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Recht

Ist ein Fahrsicherheitstraining ­unfallversichert?

Urteil des LSG NRW vom 14.12.2021 – L 15 U 311/20

Is a Driver Safety Training Covered by Accident Insurance?

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung eines Arbeitsunfalls. Die Klägerin war als Produktionsmitarbeiterin bei der Fa. T. GmbH beschäftigt. Am 11.05.2019, einem Samstag, nahm sie mit ihrem eigenen Motorrad an einem Fahrsicherheitstraining für Motorräder auf einem ADAC-Verkehrsübungsplatz in P. teil. Die Klägerin verlor bei einer Übungseinheit die Kontrolle über ihr Motorrad, stürzte und verletzte sich an der rechten Hand.

Die Teilnahme an einem solchen Fahrsicherheitstraining war der Klägerin – wie auch sämtlichen anderen Mitarbeitenden – von ihrer Arbeitgeberin angeboten worden. Es handelte sich hierbei um ein vom Allgemeinen Deutschen Automobil-Club e.V. (ADAC) regulär durchgeführtes und vom Arbeitgeber bezahltes Fahrtraining. Eine Förderung oder Bezuschussung im Rahmen von Präventionsförderungsmaßnahmen seitens der Beklagten bestand nicht. Die Arbeitgeberin ermöglichte ihren Beschäftigten in ähnlicher Weise im Laufe des Jahres 2019 die Teilnahme an einem Ersthelfer-Lehrgang und an einem Auto-Fahrsicherheitstraining.

Die Arbeitgeberin teilte mit, die Veranstaltung habe der Verkehrssicherheit gedient. Sie sei mit Aushang am „schwarzen Brett“ publiziert worden. Man biete Fahrsicherheitstrainings dieser Art (auch z. B. für das Auto) als Firmenveranstaltung/Betriebsveranstaltung an. Der Einzelpreis pro Teilnehmer habe
115 Euro betragen. Das Training habe nicht zur Vorbereitung einer anderweitig durchgeführten Motorradtour mit Betriebsangehörigen gedient. Es habe kein Zusammenhang mit der konkreten beruflichen Tätigkeit oder dem beruflichen Geschäftsfeld der Arbeitnehmer bestanden. Von den 96 Betriebsangehörigen, denen die Veranstaltung allen offen gestanden habe, hätten vier Personen, darunter auch der Geschäftsführer, teilgenommen. Die anderen hätten kein Interesse, kein Motorrad oder keinen Führerschein gehabt. Die Klägerin habe freiwillig an diesem Training teilgenommen. Der Samstag sei kein regulärer Arbeitstag gewesen. Der Klägerin sei auch keine Arbeitszeit und kein zusätzlicher Urlaubstag hierfür gutgeschrieben worden.

Mit Bescheid vom 17.09.2019 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 11.05.2019 als Arbeitsunfall ab. Zur Begründung hieß es im Wesentlichen, Versicherungsschutz im Sinne einer Betriebsveranstaltung liege nicht vor. Betriebliche Zwecke seien mit der Teilnahme an dem Fahrsicherheitstraining nicht verfolgt worden. Widerspruch, Klage und Berufung blieben erfolglos.

Die Klägerin hatte geltend gemacht, es sei im Wesentlichen um die Vorbeugung und Vermeidung von Wegeunfällen gegangen, was im Interesse des Arbeitgebers liege. Bei dem Fahrtraining habe es sich ihrer Ansicht nach um eine „präventive Weiterbildungsmaßnahme“ gehandelt. Sie sei regelmäßig sowohl mit dem Auto als auch mit ihrem Motorrad zur Arbeit gefahren. Ihre Arbeitgeberin habe sie ausdrücklich um die Teilnahme an der Maßnahme gebeten. Sie habe jedoch gewusst, dass die Teilnahme freiwillig sei. Vor der Teilnahme habe ihr ein Mitarbeiter der Beklagten auf telefonische Nachfrage erklärt, dass die Teilnahme an dem Training unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehe. Außerdem könne man das auch so im Internet nachlesen.

