Why gender equitable safety and health at work? – Part 1 –
Die Frau und der Arbeitsschutz
In den meisten Bereichen der Arbeitswelt von heute sind Frauen keine Minderheitengruppe. In einer ganzen Reihe von Berufen bilden sie seit jeher die Mehrheit, in anderen sind sie es geworden. Frauen arbeiten häufiger als Männer in atypischen prekären Beschäftigungsfeldern und -formen. Wo es nur wenige Frauen in die Männerdomänen der oberen Hierarchieebenen oder der technisch-naturwissenschaftlichen Berufe schaffen, steht ihre Arbeitssituation durchweg unter den Vorzeichen besonderer Anforderungen und Belastungen.
Trotzdem werden Frauen in der Arbeitsschutzpolitik und -praxis weithin marginalisiert, ihre physischen und psychischen Belastungen werden weniger beachtet oder umstandslos mit denen der männlichen Beschäftigten gleichgesetzt. Die Daten und Fakten in sämtlichen einschlägigen Statistiken und Berichten belegen, dass man damit der Realität nicht gerecht wird.
„Wir handeln strikt geschlechtsneutral“ dürfte von daher schon lange nicht mehr als Leitlinie für Betriebsärztinnen und Betriebsärzte, Fachkräfte für Arbeitsschutz und betriebliche Arbeitsschutzausschüsse sowie Personaldienstleister genügen, auch nicht für die Verantwortlichen in den Arbeitsschutzbehörden, bei den Unfallversicherungsträgern und in der Politik. „Neutral“ ist nicht automatisch neutral im Sinne von angemessen und frei von Diskriminierung oder Privilegierung. Auch die als zulässig angesehene Ausnahme von der „Neutralität“, der explizite „Frauenarbeitsschutz“ in Hinblick auf „unabweisbare“ biologisch-physiologische Gegebenheiten, wird vielfach zum Schutz der Frauen nicht in der Arbeit, sondern vor der Arbeit gewendet und führt so zu geschlechtsspezifischer Benachteiligung.
Geschlechtergerechtigkeit zielt auf wirksamen Arbeits- und Gesundheitsschutz für jede und jeden Beschäftigten – am jetzigen Arbeitsplatz, aber auch allgemein-präventionsorientiert sowie situativ für Ereignisse, die im Berufs- und Lebensverlauf kommen können: Schwangerschaft, Betroffenheit von einschneidenden Krankheiten oder Unfällen, Care-Arbeit von Müttern und Vätern für eigene Kinder oder von Töchtern, Söhnen, Schwiegertöchtern für im Alter pflegebedürftig werdende Eltern.
Es geht aber noch weiter: Aus der Forderung nach Geschlechtergerechtigkeit im Arbeitsschutz folgt die Forderung nach menschengerechtem Arbeitsschutz für alle Gruppen, die in der Arbeitswelt marginalisiert sind oder werden: aufgrund ihrer nationalen, kulturellen und ethnischen Herkunft oder aufgrund von Behinderung, Alter oder sozialer Schicht.
Vielfalt der Beschäftigtenstruktur
Je diverser das Arbeitskräftepotenzial wird, desto mehr ist auch der Arbeitsschutz gefordert, sich darüber Gedanken zu machen. Es geht nicht darum, sich einer Art Modedebatte zu öffnen, sondern darum, Herausforderungen, die seit langem bekannt sind – jedenfalls sein könnten –, zur Kenntnis zu nehmen, um als für den Arbeitsschutz und die betriebliche Gesundheitsförderung Verantwortliche das eigene Handeln für alle Beschäftigten wirkungsvoll umzusetzen.
