, das heißt mit selbstständig lernenden Computerprogrammen zu arbeiten (Roth 2023, S. 22 ff.).

Qualität der Arbeitsbedingungen: ­anhaltende und neue Belastungen

Was eine der zentralen Belastungen im Zuge der Digitalisierung betrifft, nämlich die psychischen Belastungen in Form einer hohen Arbeitsintensität, gibt es keine Entwarnung. Im Gegenteil, die erneute ver.di-Sonderauswertung zeigt, dass 48 % der digital Arbeitenden im Dienstleistungssektor angeben, die zu bewältigende Arbeitsmenge sei infolge der Digitalisierung eher größer, 6 % sagen, sie sei eher kleiner geworden. Mit einem Zuwachs müssen damit achtmal so viele Beschäftigte zurechtkommen wie mit einer Abnahme. 46 % der Befragten berichten, digitalisierungsbedingt sei die Anzahl der gleichzeitig zu bearbeitenden Vorgänge eher gestiegen, 4 % nennen eine Senkung der Arbeitsbelastung.

Die Belastungen insgesamt haben nach Aussage von 41 % der digital Arbeitenden eher zugenommen, für 8 % eher abgenommen, die übrigen Befragten verzeichnen keine Veränderung. Der Anteil derjenigen, die eine negative Entwicklung zu spüren bekommen, ist damit fünfmal so hoch wie der Anteil jener, die sich entlastet sehen. Es besteht also Handlungs- und Arbeitsgestaltungsbedarf.

Bei guten Arbeitsbedingungen sind immerhin 81 % der Beschäftigten der Auffassung, sie könnten ihre Tätigkeit bis zur Rente ausüben (ver.di 2024), bei schlechter Arbeit sinkt der Anteil auf 33 %. Nur gute Arbeitsbedingungen befördern sowohl das praktische Gelingen der Digitalisierung als auch die Innovationsfähigkeit in Unternehmen und Verwaltungen (Roth 2015). Somit ist klar, dass die gute, humane Arbeitsgestaltung dringend geboten ist und im Eigeninteresse der Arbeitgeber liegt.

Handlungs- sowie Regulierungs­bedarfe für gute digitale Arbeit – auch mit KI

Die aktuelle ver.di-Sonderauswertung zeigt: 55 % der digital Arbeitenden geben an, dass es keine Maßnahmen zum Schutz vor Mehrbelastungen an ihrem Arbeitsplatz gibt. Deutlich weniger (31 %) sagen, bei ihnen würde etwas unternommen, während 14 % nicht geantwortet haben. Und es gibt ein weiteres Problem: Von den Beschäftigten, in deren Betrieb Schritte zur Eindämmung der Belastungen getan wurden, sagen 53 %, die Maßnahmen hätten sich gar nicht oder nur geringfügig als tauglich erwiesen (Roth 2023, S. 45).

Der Grad des Tätigkeitsspielraums, verstanden als „ein mehrdimensionales Konstrukt, das sich aus dem Handlungs-, dem Gestaltungs- und dem Entscheidungsspielraum zusammensetzt“ (Ulich 2005, S. 183), ist für die Bewertung und Gestaltung von Arbeitstätigkeiten zentral. Ausreichender Handlungsspielraum gilt in der Arbeitswissenschaft als „ein ausschlaggebendes Merkmal präventiver leistungs-, lern- und gesundheitsförderlicher Arbeitsgestaltung“ (Hacker 2022, S. 94). Jedoch: Nur 21 % der digital Arbeitenden geben an, dass sich ihre Entscheidungsspielräume durch die Digitalisierung vergrößert haben. Für 10 % haben sie sich sogar verringert (Roth 2023, S. 32f.).

Zudem haben noch immer 76 % der digital Arbeitenden keinen oder kaum Einfluss auf den Einsatz der digitalen Technik an ihrem Arbeitsplatz. 36 % von ihnen haben sehr häufig oder oft das Gefühl, der Technik ausgeliefert zu sein. Und je geringer der Einfluss auf die Technikgestaltung am Arbeitsplatz ist, desto eher dominiert dieses Gefühl: 45 % der Beschäftigten, die keinen Einfluss haben, fühlen sich in (sehr) hohem Maß der Technik ausgeliefert. Im Vergleich dazu sind es nur 19 % der Befragten, die einen sehr hohen Einfluss auf die Technikgestaltung an ihrem Arbeitsplatz haben.

Dass entsprechende Regulierungen nötig und wirksam sind, zeigt sich beispielhaft bei dem folgenden Problem digitaler Arbeit: der zunehmenden Überwachung und Kontrolle. „Der Schutz der Daten Beschäftigter ist besonders sensibel, weil sie zu ihren Arbeitsgebern in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen, das sie schutzbedürftig macht“ (BMAS 2017, S. 142) ver.di fordert deshalb schon seit Langem ein Beschäftigtendatenschutzgesetz. Bisher haben das Bundesministerium des Innern (BMI) und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) lediglich Vorschläge für eine Novellierung des Beschäftigtendatenschutzes im April 2023 veröffentlicht. Außerdem setzt sich ver.di bereits seit 2016 für stärkere Mitbestimmungsrechte ein, nämlich unter anderem für „umfassende Schutz- und Initiativrechte beim Persönlichkeitsschutz. Benötigt werden dazu grundsätzlich eine ‚Transparenz der Algorithmen‘ und Mechanismen, um Güteniveaus im Datenschutz verständlich, vergleichbar und einforderbar zu machen“ (ver.di 2016).

