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Arbeits- und Gesundheitsschutz

Arbeits- und Gesundheitsschutz im Friseurhandwerk

Ergebnisse eines europaweiten Projekts zur Exposition gegenüber potenziell ­gesundheitsschädlichen Stoffen

Occupational health and safety in the hairdressing sector – Results of a European project on exposure to potentially harmful substances

Einleitung

Die europäische Kosmetikverordnung konzentriert sich in erster Linie auf den Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher und enthält nur wenige Bestimmungen für gewerbliche Anwendende. Das Scientific Committee on Consumer Safety (SCCS) befasst sich mit der Risikobewertung für Verbraucherinnen und Verbraucher sowie grundsätzlich auch mit dem Risiko einer beruflichen Verwendung von Kosmetika. Letzteres führt allerdings in der Praxis selten zu dezidierten Risikoeinschätzungen für Friseurinnen und Friseure. Ansonsten fallen arbeitsmedizinische Grenzwerte seit einigen Jahren in den Bereich des Risk Assessment Committee (RAC) der European Chemicals Agency (ECHA) – vom vormaligen Scientific Committee on Occupational Exposure Limits (SCOEL) übernommen –, ohne dass allerdings Kosmetika-bezogene Aspekte besonders im Fokus stehen. Im Gegensatz zu Verbraucherinnen und Verbrauchern, die haarkosmetische Produkte meist nur wenige Minuten am Tag verwenden, sind Beschäftigte im Friseurhandwerk ihnen während ihres gesamten Berufslebens acht Stunden am Tag, fünf oder sechs Tage die Woche ausgesetzt. Daher bestand eindeutig Bedarf an einer systematischen Zusammenfassung der verfügbaren Literatur, um eine wissenschaftliche Grundlage zur Verbesserung des Gesundheitsschutzes von Friseurinnen und Friseuren zu schaffen. Das vorgestellte Projekt umfasst umfangreiche Literaturrecherchen, die von einem Konsortium aus fünf Projektpartnern aus Deutschland, Dänemark, Kroatien und den Niederlanden durchgeführt wurden (Uter et al. 2021). Mittels der Literatur-Reviews wurde Evidenz aus den Jahren 2000 bis 2021 analysiert und bewertet. Die Überprüfungen konzentrierten sich auf Substanzen, die als die toxikologisch relevantesten kosmetischen Inhaltsstoffe mit (potenziellen) schädlichen Auswirkungen auf die Haut der Friseurin oder des Friseurs, systemischer Toxizität sowie respiratorischen, karzinogenen und reproduktiven Wirkungen identifiziert wurden. Basierend auf den Erkenntnissen wird eine Reihe von Empfehlungen hinsichtlich präventiver und regulatorischer Maßnahmen ausgesprochen.

Methodik

Nach ersten Expertenurteilen innerhalb des Projektkonsortiums zu potenziell gefährlichen Produktkategorien im Friseurhandwerk wurde eine Delphi-Umfrage (mehrstufiges qualitatives Befragungsverfahren) durchgeführt. Das Feedback von 48/121 (Antwortquote: 40 %) eingeladenen Expertinnen und Experten aus den Bereichen Epidemiologie, Dermatologie und Toxikologie etc. führte zu einer Liste der zu berücksichtigenden Sub­stanzen (➥ Tabelle 1).

In dem beschriebenen Projekt wurde der aktuelle Forschungsstand zu Stoffen (s. Tabelle 1) hinsichtlich aller arbeitsmedizinisch relevanter Endpunkte analysiert (Uter et al. 2021). Narrative Reviews, Scoping-Reviews und systematische Reviews (mit Metaanalysen) wurden in diesem Projekt verwendet.