Die langfristige Verschiebung der Beschäftigtenstruktur hin zu den Gruppen der Älteren ist schon lange vor der gegenwärtig aus der Arbeitswelt ausscheidenden Generation der Babyboomer zum Thema geworden. Auch die Situation von Beschäftigten mit Migrationshintergrund ist schon länger in den Blick des Arbeitsschutzes gekommen: Sprachliche Hürden und kulturell-religiös geprägte Lebensmuster oder Verhaltensweisen verbinden sich vielfach damit, dass diese Beschäftigten keinen anerkannten Berufsausbildungsabschluss haben und in Tätigkeitsfeldern mit hohen physischen Belastungen und Unfallrisiken arbeiten. Bei qualifizierten Fachkräften mit Migrationshintergrund, die in anspruchsvollen Dienstleistungsbereichen von Informationstechnologie bis Krankenpflege arbeiten, resultiert die Gesundheitsgefährdung eher aus psychischen Belastungen und Stress, verschärft durch unsensiblen Umgang bis hin zu rassistischen Diskriminierungen. Ethnische Unterschiede, die mit der Hautfarbe konnotiert werden, führen vor allem für People of Colour zu hochgradig belastenden, diskriminierenden Situationen am Arbeitsplatz; das sind Erfahrungen selbst unter denjenigen, die in Deutschland geboren wurden und bereits in der zweiten oder dritten Generation den deutschen Pass haben. Wer eine von der großen Mehrheit abweichende sexuelle Identität lebt, sucht diese am Arbeitsplatz meist zu verbergen, um nicht diskriminiert, isoliert oder in anderer Weise psychisch unter Druck gesetzt zu werden.
Geschlechter- und Diversity-sensibel
Nur wenn Problemlagen und Potenziale genau erkannt und die Maßnahmen für die Zielgruppe, unter Umständen auch für einzelne Beschäftigte, passend gestaltet werden, können der Arbeitsschutz und das betriebliche Gesundheitsmanagement die betrieblichen Ressourcen effektiv und effizient einsetzen. Die verschiedensten sozialen und physischen Merkmale der Beschäftigten sind relevant und müssen in den Blick genommen werden, nicht allein das Geschlecht. Aber Geschlecht ist ein Querschnittsmerkmal, das in der Verbindung mit anderen Merkmalen durchweg zu Mehrfachbelastungen/-diskriminierungen, besonderen Schutzbedürfnissen und Notwendigkeit zielgenauer Maßnahmen führt:
Ausgangspunkt ist die Unterscheidung nach dem biologischen Geschlecht, also nach Frauen und Männern, weil so gut wie alle für Erwerbsarbeit und Gesundheit relevanten repräsentativen Statistiken hierzu Aussagen liefern. Vom biologischen Geschlecht ausgehend führt die „Geschlechterperspektive“ hin zu den sozial vorgeprägten tradierten Geschlechterrollen von Frauen und Männern, die auch am Arbeitsplatz wirken. Das wurde im Arbeitsschutz jahrzehntelang ausgeblendet oder fehleingeschätzt.
Unbestreitbar herrscht eine strukturell geringere Aufmerksamkeit für die physischen und psychischen Belastungen an den meisten frauentypischen Arbeitsplätzen vor, mit Ausnahme der systemrelevanten Bereiche Pflege und Erziehung. Arbeitsbedingte psychische Belastungen und Belastungsfolgen (Häufigkeit und Dauer von Fehlzeiten, Frühberentung) wurden und werden auch heute noch oft schwerpunktmäßig als „Frauenproblem“ individualisiert; Frauen seien weniger belastbar. Nachweislich generiert zum Beispiel die weiblich-geschlechtsspezifische Aufgabenzuweisung an Teilzeitkräfte überproportionalen Stress (Arbeitshetze, Monotonie, keine Handlungsspielräume); die an frauentypischen Dienstleistungsarbeitsplätzen geforderte „Emotionsarbeit“ wird ignoriert (keine berufliche Leistung, sondern für Frauen „normal“); und Frauen als Führungskräfte erleben speziell geprägten Führungskräftestress (durch mehr Multitasking und gegensätzliche Anforderungen von weiblich-empathischem Verhalten einerseits, geforderter „männlicher“ Führungsstärke per Machtwort andererseits).
Geschlecht kann aber auch mit unterschiedlichen Potenzialen zur Bewältigung der Arbeitsbelastungen einhergehen: höhere Resilienz von Frauen aufgrund ihrer Achtsamkeit für ihre Gesundheit oder unterstützender sozialer Beziehungen am Arbeitsplatz – geringere Resilienz und häufigere Unfälle von Männern vor dem Hintergrund der tradierten Männerrolle („nichts ist zu schwer, das schaff ich allein“, mehr Risikoverhalten in gefährlichen Situationen).