Betriebs- und Personalräte haben schon jetzt ein Mitbestimmungsrecht, wenn technische Einrichtungen eingesetzt werden sollen, die zur Überwachung geeignet sind (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG [Betriebsverfassungsgesetz], § 80 Abs. 1 Nr. 21 BPersVG [Bundespersonalvertretungsgesetz]). „Den Gefahren einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts und des Rechts der Beschäftigten auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit (§ 75 BetrVG), die von technischen Überwachungseinrichtungen ausgehen können, soll durch eine mitbestimmte Regelung über Einführung und Nutzung solcher Einrichtungen begegnet werden“ (ver.di 2021, S. 83). Dass solche Vereinbarungen wirken, zeigen die Ergebnisse der ver.di-Sonderauswertung der DGB-Index-Befragung: Wenn es solche Regelungen gibt, fühlen sich 58 % der Befragten in hohem und weitere 24 % in sehr hohem Maß durch diese geschützt (Roth 2023, S. 46).

Gewerkschaftliche Positionen und Vereinbarungen

Gewerkschaftliche Positionen

In der Debatte um Künstliche Intelligenz hat sich ver.di– zeitgleich mit der Veröffentlichung der KI-Strategie der Bundesregierung im November 2018 – für eine progressive KI zum Wohl der Allgemeinheit, der Demokratie, guter Dienstleistungen und Guter Arbeit positioniert (ver.di 2018; Müller 2021). Es darf keine KI-Anwendungen geben, die Menschen schaden oder die gegen Menschen- und Grundrechte verstoßen. Bestehendes Recht und geltende Gesetze, insbesondere die Tarifautonomie, das Arbeitsschutzgesetz, das Betriebsverfassungsgesetz, das Urheberrecht und die Datenschutzgrundverordnung, sind einzuhalten.

ver.di hat auch entsprechende ethische Leitlinien entworfen und sie zu Beginn des Jahres 2020 zur Diskussion gestellt (ver.di 2020b). Die Leitlinien sollen als gewerkschaftlicher Beitrag in der KI-Debatte vor allem Orientierung und Hilfestellung für diejenigen sein, die KI-Anwendungen entwickeln, einführen und nutzen. Verantwortlichkeiten und Haftung dürfen und können nicht auf die Technik übertragen werden. Der Mensch bleibt in der Verantwortung.

Insbesondere steht der Ansatz „Gute-Arbeit-by-Design“ im Vordergrund: So wie beim Prinzip „privacy-by-design“ die Persönlichkeitsrechte von Beginn an zu beachten sind, muss bei der Konzeption und Gestaltung Künstlicher Intelligenz von vornherein die Arbeitsgestaltung im Fokus stehen. Dies kann am besten dadurch gewährleistet werden, dass Beschäftigte und ihre Interessenvertretungen rechtzeitig am Gestaltungs- und Einführungsprozess beteiligt werden.

Aus den bereits genannten ver.di-Positionen und Leitlinien zu KI wird im Folgenden das Handlungsfeld Arbeits- und Gesundheitsschutz exemplarisch herausgegriffen, um zu verdeutlichen, wie derzeit der Stand nicht nur bezüglich der Gesetzgebung, sondern auch bei der gewerkschaftlichen Regulierung ist.

Verbindlicher Arbeits- und Gesund­heitsschutz – vor allem mit Blick auf psychische Belastungen

ver.di dringt bereits seit rund zehn Jahren auf mehr Verbindlichkeit im Arbeitsschutzgesetz, etwa auf Sanktionsmöglichkeiten, wenn die gesetzlich vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung nicht (vollständig) durchgeführt wird. Zudem ist mehr Aufsichtspersonal der staatlichen Arbeitsschutzbehörden nötig, um dies zu kontrollieren (Hannack u. Schröder 2013; ver.di 2024). Es hat zwar kleine Schritte beispielsweise im Rahmen der „Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie“ gegeben (Splittgerber 2020), doch diese reichen nicht aus.

Daher hat sich ver.di nicht nur in politischen Gremien für die oben genannten Forderungen eingesetzt, sondern in den letzten Jahren vermehrt Tarifverträge abgeschlossen, um zum Beispiel den gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitsschutz in präziseren Regeln auch tarifvertraglich zu vereinbaren.