Zusammenfassung der Ergebnisse

Mehr als jede/r dritte Friseurin und Friseur in Europa leidet zu einem Zeitpunkt im Berufsleben unter einem Handekzem (Havmose et al. 2022). Die meisten Beschäftigten entwickeln bereits während der Ausbildung ein Handekzem. Friseurinnen und Friseure sind nicht nur einer breiten Palette von Haarkosmetikprodukten bis zu 78-mal mehr ausgesetzt, die von Shampoos, Conditionern, oxidativen und nicht-oxidativen Haarfarben bis hin zu Bleichmitteln reichen, als Verbraucherinnen und Verbraucher (Symanzik et al. 2022a), sondern sie sind oft auch mehreren gefährlichen Friseurchemikalien gleichzeitig ausgesetzt (➥ Abb. 1), was zu einer sogenannten Cocktail-Exposition führt. Die kumulative tägliche Exposition der Hände gegenüber haarkosmetischen Inhaltsstoffen – besonders, wenn Hautschutzmaßnahmen, wie das korrekte Tragen adäquater Schutzhandschuhe nicht (ausreichend) umgesetzt werden – ist als eindeutige Ursache für Hautschäden zu identifizieren (Symanzik et al. 2022c,d; Uter et al. 2022). ➥ Tabelle 2 fasst zusätzliche Expositionsquellen für potenziell schädliche Substanzen, einschließlich kosmetischer Produktkategorien, die nicht für die Verwendung auf Haaren bestimmt sind, im Friseurhandwerk zusammen.

Tabelle 2:  Zusätzliche Expositionsquellen für potenziell schädliche Substanzen in Friseurhandwerk, die nicht für die Anwendung auf dem Haar bestimmt sind (Symanzik et al. 2022a)

Tabelle 2: Zusätzliche Expositionsquellen für potenziell schädliche Substanzen in Friseurhandwerk, die nicht für die Anwendung auf dem Haar bestimmt sind (Symanzik et al. 2022a)

Darüber hinaus kann das Einatmen von Friseurchemikalien zu Atemwegsproblemen führen (Kezic et al. 2022), da Beschäftigte im Friseurhandwerk, wie aus einigen Studien hervorgeht, gelegentlich auch luftgetragenen Chemikalien ausgesetzt sind, die bei der Friseurarbeit in Mengen freigesetzt werden, die die geltenden Arbeitsplatzgrenzwerte (AGW) oder Richtwerte überschreiten, und eine reizende und/oder sensibilisierende Wirkung auf die Atemwege ausüben können. Sowohl die dermale als auch die inhalative Exposition kann zur Aufnahme von Chemikalien in den Körper führen, was zur Entwicklung systemischer führen kann. Blondierpräparate mit Persulfatsalzen wurden als die Hauptursache für berufsbedingte Atemwegserkrankungen im Friseurhandwerk identifiziert (Macan et al. 2022). Auch wenn Alternativen in der Form von staubfreien Blondierpulvern und -cremes zur Verfügung stehen, werden in Deutschland zu einem großen Anteil nach wie vor nicht-staubfreie Blondierpulver verwendet (Sy­manzik et al. 2022b). Karzinogenität (Blasenkrebs) und unerwünschte Wirkungen in der Schwangerschaft sowie eine gesundheitliche Beeinträchtigung Neugeborener werden derzeit untersucht und können zu diesem Zeitpunkt nicht ausgeschlossen werden (Babić et al. 2022).

Abb. 1:  Faktor, um den Friseurinnen und Friseure bei regelmäßigen Tätigkeiten stärker exponiert sind als Verbraucherinnen und Verbraucher („Expositionsfaktor“). Die den Berechnungen zugrunde liegenden Datensätze finden sich in Symanzik et al. (2022a)

Abb. 1: Faktor, um den Friseurinnen und Friseure bei regelmäßigen Tätigkeiten stärker exponiert sind als Verbraucherinnen und Verbraucher („Expositionsfaktor“). Die den Berechnungen zugrunde liegenden Datensätze finden sich in Symanzik et al. (2022a)