Statistiken, Forschungserkenntnisse und betriebliche Erfahrungen haben bisher nicht dazu geführt, dass die institutionellen Träger des Arbeitsschutzes diese beispielhaft genannten Themen auf ihre Agenda setzen und mit Kampagnen, Fachtagungen, Forschungsvorhaben und Modellprojekten systematisch voranbringen. Auch beim praktischen Handeln im Betrieb – bei den Gefährdungsbeurteilungen und den Schutzmaßnahmen – sind das überwiegend „blinde Flecken“.
Bei der Unfallprävention und der betrieblichen Gesundheitsförderung dagegen ist Aufmerksamkeit zu verzeichnen gegenüber männerspezifischen „Gender-Problemen“, die darin bestehen, dass männliche Beschäftigte sich deutlich weniger als Frauen für ihre eigene Gesundheit ganz allgemein und im Besonderen für Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz interessieren. Für sie gibt es vielfältige Aktivitäten, um sie zu aktivem Gesundheitsverhalten und zur Vermeidung von Gesundheits- und Unfallgefahren zu bringen. Übergreifende Präventionskampagnen und betriebliche Gesundheitsförderungsmaßnahmen kommen in überproportionalem Umfang Männern zugute. De facto sind Männer die Zielgruppe nicht nur unmittelbar ihres betrieblichen Arbeitgebers, sondern auch bei Berufsgenossenschaften und Krankenversicherungen, wie die Daten zu deren Ressourceneinsatz für die gesetzlichen Pflichtaufgaben Prävention beziehungsweise betriebliche Gesundheitsförderung belegen.
Geht es ausschließlich um die Frauen?
Diese Frage ist mit einem klaren Nein zu beantworten. Der Blick auf die repräsentativen Daten fällt, vergleichend, stets auch auf die Männer, und bei den Belastungsfaktoren (körperlich schwere Arbeit, Arbeitshetze usw.) werden die besonders hohen Belastungen von Männern ebenso wie die von Frauen sichtbar, ferner die oft unterschiedlichen Belastungsfolgen (konkrete Beeinträchtigungen oder Erkrankungsdiagnosen) sowie die Umgangsweise damit (Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe, Krankschreibung nach Häufigkeit und Dauer, Berufswechsel, Frühberentung). Wichtig sind auch die Verknüpfungen der geschlechtsspezifischen Belastungsdaten mit den Merkmalen Vollzeit/Teilzeit, beruflichem Status und prekären Beschäftigungsverhältnissen.
Die Daten machen die für das Arbeitsschutzhandeln wichtigsten Schwerpunkte sichtbar, und zwar mit geschlechtsbezogenen Unterschieden in den Gruppen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Ein Arbeitgeber, der nur den vollzeitbeschäftigten männlichen Normalarbeitnehmer im Fokus hat – frei von Haushaltsorganisation und Care-Aufgaben, physisch immer voll belastbar, psychisch nicht andauernd „empfindlich“ oder „schnell gekränkt“, nicht von Menstruations- oder Wechseljahrbeschwerden betroffen und schon gar nicht schwanger oder stillend – dieser Arbeitgeber wird regelmäßig übersehen, wie es mit der gesundheitlichen Verfassung der beschäftigten Frauen aussieht. Oft erleben Frauen mangelnde Anerkennung und Wertschätzung und leiden unter sexistisch geprägten Arbeitsbeziehungen, emotionaler Überbeanspruchung beziehungsweise letztendlich unter Lohndiskriminierung.