Kein sachlicher Zusammenhang

Wie die Vorinstanz verneinte das Landesso­zialgericht einen sachlichen Zusammenhang des Fahrsicherheitstrainings mit der versicherten Tätigkeit. Ein Arbeitsunfall setze voraus, dass die Verletzte durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt habe und deshalb „Versicherte“ sei (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang). Diese Voraussetzungen seien hier nicht erfüllt. Ihre Verrichtung zur Zeit des geltend gemachten Unfallereignisses – die Teilnahme an dem Fahrsicherheitstraining und die Fahrt mit dem Motorrad auf dem Übungsplatz – stünde in keinem sachlichen Zusammenhang zur nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherten Produktionstätigkeit und könne auch keinem anderen Versicherungstatbestand nach § 2 Abs. 1 SGB VII zugeordnet werden. Allgemeine Überlegungen, wonach ein Unternehmen Interesse an einer unfallfreien Fahrt ihrer Mitarbeiter hätte, und die Übernahme der Kosten für das Training reichten nicht, um einen Unfallversicherungsschutz zu begründen. Der Motorradunfall stelle daher keinen Arbeitsunfall dar.

Unternehmensdienliche Tätigkeit

Eine nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherte Tätigkeit als Beschäftigte liege vor, wenn die Verletzte zur Erfüllung eines mit ihr begründeten Rechtsverhältnisses, insbesondere eines Arbeitsverhältnisses, eine eigene Tätigkeit in Eingliederung in das Unternehmen eines anderen zu dem Zweck verrichtet, dass die Ergebnisse der Verrichtung dem Unternehmen und nicht der Verletzten selbst unmittelbar zum Vorteil oder Nachteil gereiche. Es komme objektiv auf die Eingliederung des Handelns der Verletzten in das Unternehmen eines anderen und subjektiv auf die zumindest auch darauf gerichtete Willensausrichtung an, dass die eigene Tätigkeit unmittelbare Vorteile für das Unternehmen des anderen bringen solle. Eine Beschäftigung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII werde daher ausgeübt, wenn die Verrichtung darauf gerichtet sei, eine eigene objektiv bestehende Haupt- oder Nebenpflicht aus dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis zu erfüllen. Sofern die Verletzte eine objektiv nicht geschuldete Handlung vornehme, um einer vermeintlichen Pflicht aus dem Rechtsverhältnis nachzugehen, komme eine unternehmensdienliche Tätigkeit nur in Betracht, wenn sie nach den besonderen Umständen ihrer Beschäftigung zur Zeit der Verrichtung annehmen durfte, sie treffe eine solche Pflicht oder sie übe insoweit ein unternehmensbezogenes Recht aus dem Arbeitsverhältnis aus.

Subjektive Vorstellungen unerheblich

Im Übrigen hätten es weder Unternehmen noch die Beschäftigten in der Hand, den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung auf Tatbestände auszuweiten, die außerhalb der individuell getroffenen Vereinbarungen über den Inhalt des jeweiligen Beschäftigungsverhältnisses liegen und damit grundsätzlich nicht versichert sind. Es genüge daher auch nicht, dass der Arbeitgeber die zum Unfall führenden Maßnahmen befürwortet, finanziell gefördert oder in sonstiger Weise unterstützt habe, um einen Versicherungsschutz zu begründen. Die Auskunft der Arbeitgeberin, wonach es sich bei dem Fahrsicherheitstraining um eine betriebliche Veranstaltung gehandelt habe, sei daher für die rechtliche Einordnung des Unfallereignisses unerheblich.

Welche Verrichtungen in sachlichem Zusammenhang mit der geschützten Beschäf­tigung stehen, sei vielmehr objektiv auf der Grundlage des konkret zustande gekommenen Beschäftigungsverhältnisses, des tatsächlichen Geschehens und nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils die Unfallversicherung begründenden Norm zu beurteilen. Eine rechtlich unzutreffende Auffassung von Unternehmen und die subjektive Vorstellung des Beschäftigten, eine bestimmte Verrichtung stehe im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit und damit unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, vermöge keinen Versicherungsschutz zu begründen.