Implikationen für die Risikobewertung

Die vorliegenden Projektergebnisse zeigen deutlich, dass die Nutzungshäufigkeit von kosmetischen Mitteln der Endverbraucherinnen und -verbraucher nicht geeignet ist, um die Exposition der Friseurinnen und Frseure adäquat abzubilden. Eine Bewertung des Gesundheitsrisikos auf Grundlage der Verbraucherinnen- und Verbraucherexposition unterschätzt die Berufsrisiken für Beschäftigte im Friseurhandwerk. Eine verbesserte Risikobewertung in Bezug auf hautreizende und insbesondere potenziell hautsensibilisierende Stoffe in Friseurprodukten wäre ein großer Schritt nach vorn, bei dem die erhöhte Exposition von Friseurinnen und Friseuren im Vergleich zu Verbraucherinnen und Verbrauchern berücksichtigt werden muss. Auf europäischer Ebene ist das SCCS dafür zuständig, im Auftrag der Generaldirektion Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU (GROW) Risikobewertungen für Kosmetika-Inhaltsstoffe hinsichtlich aller relevanten humantoxikologischen Endpunkte, unter anderem auch Hormonwirkungen, vorzunehmen. Auf deren Basis werden dann koordiniert von GROW Risikomanagement-Maßnahmen beschlossen und als Änderungen und Ergänzungen der Kosmetikverordnung (als „EU-Regulation No 1223/2009“ direkt rechtswirksam im na­tionalen Raum) legislativ umgesetzt. Insoweit stellen Kosmetika einen Spezialfall mit spezifischer, vorrangiger Regulierung vor dem allgemeinen REACH- (Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe) beziehungsweise CLP-Rahmen (Verordnung über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen) dar. Dabei umfasst die Risikobeurteilung durch das SCCS grundsätzlich auch die berufliche Exposition durch Kosmetika, da „Endverbraucherinnen“ oder „Endverbraucher“ im Sinne der Kosmetikverordnung (EC) 1223/2009, Artikel 2, Absatz f, auch der- oder diejenigen mit beruflichem Gebrauch von Kosmetika sind. In der Praxis wird jedoch nur ausnahmsweise auf die deutlich höhere Exposition im Friseurberuf eingegangen. Friseurinnen und Friseure sind verschiedenen Gefahrstoffen gleichzeitig ausgesetzt. Daher muss eine kombinierte Exposition berücksichtigt werden. Informationen über die gefährlichen Eigenschaften von Chemikalien in Haar­pflegeprodukten, den Expositionsweg sowie das Ausmaß und Muster der Exposition sind von entscheidender Bedeutung. Es werden praktikable und evaluierte Modelle und Werkzeuge benötigt, die für Risikobewertungszwecke geeignet sind. Die Eignung von Modellen, die für die Verbraucherexposition entwickelt wurden (z. B. ConsExpo, Probabilistic Aggregate Consumer Exposure Model [PACEM]), sollte für das berufliche Umfeld evaluiert werden.

Implikationen für die Prävention

Eine Expositionsreduktion in Bezug auf Feuchtarbeit sowie den Hautkontakt zu Friseurchemikalien, muss im Sinne einer adäquaten Primärprävention von Berufsdermatosen bereits Bestandteil der Berufsausbildung sein. Die angemessene Verwendung von Handschuhen zum persönlichen Schutz ist im Friseurhandwerk unverzichtbar, da sie die Gefährdung der Hautgesundheit und die transdermale Aufnahme von Chemikalien verringert. Geeignete Handschuhe sowie auch Hautschutzmittel und Hautpflegemittel zur Verwendung am Arbeitsplatz müssen vom Arbeitgebenden zur Verfügung gestellt werden. In Friseursalons sollten geeignete Lüftungssysteme verwendet werden. Generell sollten die Technischen Regeln für Gefahrstoffe für das Friseurhandwerk (TRGS 530) Berücksichtigung und Anwendung in den Betrieben finden. Eine Bewertung des Gesundheitsrisikos, einschließlich der Identifizierung von Haut- und Atemwegsallergenen sowie Reizstoffen am Arbeitsplatz, sollte durchgeführt werden. Hochrisikogruppen im Friseurhandwerk (z. B. Schwangere, Frauen im gebärfähigen Alter, Jugendliche wegen möglicher Neurotoxizität, Atopikerinnen und Atopiker) müssen besonders berücksichtigt werden. Informatio­nen über die gefährlichen Eigenschaften von Chemikalien in Haarpflegeprodukten, den Expositionsweg sowie Ausmaß und Muster der Exposition sind von entscheidender Bedeutung. Bedacht werden sollte, dass es sich bei einem großen Anteil von Friseurbetrieben um Klein- und Kleinstbetriebe handelt, die nicht arbeitsmedizinisch betreut werden. Eine Forcierung der arbeitsmedizinischen Betreuung von Friseurinnen und Friseuren erscheint bezüglich der (Primär-)Prävention von Berufsdermatosen in diesem Bereich sinnvoll.▪

Interessenkonflikt: Die Verfassenden geben an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

Danksagung: Die Verfassenden danken der European Commission, Directorate General Employment, Social Affairs and Inclusion (VS/2019/0440) für die finanzielle Förderung des Projektes. Zudem sei den anderen Forschenden des VS/2019/0440-Projektkonsor­tiums für die hervorragende Zusammenarbeit gedankt: Željka Babić, Zrinka Franić, Sarah Hallmann, Martin Stibius Havmose, Jeanne Duus Johansen, Sanja Kezic, Jelena Macan, Marija Macan, Julia Strahwald, Rajka Turk, Henk van der Molen und Patricia Weinert.