Wenn Aufmerksamkeit für das biologische und das soziale Geschlecht von „Frauen und Männern“ erreicht wird, sollte das auch der Startpunkt dafür sein, die Bedürfnisse an Arbeits- und Gesundheitsschutz derjenigen Menschen zu erkennen, die sich nicht einem der binären Geschlechter zurechnen, sondern einer der Gruppen von LGBTI.1 Diese haben ein großes Maß vor allem an psychischen Belastungen im Arbeitsalltag zu tragen: Verbergen oder Outing, beides ist mit Stress verbunden. Für Trans*Personen sind die medizinischen Maßnahmen zur Transition auch körperlich stark belastend. Die Art und Weise, wie eine lesbische Frau, ein schwuler Mann oder ein Trans*Person am Arbeitsplatz „gelesen“, das heißt, wie ihr Verhalten interpretiert wirde, kann bei Betroffenen zu einem hohen Stresslevel führen, wenn sie sexistische Reaktionen im Team oder beim Kundenkontakt erleben oder befürchten.
Mit der Genderperspektive für geschlechtergerechten Arbeitsschutz kommt auch das Zusammenwirken und die Kumulation verschiedener Benachteiligungsmechanismen (Intersektionalität) in den Blick: Besonders prekär, belastet und ungeschützt arbeiten beispielsweise Frauen im höheren Lebensalter, die der Gruppe der People of Colour angehören, Frauen mit sichtbar kulturell-religiös geprägter Herkunft („Kopftuch-Migrantin“) oder Frauen mit Behinderung. Das muss der Arbeitsschutz mit im Fokus haben.
Anfangen ist das Wichtigste
Wir stehen nicht vor einer Blackbox, auch wenn die Datenlage zu Gesundheit und Sicherheit bei der Arbeit in punkto Gender und Diversity noch längst kein vollständiges Bild liefert: Die EU hat bereits seit Jahrzehnten geschlechterdifferenzierte Daten mit in den Blick genommen. Zur Situation in Deutschland sind für die Geschlechterperspektive viele interessante Informationen in den jährlichen Berichten der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) enthalten: Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit. Unfallverhütungsbericht Arbeit sowie im BAuA-Stressreport Deutschland von 2012 und 2019. Krankenkassen haben Berichte mit Schwerpunkt „Gender“ oder „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ vorgelegt. Bereits die vorhandenen repräsentativen Daten liefern hinreichende Belege für Geschlechterunterschiede.
Die Europäische Kommission hat schon in den 1980er/1990er Jahren starke Impulse für Geschlechtergerechtigkeit in der Arbeitswelt gesetzt. Die europäische Strategie des Gender Mainstreaming, der durchgängigen Beachtung der Geschlechterperspektive in allen Politikfeldern, hat Gender und Diversity seit den 1990er/2000er Jahren auch in Deutschland zum Thema gemacht, wobei sich die Institutionen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes nicht gerade an der Spitze der Bewegung befinden.
In den Jahren 2010/2011 richtete die Konferenz der Gleichstellungs- und Frauenministerinnen und -minister der Bundesländer (GFMK) eine Arbeitsgruppe zur Geschlechterperspektive im Arbeitsschutz und in der betrieblichen Gesundheitsförderung ein. Zwei Berichte wurden vorgelegt und Beschlüsse wurden gefasst. Die Berichte illustrierten erstmals in einem zusammenhängenden Überblick, wieviel Genderrelevanz im scheinbar geschlechtsneutralen Arbeitsschutz zu entdecken ist und wieviel Daten und Erkenntnisse vorliegen. Die Beschlüsse zielen auf Verbesserungen des arbeitsschutzrelevanten Genderwissens durch aussagefähigere Statistiken sowie durch gendersensible arbeitsmedizinische und arbeitswissenschaftliche Forschung, Genderfortbildung für Arbeitsschutzverantwortliche im Betrieb sowie in den staatlichen Arbeitsschutzbehörden und Unfallversicherungen, Förderprogramme zur Implementierung von Gender im Arbeitsschutz und explizite Benennung der Relevanz von Gender im Arbeitsschutzrecht als Verpflichtung insbesondere für Arbeitgeber, Fachkräfte für Arbeitssicherheit sowie Betriebsärztinnen und Betriebsärzte. Die Gleichstellungsministerinnen und -minister fassten Beschlüsse und reichten sie an ihre für den Arbeitsschutz zuständigen Kolleginnen und Kollegen der Arbeits- und Sozialministerkonferenz (ASMK) weiter. Auch die ASMK fasste einige grundlegende Beschlüsse, die in dieselbe Richtung gingen; nur ist von einer politischen Umsetzung im Bund und in den Ländern bis heute wenig zu sehen.