Arbeitsvertragliche Pflicht maßgebend

Vorliegend habe die Klägerin mit ihrer Teilnahme an der Verkehrsübung keine geschuldete (arbeitsvertragliche) Haupt- oder Nebenpflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis als Produktionsmitarbeiterin erfüllt und auch kein unternehmensbezogenes Recht (z. B. im Rahmen betrieblicher Mitbestimmung) wahrgenommen. Es lägen auch keine objektiven Umstände vor, die die Klägerin zu der Annahme berechtigt hätten, sie komme einer vermeintlichen Pflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis nach. Die Teilnahme an einem Verkehrssicherheitstraining sei kein Bestandteil ihres Arbeitsvertrags gewesen, sondern nach den Angaben der Arbeitsgeberin, denen die Klägerin nicht entgegengetreten sei und die der Senat zugrunde legte, völlig freiwillig. Das Training fand an einem Samstag, außerhalb der regulären Arbeitszeit statt. Die Stunden wurden – wie sich aus den eindeutigen Angaben ihrer Arbeitgeberin ergebe – ihrem Arbeitszeitkonto nicht gutgeschrieben, auch nicht in Form eines zusätzlichen Urlaubstages. Es bestünde keinerlei Bezug zu den inhaltlichen Anforderungen ihrer Tätigkeit als Produktionsmitarbeiterin. Selbst wenn ihr Vorgesetzter sie darum gebeten haben sollte, an dem Training teilzunehmen, ändere dies nichts daran, dass der Klägerin – wie sie selbst erklärt hat – die freie Entscheidung darüber verblieben wäre, ob sie ein solches Fahrsicherheitstraining durchführt oder nicht. Allein ihr mögliches Bestreben, einer etwaigen Erwartungshaltung der Arbeitgeberin oder ihres Vorgesetzten zu entsprechen, könne nicht mit einer aus dem Beschäftigungsverhältnis resultierenden (vermeintlichen) arbeitsvertraglichen Pflicht gleichgesetzt werden.

Arbeitsweg in Eigenverantwortung

Soweit die Klägerin vorrangig argumentiere, die Teilnahme an dem Fahrsicherheitstraining diene den Präventionsoblie­genheiten und dem Interesse der Arbeitgeberin, durch geeignete Maßnahmen, Wegeunfällen i. S. d. § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII
entgegenzuwirken und sei damit betriebsdienlich, vermöge dies keinen sachlichen Bezug zu ihrer versicherten Beschäftigung als Produktionsmitarbeiterin zu begründen. Erfasst werde durch diese Vorschrift das „Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit unmittelbar zusammenhängenden Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit“. Der Weg zu und von der Arbeitsstätte nach Hause sei jedoch nicht Bestandteil der arbeitsvertraglichen Beziehungen zwischen der Beschäftigten und ihrem Arbeitgeber, sondern obliege – arbeitsvertraglich gesehen – allein dem Verantwortungsbereich der Beschäftigten selbst. Soweit der Gesetzgeber in Erweiterung der Beschäftigtenversicherung auch den Arbeitsweg in den Versicherungsschutz mit einbezogen habe, gehe dies – anders als bei der Beschäftigtenversicherung – nicht mit einer Befreiung des Arbeitgebers von der Unternehmerhaftung für Gesundheitsschäden der Versicherten einher, weil der Arbeitgeber für Unfälle und Gesundheitsschäden, die der Arbeitnehmer auf dem Arbeitsweg erleiden könnte, unter arbeitsrechtlichen oder zivilrechtlichen Gesichtspunkten ohnehin nicht haften
würde.