Gute Arbeit by Design: Stärkung der Mitbestimmung und Prozessvereinbarungen

Die Sonderauswertung der DGB-Index-Befragung zeigt wiederholt, dass die Beschäftigten und ihre Vertretungen zu wenig Einfluss auf die Gestaltung und Einführung neuer Technik haben, was sich negativ auf ihre Arbeitsqualität auswirkt. Wie bereits beschrieben, setzt sich ver.di für den Ausbau der Mitbestimmungsrechte ein, um der Digitalisierung Rechnung zu tragen. Dies wurde zum Teil in einen Vorschlag von Expertinnen und Experten aus den DGB-Gewerkschaften, der Hans-Böckler-Stiftung sowie Jura-Professoren von den Universitäten Göttingen und Bremen für eine wirksame Reform des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) aufgenommen (Allgaier et al. 2022). Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz sieht zwar vor, dass bei der Beurteilung von KI ein Sachverständiger hinzugezogen werden kann. Jedoch ist dies aus Sicht von ver.di unzureichend. Daher hat ver.di in den letzten Jahren verstärkt Vereinbarungen auf Tarif- und Betriebsebene geschlossen, um die Mitbestimmung der Beschäftigten bei der Einführung von KI zu stärken. Für Prozessvereinbarungen hat ver.di Empfehlungen entwickelt und schon geschlossene Regelungen ausgewertet, um besonders gelungene Passagen in einem Praxishandbuch vorzustellen (ver.di 2021).

Interessenkonflikt: Die Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

Literatur

Allgaier A, Bolte M, Buschmann R et al.: Betriebliche Mitbestimmung für das 21. Jahrhundert. Gesetzentwurf für ein modernes Betriebsverfassungsgesetz. Arbeit und Recht, Sonderausgabe April 2022, ­Frankfurt/Main, 2022.

BMAS – Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Weißbuch Arbeiten 4.0. Berlin: BMAS, 2017.

David K, Paletta A: „Henriette“ hat die Probezeit bestanden. Interview von C. Thomsen. Computer und Arbeit (CuA) 2024; 10: 22–24.

Hacker W: Arbeitsgestaltung bei Digitalisierung. Merkmale menschzentrierter Gestaltung informa­tionsverarbeitender Erwerbsarbeit. Z Arb Wiss 2022; 76: 90–98. doi:10.1007/s41449-022-00302-0 (Open Access).

Hannack E, Schröder L: Gesetzeslücken schließen, Sanktionen verschärfen, Beteiligungsrechte stärken und Arbeitsqualität verbessern. Kernpunkte des sozialpolitischen Konzepts von ver.di zur Reduktion psychischer Gefährdungen am Arbeitsplatz. In: Schröder L, Urban H-J (Hrsg.): Jahrbuch Gute Arbeit 2013. Frankfurt/Main, 2013, S. 51–64.

Müller N: Digitalisierung nach vorn gedacht. In: Schmitz C, Urban H-J (Hrsg.): Jahrbuch Gute Arbeit 2023 – „Das neue Normal. Konflikte um die Arbeit der Zukunft“. Frankfurt/Main: Bund-Verlag, S. 77–88. https://innovation-gute-arbeit.verdi.de/veroeffentlichungen/jahrbuch-gu… (Open Access)

Müller N: Der digitale Wandel eilt voran, die Arbeitsqualität sinkt. Zeitschrift Gute Arbeit 2023a; 11: 8–12).

Die komplette Literaturliste mit allen Quellen kann auf der ASU-Homepage beim Beitrag eingesehen werden (asu-arbeitsmedizin.com).

Online-Quellen

Deutsche Telekom/Konzernbetriebsrat: Manifest über die Einführung und Nutzung lernender informationstechnischer Systeme (sog. Künstliche Intelligenz), KI-Manifest, 21.10.2022, Bonn
https://www.arbeitnehmerkammer.de/fileadmin/user_upload/Veranstaltungen…

Europäisches Parlament: Gesetz über künstliche Intelligenz: Parlament verabschiedet wegweisende Regeln, PM 13.3.2024
www.europarl.europa.eu/news/de/press-room/20240308IPR19015/gesetz-uber-…

Müller N: Die Gestaltung Künstlicher Intelligenz aus gewerkschaftlicher Perspektive. In: Denk-doch-mal, Berlin, Frankfurt/Main, 2021
https://denk-doch-mal.de/nadine-mueller-die-gestaltung-kuenstlicher-int…

Roth I (unter Mitarbeit von N. Müller): Arbeitsbedingungen und Digitalisierung. Eine Sonderauswertung des DGB-Index Gute Arbeit 2022 für den Dienstleistungssektor, hrsg. vom ver.di-Bereich Innovation und Gute Arbeit, Berlin, 2023
www.innovation-gute-arbeit.verdi.de/themen/digitale-arbeit

Statista Research Department: Private Investitionen in KI in ausgewählten Ländern 2013–2022. 2023
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1321707/umfrage/private-…

Schmitz C: IT-Gestaltung für Gute Arbeit. In: FIfF Kommunikation. Zeitschrift für Informatik und ­Gesellschaft, 2023; 3: 35–38
https://cloud.fiff.de/s/qbP4G63iAbejCoP?ref=blog.fiff.de

Kontakt

Nadine Müller
Leiterin des ver.di-Bereichs Innovation und Gute Arbeit; ver.di-Bundesverwaltung Berlin; Paula-Thiede-Ufer 10; 10179 Berlin

Foto: privat

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