Klassisch stehen für die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) und die große Mehrzahl der Berufsgenossenschaften die Unfallrisiken und gesundheitlichen Gefährdungen in den gewerblich-industriellen Branchen, das heißt überwiegend von Männern, im Vordergrund. Geschlechteraspekte sind eher im Blick bei den Unfallkassen, die für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst und für den Unfallschutz von Kindern in Kita und Schule zuständig sind, sowie bei der Berufsgenossenschaft für Gesundheit und Wohlfahrtspflege. Die von DGUV und einigen Krankenversicherungen gebildete Initiative Gesundheit bei der Arbeit (iga) hat 2017 mit dem iga-Report 35 „Gesundheitliche Chancengleichheit im Betrieb“ eine Grundlagendarstellung zur Geschlechterperspektive im Arbeits- und Gesundheitsschutz und zugleich eine Handlungsanleitung für die betriebliche Arbeitsschutzpraxis veröffentlicht. 2019 hat sich die DGUV der von zahlreichen bedeutenden Unternehmen und Verbänden gebildeten Charta der Vielfalt angeschlossen und greift zunehmend auch Diversity- und Genderthemen auf.
Fachkräftemangel als Treiber
Die demografische Entwicklung verschärft den bestehenden Fachkräftemangel. Dem wird nur durch einen Policy Mix gegenzusteuern sein:
Bei jedem dieser Handlungsfelder hat der betriebliche Arbeits- und Gesundheitsschutz eine wesentliche Funktion, indem er auf Arbeitsbedingungen im Sinne Guter Arbeit hinwirkt und diese gewährleistet: Berufliche Qualifizierung wird von Schulabgängern und älteren Beschäftigten eher angenommen, wenn Arbeitsplätze mit guten gesundheitlichen Bedingungen in Aussicht gestellt werden – und Arbeitgeber werden nur dann in Aus- und Weiterbildung investieren, wenn Beschäftigte anschließend bleiben. Vereinbarkeit von Beruf und Familie erfordert im Betrieb nicht nur Teilzeit und Homeoffice – beides ohne höheren Stress oder schlechtere Berufsperspektiven –, sondern fängt damit an, dass der Betrieb das Mutterschutzgesetz allgemein-präventiv sowie im konkreten Fall ab der Schwangerschaftsmeldung gut umsetzt, das heißt, die Schwangere nicht der Einfachheit halber ins Beschäftigungsverbot schickt, sondern ihre Arbeitsbedingungen frühzeitig so gestaltet, dass der Gesundheitsschutz für sie und ihr Kind sichergestellt ist und sie weiterarbeiten kann. Für gesundes Erreichen des gesetzlichen Rentenalters und Prävention von Frühberentungen sind Arbeitsschutz und betriebliche Gesundheitsförderung entlang des gesamten Berufsweges ausschlaggebend. Ausländische Fachkräfte stehen trotz aller politischen Werbeaussagen vor zu hohen bürokratischen Hürden; aber davon abgesehen kommen sie nur dann und bleiben langfristig, wenn die sozialen und gesundheitlichen Arbeitsbedingungen stimmen.
Bei keinem diese Themen wäre der betriebliche Arbeitsschutz mit Handlungskonzepten erfolgreich, die nur auf „Normalarbeitnehmer“ oder Standardbeschäftigte zugeschnitten sind und sich um Gender und Diversity nicht kümmern.
Chance für den Arbeitsschutz
Die Arbeitsschutzgesetze und -verordnungen lassen gegenwärtig noch Vorgaben für eine geschlechtergerechte Weiterentwicklung des Arbeitsschutzes vermissen. Hier besteht Nachbesserungsbedarf für die übergreifende Rahmung durch das Arbeitsschutzgesetz und das Arbeitssicherheitsgesetz, aber auch bei den Rechtsverordnungen. Aber das hindert die Arbeitsschutzverantwortlichen selbstverständlich nicht daran, das grundgesetzliche Benachteiligungsverbot in Artikel 3 Grundgesetz (GG) auch und gerade in der Arbeitswelt mit geschlechtergerechtem, Diversity-sensiblem Arbeitsschutz zu verwirklichen und damit jetzt anzufangen.