Literatur

Babić Ž, Macan M, Franić Z et al.: Association of hairdressing with cancer and reproductive diseases: A systematic review. J Occup Health 2022; 64: e12351.

Havmose MS, Kezic S, Uter W et al.: Prevalence and incidence of hand eczema in hairdressers – A systematic review and meta-analysis of the published literature from 2000–2021. Contact Dermatitis 2022; 86: 254–265.

Kezic S, Nunez R, Babić Ž et al.: Occupational Exposure of Hairdressers to Airborne Hazardous Chemicals: A Scoping Review. Int J Environ Res Public Health 2022; 19: 4176.

Macan J, Babić Ž, Hallmann S et al.: Respiratory toxicity of persulphate salts and their adverse effects on airways in hairdressers: a systematic review. Int Arch Occup Environ Health 2022; 95: 1679–1702.

Symanzik C, Johansen JD, Weinert P et al.: Differences between hairdressers and consumers in skin exposure to hair cosmetic products: A review. Contact Dermatitis 2022a; 86: 333–343.

Symanzik C, Koopmann K, Skudlik C et al. (2022b): Bleaching powders, bleaching creams and other hair lightening preparations as sources for (airborne) allergic contact dermatitis and other health effects in hairdressers: Results of an empirical study. Contact Dermatitis, Online ahead of print (doi: 10.1111/cod.14242).

Symanzik C, Weinert P, Babić Ž et al.: Skin toxicity of selected hair cosmetic ingredients: a review focusing on hairdressers. Int J Environ Res Public Health 2022c; 19: 7588.

Symanzik C, Weinert P, Babić Ž et al.: Allergic contact dermatitis caused by 2-hydroxyethyl methacrylate and ethyl cyanoacrylate contained in cosmetic glues among hairdressers and beauticians who perform nail treatments and eyelash extension as well as hair extension applications: A systematic review. Contact Dermatitis 2022d; 86: 480–492.

Uter W, Johansen JD, Havmose MS et al.: Protocol for a systematic review on systemic and skin toxicity of important hazardous hair and nail cosmetic ingredients in hairdressers. BMJ Open 2021; 11: e050612.

Uter W, Strahwald J, Hallmann S et al.: Systematic review on skin adverse effects of important hazardous hair cosmetic ingredients with a focus on hairdressers. Contact Dermatitis, Online ahead of print, 2022 (doi: 10.1111/cod.14236).

doi:10.17147/asu-1-257899

Weitere Infos

Ergebniszusammenfassung des vorgestellten Projekts auf einem zweiseitigen Info-Sheet
https://www.igb.uni-osnabrueck.de/fileadmin/documents/public/Fachgebiet…

Webseite zum Projekt mit Möglichkeit zum Download aller verfügbaren Projektdokumente: Executive Summary, Medical Reference Document sowie Project Infographic
https://www.uni-europa.org/news/hairdressing-action-plan-autonomous-imp…

Kernaussagen

  • Eine Beurteilung des Gesundheitsrisikos auf der Basis der Verbraucherinnen- und Verbraucherexposition unterschätzt das Risiko für Friseurinnen und Friseure.
  • Zur Verbesserung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes im Friseurhandwerk braucht es eine bessere Risikokommunikation und -wahrnehmung.
  • Präventionsmaßnahmen, die auf die Reduzierung der Exposition abzielen, müssen bereits Bestandteil der Berufsausbildung sein.
  • Kontakt

    Dr. rer. nat. Cara Symanzik, B.Sc., M.Ed.
    Institut für interdisziplinäre Dermatologische Prävention und Rehabilitation (iDerm) und Abt. Dermatologie, Umweltmedizin und Gesundheitstheorie an der Universität Osnabrück
    Am Finkenhügel 7a
    49076 Osnabrück

    Foto: privat

    Koautoren
    Prof. Dr. med. Wolfgang Uter
    Institut für Medizininformatik, Biometrie und ­Epidemiologie, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

    Prof. Dr. med. Swen Malte John
    Institut für interdisziplinäre Dermatologische Prävention und Rehabilitation (iDerm) an der Universität Osnabrück & Abteilung Dermatologie, Umweltmedizin und Gesundheitstheorie, Universität Osnabrück

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