Das Interesse des Arbeitgebers daran, dass seine Mitarbeiter möglichst unversehrt den Arbeitsort erreichen, lasse das Beschäftigungsverhältnis unberührt. Mithin seien auch Präventionsmaßnahmen keine vertraglichen Obliegenheiten im Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Der gesetzgeberische Auftrag zur Prävention, das heißt zur Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten (§§14 ff. SGB VII), richte sich vielmehr ausschließlich an den Arbeitgeber und die Berufsgenossenschaften selbst. Es fände sich hier auch keine Regelung dahingehend, dass Arbeitgeber verpflichtet wären, ihren Beschäftigten Fahrsicherheitstrainingsmaßnahmen anzubieten oder sie in sonstiger Weise bei der Bewältigung des Arbeitsweges zu unterstützen. Die von der Klägerin angesprochene (im Internet dargestellte) Möglichkeit, wonach sich die Berufsgenossenschaften mit einem Zuschuss an den Kosten solcher Fahrtrainings beteiligen könnten, stelle lediglich eine Förderung von Präventionsmaßnahmen im Verhältnis zum Unternehmen dar, die seitens der Berufsgenossenschaften im Übrigen auch an bestimmte Bedingungen geknüpft seien. Sie setzten unter anderem voraus, dass es sich um einen speziell zertifizierten Kurs handelt und bestimmte Fristen eingehalten
werden.

Keine Anrechnung auf Arbeitszeit

Ein solches Fahrtraining, wie es die Klägerin absolviert habe, könne nach den dargestellten gesetzlichen Vorgaben daher allenfalls dann unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehen, wenn es während der Arbeitszeit oder bei Freistellung unter Anrechnung auf das Arbeitszeitkonto stattfinde und der Arbeitgeber die Teilnahme anordne. Das Training fand jedoch gerade nicht während der Arbeitszeit oder unter Anrechnung von Stunden statt und die Arbeitgeberin der Klägerin hatte die Teilnahme an dem Fahrtraining auch nicht angeordnet, vielmehr war die Teilnahme freiwillig.

Keine Zusicherung

Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung erstmals behauptet habe, ein Mitarbeiter der Beklagten habe ihr gegenüber telefonisch vor der Teilnahme an der Maßnahme erklärt, dieses Training falle unter den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz, könne die Klägerin hieraus nichts herleiten. Dabei könne offenbleiben, ob es sich hierbei überhaupt um eine Zusicherung in Form der Zusage (§ 34 Abs. 1 SGB X) einer Behörde, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen oder zu unterlassen, handeln würde, da ein konkreter Anknüpfungspunkt für den Erlass eines bestimmten Verwaltungsaktes (Anerkennung eines Arbeitsunfalls) vor dem Ereignis vom 11.05.2019 noch gar nicht vorlag. Jedenfalls bedürften Zusicherungen und Zusagen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform (§ 34 Abs. 1 S. 1, 2. Hs SGB X), die hier nicht eingehalten wurde. Es handle sich allenfalls um eine unverbindliche, unrichtige, zumindest aber unvollständige mündliche Auskunft zur Sach- und Rechtslage. Der Senat wäre daher nicht gehalten, diesen Angaben weiter nachzugehen.▪

Interessenkonflikt: Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

doi:10.17147/asu-1-257907

Kernaussagen

  • Die Teilnahme an einem vom Arbeitgeber finanzierten Fahrsicherheitstraining ist nur ­unfallversichert, falls Beschäftigte damit eine geschuldete arbeitsvertragliche Haupt- oder Nebenpflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis erfüllen.
  • Eine versicherte Tätigkeit kommt allenfalls in Betracht, wenn das Fahrtraining während der Arbeitszeit oder bei Freistellung unter Anrechnung auf das Arbeitszeitkonto stattfindet und der Arbeitgeber die Teilnahme anordnet.
  • Der Weg zu und von der Arbeitsstätte nach Hause ist nicht Bestandteil der arbeitsvertrag­lichen Beziehungen zwischen Beschäftigten und ihren Arbeitgebern, sondern obliegt arbeitsvertraglich gesehen allein dem Verantwortungsbereich der Beschäftigten selbst.
  • Weder das Unternehmen noch die Beschäftigten haben es in der Hand, den Schutz der ­gesetzlichen Unfallversicherung auf Tatbestände auszuweiten, die außerhalb der individuell getroffenen Vereinbarungen über den Inhalt des jeweiligen Beschäftigungsverhältnisses ­liegen und damit grundsätzlich nicht versichert sind.
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    Reinhard Holtstraeter
    Rechtsanwalt
    Lorichsstraße 17
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    Bild: Privat

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