Akteurinnen und Akteure im bestehenden Arbeitsschutzsystem sind für ihren Auftrag in hohem Maße engagiert und motiviert, und zwar für alle Beschäftigten. Sie wollen in ihrem Verantwortungsbereich niemanden schutzlos lassen und bei der Prävention nicht einen Teil der Beschäftigten bevorzugen. Allerdings muss noch wesentlich stärker als bisher aufgeklärt und bewusst gemacht werden, dass formal geschlechtsneutraler Arbeits- und Gesundheitsschutz gerade nicht neutral ist und gerade nicht gleiche Chancen für Alle auf gute, gesunde Arbeitsbedingungen schafft: für alle Frauen, alle Männer, für alle Gruppen mit besonderen Merkmalen und in besonderen Lebenslagen.
Die gute Nachricht lautet, dass ausreichende grundlegende Informationen für einen Anfang vorliegen: Daten und Fakten, Forschungserkenntnisse, nicht lediglich Behauptungen und Forderungen. Es gibt Beispiele guter Praxis für geschlechtergerechte Gestaltung von Arbeitsbedingungen und betrieblichen Gesundheitsförderungsmaßnahmen.
Und es gibt starke Argumente: Geschlechtergerechter Ressourceneinsatz auf der Grundlage geschlechtersensibler Gefährdungsbeurteilungen optimiert die Wirksamkeit. Verbesserungen der Arbeitsbedingungen, die wegen des Bedarfs von Frauen auf die Agenda kommen und als passgenauer Arbeits- und Gesundheitsschutz umgesetzt werden, kommen durchweg allen Beschäftigten zugute. Das bringt dem Betrieb Produktivitätsgewinne durch mehr Arbeitszufriedenheit und bessere Gesundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, weniger Fehlzeiten und geringere Fluktuation, also auf allen Seiten eine Win-Win-Situation.▪
Interessenkonflikt: Die Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.
Literatur
Weg M, Stolz-Willig B (Hrsg.): Agenda Gute Arbeit: geschlechtergerecht! Hamburg: VSA-Verlag, 2014.
doi:10.17147/asu-1-272986
Quellen und Weitere Infos
BAuA: Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit. Unfallverhütungsbericht. Berichtsjahre 2019, 2020; für 2021:
https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Berichte/Suga-2021.html
BAuA: Stressreport Deutschland 2019
https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Berichte/Stressreport-201…
BARMER Gesundheitsreport 2022, Schwerpunkt Gender
https://www.barmer.de/presse/infothek/studien-und-reporte/barmer-gesund…report-2022-1135014
DGUV Forum 4/2022: Schwerpunktheft „Vielfalt in der Arbeitswelt – Diversity!“ insbesondere: Prof. Karen Messing zu Genderspezifika bei Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz
https://forum.dguv.de/ausgabe/4-2022/artikel/wir-sind-viele-wir-sind-vi…
EU-OSHA: Frauen und Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit
https://osha.europa.eu/de/themes/women-and-health-work
Gleichstellungs- und Frauenministerinnen- und -ministerkonferenz, Berichte „Geschlechtergerechte Praxis im Arbeitsschutz und in der betrieblichen Gesundheitsförderung“ (2011) und „Betriebliche Gesundheitsförderung geschlechtersensibel gestalten – Neue Aufmerksamkeit für atypische Beschäftigungsverhältnisse“ (2012) – lesenswerte Einführungen
https://www.gleichstellungsministerkonferenz.de/documents/beschluesse_2…
Geschlechterperspektive im Arbeits- und Gesundheitsschutz: Betriebliche Gesundheitsförderung geschlechtersensibel gestalten – neue Aufmerksamkeit für atypische Beschäftigungsverhältnisse
https://www.hamburg.de/contentblob/3981630/b83384c4fc0524f57a124c0f9e91…
iga-Report Nr. 35 (2017) „Gesundheitliche Chancengleichheit im Betrieb, Schwerpunkt Gender“
https://www.iga-info.de/veroeffentlichungen/igareporte/igareport-35
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